Berichte von Korrespondenten zum VP- und MfS-Einsatz in Berlin-Mitte
22. Juni 1988
Information Nr. 320/88 über Reaktionen von Vertretern westlicher Publikationsorgane zu den Sicherungsmaßnahmen am 19. Juni 1988 im Bereich des Brandenburger Tores/Unter den Linden
Streng intern wurde bekannt: Die Korrespondenten Schwelz (»AP«), Nesirky (»Reuters«), Baum (»Frankfurter Rundschau«) und Metkemeyer (Büro Westberlin) trafen am 20.6.1988 die Einschätzung, dass die Darstellung über die Arbeitsbehinderungen von Westkorrespondenten am 19. Juni 1988 am Brandenburger Tor und unter den Linden, wie sie die ARD-Korrespondenten Heber (ARD-Hörfunk) [und] Börner (ARD-FS) getroffen haben, »überzogen und journalistisch instinktlos« seien. Mit Ausnahme Metkemeyers habe man sich vor Ort persönlich zu den Vorgängen sachkundig machen können und dabei festgestellt, dass die Korrespondenten zwar ständig durch zivile Sicherungskräfte unter Kontrolle standen, aber nicht daran gehindert wurden, sich frei zu bewegen. Es sei zwar zu vermuten, aber noch nicht mal zu beweisen, dass die Leute, die sich um die Westkorrespondenten scharten, auch tatsächlich Mitarbeiter des MfS gewesen seien. Baum und Metkemeyer sind der Meinung, dass das MfS und die VP sich »clever verhalten« hätten.
Schwelz, Nesirky, Baum und Metkemeyer haben aufgrund dieser ganzen Umstände starke Zweifel daran, dass die Behauptungen der ARD-Korrespondenten, Sicherungskräfte hätten geschlagen und mit Elektrostäben gearbeitet, der Wahrheit entsprechen. Baum habe von Mitarbeitern des ARD- und ZDF-Studios bereits vorher gewusst, dass man mit einer Konfrontation mit Sicherungskräften rechnete.1
Es sei deshalb politisch falsch und völlig instinktlos, aus den Ereignissen ein Politikum mit der Ständigen Vertretung der BRD zu machen.
Nach Rücksprache mit Heber seien Baum und Schwelz der Auffassung, dass Heber im Stile »Goebbelscher Propagandaschule« arbeite. Hiervon müsse man sich distanzieren und bei der Abfassung von Nachrichten auch ausdrücklich auf die Quellen verweisen (ARD), denn die DDR werde bestimmt auf Kommentare und Aktivitäten der ARD-Korrespondenten empfindlich und vermutlich resolut reagieren.2
Von Börner hätte Baum erfahren, dass dieser nach den Drohanrufen im ARD-Studio jetzt vorsichtiger agieren wolle. Es sei für Börner zu offensichtlich, dass damit ein politisches Spektakel weitergeführt werden soll und diese Anrufe nicht von der DDR-Seite inszeniert sein können. Im ARD-Studio werde vermutet, dass der Anrufer entweder ein DDR-Bürger sei, der glaubt, den Westkorrespondenten damit einen Gefallen zu tun, oder der Anruf wurde von westlicher Seite inszeniert.
Nesirky und Metkemeyer vertraten die Auffassung, dass die Westberliner Polizei rigoroser mit Demonstranten und Journalisten umgehe. Deshalb sollten die Ereignisse vom 19.6.1988 am Brandenburger Tor schnell vergessen und wieder zur Tagesordnung übergegangen werden. Rockkonzerte und ihre Begleitumstände in beiden Teilen Berlins seien nicht der Nabel der Welt.3
Weiter wurde erklärt, man müsse fairerweise zwei Aspekte dabei sehen:
Zur gleichen Zeit habe man z. B. – bei gewisser Aufmerksamkeit – die Auseinandersetzung »jenseits der Mauer, ganz in der Nähe am Lenné-Dreieck« gehört, und das sei nun wirklich echter Bürgerkriegscharakter gewesen.
Daraus folgernd müsse man schließlich auch jedem Staat das Recht zubilligen, »den Anfängen randalierender Bewegungen zu wehren«.
Der Leiter der Ost–West-Redaktion des »Deutschlandfunks«, Fricke, brachte seine Verwunderung zum Ausdruck, dass die »hiesigen Korrespondenten« aus der BRD die Geschehnisse am Brandenburger Tor »mit so großen Gewichten versehen«. Er erklärte, er habe sich zu diesem Thema mit Karl-Heinz Baum von der »Frankfurter Rundschau« heftig gestritten.4
Der Korrespondent des SFB, Horstmeier, äußerte, er verstehe nicht, weshalb sich die Teams der ständig akkreditierten Korrespondenten sich in solche Krawalle reinhängen würden. Nach seiner Meinung entspräche das nicht ihrem Auftrag zur Berichterstattung, weil die BRD- und Westberliner Medien über ähnliche eigene Vorfälle kaum ein Wort verloren hätten.5
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