Erwartete öffentliche Proteste von Antragstellern zum 1.Mai
18. April 1988
Information Nr. 199/88 über geplante Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte anlässlich der Feierlichkeiten im Zusammenhang mit dem 1. Mai 1988
Nach dem MfS bisher vorliegenden internen Hinweisen beabsichtigen feindlich-negative Kräfte, insbesondere Übersiedlungsersuchende, im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkende Personen und Vertreter sogenannter kirchlicher Basisgruppen, am bzw. anlässlich des 1. Mai 1988 mit provokatorisch-demonstrativen u. a. Aktivitäten öffentlichkeitswirksam aufzutreten, um ihren hinlänglich bekannten Forderungen und Ansinnen nach dem »Vorbild der Provokation vom 17. Januar 1988 in Berlin« erneut Nachdruck zu verleihen.1
Die geplanten Aktivitäten und Verhaltensweisen sind geeignet, das politische Anliegen des Internationalen Kampf- und Feiertages der Werktätigen herabzuwürdigen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu stören bzw. zu gefährden.
Bisherigen Erkenntnissen zufolge beabsichtigen ca. 40 Personengruppen und 75 Einzelpersonen – an der Aufklärung der beabsichtigten Aktivitäten wird intensiv gearbeitet –, vor allem aus der Hauptstadt der DDR, Berlin (22 Hinweise) sowie aus den Bezirken Dresden (11 Hinweise), Leipzig und Magdeburg (je 8 Hinweise), mit folgenden Aktivitäten in Erscheinung zu treten:
Schwerpunkt bilden Vorhaben, sich mit Transparenten, Schrifttafeln und anderen Sichtelementen feindlich-negativen Inhalts, insbesondere im Sinne der gegnerischen Freiheits- und Menschenrechtsdemagogie, verbunden mit Forderungen nach Genehmigung der Übersiedlung in die BRD, nach mehr Freizügigkeit für DDR-Bürger, vorrangig nach ungehindertem Reiseverkehr, mehr Freiheit für sogenannte politisch Andersdenkende, Demokratie, Glaubens-, Meinungs- und Informationsfreiheit, bzw. mit pseudopazifistischen und -ökologischen Forderungen entsprechend analoger Vorgehensweisen während des Olof-Palme-Friedensmarsches im September 1987 in Marschblöcke von Kampfdemonstrationen einzureihen.
Darüber hinaus bestehen Vorstellungen, während Kampfdemonstrationen Druckerzeugnisse negativen Inhalts zu verteilen sowie durch lautstarkes Rufen von Parolen antisozialistischen Inhalts oder demonstratives Abwenden ganzer Personengruppen vor Ehrentribünen auf sich aufmerksam zu machen.
Derartige Aktivitäten konzentrieren sich gegenwärtig vor allem auf die Kampfdemonstration in der Hauptstadt der DDR, Berlin. So beabsichtigt eine Gruppe von ca. 60 bis 80 Übersiedlungsersuchenden aus dem Raum Bautzen/Dresden, sich in die Berliner Kampfdemonstration einzureihen und durch Sprechchöre die Genehmigung ihrer Übersiedlung zu fordern. In der Bezirksstadt Schwerin beantragte eine Gruppe von ca. 100 Übersiedlungsersuchenden, die sich im sogenannten Schweriner Freundeskreis für Frieden und Menschenrechte zusammengeschlossen hat, bei der Bezirksbehörde der DVP die Genehmigung zur Teilnahme an der Bezirksdemonstration als geschlossener Marschblock. Aus der Bezirksstadt Erfurt liegen interne Hinweise über eine geplante Gegendemonstration vor.
Von feindlich-negativen Kräften, insbesondere Übersiedlungsersuchenden, sind im genannten Zeitraum Zusammenrottungen, Schweigemärsche u. ä. auch an weiteren zentralen Örtlichkeiten sowie im Rahmen der Volksfeste anlässlich des 1. Mai nicht auszuschließen.
Eine derartige Gruppierung von Einwohnern aus der Hauptstadt beabsichtigt z. B. Aktivitäten im unmittelbaren Umfeld des Brandenburger Tores.
Darüber hinaus gibt es nach weiter vorliegenden Hinweisen unter bekannten feindlich-negativen Kräften, vor allem jedoch Übersiedlungsersuchenden, teilweise intensive Diskussionen zum Verlauf des 1. Mai, die von allgemeinen Absichtsbekundungen, etwas tun zu wollen, der Erörterung konkreter möglicher Vorhaben bis zu spekulativen Erwartungen auf Störungen des Ablaufes des Kampftages der Arbeiterklasse reichen.
Ausgehend von den Erfahrungen der letzten Monate ist des Weiteren nicht auszuschließen, dass am 1. Mai 1988 stattfindende kirchliche Veranstaltungen (Gottesdienste) durch reaktionäre kirchliche Kräfte und Übersiedlungsersuchende für feindlich-negative Aktivitäten missbraucht werden.
Nach vorliegenden Hinweisen plant ein dem MfS namentlich bekannter Pfarrer am Vorabend des 1. Mai in der St. Pauli-Kreuzkirchgemeinde in Karl-Marx-Stadt eine Veranstaltung, in deren Mittelpunkt eine Diskussion über Erfahrungen aus der Provokation am 17. Januar 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, stehen soll.
Die Teilnahme eingeladener Übersiedlungsersuchender ist vorgesehen.
Dem MfS liegen ferner streng interne Hinweise vor, wonach der als Inspirator/Organisator politischer Untergrundtätigkeit hinlänglich bekannte Wolfgang Templin – zurzeit in der BRD aufhältig – gemeinsam mit dem als Feind bekannten Jahn/Westberlin nicht näher bezeichnete öffentlichkeitswirksame Aktivitäten zur Störung der Feierlichkeiten anlässlich des 1. Mai 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, unter Einbeziehung sogenannter kirchlicher Basisgruppen plant und vorbereitet.2
Im Zusammenhang mit dem 1. Mai 1988 wurden bisher vereinzelt Vorkommnisse des Verbreitens von Hetzblättern bzw. des Anbringens von Hetzlosungen bekannt. So verbreiteten Mitglieder einer Gruppierung Übersiedlungsersuchender aus Leipzig, die sich als »Aktion friedliche Ausreise« bezeichnet, Flugschriften mit der Aufforderung zur Teilnahme an der Demonstration am 1. Mai 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin. (Gegen zwei Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehle erlassen.)
Durch das MfS wurden in allen Territorien in Abstimmung mit der Partei und im engen koordinierten Zusammenwirken mit der DVP sowie zuständigen staatlichen Organen, gesellschaftlichen Einrichtungen und Kräften erforderliche differenzierte Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung und wirksamen Bekämpfung feindlich-negativer Aktivitäten, zum rechtzeitigen Erkennen potenzieller Störer und Provokateure und der vorbeugenden Verhinderung ihres Wirksamwerdens im Zeitraum des 1. Mai 1988 eingeleitet.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen dem MfS keine Hinweise über beabsichtigte Aktivitäten in der DDR akkreditierter bevorrechteter Personen sowie ständig in der DDR akkreditierter Korrespondenten imperialistischer Staaten im Zusammenhang mit Störversuchen feindlich-negativer Kräfte zu den Kampfdemonstrationen am 1. Mai vor.
Die in der DDR akkreditierten ständigen Korrespondenten imperialistischer Publikationsorgane gehen streng internen Hinweisen zufolge davon aus, dass feindlich-negative Bürger der DDR am 1. Mai schwerpunktmäßig in den Territorien Berlin, Leipzig, Dresden und Jena mit Demonstrativhandlungen in Erscheinung treten werden.
Sie gehen ferner davon aus, über bestehende Kontakte von feindlich-negativen Kräften kurzfristig Informationen zu geplanten Aktivitäten zu erhalten.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.