Frühjahrstagungen der Synoden Evangelischer Landeskirchen
4. April 1988
Information Nr. 172/88 über vier Frühjahrstagungen von Synoden evangelischer Landeskirchen in der DDR
In der Zeit vom 17. bis 23. März 1988 fanden die Frühjahrstagungen der Synoden der
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Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs (17. bis 20. März 1988),
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Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (18. bis 20. März 1988),
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Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes (18. bis 21. März 1988) und der
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Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (19. bis 23. März 1988) statt.
Inhalt und Verlauf dieser Synoden machten deutlich, dass die in Realisierung der entsprechenden Beschlüsse des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED durchgeführten Maßnahmen, insbesondere die im Vorfeld der Synoden stattgefundenen Gespräche leitender Partei- und Staatsfunktionäre mit kirchenleitenden Kräften und Amtsträgern, zu einer gewissen Versachlichung der auf den Synoden behandelten gesellschaftspolitischen Themen führten. Stärker ausgeprägt war das Bemühen, sich mit innerkirchlichen Fragen zu befassen.
Nachhaltigen Einfluss auf allen Synodaltagungen übte das Treffen des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, mit dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR, Landesbischof Dr. Werner Leich, am 3. März 1988 aus.
In den Ausführungen kirchenleitender Kräfte wurden wiederholt die Friedenspolitik der DDR und die umfassenden sozialpolitischen Maßnahmen gewürdigt.
Insbesondere die Bischöfe Rogge/Görlitz und Hempel/Dresden unterstrichen ihre Bereitschaft für die Fortsetzung des Kurses vom 6. März 1978.1 Bischof Demke/Magdeburg verhinderte durch persönliche Einflussnahme das beabsichtigte Wirksamwerden des Mitarbeiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Kolitzus, im Zusammenhang mit der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen.
Auf allen Synoden wurden die durch Bischof Leich im Gespräch mit Genossen Honecker dargelegten sogenannten Problemfelder zwischen Staat und Kirche bekräftigt und fanden, maßgeblich initiiert durch auf politisch negativen Positionen stehende kirchliche Amtsträger wie Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg, Propst Falcke/Erfurt, Pfarrer Havenstein/Daubitz, Pressepfarrer Roch/Görlitz, Superintendent Pilz/Flöha, Eingang in entsprechende Synodalbeschlüsse.
Im Gegensatz zur erklärten Absicht vorgenannter Personen enthalten diesbezügliche Formulierungen in den Beschlüssen im Wesentlichen keine auf Konfrontation mit dem Staat abzielende Aussagen. In Übereinstimmung damit erfolgte auch eine relativ sachliche Berichterstattung über Verlauf und Ergebnisse der 1. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« (13. bis 15. Februar 1988 in Dresden).
Mehrheitlich wurden ferner die Bestrebungen Übersiedlungsersuchender zurückgewiesen, kirchliche Wirkungsmöglichkeiten für die Realisierung ihrer Ziele auszunutzen. Dennoch tragen die Beschlüsse z. T. Forderungscharakter.
Stellungnahmen zum politischen Missbrauch der Kirchen durch feindlich-negative Gruppierungen und Kräfte besonders im Zusammenhang mit den Ereignissen am und nach dem 17. Januar 1988 wurde auf allen Synoden ausgewichen.
Nach wie vor war seitens der evangelischen Landeskirchen in den meisten Fällen nicht die Bereitschaft erkennbar, staatsfeindliche Handlungen und Aktivitäten innerer Feinde in kirchlichen Räumlichkeiten zu verurteilen und zu unterbinden.
Hervorzuheben ist insbesondere die Haltung von Bischof Stier und einiger weiterer Vertreter der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, die vorbehaltlos den Kurs der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg unterstützten und sich in scharfer Form für die Realisierung der bekannten Forderungen gegenüber dem Staat aussprachen.
Im Folgenden wird über den Verlauf der ersten vier Frühjahrssynoden informiert, soweit gesellschaftspolitische Aussagen, die für die Einschätzung dieser Tagungen von Bedeutung sind, getroffen wurden.
Die 1. Tagung der XI. ordentlichen Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs fand in der Zeit vom 17. bis 20. März 1988 in Schwerin statt.
Der Bericht Bischof Stiers enthielt eine Vielzahl von gesellschaftspolitischen Problemstellungen mit politisch negativen Aussagen gegenüber dem Staat unter Bezugnahme auf die Ereignisse am 17. Januar 1988 und den Gottesdienst in der Sophienkirche am 6. März 19882 sowie auf die Problematik der Übersiedlungsersuchenden.
Unter dem Thema »Dialog und Öffentlichkeit« führte Stier u. a. aus, dass »grundsätzliche Fragen erneut aufgebrochen sind. Sie hängen zutiefst mit gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR und darüber hinaus mit weltweiten Veränderungsprozessen zusammen; … eine einheitliche Linie staatlichen Handelns (war) nicht erkennbar.«
Zur Charakteristik staatlichen Handelns erklärte Stier u. a., dass härteste Vorwürfe, Androhungen von Höchststrafen und Entlassungen aus der Staatsbürgerschaft »beinahe zeitgleich nebeneinander gehandhabt werden«. Das staatliche Vorgehen und die jeweiligen Entscheidungen in jenen kritischen Tagen hätten Besonnenheit und Durchsichtigkeit vermissen lassen. Die Kirche sei »durch den Staat in die Funktion eines Ansprechpartners für ungelöste gesellschaftliche Probleme gedrängt worden«.
Bezogen auf die Ereignisse am 6. März 1988 an der Sophienkirche in Berlin erklärte Stier, dass es dabei »zu Aktionen staatlicher Organe gekommen ist, gegen die nur Protest angemeldet werden kann; … längst überwunden geglaubte Verhaltensweisen von Menschen kamen wieder zum Durchbruch. Die Vermutung liegt nahe, dass auch eine schlimme Sprache dazu beitrug, Vorurteile zu bilden und Hass zu schüren. Darf je wieder öffentlich von Menschen als ›gewissen Elementen‹ gesprochen werden? Auch der Begriff ›Zusammenrottung‹ nährt schädliche Emotionen.«
Breit angelegt waren die Ausführungen von Bischof Stier zu Problemen Übersiedlungsersuchender. U. a. legte er dar:
»Die Kirche hat wiederholt an den Staat appelliert, durchschaubare und berechenbare gesetzliche Regelungen zu schaffen. Ungewissheit auf unbestimmte Zeit quält und zerstört Menschen. Im Umgang mit Antragstellern wurde in den letzten Monaten sichtbar, wie bestehende Gesetze unseres Staates Anwendung finden und in angespannten Situationen hohe Strafen für vergleichsweise harmlose Vergehen verhängt werden, auf die bei gelassener Haltung sehr viel großzügiger und damit angemessener reagiert werden könnte. Die Kirche hat in Gesprächen mit staatlichen Partnern immer wieder dazu aufgefordert, die Gründe und Ursachen zu analysieren, die Menschen veranlassen, dieses Land verlassen zu wollen. Die Ursachen müssen, soweit es nur irgend möglich ist, beseitigt werden, damit Menschen gern hier leben. Veränderungen sind unausweichlich. Wiederholt hat die Kirche Probleme benannt, die der Veränderung bedürfen und hat Defizite beim Namen genannt … Anfragen von Gewicht stellen jene Menschen, die hier Erfahrungen haben machen müssen, an denen sie zerbrochen sind, Menschen, die sich wund gerieben haben an unguten Verhältnissen, Bestimmungen und Strukturen, Menschen, die nicht mehr weiter kämpfen wollen.«
Stier erhob die Forderung, dass »der Dialog über Vorzüge und Nachteile dieser Gesellschaft endlich in aller Öffentlichkeit geführt werden« müsse. »Die eingespielte Praxis, Positives öffentlich, Beschwerliches und Belastendes hinter verschlossenen Türen zu diskutieren, sollte endlich überwunden werden.« (Der Bericht von Bischof Stier wurde mehrfach vom Beifall der Synodalen unterbrochen.)
In der Diskussion zum Bericht des Bischofs unterstützten die Synodalen Rechtsanwalt Schnur, Propst Struck, Prof. Weisz, Vogt und Beste z. T. wesentliche Aussagen von Stier und brachten zum Ausdruck, die Kirche müsse viel entschiedener auftreten, wenn »Fehlentscheidungen des Staates bemerkt werden«. Sie forderten, »Wege zu finden, damit Übersiedlungsersuchende weder kriminalisiert noch diskriminiert werden«.
Durch Pastor Gauck/Rostock wurde die Synode über den Stand der Vorbereitung des in der Zeit vom 16. bis 19. Juni 1988 in Rostock stattfindenden Kirchentages der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Evangelischen Landeskirche Greifswald informiert. Er führte u. a. aus, es sei der Eindruck entstanden, der Staat befürchtete während des Kirchentages politische Störungen und Provokationen; offensichtlich deshalb stünden staatliche Entscheidungen noch aus. Gauck führte aus, die Kirchenleitungen könnten keine Garantie geben, dass sich in den verschiedensten Veranstaltungen des Kirchentages »unter Umständen Menschen zu Wort melden, die ungelöste Probleme haben oder durch ihren momentanen Status bedroht oder wenig geachtete Personen sind«.
In der Vorlage des Berichtsausschusses, der zum Beschluss der Synode erhoben wurde, wird u. a. formuliert:
»Der am 6. März 1978 markierte Weg des vertrauensvollen Miteinanders von Staat und Kirche in unserer Gesellschaft wird durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate gefährdet und belastet. Zum Dialog gibt es aber für uns keine Alternative. In der Begegnung des Staatsratsvorsitzenden mit dem Vorsitzenden der KKL am 3. März 1988 wird der konstruktive Dialog als Normalnorm des Staat–Kirche-Verhältnisses angesehen.
Der Dialog auf allen Ebenen als Grundform der Verständigung muss geprägt sein von der Sprache des Friedens. Zu ihr gehört, dass Wahrheit nicht verschwiegen wird. Dies und die Haltung der Barmherzigkeit ist immer wieder bewusst zu machen und einzuüben.
Die Synode ist betroffen über die Vielen, die Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gestellt haben. Viele von ihnen nahmen Beratung kirchlicher Mitarbeiter in Anspruch und suchten Raum zum Gespräch. Die Synode hört auch den Vorwurf, dass diese Gruppe die Aufmerksamkeit und Kräfte bindet, die anderen zuteil werden sollten. Vielen dieser Antragsteller fehlen zurzeit andere Gesprächspartner. Seelsorgerliche Beratung und Begleitung ist ein uns aufgetragener Dienst, den wir keinem verweigern. Jeder, der weggeht, hinterlässt eine Lücke und fehlt bei der Gestaltung unserer Gesellschaft. Deshalb muss über die Ursachen offen gesprochen werden, die Menschen dazu veranlassen, Ausbürgerungsanträge zu stellen. Wir unterstreichen, dass unser Glaube uns an unser Land als Auftragsfeld und Dienstchance weist. Gerade in dieser Situation ist es Aufgabe der Gemeinden und der einzelnen Christen, die tragende Kraft des Glaubens zu vertreten.«
Der Synode lagen 16 Eingaben vor, z. T. mit gesellschaftspolitischen Bezügen. In einer dieser Eingaben wird unter Hinweis auf unsachliche Berichterstattung in den Westmedien und »die Desinformationstaktik der DDR-Medien«, die zur Verunsicherung führe, u. a. hervorgehoben, die kirchliche Presse in der DDR habe jetzt mehr denn je die Aufgabe, zu informieren, richtigzustellen und zu kommentieren; der »Mecklenburger Kirchenzeitung« käme dabei eine bestimmte Verantwortung zu. (Durch den Synodalen Beste/Chefredakteur dieser Zeitung wurde diese Forderung nachhaltig bekräftigt.)
Drei weitere Eingaben beinhalteten bekannte kirchliche Stellungnahmen zu Problemen »Sozialer Friedensdienst« und Wehrerziehung an den Berufsschulen, verbunden mit der Forderung an die Kirchenleitung, zu diesen Themen Gespräche mit verantwortlichen staatlichen Organen durchzusetzen mit dem Ziel des Überdenkens bzw. der Änderung bestehender Gesetze. (Die Eingaben wurden an zuständige Ausschüsse weitergeleitet.)
Entsprechend der Tagesordnung wurden Neuwahlen für einige kirchliche Verantwortungsbereiche durchgeführt.
Zum Präses der Synode wurde Dr. Bartsch/Rostock, Diplom-Physiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der »Wilhelm-Pieck-Universität« Rostock gewählt. Als Vizepräses wurden Pastorin Schnauer/Rostock und Dr. Venzmer/Schwerin, Facharzt für Pädiatrie, Oberarzt in der Kinderklinik des Bezirkskrankenhauses Schwerin gewählt.
In den neukonstituierten Ausschuss »Frieden – Umwelt – Gesellschaft« (ehemals »Frieden und Umwelt«) wurden in der Mehrzahl Synodale gewählt, die in der Vergangenheit mit politisch negativen Aktivitäten in Erscheinung getreten sind.
Die 8. Tagung der X. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen fand in der Zeit vom 18. bis 20. März 1988 in Wittenberg statt.
Der Verlauf der Tagung wurde im Wesentlichen durch die Berichterstattung von Bischof Demke über die Klausurtagung der KKL in der DDR (11. bis 13. März 1988 in Buckow) bestimmt, wobei sich Demke inhaltlich an die Schnellinformation des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR anlehnte.3
So führte Bischof Demke u. a. aus, seitens der KKL habe die Zielstellung bestanden, im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR klarere Aussagen zur gegenwärtigen kirchenpolitischen Linie zu erhalten sowie eine längerfristige Lösung der von der Kirche aufgeworfenen Forderungen herbeizuführen. Eingriffe der Schutz- und Sicherheitsorgane, wie sie am 6. März 19884 in der näheren Umgebung der Sophienkirche zu verzeichnen gewesen seien, würden das Recht der Religionsausübung verletzen. Fürbitten seien für jeden Bedrängten erforderlich; Übersiedlungsersuchende dürften nicht gesellschaftlich isoliert werden.
In der sich dazu anschließenden Diskussion traten insbesondere Propst Brinksmeier/Quedlinburg, Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg, Pfarrer Bohley/Halle und die Synodale Lättig/Aschersleben in Erscheinung.
Durch sie wurden Aussagen getroffen wie: Ablehnung der Einberufung wehrpflichtiger Übersiedlungsersuchender zur NVA; Forderung nach Festlegung konkreter Termine für die staatlicherseits zugesagten Gespräche auf zentraler Ebene zu Problemen der Volksbildung und des Wehrdienstes; Abbau von »Rechtsunsicherheit« und Beseitigung der »Unmündigkeit« der Bürger; keine Kontrollen durch Sicherungskräfte gegenüber Bürgern beim Verlassen von Gottesdiensten; Forderung nach stärkerer Artikulierung der »Problemfelder« zwischen Staat – Kirche durch kirchenleitende Gremien.
Diese Aussagen fanden z. T. Niederschlag in den von der Synode bestätigten Beschlüssen. So wird in der Stellungnahme des Berichtsausschusses u. a. die Notwendigkeit der Durchführung von Einzelseelsorge für Übersiedlungsersuchende unterstrichen. Hervorgehoben wird ferner die Grundaussage, die Kirche habe den Auftrag, jedem Bürger freien Zugang zum Gottesdienst und zur Seelsorge zu gewähren. Jegliche Einschränkungen durch staatliche Kontrollmaßnahmen würden der Verfassung der DDR widersprechen und den Nerv des kirchlichen Lebens empfindlich treffen.
In der Vorlage 2, die maßgeblich durch Propst Falcke/Erfurt und Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg erarbeitet wurde, werden u. a. Forderungen nach einem Mitspracherecht der Kirche in gesellschaftspolitischen Fragen, einer »freien, ungehinderten« Berichterstattung zu kirchlichen und gesellschaftlichen Ereignissen, der Gewährung von Hilfe für Übersiedlungsersuchende seitens der Kirche ohne die Schaffung »besonderer Einrichtungen« erhoben.
Außerdem wird darin zum Ausdruck gebracht, dass der Erwartungshaltung auf »Veränderungen und Erneuerungen« in der Gesellschaft der DDR (in diesem Zusammenhang wurde auf den sich vollziehenden Umgestaltungsprozess in der Sowjetunion verwiesen), der bisher nicht entsprochen wurde, durch »Handlungen mit Signalwirkung« Nachdruck verliehen werden müsse.
Internen Hinweisen zufolge beabsichtigte der Leiter des Referates Kultur der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Kolitzus, an der Tagung des Berichtsausschusses der Synode teilzunehmen. Ein dementsprechender Antrag wurde durch Pfarrer Schorlemmer gestellt. Durch Bischof Demke wurde der Antrag abgelehnt. Kolitzus nahm jedoch an der üblichen zwanglosen geselligen Abendveranstaltung der Synode teil.
Streng intern äußerte Bischof Demke zu den von der Tagung gefassten Beschlüssen, sie seien als »nicht exakt und auch überspitzt« zu bewerten. Die Kirche müsse das aber bewusst so handhaben, um dem Staat die Ernsthaftigkeit der angesprochenen Probleme zu verdeutlichen.
Die 4. Tagung der X. Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes fand in der Zeit vom 18. bis 21. März 1988 in Görlitz statt.
In seinem Bericht vor der Synode zum Thema »Die Geborgenheit der Gemeinschaft der Heiligen angesichts unserer gesellschaftlichen Situation« nahm Bischof Rogge u. a. Stellung zum Verhältnis Staat – Kirche in der DDR und hob hervor, er wünsche sich entsprechend den Grundaussagen des Gesprächs des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR mit Landesbischof Leich einen vertrauensvollen Umgang miteinander. Darin eingeschlossen sollten die von Landesbischof Leich formulierten Fragen zum Wehrdienst, zum Bildungswesen und zum Umgang der Staatsorgane mit seinen Bürgern sein. Durch die Aktivitäten christlicher und nichtchristlicher Gruppen, die aus einem angeblichen Unverständnis heraus die Geborgenheit in der Kirche suchen, gerate die Kirche in eine Rolle, »die sie in mancher Hinsicht auf Dauer gar nicht« wolle.
Unter Hinweis auf die gestiegene Zahl von Übersiedlungsersuchenden erklärte Bischof Rogge, die Kirchen würden wiederholt zum Bleiben in der DDR ermuntern; Kirchenleitungen und Synoden hätten ihren Gemeindemitgliedern immer wieder »mit geistlichen Begründungen das Bleiben in der DDR und das Wirken für Menschen, die hier leben, als Gebot des Glaubensgehorsams« verdeutlicht.
Rogge sprach sich eindeutig gegen den Missbrauch kirchlicher Kontaktbüros durch Übersiedlungsersuchende aus und lehnte im weiteren Verlauf der Diskussion die Einrichtung »kirchlicher Ausreisebüros« ab.
Diesen politisch realistischen Aussagen Bischof Rogges widersprachen in der Diskussion Pfarrer Havenstein/Daubitz und Pressepfarrer Roch/Görlitz.
Insbesondere Pfarrer Roch brachte zum Ausdruck, durch den Staat habe es seit Januar 1988 mehrfach Behinderungen hinsichtlich der Veröffentlichung von Artikeln in der Wochenzeitung »Die Kirche« gegeben. Des Weiteren erklärte Roch sein Bedauern über die staatlicherseits verfügte Nichtteilnahme akkreditierter Korrespondenten westlicher Massenmedien an den Synodaltagungen.
Von Bischof Rogge wurden diese Argumente zurückgewiesen. In seiner Erwiderung betonte er u. a., die Gespräche mit Vertretern des Staatsapparates seien immer konstruktiv gewesen, und er wäre dankbar dafür. In diesen Gesprächen sei es möglich, Positionen darzulegen und Haltungen zu äußern; er würde dies jedoch nicht im Sinne eines Wächteramtes der Kirche praktizieren.
Pfarrer Roch, der hartnäckig auf seinen politisch negativen Standpunkten beharrte, erreichte, dass in einem Beschluss der Synode u. a. formuliert wurde, dass die Entscheidung des Staates hinsichtlich der Nichtzulassung westlicher Korrespondenten zu den Frühjahrssynoden »nicht zur Beruhigung der Situation und zu einer Versachlichung der Berichterstattung über die Kirche in der DDR« beitrage. Die Kirchenleitung wird aufgefordert, zuständigen staatlichen Stellen die Haltung der Synode zu übermitteln, »westlichen Korrespondenten uneingeschränkte Berichterstattung zu gewähren«.
Ferner wird in diesem Beschluss auf die angebliche Behinderung kirchlicher Pressearbeit »durch Einsprüche und Eingriffe« des Presseamtes beim Ministerrat der DDR verwiesen und formuliert, der kirchlichen Presse solle »Vertrauen geschenkt werden, da sie mit ihren auch zuweilen kritischen Informationen zum Besten der Menschen und unserer Gesellschaft und zur Festigung des Friedens im Inneren beitragen will«.
In der Absicht, die politisch negativen Aussagen dieses Beschlusses abzuschwächen, wurde durch Bischof Rogge eine Ergänzung zu dieser Beschlussfassung vorgeschlagen, die ebenfalls durch die Synode bestätigt wurde. In diesem Zusatz heißt es: »Darüber hinaus bitten wir die staatlichen Organe, die Massenmedien unseres Landes darauf hinzuweisen, dass über Vorgänge im kirchlichen Zeitgeschehen schnell und ausreichend berichtet wird, damit die häufigen Erstinformationen durch die Medien der BRD unter uns keine Schwierigkeiten auslösen.«
Durch die Synode wurde außerdem ein Antrag des Berichtsausschusses zum Beschluss der 3. Tagung der V. Synode des BEK in der DDR »Bekennen in der Friedensfrage« bestätigt. Darin heißt es u. a.: »Die Provinzialsynode stellt sich hinter den Beschluss der Bundessynode 1987 in Görlitz; … sie sieht darin eine Konkretisierung der Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung als Ausdruck aktuellen Bekennens in unserer gegenwärtigen Weltsituation. … Die Provinzialsynode begrüßt, dass es zu ersten Schritten einer kontrollierten stufenweisen Abrüstung gekommen ist. Sie hofft auf baldige weitere verbindliche Vereinbarungen auf diesem Weg.«
Die 22. Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens fand in der Zeit vom 19. bis 23. März 1988 in Dresden statt.
Die Synode, auf der kein Bericht des Bischofs vorgetragen wurde, beschäftigte sich mit einer Vielzahl innerkirchlicher und theologischer Fragen. Darüber hinaus wurden auch gesellschaftspolitische Probleme behandelt.
In einer öffentlichen Fragestunde der Synode wurde ein breites Spektrum von Themen behandelt, darunter u. a. Teilnahmeverbot für Vertreter westlicher Massenmedien an den Synoden, Probleme der Übersiedlung von DDR-Bürgern in das nichtsozialistische Ausland, Chancengleichheit für Christen in Schule, Ausbildung und Beruf. Durch kirchenleitende Kräfte wurden dazu überwiegend realistische Positionen vertreten.
Präsident Domsch führte aus, die vom Staat im Grundsatzgespräch vom 6. März 1978 gegebenen Zusagen würden im Wesentlichen staatlicherseits realisiert; das gelte insbesondere für die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Christen. Bei in Einzelfällen dennoch auftretenden Problemen sei Hilfe nur möglich, wenn diese von den Betroffenen auch offen angesprochen würden. Bezogen auf die Übersiedlungsproblematik erklärte Domsch, dies sei Sache des Staates. Prinzipiell vertrete die Kirche den Standpunkt eines Verbleibens der Bürger in der DDR, da die Menschen sowohl in der Kirche als auch im Staat gebraucht würden. Die Gesellschaft müsse jedoch so gestaltet werden, dass sich alle in ihr wohlfühlen. Domsch erklärte weiterhin, Gotteshäuser blieben für keinen verschlossen, seien jedoch auch kein Ort für Gruppenbildungen und für Zusammenkünfte derartiger Gruppen.
Oberkirchenrat Rau/Dresden unterstützte diesen Standpunkt und betonte, die Kirche strebe vordergründig die Rücknahme der Übersiedlungsersuchen an, da christlicher Glaube auch Verzicht bedeute.
Bezogen auf die erfolgte Lösung vieler Einzelfälle im Bereich der Volksbildung brachte Landesbischof Hempel zum Ausdruck, dies sei nicht nur Verdienst der Kirche, sondern wäre auch auf die »Lernfähigkeit« des Staates zurückzuführen. Eine schriftliche Fixierung von Regelungen durch die Volksbildung stehe jedoch noch aus.
Landesjugendpfarrer Bretschneider/Dresden begrüßte, dass Fragen der staatlichen und kirchlichen Medienpolitik durch Landesbischof Leich im Gespräch beim Vorsitzenden des Staatsrates kritisch angesprochen worden seien und verwies auf die weiterhin bestehende Brisanz dieses Problems. Präsident Domsch erklärte, die staatlicherseits erfolgte Nichtzulassung westlicher Medien betreffe nur die Frühjahrssynoden. Die Kirche erwarte kein Fortbestehen dieser Entscheidung.
Durch die Synode wurde ein vom Vorsitzenden des Sozial-Ethischen Ausschusses, Superintendent Pilz/Flöha, eingebrachter Antrag angenommen.
Darin wird eingangs Bischof Leich für seine Darlegungen im Gespräch mit Genossen Honecker am 3. März 1988 der Dank ausgesprochen und gleichzeitig dem Inhalt der Presseinformation der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR vom 14. März 1988 zugestimmt. Weiter wird das Festhalten an der Linie des 6. März 1978 begrüßt und die Hoffnung ausgesprochen, dass sich die dort fixierten kirchenpolitischen Grundsätze noch spürbarer durchsetzen werden. In Übereinstimmung mit der Erklärung von Bischof Leich vom 3.3.1988 wird jedoch betont, dass die Trennung von Staat und Kirche nicht als Trennung der Kirche von den Menschen verstanden werden dürfe.
Formuliert wird u. a.:
»Wenn wir unsere Erfahrungen offen und sachlich benennen, nehmen wir gesellschaftliche Mitverantwortung wahr. Aus dem Erleben dieser Synodaltagung unterstreichen wir
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die Notwendigkeit, unsere gesellschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass mehr Menschen gern hier leben und mitarbeiten. Wir hören von zu vielen Menschen, die sich ins Private zurückziehen oder aus der Staatsbürgerschaft entlassen werden wollen. Sie sind vor allem unzufrieden mit der Informationspolitik, den Preisbestimmungen und ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Sie haben das Gefühl der Perspektivlosigkeit.
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die Notwendigkeit eines zivilen Wehrersatzdienstes,
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die Notwendigkeit, durch umfassendere Information die Mündigkeit der Bürger zu fördern. Die jüngsten Eingriffe in die Berichterstattung über kirchliche Veranstaltungen lassen hoffnungsvolle Signale der letzten Zeit fragwürdig erscheinen und leisten Fehlinformationen Vorschub.
Wir unterstützen die Bitte, die in Aussicht gestellten Informationsgespräche über Fragen des Wehrdienstes, des Bildungswesens und des Umgangs mit dem Bürger bald zu gewähren. Wir teilen die Erwartung, dass die außenpolitische Öffnung unseres Staates innenpolitisch ihre Entsprechung findet. Wir und andere hoffen auf Zeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft auch Menschen mit anderer Grundüberzeugung mehr Möglichkeiten bekommen, verantwortlich mitzuarbeiten. Wir ermutigen dazu, Rechte wahrzunehmen, sich in die Gesellschaft einzubringen und im persönlichen Verzicht nicht nur Verlust zu sehen.«
Präsident Böttcher/Grünhain, der neben anderen Synodalen im Zusammenhang mit den Beschlussfassungen der Synode das Wort nahm, erklärte, er hoffe auf das Fortbestehen des guten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Er würdigte den Washingtoner Vertrag und den vorzeitigen Abzug der Raketen vom Gebiet der DDR und wandte sich gegen die Herstellung von chemischen und Binärwaffen. Das Zustandekommen des Gespräches Honecker – Leich am 3. März 1988 bewertete er positiv; er brachte aber auch sein Bedauern hinsichtlich der Nichtzulassung akkreditierter Korrespondenten zur Synodaltagung zum Ausdruck.
Streng intern wurde dem MfS bekannt, dass durch Mitarbeiter des Westberliner Senders »RIAS« in der Zeit des Stattfindens der Synode in Dresden intensiv versucht wurde, ein Interview mit Landesbischof Hempel über den Verlauf der Tagung zu führen. Durch Hempel wurde dieses Ansinnen nachdrücklich abgelehnt.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.