Inhaftierungen wegen Protesten gegen den Wehrdienst
23. März 1988
Hinweis zu begangenen Straftaten durch um Übersiedlung ersuchende Personen im Zusammenhang mit den von den Wehrkreiskommandos ergangenen Aufforderungen zur Einberufungsüberprüfung [Bericht K 1/186]
Seit dem 7. März 1988 wurden durch das MfS wegen Straftaten im Zusammenhang mit den von den Wehrkreiskommandos ergangenen Aufforderungen zur Einberufungsüberprüfung an Übersiedlungsersuchende Personen insgesamt fünf Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.
Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Handlungen:
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[Name, Vorname] (25; Hausmeister, wohnhaft in Halle-Neustadt, Übersiedlungsersuchender seit 1986) verschickte am [Datum] als Reaktion auf die erhaltene Aufforderung Schreiben an das MdI und an die örtlich zuständige Abteilung Innere Angelegenheiten, in denen er den Staatsorganen der DDR Willkür unterstellte und behauptete, von ihnen in seiner Freiheit beschnitten, als »Mensch 2. Klasse« behandelt und entgegen seinem Willen innerhalb der Staatsgrenzen der DDR gefangen gehalten zu werden.
(EV gem. § 220 (2) StGB)1
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[Name, Vorname] (25; Hausmeister, wohnhaft in Kühlungsborn/Kreis Bad Doberan, Übersiedlungsersuchender seit 1986) verschickte nach Erhalt der genannten Aufforderung und Konsultation mit Rechtsanwalt Schnur am [Datum] ein Schreiben an das WKK Bad Doberan, worin er seine Wehrdienstverweigerung mitteilte. Nach Erhalt der Mitteilung vom WKK über die am 3.5.1988 vorgesehene Einberufung trat er am 8.3.1988 während einer auf dem Rostocker Universitätsplatz stattfindenden Friedenskundgebung anlässlich des Internationalen Frauentages demonstrativ mit einem Plakat mit der Aufschrift: »Ich will in die BRD und nicht zur NVA« in Erscheinung.
(EV gem. § 214 (1) (3) StGB)2
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[Name, Vorname] (21; Kraftfahrer, wohnhaft in Senftenberg, Übersiedlungsersuchender seit 1986) erklärte am [Datum] während der Einberufungsüberprüfung im WKK Senftenberg, dass er jeglichen Wehrdienst verweigere. Am [Datum] drohte er in der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Kreises Senftenberg die Begehung eines ungesetzlichen Grenzübertritts an, wenn ihm und seiner Ehefrau nicht bis Mai 1988 die Übersiedlung in die BRD genehmigt wird. In den bisher geführten Untersuchungen wurde darüber hinaus erarbeitet, dass [Name] Vorbereitungshandlungen für einen ungesetzlichen Grenzübertritt begangen hat.
(EV gem. § 214 (1); § 213 (2) (4) StGB)3
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[Name, Vorname] (25; Elektromontierer, wohnhaft in Coswig/Kreis Meißen, Übersiedlungsersuchender seit 1987) schickte nach Erhalt der Aufforderung Anfang März 1988 demonstrativ seinen Wehrdienstausweis, die Erkennungsmarke und die besagte Aufforderung mit dem Vermerk, dieser nicht Folge zu leisten, an das WKK Meißen zurück. Nach Belehrung durch die Kaderabteilung seines Betriebes erschien er am [Datum] zur Einberufungsüberprüfung im WKK. Gegenüber dem Leiter der Musterungskommission, der [Name] über die bevorstehende Einberufung im Mai 1988 informierte, äußerte er:
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»Wenn ich Ihre dreckige Offiziersschnauze sehe, geht mir das Messer in der Tasche auf«,
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»Ich habe mit ihrem dreckigen Verein nichts zu tun«,
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»Wenn Sie mir Probleme machen, fließt Blut«,
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»Wenn ich den Einberufungsbefehl bekomme, leben Sie keine 24 Stunden mehr«.
(EV gemäß § 220 (1), § 214 (2), § 137, § 139 (3) StGB)4
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[Name, Vorname] (25; Transportarbeiter, wohnhaft in Treffurt/Kreis Eisenach, Übersiedlungsersuchender seit 1987) erklärte am [Datum] während der Einberufungsüberprüfung im WKK Eisenach, dass er den Wehrdienst ablehne und diffamierte die DDR als »letzten Dreck«. Falls seine Einberufung dennoch erfolgen sollte, drohte [Name] mit einem ungesetzlichen Grenzübertritt bzw. mit einem öffentlichen Auftreten mit Plakat. Die Ehefrau des [Name] erklärte auf seine Forderung hin am [Datum] gegenüber der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Kreises Eisenach, dass [Name] lieber Selbstmord begehen werde, als den Wehrdienst anzutreten; außerdem seien »Stellen in der BRD« informiert worden. Ihren Aussagen zufolge verschickten die Eheleute [Name] am [Datum] einen Brief an Verwandte in der BRD, worin sie dazu aufforderten, in westlichen Massenmedien eine Veröffentlichung darüber zu veranlassen, dass [Vorname Name] zur Durchsetzung der Übersiedlung den Wehrdienst verweigert und gegebenenfalls Selbstmord begehen werde.
(EV gem. § 214 (1), § 219 (2) 1 StGB – Gegen die Ehefrau wurde ein EV ohne Haft gem. § 219 (2) StGB eingeleitet.)5
Die Untersuchungen werden fortgeführt.