Jahrestreffen der »Aktion Sühnezeichen« in Berlin
11. Januar 1988
Information Nr. 14/88 über das Jahrestreffen der »Aktion Sühnezeichen« in Berlin
Das Jahrestreffen der »Aktion Sühnezeichen« (»AS«) fand vom 28. bis 30. Dezember 1987 in der Stephanus-Stiftung Berlin-Weißensee statt.
Teilnehmer waren ca. 150 DDR-Bürger, vorwiegend Jugendliche, die 1987 im Rahmen sogenannter Aufbaulager der »AS« in Nationalen Mahn- und Gedenkstätten, auf jüdischen Friedhöfen sowie in Objekten evangelischer und katholischer Kirchengemeinden in der DDR freiwillige Arbeitseinsätze durchführten bzw. im September 1987 am sogenannten Pilgerweg der »AS«, eingeordnet in den »Olof-Palme-Friedensmarsch«, von Ravensbrück nach Sachsenhausen beteiligt waren.
Zeitweilig anwesend waren Dr. Werner Krusche, Bischof i. R./Magdeburg und Oberkirchenrätin Christa Lewek/Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.
Als ausländische Teilnehmer waren vertreten: Erzpriester Baschkirow (Russisch-Orthodoxe Gemeinde Westberlin), Prof. Dietrich Goldschmidt (Vorstandsvorsitzender der »AS«/Friedensdienste e. V. – »ASF«/Westberlin) mit Ehefrau, Frau Dr. Gertrud Gumlich (Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der »ASF«/Westberlin) und Genevieve Goudard (Germanistin – Sprachmittlerin, Paris/Frankreich).
Zum Thema des Jahrestreffens »Wege zueinander – unser Verhältnis zur Sowjetunion« wurden von den Theologen Pfarrer Gerhard Feige/Erfurt, Prof. Dr. Hans-Dieter Döpmann/Berlin, Erzpriester Baschkirow/Westberlin und Pfarrer Dr. Christian Diedrich/Großglienicke/Potsdam, Vorträge über die Liturgie, die geschichtliche Entwicklung und das kirchliche Wirken der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) in der UdSSR sowie über die Beziehungen zwischen Russen und Deutschen in Vergangenheit und Gegenwart gehalten.
Die Inhalte der Vorträge standen im Zusammenhang mit der bevorstehenden 1 000-Jahr-Feier der Russisch-Orthodoxen Kirche und trugen überwiegend religiösen Charakter.
Einige Passagen in diesen Vorträgen enthielten Aussagen zur Stellung der ROK in der sozialistischen Gesellschaft.
Prof. Döpmann schilderte z. B. die Entwicklung der Russisch-Orthodoxen Kirche vom »Stützpfeiler des Zarismus zum aktiven Partner des Sowjetstaates« sowohl im Kampf gegen den Hitlerfaschismus als auch als Mitglied des Sowjetischen Friedenskomitees im Kampf um die Bannung der Atomkriegsgefahr und Verhinderung jedweder Kriege.
Erzpriester Baschkirow beantwortete in seinem Vortrag die Frage eines Teilnehmers, wie die ROK die Politik der »Perestroika« in der UdSSR beurteile, dahingehend, die Kirche habe überzeitlichen Charakter, sei von gesellschaftlichen Ordnungen nicht abhängig, und die ROK unterstütze generell alles Positive, was dem Menschen diene.
Pfarrer Dr. Diedrich bemühte sich um die Vermittlung eines realistischen Bildes über das Leben in der UdSSR und sprach sich für eine Mitarbeit in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft aus.
Bedeutsam für den Verlauf des Jahrestreffens waren ein Vortrag von Bischof i. R. Krusche zum Thema »Begegnungen und Erfahrungen«, der Bericht des Leiters der »AS«, Pfarrer Werner Liedtke/Potsdam über die Aktivitäten der »AS« im Jahre 1987 sowie der Bericht von Oberkirchenrätin Lewek/Berlin »Zur kirchlichen Lage in der DDR«.
In diesen Beiträgen wurde das Verhältnis Staat – Kirche sachlich dargestellt, und es wurde dahingehend orientiert, geeignete Wege zur weiteren Verbesserung der Beziehungen Staat – Kirche in der DDR sowie des Verhältnisses der Kirchen in der DDR zu den Christen und Kirchen in der UdSSR zu finden.
Bischof i. R. Krusche kritisierte das Ausbleiben eines Umdenkens der Kirchen der BRD bezogen auf ihr Verhältnis zur Sowjetunion. Als noch immer wirkende Ursache nannte er das bereits vor der Zeit des Zweiten Weltkrieges bewusst geschaffene Feindbild gegen den atheistischen Bolschewismus. Krusche betonte, dieses Feindbild sei wesentliche Grundlage für den Vernichtungskrieg gewesen, den die Faschisten gegen die Völker des Ostens geführt hätten. Er erklärte weiter, er habe sich in der DDR vom Antikommunist zum Antiantikommunist entwickelt. Jetzt gehe es ihm um das Evangelium, und das sei etwas anderes als Antikommunismus.
Prof. Goldschmidt/Westberlin hielt unter Bezugnahme auf die Rede Dr. Krusches ein kurzes Grußwort. Darin äußerte er Bedauern über die Weigerung der »Evangelischen Kirche in Deutschland«, eine Gedenkschrift zur Sowjetunion erarbeiten zu lassen. Gleichzeitig informierte er über das Vorhaben der »ASF«/Westberlin, ein Buch über die UdSSR, die ROK und die Beziehungen zwischen Deutschen und Sowjetbürgern, in dem die Vergangenheit mit aufgearbeitet werden soll, zusammenzustellen. Dieses Buch wolle die Aktivitäten kirchlicher Kreise in der BRD gegen den Antikommunismus und gegen mangelndes Geschichtsbewusstsein unterstützen.
Er äußerte sich positiv über die im Jahre 1987 durch die DDR genehmigten Reisen für junge »AS«-Mitglieder in die BRD, nach Großbritannien und Israel, die er als Wirkungen von »Glasnost« und »Perestroika« bewertete. Er sprach die Hoffnung aus, dass sich diese Entwicklung fortsetzen werde.
Der Leiter der »AS«, Pfarrer Liedtke, wies in seinem Jahresbericht auf Verbesserungen der Beziehungen zwischen dem Staatssekretariat für Kirchenfragen in der DDR und der Leitung der »AS« hin und belegte das mit konkreten Beispielen. Gleichermaßen würdigte er die faire und ehrliche Zusammenarbeit staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen, insbesondere des »Friedensrates«, mit der Leitung »AS« im Zusammenhang mit der Beteiligung der »AS« am »Olof-Palme-Friedensmarsch«. Liedtke würdigte in seinem Bericht das Abkommen zwischen der UdSSR und den USA über die Beseitigung der atomaren Mittelstreckenraketen1 und rief die Teilnehmer des Treffens auf, diese Position zu unterstützen. 1988 komme es darauf an, noch intensiver für eine Verantwortungsgemeinschaft zwischen den beiden deutschen Staaten einzutreten und sich für eine Senkung der Militärausgaben der BRD und der DDR zugunsten der Länder der Dritten Welt einzusetzen. Es sei zu hoffen, dass in diesem Prozess auch mehr Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit junger Menschen bestehen. Er – Liedtke – halte es für möglich, dass es in Zukunft auch einmal ein Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung geben werde.
Oberkirchenrätin Lewek nahm in ihrem Bericht »Zur kirchlichen Lage in der DDR« eine reale Darstellung der Beziehungen Staat – Kirche vor.
In den acht Gesprächsrunden des Jahrestreffens wurden durch ausländische Teilnehmer sachliche Anfragen zu den Vorgängen in der Zionsgemeinde, über die sie lediglich durch tendenziöse westliche Medienberichterstattung informiert waren, gestellt, die von loyalen Kräften der »AS« richtigstellend beantwortet wurden.
Diskussionen in den Gesprächsgruppen deuten auf ein gestiegenes Interesse an Informationen über die UdSSR und Reisemöglichkeiten in die UdSSR hin. Ein Vorschlag der Mitarbeiterin der »AS«, Dolores Kummer/Berlin, innerhalb der »AS« eine »Arbeitsgruppe Sowjetunion« zu bilden, fand Unterstützung, ohne dass dazu konkrete Festlegungen getroffen wurden.
Zum Abschluss des Jahrestreffens wurde Pfarrer Liedtke für weitere fünf Jahre als Leiter der »AS« wiedergewählt. Er bekräftigte seinen Willen, das Verhältnis zu den staatlichen und gesellschaftlichen Organen der DDR weiter verbessern zu wollen; Offenheit und Ehrlichkeit, auch gegenüber dem Staat, bleibe Grundlage künftiger Aktivitäten und Arbeitsweisen der »AS«.
(Die erneute Wahl Liedtkes ist das Ergebnis des Einflusses und Wirkens progressiver und realistischer Kräfte in der »AS«. Einige Leitungskräfte der »AS« äußerten intern, es könne davon ausgegangen werden, dass Liedtke entsprechend seiner bisherigen Konzeption weiterhin auf eine theologisch fundierte und dem Charakter der »AS« angemessene Arbeit orientieren wird.)
Durch abgestimmtes Vorgehen einiger auf politisch negativen Positionen stehender Teilnehmer des Jahrestreffens der »AS« war versucht worden, die Wiederwahl Liedtkes zu verhindern. Insbesondere Stephan Bickhardt (Vikar, Studienreferent bei ESG Berlin), Ludwig Mehlhorn (Dipl. Mathematiker) – beide Personen sind bereits mehrfach mit feindlich-negativen Aktivitäten gegen die DDR in Erscheinung getreten – und Ulrike Zoels (Theologiestudentin an der Humboldt-Universität Berlin) bemühten sich, politisch negative Inhalte in den Gesprächsverlauf einzubringen und die positiven Aussagen Liedtkes zum Verhältnis Staat – »AS« zu entkräften. So versuchten sie u. a. unter Hinweis auf die Ausschreitungen von Skinheads gegenüber Rockkonzertbesuchern in der Zionskirche2 die Existenz von neofaschistischen Tendenzen in der DDR nachzuweisen. Darüber hinaus trat Bickhardt unter Verwendung der Begriffe »Glasnost« und »Perestroika« mehrfach mit provokatorischen Fragestellungen gegenüber Pfarrer Liedtke in Erscheinung. Offensichtlich wollte er damit weitere Teilnehmer des Treffens zu analogen Äußerungen bewegen.
Alle diese Angriffe wurden durch das sachliche und realistische Auftreten Liedtkes und weiterer Teilnehmer zurückgewiesen und fanden keine Resonanz.
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