Kontakte im Rahmen der Städtepartnerschaft Lübben – Neunkirchen
3. August 1988
Information Nr. 359/88 über einige beachtenswerte Hinweise im Zusammenhang mit der Städtepartnerschaft Lübben/Cottbus – Neunkirchen/Saarland
Nach dem MfS intern vorliegenden Hinweisen wird vonseiten der BRD-Partner im Rahmen der Städtepartnerschaften versucht, das politische Anliegen der Vereinbarungen zu unterlaufen bzw. missbrauchen und im Sinne ihrer gegen die DDR gerichteten Zielstellungen auszunutzen.
In diesem Zusammenhang wurden massive Bestrebungen bekannt,
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Fragen der Friedenssicherung unter Verweis auf angebliche Nichtkompetenz aus den Vertragsvereinbarungen herauszuhalten und den Inhalt von Städtepartnerschaften auf die Ausweitung sogenannter zwischenmenschlicher Beziehungen, breitester Bürgerkontakte und die Ausprägung besonderer »innerdeutscher« Beziehungen zu fixieren (besonders seitens Bonn, Hannover, Lübeck, Trier, Flensburg, Offenburg, Erlangen und Saarlouis),
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unter Missbrauch der getroffenen Vereinbarungen private Kontakte zwischen Vereinen, Verbänden und Einrichtungen herzustellen, wie Sportvereinen, Gartenverbänden sowie kulturellen Institutionen; sogenannte Fachkontakte zwischen Spezialisten verschiedener Berufsgruppen aufzubauen, gezielt Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Bildung und Kultur auf privater Basis einzuladen u. ä.,
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die evangelischen Kirchen in die Partnerschaftsbeziehungen mit einzubinden,
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ehemalige DDR-Bürger, gegen die Reisesperrmaßnahmen wirksam sind, gezielt in Delegationen von BRD-Partnerstädten zu integrieren, um die zuständigen staatlichen Organe der DDR zur Zurücknahme bzw. zeitweiligen Aussetzung der Maßnahmen zu zwingen,
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unter Bezugnahme auf bestehende Städtepartnerschaften Schreiben mit Forderungen nach Aufhebung von Einreisesperren für BRD- bzw. ehemalige DDR-Bürger sowie mit Forderungen, die Realisierung von Übersiedlungsersuchen zu unterstützen, an Bürgermeister bzw. Räte der Städte in der DDR zu versenden (Bezirke Cottbus, Dresden, Rostock).
Aktuell liegen dem MfS interne Hinweise auf derartige Missbrauchshandlungen durch die BRD-Seite bezüglich der Städtepartnerschaft Lübben – Neunkirchen vor.
Insbesondere durch den Oberbürgermeister von Neunkirchen, Neuber (SPD), werden der Rat der Stadt und der Bürgermeister von Lübben, Genosse Franzka, mit Forderungen – z. T. ultimativ und mit dem Hinweis auf angeblich gute persönliche Kontakte zum Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, vorgetragen – konfrontiert, die inhaltlich wesentlich über den Rahmen der Vereinbarungen hinausgehen und denen seitens der staatlichen Organe von Lübben nicht entsprochen werden kann. So forderte u. a. Neuber die Teilnahme einer Jugenddelegation aus Lübben am Jugendtreffen des Bundespräsidenten der BRD am 26. Mai 1988 in Bonn sowie die Aufnahme von direkten Kontakten auf den Ebenen Gewerkschaft, DTSB, DRK, Blindenverband, Philatelisten, Kleintierzüchter, Feuerwehr, Chöre u. a.
Als Ausdruck des guten Willens wurden einige von der BRD-Seite ausgehende Aktivitäten zusätzlich in die beschlossenen Jahresprogramme 1987 und 1988 aufgenommen bzw. darüber hinaus realisiert, so u. a. nach zentraler Abstimmung die Teilnahme einer Delegation aus Neunkirchen aus Anlass des Aufsetzens der Kirchturmhaube in Lübben im Juni 1988 (die Stadt Neunkirchen hatte die Kirchturmspitze mit Wetterfahne der evangelischen Kirchengemeinde in Lübben gestiftet), ein Handballvergleich und die Teilnahme einer Delegation der Feuerwehr aus Neunkirchen an einem Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr in Lübben.
Beachtenswert sind die seit dem Abschluss der Städtepartnerschaft erkennbaren intensiven Bestrebungen Neubers, innerhalb und außerhalb der Jahresprogramme breitesten Raum für umfangreiche private Kontakte und Verbindungen zwischen Neunkirchen und Lübben zu schaffen, eine zunehmende »Privatisierung« der Partnerschaftsbeziehungen zu erreichen.
So erschien er 1987 gemeinsam mit seiner Ehefrau aus Anlass der Eröffnung einer Neunkirchner Kunstausstellung in Lübben ohne vorherige Ankündigung, sprach persönliche Einladungen an Genosse Franzka und dessen Ehefrau zu seinem 50. Geburtstag, zur Eröffnung des ersten Saarlandstages sowie zum Jubiläum der Neunkirchner Stadtbrauerei aus und überreichte ihm Geschenke (u. a. 2 Diktiergeräte, saarländischen Wein und Bier). Außerdem fordert Neuber ständig bei offiziellen Begegnungen – unter Vorgabe vermeintlicher Kosteneinsparung –, Delegationsmitglieder beider Seiten bei Privatpersonen unterzubringen.
Die von Neuber und weiteren Vertretern der Partnerstadt ausgehenden Aktivitäten haben seit Mitte 1987 zu einer ständigen Zunahme von Einreisen aus Neunkirchen zu privaten und touristischen Aufenthalten nach Lübben geführt.
Die Initiativen gehen dabei von Privatpersonen auf beiden Seiten aus, die unter Umgehung der getroffenen Vereinbarungen dazu inspiriert wurden. (Es wurden entsprechende Maßnahmen zur Kontrolle derartiger privater Kontakte und Verbindungen eingeleitet.)
Obwohl in den Vereinbarungen nicht vorgesehen, ist festzustellen, dass im Rahmen der Partnerschaftsbeziehungen zwischen beiden Städten die evangelische Kirche von Lübben eine zunehmende Rolle spielt. Die Verbindungen von Vertretern der Stadt Neunkirchen zur evangelischen Kirchengemeinde in Lübben, die bereits vor der vertraglichen Regelung der Städtepartnerschaft auf der Grundlage eines zufälligen Kontaktes zwischen Neuber und dem zu einem im Rahmen dringender Familienangelegenheiten in Neunkirchen weilenden damaligen Superintendenten Herrbruck aus Lübben entstanden waren, sind im Zusammenhang mit Besuchsreisen weiter vertieft und ausgebaut worden. So erfolgten die Beantragungen von mehrmaligen Einreisen des Neuber und seiner Begleitung zu privaten Aufenthalten in Lübben in den Jahren 1987 und 1988. Die Unterbringung in Lübben erfolgte bei Vertretern der evangelischen Kirche, wobei die [Kirchenmitarbeiterin] in Lübben, [Name], als Anlaufstelle für die BRD-Personen fungiert.
Diese Verfahrensweise wird von der BRD-Seite auch bei offiziellen Einladungen durch den Rat der Stadt Lübben praktiziert. So übernachtete Neuber während seines Aufenthaltes vom 10. bis 12. Juni 1988 aus Anlass des Aufsetzens der Kirchturmhaube in Lübben nicht in den für ihn und seine Delegation reservierten Zimmern im Hobel »Spreeblick«, sondern in der Wohnung der Familie [der Kirchenmitarbeiterin]. Er nahm auch an einem offiziellen Essen nicht teil, lehnte wegen des Besuchs eines Gottesdienstes in der Paul-Gerhardt-Kirche die Teilnahme an einem kurzen Abschlussgespräch beim Partner, Rat der Stadt Lübben, ab und beabsichtigte, seine offizielle Verabschiedung durch einen privaten Abschiedsbesuch in der Wohnung des Genossen Franzka zu umgehen.
Während seiner offiziellen und privaten Aufenthalte nimmt Neuber grundsätzlich an Gottesdiensten der evangelischen Kirche teil und fordert die ihn begleitenden Delegationsmitglieder aus den Reihen der CDU regelmäßig auf, Veranstaltungen der katholischen Kirche in Lübben zu besuchen.
Im Rahmen der Städtepartnerschaft gab es seitens des Neubers wiederholt Versuche, sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen. Er griff eine persönlich an ihn gerichtete Forderung der damaligen 1. Sprecherin der als feindlich-negativ bekannten »Arbeitsgruppe Berlin« der »Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte«,1 Petra Dombrowski, mittels der Partnerschaftsbeziehungen nach Lübben wegen der staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem 17. Januar 1988 Druck auf die Partei- und Staatsführung der DDR auszuüben, auf, um gegenüber seinem DDR-Partner schriftlich seine Betroffenheit über das anlassbezogene Vorgehen der DDR-Behörden zum Ausdruck zu bringen sowie die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR und die Freilassung der Inhaftierten zu fordern.
Darüber hinaus forderte er mehrfach in Gesprächen mit seinem DDR-Partner, sich dafür einzusetzen, dass bestehende »Einreiseverbote« in die DDR für zwei namentlich bekannte Mitglieder der SPD-Fraktion des Stadtrates von Neunkirchen aufgehoben werden, setzte sich für die Genehmigung der Übersiedlung von zwei Personen aus Lübben in die BRD ein und übergab in Vorbereitung des Besuches des Generalsekretärs des ZK der SED in der BRD in der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn eine sogenannte Petitionsliste mit den Namen von 34 BRD- bzw. DDR-Bürgern mit Forderungen, diesen die Einreise in die DDR bzw. die Übersiedlung in die BRD zu genehmigen.
Streng intern wurde bekannt, dass Neuber, der gute Beziehungen zu einflussreichen politischen Kräften in der BRD, darunter der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine, Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der SPD-Vorsitzende Vogel, unterhält, in Vorbereitung der Städtepartnerschaft Lübben – Neunkirchen persönliche Absprachen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes, Schäuble, zu deren Zielen und Aufgaben geführt und dabei die Unterstützung der Bonner Regierung erhalten hat.
Die 1. Sekretäre der Bezirksleitung Cottbus der SED sowie der Kreisleitung Lübben der SED sind über vorstehende Hinweise informiert worden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.