Meinungen westlicher Vertreter zur Leipziger Frühjahrsmesse
15. März 1988
Erste interne Reaktionen westlicher Messeteilnehmer und -gäste im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung der DDR anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 [Bericht O/201]
Vorliegenden ersten Hinweisen zufolge wurde der Rundgang der Partei- und Staatsführung anlässlich der Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 seitens exponierter Vertreter aus kapitalistischen Wirtschafts- und Handelskreisen insgesamt mit großem Interesse aufgenommen.1
Regierungsvertreter, Botschafter und hochrangige Persönlichkeiten der Wirtschaft kapitalistischer Staaten brachten übereinstimmend zum Ausdruck, dass das Auftreten der Partei- und Staatsdelegation, insbesondere das persönliche Engagement des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, günstige politische Bedingungen für die konstruktive und friedliche ökonomische Zusammenarbeit biete.
Die mit erfolgten Besuchen auf Länderrepräsentationen und auch Messeständen verbundenen Erwartungen in Bezug auf die weitere Entwicklung gegenseitiger vorteilhafter ökonomischer Beziehungen seien voll erfüllt worden.
In vorliegenden Meinungsäußerungen widerspiegeln sich erneut durchgängig Hochachtung und Wertschätzung, die der Persönlichkeit des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, und seinem unermüdlichen Beitrag für Frieden und internationale Zusammenarbeit, für die Entwicklung fruchtbarer Beziehungen der DDR mit anderen Staaten entgegengebracht wird.
Die vorliegenden ersten Hinweise beziehen sich vornehmlich auf den im Rahmen des Rundganges erfolgten Besuch des Gemeinschaftsstandes Nordrhein-Westfalen sowie auf Einzelmeinungen führender Geschäftspartner der Chemie- und Metallurgiebranche, die in das Besuchsprogramm der Partei- und Staatsführung nicht unmittelbar einbezogen waren.
Der Besuch des Genossen Erich Honecker und weiterer Mitglieder der Partei- und Staatsführung der DDR in der Gemeinschaftsausstellung der Industrie- und Handelskammer Bonn und Hagen/Nordrhein-Westfalen wurde von leitenden Vertretern der veranstaltenden Handelskammer sowie beteiligter Firmen als Beweis für die traditionell guten Kontakte zwischen der DDR und Nordrhein-Westfalen und als hoffnungsvolles Signal für einen Aufschwung der Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR bewertet. Ungeachtet des protokollarischen Charakters eines solchen Standbesuches hätten die damit verbundenen persönlichen Kontakte unverkennbare positive Wirkungen auf die Geschäftsatmosphäre und für das tiefere Verständnis der beiderseitigen wirtschaftspolitischen Positionen.
Überzeugend sei das große wirtschaftliche Interesse der DDR an einem raschen Ausbau des bilateralen Handels und an der Erschließung neuer Formen der Zusammenarbeit demonstriert worden.
Mit dem Besuch Erich Honeckers am Stand Nordrhein-Westfalen habe die DDR verdeutlicht, dass anfängliche Vorbehalte gegenüber den zunehmenden Gemeinschaftsausstellungen von BRD-Bundesländern bezüglich einer möglichen Flächenreduzierung der BRD insgesamt und Widersprüchen zur Branchenprofilierung der Messe nunmehr ausgeräumt seien. Die DDR habe erkannt, dass die gewünschte Einbeziehung weiterer BRD-Firmen in die Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR im Wesentlichen nur über die Bundesländer, deren Handelskammern und die darin organisierten kleineren und mittelständischen Unternehmen realisierbar sei. In diesem Sinne könne dieser Standbesuch durchaus als wohl kalkulierte wirtschaftspolitische Geste betrachtet werden. Diese richte sich an viele kleinere, leistungsfähige, jedoch durch die Konjunkturabschwächung besonders gefährdete Unternehmen, die ihre damit verbundenen Probleme durch einen Einstieg in den Osthandel entschärfen könnten.
Darüber hinaus habe der Besuch der Partei- und Staatsführung am Stand Nordrhein-Westfalen die deutliche Absicht der DDR unterstrichen, einer krisengeschüttelten, jedoch grundsätzlich leistungsfähigen Region einen Ausweg in Form der Intensivierung der Ost–West-Wirtschaftsbeziehungen zu zeigen.
Im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung äußerte Prof. Dr. Jochimsen, Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen u. a. vertraulich, die DDR habe nach seiner Auffassung mehr für die Erhaltung der Arbeitsplätze am Rhein und an der Ruhr getan als die Bundesregierung, die über ein Jahr aus parteipolitischen Gründen zu keiner gemeinsamen Aktion mit der Landesregierung bereit gewesen wäre. Des Weiteren ging aus seinen Äußerungen hervor, auch das vom DIHT organisierte Treffen mit Generaldirektoren von DDR-Außenhandelsbetrieben anlässlich des Staatsbesuches Erich Honeckers in der BRD sei als ein großer Erfolg zu werten. Nach seiner Überzeugung könne sich die Zusammenarbeit zwischen der DDR und Nordrhein-Westfalen vor allem auf den Gebieten Wissenschaft und Technologie entwickeln. Er sprach sich gegen die COCOM-Liste aus. Die gegenwärtige Polemik in den BRD-Medien würde seiner Meinung zufolge nicht dem Geist der Vereinbarungen des Besuches des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Honecker, in der BRD entsprechen.
Der Firmenvertreter Viebich, Fa. Brabender OHG/Gemeinschaftsstand Nordrhein-Westfalen und andere auf dem Gemeinschaftsstand anwesende Geschäftsleute schätzen den Verlauf der auf dem Stand geführten Gespräche – unter Beachtung der vielen anwesenden Pressevertreter und der die DDR-Repräsentanten begleitenden Sicherungskräfte – wie folgt ein:
Der Besuch sei Ausdruck der Wertschätzung für den Ministerpräsidenten Rau; man sei sich jedoch darüber im Klaren, dass die Wahl des Landes Nordrhein-Westfalen wegen der Abwesenheit der Regierungschefs anderer Bundesländer leicht gefallen sei.
Vertreter der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank Bonn bewerteten den Besuch ebenfalls hoch. Bei diesen Vertretern sowie – nach ihren Aussagen – auch bei anderen Beteiligten des Gemeinschaftsstandes wurden Erwartungshaltungen im Ergebnis dieses Besuches ausgelöst, dass es zu einem stärkeren Ausbau der Geschäftsbeziehungen mit der DDR kommen werde. Derartige Erwartungen resultieren vornehmlich daraus, die DDR würde bisherige Geschäftslinien in andere NSW-Staaten – namentlich genannt wurde Österreich – verlassen und diese auf das Gebiet Nordrhein-Westfalen übertragen. Die Bankvertreter erwarten, künftig direkte Kreditbeziehungen mit DDR-Kombinaten aufbauen zu können.
Formenvertreter der Krupp-Industrietechnik/Krupp Handel GmbH bedauerten, dass anlässlich der Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 kein offizieller Besuch der Partei- und Staatsführung der DDR an ihrem Messestand erfolgt sei. Es wurde jedoch Verständnis geäußert, da man erst vor einigen Jahren diese Ehre hatte. Den Besuch der DDR-Repräsentanten am Gemeinschaftsstand des Landes Nordrhein-Westfalen wertet man auch für sich, befinde sich doch der Krupp-Konzern mit seinen Hauptfirmen in Nordrhein-Westfalen.
Zum Aufenthalt des Ministerpräsidenten Rau anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 bemerkten Vertreter der Hoechst AG, Rau müsse zwangsläufig die Konzeption von Strauß und Späth fortsetzen, um sich über die Möglichkeiten des »Osthandels« zu informieren und um in den von Krisenerscheinungen betroffenen Industriezweigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu sichern.
Die anwesenden Vertreter der Bayer AG, Proß, Leiter Verkaufskoordinierung Osteuropa, Kaufmann, Leiter der WB-Niederlassung, und Matzke, Leiter Sparte Pflanzenschutzmittel, werteten den Messerundgang dahingehend, dass die Bedeutung der Stabilität der Geschäftsbeziehungen mit der DDR weiter bestehen bleibe. Die DDR verfüge über langjährige traditionelle Bindungen zu ihren Geschäftspartnern, die sich trotz zeitweiliger Hemmnisse von der Tendenz her gut entwickelt hätten. Damit trage man zur Stabilisierung des politischen Klimas in Europa bei.
Leitende Vertreter der in Leipzig vertretenen Stahlkonzerne der BRD (u. a. der Salzgitter AG, der Thyssen AG und der Mannesmann AG) brachten ihre hohe Wertschätzung der Gespräche Erich Honeckers mit der Regierungsdelegation Nordrhein-Westfalens sowie mit Firmenvertretern ihrer Branche zum Ausdruck. Nunmehr würden die positiven Wirkungen dieses Besuches auf die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen deutlicher sichtbar. Die aufgeschlossene und realitätsbezogene Haltung Erich Honeckers gegenüber Ausstellern der BRD habe tief beeindruckt. Durch seine die Dialog- und Kooperationsbereitschaft der DDR betonenden Worte habe Erich Honecker bei den anwesenden BRD-Vertretern eine optimistische Erwartungshaltung bezüglich der Überwindung bestimmter Stagnationserscheinungen im bilateralen Warenaustausch hervorgerufen. Dies schließe auch die Bereitschaft der vertretenen BRD-Stahlkonzerne zur Unterbreitung weiterer attraktiver Angebote an traditionelle wie potenzielle Partner in der DDR ein, wobei die gesamte Vielfalt des Waren- und Leistungsangebots dieser sich zunehmend in der technologischen Breite entwickelnden Unternehmen genutzt werden sollte (z. B. Umweltschutz).
Der Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr des BRD-Bundeslandes Niedersachsen, Walter Hirche, schätzte ein, dass sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen seinem Land und der DDR in der letzten Zeit erfolgreich und nahezu beispielhaft entwickelte. Als ein Problem in der Zusammenarbeit zwischen Niedersachsen und der DDR nannte Hirche die Umweltbelastung, insbesondere die Verschmutzung der Elbe. Als Bundesland mit der längsten Grenze zur DDR wäre für Niedersachsen die Vereinbarung gemeinsamer Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung von großer Bedeutung.
Nach dem Besuch des Informationsstandes der USA in Halle 16 äußerte sich der Botschafter Francis J. Meehan hocherfreut über die Gelegenheit der persönlichen Begrüßung des Generalsekretärs. Weitere im USA-Geschäftszentrum anwesende Vertreter von Konzernen und Firmen der USA verbanden mit dem erfolgten Besuch Hoffnungen auf einen Fortschritt in den Geschäftsverbindungen. Es wurde von Meehan hervorgehoben, dass »die nächsten Monate für die bilateralen Beziehungen wichtig seien und dies ein kontinuierlicher Prozess mit gewissen Erleichterungen werden solle«.
In weiteren Gesprächen mit Elektronikkonzernvertretern der USA nach dem Rundgang, so u. a. General Electric, Wang Computers, AT & T, kamen Standpunkte zum Ausdruck, die auf eine Einflussnahme auf Reduzierung bzw. Vereinheitlichung der COCOM-Listen im Interesse der Erweiterung von Geschäftsbeziehungen verweisen.
Zahlreiche französische Wirtschaftsvertreter brachten ihre großen Erwartungen für Geschäftsabschlüsse zur Leipziger Frühjahrsmesse 1988 zum Ausdruck. Angesichts der während des Staatsbesuches Erich Honeckers in Frankreich anvisierten Zuwachsraten für den Handelsaustausch mit der DDR versprechen sie sich insbesondere von der gegenwärtigen Messe eine Reihe konkreter Vereinbarungen zur Untermauerung. In der französischen Delegation seien beim Messerundgang der Partei- und Staatsführung der DDR daher die entsprechenden Ausführungen Erich Honeckers am C.F.C.E.-Stand mit Genugtuung und Befriedigung aufgenommen worden.
Ein sehr positives Echo hätten auch die vom Staatsratsvorsitzenden persönlich an den Präsidenten des Unternehmerverbandes CNPF, Ravenel, gerichteten Worte gefunden, der darin zugleich eine Würdigung seiner über viele Jahre währenden Zusammenarbeit mit der DDR sehe.
Die Bedeutung, die die französische Regierung der Leipziger Messe beimesse, werde dadurch unterstrichen, dass Außenhandelsminister Noir trotz der erst vor zwei Monaten geführten Gespräche während des Staatsbesuches in Frankreich noch zu Verhandlungsgesprächen nach Leipzig komme. Dies sei zugleich Noirs einzige Reise ins Ausland, da er gegenwärtig durch die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich stark in den Wahlkampf eingebunden sei.
Vereinzelten Äußerungen von Vertretern japanischer Konzerne (Kasai, Generalmanager Europa der Firma Nichimen; Yoshihara, Generalmanager der Firma Mitsubishi) ist eine insgesamt positive Bewertung des Messerundgangs der Partei- und Staatsführung zu entnehmen. Bemerkenswert sei für sie, welche Bedeutung die DDR-Führung der Entwicklung der Mikroelektronik beimesse. Die verhältnismäßig lange Dauer des Aufenthaltes der Partei- und Staatsführung in der Halle 15 (etwa 30 Minuten) wurde als Beweis für die besondere Aufmerksamkeit und das Interesse, welches die Staatsführung der Mikroelektronik widme, gewertet.
Der Stellvertreter des Vorsitzenden der Provinzregierung Liaoning/VR China, Wen Shizheng, äußerte sich sehr zufrieden über den Besuch des Generalsekretärs Honecker anlässlich des Messerundganges. Die Atmosphäre des kurzen Zusammentreffens sei sehr freundschaftlich und aufgeschlossen gewesen. Man leite von chinesischer Seite daraus ab, dass die DDR an einer Erweiterung des direkten Warenaustausches mit dieser drittgrößten chinesischen Provinz interessiert sei. Es gelte jetzt, Voraussetzungen zu schaffen und Erfahrungen zu sammeln, wie ein solcher direkter Handel zwischen der DDR und einer chinesischen Provinz beiderseitig vorteilhaft abzuwickeln ist.
Die DDR, so äußerte Wen Shizheng, stelle sich offensichtlich auf die neuen Gegebenheiten ein, die besonders nach dem XIII. Parteitag der KP Chinas auf ökonomischem Gebiet eingetreten sind bzw. vorangetrieben werden.
Der Handelsvertreter der niederländischen Botschaft in der DDR, Olthoff, bezeichnete den Besuch der Partei- und Staatsführung anlässlich des Rundganges als konsequente Fortsetzung des Staatsbesuches in den Niederlanden und der sich zeigenden deutlichen Belebung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Besonders positiv wird die eingetretene Tendenzwende zu einem Aktivsaldo der Niederlande im Handel mit der DDR vermerkt. In diesem Zusammenhang machte er auf den Umstand aufmerksam, dass diese Entwicklung nicht in gleichem Maße fortgesetzt werden könne und es für niederländische Firmen günstiger wäre, Exporte in die DDR über Belgien zu realisieren. Dabei gehe er von der Erwartung aus, dass die DDR verstärkte handelsseitige Bemühungen Belgiens fördere.
Leitende Mitarbeiter der belgischen Botschaft in der DDR brachten nach dem Rundgang zum Ausdruck, die belgische Regierung widme der Verwirklichung der im Verlaufe der Staatsbesuche getroffenen Vereinbarungen, insbesondere den langfristigen Programmen, große Aufmerksamkeit, jedoch müssten seitens der DDR jetzt stärker Abschlüsse getätigt werden. Die Leipziger Messe stelle hier ein Barometer dar. Konkreter Maßstab für die belgische Seite sei hierbei die Geschäftsentwicklung unter Einbeziehung von Cockerill/CMI, BN, ACEC sowie der mittelständischen Industrie.
Demgegenüber ist der [Angestellte] der belgischen Botschaft, [Name], bemüht, belgische Aussteller zu bewegen, konfrontativ in die Verhandlungen mit DDR-Außenhandelsbetrieben zu gehen.
Er argumentierte intern, es werde immer deutlicher, dass die DDR-Führung nur in der Öffentlichkeitsarbeit eine ausgewogene Außenwirtschaft propagiere. In Wirklichkeit lebe die DDR-Export-Wirtschaft von der Hand in den Mund, und Entscheidungen darüber, mit wem wann welches Geschäft gemacht werde, seien von der subjektiven Einschätzung weniger hochrangiger Funktionäre abhängig.
Zum in Vorbereitung befindlichen Symposium belgischer Firmen zu Energiefragen, zu dem Ende März in der DDR konkrete Vorabsprachen stattfinden sollen, bemerkte Schreiber, es müsse ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der Geschäftsbemühungen der DDR in Richtung Belgien sein.