Meinungen zu Verhaftungen und Prozessen gegen Oppositionelle
2. Februar 1988
Hinweise zu Reaktionen der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Realisierung strafprozessualer Maßnahmen gegen feindlich-negative Kräfte [Bericht O/198a]
Vorliegenden Hinweisen aus den Bezirken und der Hauptstadt der DDR, Berlin, zufolge werden Veröffentlichungen zu Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte zur Störung der Kampfdemonstration zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17. Januar 1988 und zu den gegen sie eingeleiteten strafprozessualen Maßnahmen von breiten Bevölkerungskreisen mit Interesse verfolgt.
Politisch progressive und engagierte Bürger – u. a. Arbeiter und Angestellte aus Großbetrieben, Angehörige der wissenschaftlich-technischen, pädagogischen und medizinischen Intelligenz, journalistisch tätige Personen und Mitarbeiter staatlicher Organe zentraler und territorialer Ebene – identifizieren sich mit dem Vorgehen der staatlichen Organe und stimmen den eingeleiteten Maßnahmen vollinhaltlich zu.
Dabei argumentieren sie u. a., dass es das Recht und die Pflicht der zuständigen Organe sei, die Bürger der DDR vor solchen Randalierern und Provokateuren zu schützen und auch künftig derartige gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gerichteten Handlungen im Keime zu ersticken. Sich in diesem Sinne äußernde Personen heben hervor, dass es sich offensichtlich um eine geplante, auf eine öffentlichkeitswirksame Störung der Kampfdemonstration abzielende Provokation gehandelt habe.
Die Mitführung von Transparenten mit dem Ausspruch Rosa Luxemburgs über die Freiheit Andersdenkender durch feindlich-negative Kräfte sollte dabei dazu dienen, in ihrem Sinne der Forderung nach »Durchsetzung der Menschenrechte in der DDR« Nachdruck zu verleihen.
Mehrfach wird hervorgehoben, dass es sich bei den feindlich-negativen Kräften am 17. Januar 1988 um den gleichen Personenkreis handele wie bei den Ereignissen um die Zionskirche im November 1987,1 wobei deutlich wurde, dass diese Personen ihren Handlungsspielraum nach diesen Ereignissen testen wollten. Auch aus dieser Sicht werden die staatlichen Maßnahmen zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit als notwendig angesehen und die Forderung erhoben, diese Personen mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Die in diesem Zusammenhang erfolgenden massiven Einmischungsversuche von außen sollten konsequent zurückgewiesen werden.
Wiederholt wird nach weiter vorliegenden Hinweisen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Unverständnis darüber geäußert, dass einigen der festgenommenen Personen die Übersiedlung in die BRD genehmigt wurde und dazu die Auffassung vertreten, wer Straftaten begangen habe, müsse dafür auch zur Verantwortung gezogen werden. Man sei hier offensichtlich den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, aber mit dem bloßen »Abschieben« der Leute sei dieses Problem nicht sauber geklärt. Befürchtet werden müsse auch, dass dieses Beispiel bei Personen mit Übersiedlungsabsichten »Schule machen« könnte.
Durch Werktätige – u. a. von Arbeitern aus Großbetrieben des Bezirkes Karl-Marx-Stadt – wird die Auffassung vertreten, dass jetzt offenbar »die Ratten aus ihren Löchern kriechen«. Sie verbanden damit die Forderung nach mehr Wachsamkeit und Unduldsamkeit gegenüber solchen Kräften. Es müsse verhindert werden – so argumentieren sie – dass auch künftig politische Höhepunkte von feindlichen u. a. negativen Kräften missbraucht werden, um in der Öffentlichkeit gegen die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR aufzutreten und damit die DDR in Misskredit zu bringen.
Mehrfach wird in den Meinungsäußerungen zum Ausdruck gebracht, dass die feindlich-negativen Kräfte im Innern der DDR offensichtlich massiv von Institutionen und Personen aus der BRD unterstützt werden. Die Präsenz westlicher Journalisten am Sammelpunkt dieser Zusammenrottung und die auf Anheizen der Lage ausgerichtete verleumderische Berichterstattung seien erneute Beweise für ein koordiniertes Vorgehen. Unter Bezugnahme auf Äußerungen führender Politiker, vor allem der BRD, sowie auch in der DDR populärer Künstler zu der Provokation am 17. Januar 1988 äußert eine Reihe progressiver Kräfte, damit werde offenbar versucht, politischen Druck auf die DDR auszuüben. Die entfachte Hysterie, so wird argumentiert, beweise ihre Absicht, in der Öffentlichkeit das Vorhandensein einer breiten inneren Opposition in der DDR glaubhaft zu machen und damit die Politik der DDR zu diskreditieren. Feindliche u. a. negative Personen im Innern der DDR sollen dadurch in ihrer Haltung bestärkt werden. Die Ereignisse könnten sich, u. a. nach Meinung von Werktätigen aus dem Bereich Bauwesen und Angehörigen der Intelligenz, zu einer politischen Kraftprobe zwischen der DDR und der BRD eskalieren und die Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen belasten.
In den letzten Tagen erfolgte Veröffentlichungen hinsichtlich der Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge der Provokation am 17. Januar 1988 wurden aus allen Schichten der Bevölkerung begrüßt. Dabei werden erneut kritische Auffassungen zu Problemen der Medienpolitik geäußert. Übereinstimmend wird von Personen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten betont, dass zu solchen Problemen aktueller und ausführlicher in den Medien der DDR berichtet werden müsse.
Zum großen Teil mit Unverständnis und Verärgerung wird von politisch progressiven Kräften – darunter in beachtlichem Umfang auch von Pädagogen – die Frage aufgeworfen, warum in den Medien der DDR so spät und nicht bereits in den Übertragungen von der Kampfdemonstration auch über die Störversuche feindlich-negativer Kräfte sachlich informiert worden sei. Damit habe man westlichen Journalisten das Feld für ihre verleumderische Berichterstattung gegen die DDR überlassen. Durch die Verzögerung solcher Informationen entstehe oft der Eindruck, dass wir uns gegen westliche Veröffentlichungen rechtfertigen müssten. Die Art und Weise der Berichterstattung westlicher Medien hätte ihrer Meinung nach die Reaktion breiter Bevölkerungskreise dazu nicht unwesentlich beeinflusst. Für eine politisch-ideologische Auseinandersetzung in den Arbeits- und Lehrkollektiven und im Freizeitbereich stünden wegen fehlender Informationen oft nicht rechtzeitig überzeugende Argumente zur Verfügung. Das betreffe den gesamten Problemkreis um die Zionskirche, die Ereignisse im Zusammenhang mit der Störung der Kampfdemonstration sowie die Bewertung und Einordnung der in den Medien genannten Personen wie Wollenberger, Krawczyk, Klier u. a.
Wiederholt wird insbesondere von Pädagogen die Notwendigkeit einer umfassenderen Informationstätigkeit zu solchen, auch jugendliche Personenkreise stark interessierenden Problemen und der offensiven politisch-ideologischen Auseinandersetzung mit gegnerischen Wertungen und Argumenten dazu angesprochen.
Man müsse sich – so argumentieren sie – wirksamer darauf einstellen, dass die ideologische Auseinandersetzung zunehmend auch in den Massenmedien ausgetragen wird. Es sei deshalb nicht vertretbar, dass erst mehrere Tage nach den Ereignissen in der Zeitung »Junge Welt« eine gesellschaftswissenschaftliche Wertung des Missbrauchs des Zitats von Rosa Luxemburg gegeben worden sei. In Diskussionen mit Jugendlichen hätte vor allem das Argument eine Rolle gespielt, dass es sich bei dem Zitat um eine richtige und zeitgemäße Aussage handele.
In Gesprächen hätten Jugendliche wiederholt zum Ausdruck gebracht, die Gestattung der Teilnahme von Personen mit selbst gefertigten Transparenten und Plakaten an der Demonstration wäre ein Ausdruck von Demokratie gewesen. Diese Personen wären in dem Demonstrationszug nicht aufgefallen. Auch in Einzelmeinungen von Angehörigen der Intelligenz sowie Personen aus dem Bereich Kunst und Kultur werden ähnliche Auffassungen vertreten und argumentiert, dass man so eine Konfrontationssituation vermieden hätte.
Verschiedentlich wird dazu auch die Auffassung vertreten, der Staat solle sich bei solchen Anlässen »toleranter« zeigen und auch andere als »offizielle« Standpunkte akzeptieren.
Mehrfach äußerten Personen aus dem Bereich Kunst und Kultur sowie Angehörige der wissenschaftlich-technischen und medizinischen Intelligenz Sorge und Bedenken, ob die Massenmedien der DDR und gesellschaftliche Kräfte in ausreichendem Maße auf die notwendigen Auseinandersetzungen eingestellt seien. Eng damit im Zusammenhang stehend wird die Auffassung vertreten, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen mehr Offenheit zu den anstehenden Problemen notwendig sei.
Vorliegenden Hinweisen zufolge solidarisierten sich negative Kräfte, darunter auch Übersiedlungsersuchende, spontan mit den Zielen und dem Vorgehen der Provokateure am 17. Januar 1988.
Dabei vertreten sie mit einem gewissen Sarkasmus u. a. Auffassungen wie
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eine »innere Opposition« könne den Sozialismus nur voranbringen und
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eine schlechte Demokratie sei immer noch besser als eine gute Diktatur.
In steigender Anzahl wurden nach dem Bekanntwerden der Übersiedlungen von festgenommenen Provokateuren Übersiedlungsersuchende bei den örtlichen Staatsorganen vorstellig, um sich z. T. in provokanter Weise nach dem Stand der Bearbeitung ihrer Ersuchen zu erkundigen.
Wiederholt äußerten sich Übersiedlungsersuchende – vor allem solche mit einem bisher disziplinierten Verhalten – dabei ungehalten über die kurzfristige Übersiedlung von Festgenommenen. Mehrfach wurden Fragen gestellt, warum diese Provokateure mit ihrer Übersiedlung belohnt werden und ob man auch mit Transparenten in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen müsse, um die Genehmigung zur Übersiedlung zu bekommen. Gelegenheit dazu biete sich z. B. am 1. Mai.