Meinungen zum Treffen für kernwaffenfreie Zonen in Berlin
27. Juni 1988
Hinweise zu Reaktionen der Bevölkerung auf das Internationale Treffen für kernwaffenfreie Zonen vom 20.6. bis 23.6.1988 in Berlin [Bericht O/203]
Vorliegenden Hinweisen aus den Bezirken und der Hauptstadt der DDR, Berlin, zufolge findet das Internationale Treffen für kernwaffenfreie Zonen vor allem unter politisch progressiv eingestellten Bürgern ein positives Echo.1
Vielfach wird mit Stolz und Genugtuung die Auffassung vertreten, die DDR leiste mit ihrer Initiative zur Einberufung und Durchführung eines solchen Forums einen anerkannten eigenständigen Beitrag im Rahmen der abgestimmten Friedenspolitik der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft. Sie dokumentiere damit vor der Weltöffentlichkeit nachhaltig ihre erklärte Bereitschaft zum politischen Dialog und zur Zusammenarbeit mit allen Friedenskräften.
Bereits im Vorfeld des Treffens wurde wiederholt die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass von diesem Forum merkliche Impulse für das weitere Erstarken der internationalen Friedensbewegung ausgehen werden und sich der Druck der Weltöffentlichkeit zu Fragen der Abrüstung und Entspannung in der Welt verstärke. Das breite politische Spektrum der am Treffen teilnehmenden Delegationen und Persönlichkeiten sei, so wird mehrfach unterstrichen, eine wesentliche Voraussetzung und gute Grundlage dafür.
Die Initiative eines solchen Treffens ist nach Meinung u. a. von Wissenschaftlern in Lehre und Forschung, Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz und Mitarbeitern zentraler staatlicher Organe Ausdruck einer neuen Qualität in der Führung des politischen Dialogs durch die DDR. Im Verlauf der Konferenz habe sich gezeigt, dass die angestrebte Kultur des Streites praktikabel sei. Es sei zu begrüßen, so äußern sich u. a. journalistisch tätige Personen und Angehörige der künstlerischen Intelligenz, dass im Verlauf des Treffens das breite Meinungsspektrum der Teilnehmer zur Schaffung von kernwaffenfreien Zonen sichtbar geworden ist und auch ablehnende Standpunkte vorgetragen wurden. Mit Interesse habe man verfolgt, in welcher Art und Weise sich solche Teilnehmer äußerten, deren Auffassungen von denen der sozialistischen Länder abweichen.
Kirchliche Amtsträger und religiös gebundene Personen sowie Angehörige des Bereiches Kunst und Kultur vertreten in Einzelmeinungen ihren Standpunkt, dass die DDR ihre demonstrierte Dialogbereitschaft auch zu innenpolitischen Fragen zeigen müsste. Toleranz und Meinungsaustausch mit Vertretern alternativer Kunstauffassungen sowie von Friedens- und kirchlichen Gruppen sollten zum normalen Umgang miteinander gehören.
Der breite Meinungsaustausch der Teilnehmer zu neuen Wegen und Formen der Zusammenarbeit der in der internationalen Friedensbewegung integrierten Organisationen und Kräfte war erwartet worden.
Mit besonderem Interesse wurde in diesem Zusammenhang die Eröffnungsrede des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Honecker, aufgenommen. Wiederholt wird eingeschätzt, dass die DDR damit einen ausgewogenen Beitrag im Sinne der Zielstellung dieses Treffens geleistet habe. Die gegebene Darstellung einer global und territorial als realistisch empfundenen Lageeinschätzung, die Interpretationen zum gemeinsamen Haus auf unserem Kontinent und die formulierten Vorschläge für die Einrichtung von Mechanismen der friedlichen Krisenregulierung und Verhinderung militärischer Zwischenfälle in Mitteleuropa finden mehrheitlich Zustimmung und Unterstützung.
Wiederholt wird kritisch vermerkt, dass seitens der CDU sowie CSU kein Vertreter am Treffen teilnahm. Die vom Bundeskanzler Kohl ausgesprochene Ablehnung der Teilnahme an diesem Treffen stehe im Widerspruch zu der verbalen Bekundung der Unterstützung des Entspannungsprozesses.
Der Beitrag des FDP-Politikers Ronneburger auf dem Forum wird vielfach als offizieller Standpunkt der BRD-Regierung verstanden und als destruktiv abgelehnt. Die Argumentation Ronneburgers sei in sich widersprüchlich und verweise erneut auf die Unberechenbarkeit der Politik der BRD-Regierung in Abrüstungsfragen. Mit Unverständnis und Empörung reagierten z. B. Arbeiter und Angestellte in Großbetrieben, Studenten an Hoch- und Fachschulen, Mitarbeiter aus dem Bereich Gesundheitswesen sowie Angehörige bewaffneter Organe auf die Einschätzung Ronneburgers, dass die Atomwaffen für sich genommen keine Gefahr für den Frieden in Europa darstellen, sondern ihn bisher bewahrt hätten. Erneut deutlich geworden seien darüber hinaus unüberbrückbare gegensätzliche Auffassungen über »die Zukunft der deutschen Nation«.
Im Vergleich dazu wird das Auftreten des SPD-Politikers Bahr als sachlich und auf Verständigung abzielend beurteilt. Mehrfach wird dabei auch verwiesen auf sein positives Engagement bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen SED und SPD bzw. im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag. In Kreisen der Methodistischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wurde die Aufforderung Bahrs an Bundeskanzler Kohl, jetzt sei keine Zeit zum Briefeschreiben, jetzt müsse man miteinander reden, als treffend bezeichnet und findet Unterstützung.
Unter Hinweis auf die Ausführungen der beiden BRD-Politiker, die beide Bezug nahmen auf die Rede des Bundesaußenministers Genscher in Potsdam, wird durch progressive Kräfte die Frage gestellt, was diese Rede beinhalte. In den Medien der DDR seien nur kurze Passagen veröffentlicht worden.
Von journalistisch tätigen Personen wird die Auffassung vertreten, dass die GRÜNEN/BRD beim Treffen zu stark vertreten waren. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob das nicht im Widerspruch stehe zu Einreiseverweigerungen für diese Personen nach dem 17. Januar 1988.
Mehrfach wird aber auch mit einer gewissen Skepsis die Frage gestellt, ob das Treffen geeignet sei, den Abrüstungsprozess tatsächlich zu intensivieren. Ein großer Teil der Teilnehmer, vor allem aus den NATO- und EG-Staaten, gehöre Parteien und Organisationen an bzw. bekleide solche Stellungen, die keinen bestimmenden Einfluss auf die Politik der Regierungen ihrer Länder haben. Mit konkreten verbindlichen Ergebnissen des Treffens sei darum nicht zu rechnen. Wiederholt wird dabei auch die Auffassung vertreten, dass solche Aktivitäten wie das Internationale Treffen wenig Einfluss auf den Abrüstungs- und Entspannungsprozess haben. Entscheidend sei die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Großmächten UdSSR und USA.
Eng damit im Zusammenhang stehen Fragestellungen nach dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen dieses Treffens, zumal die DDR mit einer Reihe ungelöster und sich verschärfender innerer ökonomischer Probleme, einschließlich Versorgungsfragen, belastet sei. Kein anderes sozialistisches Land, so wird argumentiert, betreibe einen derartig hohen Aufwand, der letztlich zu Lasten der Bürger gehe. Die Partei- und Staatsführung, so äußern sich zunehmend auch Mitglieder und Funktionäre der SED, konzentriere sich auf die Lösung der außenpolitischen Probleme.
Ein ebensolches Engagement sei jedoch zur Bewältigung anstehender Probleme im Innern der DDR, besonders auf volkswirtschaftlichem Gebiet, erforderlich. Mit Sorge wird die Auffassung vertreten, Mitglieder und Funktionäre der SED würden zunehmend unglaubwürdiger, weil sie auf die Fragen aus ihren Arbeitskollektiven zu Hemmnissen und Störungen im Produktionsprozess bzw. in der Versorgung der Bevölkerung keine überzeugenden Antworten geben könnten.
Vielfach kritisch wird die Wirksamkeit der Berichterstattung der Massenmedien der DDR in Vorbereitung auf das Treffen beurteilt. Zu einseitig seien fast ausschließlich positive Reaktionen zur Abrüstungsproblematik und zur Zielstellung des Treffens publiziert worden, sodass die Gefahr des Entstehens illusionärer Vorstellungen bei unseren Bürgern bestand. Es könne der Eindruck entstanden sein, dass sich auch in bürgerlichen Kreisen der Wille zur Abrüstung durchgesetzt habe und der Entspannungsprozess sich im Selbstlauf vollziehe.
Zustimmung fand die differenzierte Berichterstattung in den Medien der DDR vom Verlauf des Treffens und die Darstellung eines ausgewogenen Bildes der Reaktionen in der internationalen Öffentlichkeit.
Wiederholt wird von den sich in diesem Sinne äußernden Personen Bezug genommen auf die Sendebeiträge in westlichen Medien über die staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Rockkonzert vor dem ehemaligen Reichstag in Westberlin am 19. Juni 1988.
Diese als tendenziös empfundene Berichterstattung sei auf die politische Diskreditierung der DDR und auf eine spürbare Störung der Dialogatmosphäre des Treffens gerichtet gewesen. Das Auftreten der Fernsehteams von ARD und ZDF in diesem Zusammenhang findet keine Resonanz unter der Bevölkerung.
Anlage zum Bericht O/203
Einige ausgewählte interne Meinungsäußerungen von Teilnehmern am Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen
Vertreter der Gruppe »Generale für Frieden und Abrüstung« äußerten sich positiv zum Verlauf des Treffens. Die Plenarsitzung vermittelte ein Bild politisch breiter und repräsentativer Beteiligung sowie niveauvoller Redebeiträge. General Konstantinides (Griechenland) und General Christie (Norwegen) brachten zum Ausdruck, dass die Rede Erich Honeckers richtungsweisender Ausgangspunkt für den Konferenzverlauf gewesen sei und die progressive Entspannungs- und Abrüstungspolitik der DDR widerspiegele. General Bastian (BRD) befürwortete die Möglichkeit der Mitwirkung eines jeden Teilnehmers in jeder Kommission.
Der Generalsekretär des italienischen Institutes für europäische Studien »Alcide de Gasperi«, Dr. Fabio Sermonti, äußerte intern, dass er den Eindruck gewonnen habe, Erich Honecker habe »mit großer Ruhe über große Fragen« gesprochen, und eigentlich würde jeder Frage eine eigene Konferenz zukommen. Da es sich bei diesem Treffen aber nicht um ein Experten-, sondern um ein Dialogtreffen handele, sei auch klar, dass eine spezielle Erörterung konkreter Abrüstungsfragen mit effizierten Ergebnissen nicht erwartet werden könnte. Als bemerkenswert bezeichnete er den Beitrag des sowjetischen Vertreters in der Diskussion, da darin realistische Ansatzpunkte für die Weiterführung der Abrüstungsverhandlungen enthalten gewesen seien.
Im Mittelpunkt von Meinungsäußerungen der Vertreter des Friedensrates der BRD/WB stehen die als positiv bewertete Ansprache Erich Honeckers sowie die Beiträge von Bahr, Jörgensen und Ronneburger. Besonders wurde die sehr geschickte Argumentation Egon Bahrs hinsichtlich der Zweitschlagsfähigkeit und der atomaren Abrüstung hervorgehoben. Von großer Wichtigkeit sei die Kultur des politischen Dialogs, woraus die Schlussfolgerung gezogen wird, dass derartige Treffen zwischen Vertretern unterschiedlichster Weltanschauungen regelmäßig durchgeführt werden sollten.
Die Mitglieder der BRD-Delegation, die Schriftsteller Bernt Engelmann und Dieter Lattmann, erklärten übereinstimmend, dass sie sich mit dem Ziel dieses Treffens, welches letztlich ein Schritt zur Abschaffung aller Atomwaffen in der Welt sei, voll identifizieren. Sie werden jede Initiative, die den Frieden fördert und die Abrüstung vorantreibt, unterstützen. Lattmann äußerte sich positiv über die Atmosphäre; jeder konnte seinen Standpunkt äußern. Engelmann vertrat die Auffassung, dass nur, wenn man miteinander redet, man sich näher kommen könne. Nach seiner Ansicht könnten jedoch kernwaffenfreie Zonen nur im Ergebnis von Verhandlungen der »Supermächte« USA und UdSSR erreicht werden.
Der Sekretär des Quäker-Friedensdienstes, Dr. Peter Jarmann (Großbritannien) würdigte die Tatsache, dass die DDR dieses Treffen einberufen hat. Die Quäker befürworten die Schaffung nuklearwaffenfreier Zonen als einen Schritt zur vollständigen Abrüstung. Begrüßen würde er es, wenn auch Teilnehmer aus der DDR für den bevorstehenden END-Konvent in Lundt/Schweden benannt würden.
Der Vorsitzende des Präsidiums der Berliner Konferenz der Europäischen Katholiken, Franco Leonori (Italien), äußerte sich positiv zum Konferenzverlauf. Besonders beeindruckend sei die Breite und Vielfalt der Gäste, die an diesem Treffen teilnahmen. Auch an der Vielzahl von Vertretern religiöser Kreise sehe man den großen Konsens, den dieses Treffen erreicht habe. Hohe Anerkennung misst er dem persönlichen Gespräch mit Erich Honecker bei.
Der Vertreter des Lutherischen Weltbundes (LWB) und ehemalige Generalsekretär des LWB, Pfarrer Karl Mau (USA) äußerte nach Beendigung des Treffens, dass dessen Verlauf eindrucksvoll die Möglichkeiten des Dialogs von Friedenskräften völlig unterschiedlicher politischer und ideologischer Haltungen gezeigt habe und dass die Kirchen in diesem Friedensdialog ihren festen Platz beanspruchen und haben.
Kritisch wurde von einigen Delegierten vermerkt, dass Frauen sowohl als Redner im Plenum wie auch überhaupt als Teilnehmer unterrepräsentiert waren.