Politische Situation nach der Inhaftierung Oppositioneller
28. Januar 1988
Information Nr. 54/88 über die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Realisierung strafprozessualer Maßnahmen gegen feindlich-negative Kräfte
Im Ergebnis der eingeleiteten strafprozessualen Maßnahmen sind innerhalb der feindlich-negativen Gruppierungen in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Erscheinungen der Verunsicherung festzustellen.1
Durch die, unter Führung der Partei geleistete politisch offensive Arbeit der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Kräfte auf zentraler und örtlicher Ebene, durch das konsequente Vorgehen der Sicherheitsorgane gegen Vertreter des sogenannten harten Kerns derartiger Gruppierungen sowie durch die mäßigende Einflussnahme realistischer kirchenleitender Kräfte kam es bisher nicht zu bedeutsamen öffentlichkeitswirksamen provokatorisch-demonstrativen Aktionen außerhalb kirchlicher Räumlichkeiten.
Nach vorliegenden internen Hinweisen lassen jedoch bisher weniger in Erscheinung getretene Mitglieder feindlich-negativer Gruppierungen die Absicht erkennen, anstelle der Inhaftierten eine gewisse Führungsrolle einzunehmen. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich gegenwärtig auf
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die Durchführung täglicher »Solidaritätsveranstaltungen« (Bittgottesdienste, Andachten) in kirchlichen Räumlichkeiten ständig wechselnder Kirchengemeinden in der Hauptstadt der DDR, Berlin, mit Teilnehmerzahlen zwischen 300 und 600 Personen,
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die Schaffung und Nutzung neuer Organisationsstrukturen in Gestalt sogenannter Arbeitsgruppen bzw. Kommunikations- und Koordinierungseinrichtungen (hierfür werden unterschiedlichste Bezeichnungen wie Kontaktbüros bzw. Mahnwachenbüros verwandt, die sich mehrheitlich in kirchlichen Einrichtungen befinden),
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die Initiierung von Protest- und Solidaritätsbekundungen zugunsten der Inhaftierten (Resolutionen, Briefe, öffentliche Erklärungen, Eingaben) mit der Absicht, derartige Materialien zu vervielfältigen und bei Zusammenkünften in kirchlichen Räumlichkeiten zu verbreiten.
Zunehmend wird ihr Bemühen erkennbar, derartige Aktivitäten auf andere Städte in der DDR auszuweiten. Damit verfolgen sie die Absicht, eine »landesweite« Solidarisierung mit den Inhaftierten zu inszenieren mit dem Ziel, die staatlichen Organe zu zwingen, die Inhaftierten freizulassen und mit dem Staat in einen sogenannten offenen Dialog über Fragen der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung zu treten.
Im Ergebnis dieser Einflussnahme sahen sich einige feindlich-negative Kräfte veranlasst, unter Missbrauch der üblichen Gottesdienste und Andachten in einzelnen Kirchen in Dresden, Leipzig, Potsdam und Jena sogenannte Solidaritätsandachten bzw. Fürbitten zugunsten der Inhaftierten zu veranstalten, die jedoch unter den anwesenden Gläubigen in der Regel nur eine geringe Resonanz fanden und keine Öffentlichkeitswirksamkeit erreichten. Für die kommenden Tage wurden jedoch weitere diesbezügliche Vorhaben angekündigt.
Das Auftreten dieser Personen wurde begünstigt durch das inkonsequente und halbherzige Verhalten zuständiger kirchlicher Amtsträger der evangelischen Kirchen, die damit nicht den ihnen gegenüber ausgesprochenen staatlichen Forderungen entsprachen.
Generell ist festzustellen, dass die staatlichen Maßnahmen zu einer weiteren Vertiefung des Differenzierungsprozesses in den kirchenleitenden Gremien der evangelischen Kirchen in der DDR geführt haben. Beachtenswert ist eine zunehmende Distanzierung von auf realistischen Positionen stehenden kirchlichen Amtsträgern gegenüber der politisch-negativen Position und lavierenden Haltung Bischof Forcks/Berlin.
Dennoch vermeiden bisher maßgebliche Vertreter aller kirchenleitenden Gremien eindeutige Stellungnahmen, sowohl zu den staatlichen Maßnahmen, als auch gegenüber den in ihren Einflussbereichen wirkenden feindlich-negativen Gruppierungen und Kräften. Sie lassen bisher noch keine Bereitschaft erkennen, den staatsfeindlichen Charakter derartiger Gruppierungen einzugestehen, distanzieren sich jedoch von geplanten spektakulären Einzelaktionen solcher Kräfte. Die seitens kirchenleitender Kräfte erfolgte Distanzierung von den am 17. Januar 1988 geplant gewesenen provokatorisch-demonstrativen Aktionen feindlich-negativer Kräfte erfolgte sowohl aus ethischen Gründen als auch aus taktischen Erwägungen.
Nach wie vor erfolgt ein enges und abgestimmtes Zusammenwirken innerer Feinde, insbesondere mit dem hinlänglich bekannten Personenkreis um Roland Jahn und Jürgen Fuchs/Westberlin,2 mit politischen Führungskräften der BRD und mit zahlreichen westlichen Korrespondenten, die auch weiterhin massiv Einfluss nehmen auf konkrete Inhalte des weiteren Vorgehens gegen den Staat.
Besonders die in der DDR akkreditierten westlichen Korrespondenten sowie Mitarbeiter einiger westlicher diplomatischer Vertretungen (USA, Großbritannien, BRD) ermuntern durch ihre ständige Präsenz an den Ereignisorten in der Hauptstadt der DDR und durch ihre tendenziöse und verzerrte Berichterstattung zur Forcierung subversiver Aktivitäten. Darüber hinaus initiieren sie öffentlichkeitswirksame Protesterklärungen seitens maßgeblicher Vertreter des politischen und öffentlichen Lebens in der BRD.
Im Ergebnis der durch die westlichen Massenmedien entfachten Hetz- und Verleumdungskampagne gegen die DDR kam es in den letzten Tagen zunehmend zu Vorkommnissen des Anbringens von Losungen und des Verbreitens von Handzetteln mit »Protesten« gegen die staatlichen Maßnahmen, verbunden mit ultimativen Forderungen nach Freilassung der Inhaftierten, nach mehr Demokratie und Freizügigkeit in der DDR.
An der Aufklärung der Täter wird zielgerichtet gearbeitet.