Proteste für Menschenrechte und Übersiedlung in Dresden
15. Februar 1988
Information Nr. 82/88 über provokatorisch-demonstrative Aktionen feindlich-negativer Kräfte im Zusammenhang mit dem 43. Jahrestag der Zerstörung Dresdens durch anglo-amerikanische Bomber
Die in den Vormittagsstunden des 13. Februar 1988 in Dresden stattgefundenen offiziellen Gedenkveranstaltungen anlässlich des 43. Jahrestages der Zerstörung Dresdens durch anglo-amerikanische Bomber (Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof und Großkundgebung auf dem Georgi-Dimitroff-Platz in Dresden) verliefen störungsfrei.
Vor Beginn bzw. nach Abschluss der Großkundgebung wurden insgesamt sechs Personen festgenommen (alle Übersiedlungsersuchende), die ursprünglich beabsichtigt hatten, von ihnen selbst gefertigte und mitgeführte Plakate, u. a. versehen mit den Aufschriften »Demokratie – Genehmigung aller Menschenrechte«, »Freiheit für Andersdenkende – Voraussetzung für gemeinsame Sicherheit« und »Demokratie ist auch für mich freie Meinungsäußerung – Glaubensfreiheit«, öffentlichkeitswirksam zu zeigen.1
Die Täter gaben an, durch entsprechende Hetzsendungen in westlichen Medien über die Ereignisse am 17. Januar 1988 in Berlin inspiriert worden zu sein, durch ein öffentlichkeitswirksames Auftreten ihrem Übersiedlungsersuchen Nachdruck zu verleihen. Gegen alle sechs Personen wurden Ermittlungsverfahren wegen Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit gemäß § 214 StGB eingeleitet und auf gleicher Rechtsgrundlage Haftbefehle erlassen.
In den frühen Abendstunden des 13. Februar 1988 fanden in neun Dresdner Kirchen traditionelle Gottesdienste zum Gedenken an die Opfer der Zerstörung Dresdens mit insgesamt ca. 2 600 Teilnehmern statt, die religiösen Charakter trugen. Beim Verlassen der Petri-Kirche entrollte eine namentlich bekannte Person (Übersiedlungsersuchender) kurzzeitig ein Transparent mit der Aufschrift »Frieden, Gerechtigkeit und Verwirklichung der Menschenrechte«. (Dieser Vorgang wurde von einem ZDF-Team gefilmt.) Nach erfolgter Einflussnahme durch den zuständigen Gemeindepfarrer entfernte sich die betreffende Person. Sie begab sich danach zur Kreuzkirche, wo sie wieder von einem ZDF-Team erwartet und beim erneuten Entrollen des Transparentes gefilmt wurde.
Gegen 20.30 Uhr begann vor ca. 4 000 Besuchern in der Dresdner Kreuzkirche der alljährlich stattfindende Gedenkgottesdienst. Im Innenraum der Kirche waren Transparente mit folgenden Losungen befestigt:
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»Der Hunger nach Freiheit ist schmerzhafter als der Hunger nach Brot«,
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»Wir wollen nicht die erste Generation sein, die die Letzte ist«,
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»Frieden, Gerechtigkeit und Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR«.
Die von Bischof Hempel (Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens) gehaltene Predigt trug religiösen Charakter. Eine von einer namentlich bekannten Person vorgetragene Fürbitte enthielt u. a. die Aussage, dass in aller Welt Andersdenkende eingesperrt würden wie Nelson Mandela oder nicht mehr im Lande seien wie Regina Templin.
Nach Beendigung des Gottesdienstes gegen 21.45 Uhr begaben sich zahlreiche Besucher zur Ruine der Frauenkirche, legten Blumen ab und stellten brennende Kerzen auf. Danach gingen sie diszipliniert zur Kathedrale der Katholischen Kirche, um dort an einem Nachtgottesdienst teilzunehmen.
Gegen 23.00 Uhr hatten sich in Anwesenheit von Aufnahmeteams der ARD und des ZDF sowie weiterer westlicher Korrespondenten in der Nähe der Ruine der Frauenkirche ca. 250 Personen – fast ausschließlich Übersiedlungsersuchende – vor einem Transparent mit der Aufschrift »Vernichtet nicht die Menschenrechte wie einst Dresden« versammelt. (Diese Zusammenrottung stand nicht im direkten Zusammenhang mit den genannten kirchlichen Veranstaltungen.) Darüber hinaus wurden einige weitere Plakate mit folgenden Texten festgestellt:
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»Für Freiheit und konsequente Einhaltung der Menschenrechte in der DDR«,
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»Erstes Menschenrecht Frieden, zweites Menschenrecht Freiheit und Wahrung der menschlichen Würde«,
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»Frieden in Freiheit«.
Einzelne Teilnehmer riefen »Wir wollen in die Freiheit« bzw. »Die Mauer muss weg«. Alle diesbezüglichen Aktivitäten wurden durch die anwesenden westlichen Korrespondenten bild- und tontechnisch dokumentiert.
Die Ansammlung wurde durch Angehörige der Schutz- und Sicherheitsorgane im engen Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Kräften ohne Gewaltanwendung gegen 0.45 Uhr aufgelöst. Sieben Personen wurden zugeführt. Sie wurden nach erfolgten Befragungen und Belehrungen, in deren Ergebnis auch die drei Initiatoren dieser provokatorisch-demonstrativen Aktion ermittelt werden konnten (alle drei Personen sind Übersiedlungsersuchende, Alter 21, 27 und 43 Jahre, wohnhaft in Dresden), entlassen. Weitere 13 Personen, die die Zuführung der genannten Personen durch die DVP behindern wollten und ausriefen »Lasst die Leute frei«, wurden zwecks Feststellung der Personalien ebenfalls zugeführt und nach erfolgter Belehrung entlassen.
Die aufgrund einer Information des Stellvertreters des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden für Inneres, Genossen Fuchs, am Ereignisort eingetroffenen kirchlichen Amtsträger, Kirchenpräsident Domsch und Superintendent Ziemer, hatten sich bemüht, mäßigend auf die Teilnehmer der Ansammlung einzuwirken. Sie verurteilten deren Handlungen und bezeichneten das Vorgehen dieser Personenkreise als nicht mit der Kirche im Zusammenhang stehend. Genosse Fuchs forderte Kirchenpräsident Domsch auf, auf dem 3. Beratungstag der 1. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung der Christen und Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« am 14. Februar 1988 zu diesen Vorgängen eine entsprechende Positionen zu beziehen, um negative Auswirkungen auf den weiteren Verlauf dieser Versammlung zu verhindern.
Vorliegenden Hinweisen zufolge gab Superintendent Ziemer am Vormittag des 14. Februar 1988 auf der »Vollversammlung« eine sachliche Information zu den Geschehnissen am Abend des 13. Februar 1988, und Kirchenpräsident Domsch unterrichtete die Teilnehmer über die zwischenzeitlich erfolgte Freilassung aller zugeführten Personen.