Proteste Oppositioneller auf der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration
18. Januar 1988
Information Nr. 28/88 über die Unterbindung von unter Missbrauch der Kampfdemonstration der Berliner Werktätigen am 17. Januar 1988 geplanten provokatorisch-demonstrativen antisozialistischen Aktivitäten
Am 17. Januar 1988 wurden im engen Zusammenwirken des MfS, der Deutschen Volkspolizei und gesellschaftlicher Kräfte Versuche feindlich-negativer Kräfte, unter Missbrauch der Kampfdemonstration in großem Umfang öffentlichkeitswirksam aufzutreten, konsequent unterbunden. Damit wurde zugleich eine ernsthafte Beeinträchtigung des Gedenkens an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verhindert. Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wirkten geheimdienstlich gesteuerte Elemente, wie z. B. der hinlänglich bekannte ehemalige DDR-Bürger Jahn1 – unter Einbeziehung westlicher Korrespondenten – als Inspiratoren.
Durch das MfS wurden im engen Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei, den Bereichen Inneres und unter Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte bereits im Zeitraum seit dem 13. Januar 1988 umfangreiche vorbeugende Maßnahmen durchgeführt, die sich insbesondere auf die Disziplinierung von bereits bekannt gewordenen Teilnehmern an diesen provokatorischen Machenschaften konzentrierten. Bis einschließlich 16. Januar 1988 waren
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118 Personen, davon 93 aus Berlin und 25 aus anderen Bezirken, durch die Bereiche Inneres bzw. in Einzelfällen nach Zuführung durch die Deutsche Volkspolizei belehrt und zu
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19 Personen kurzfristig Entscheidungen zur Genehmigung der Übersiedlung getroffen worden, wovon 17 Personen entsprechend den erteilten Auflagen bereits ausreisten.
In Fortführung der Maßnahmen zur wirksamen Unterbindung und konsequenten Verhinderung der von Mitgliedern und Sympathisanten der »Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR«,2 der »Initiative Frieden und Menschenrechte«3 sowie weiteren feindlich-negativen Kräften organisierten antisozialistischen Provokationen erfolgte am 17. Januar 1988 die Zuführung von insgesamt 105 Personen, wovon 35 Personen vorbeugend auf dem Weg zum festgelegten Treffpunkt sowie 70 Personen im Bereich des Frankfurter Tores in Berlin-Friedrichshain an der Peripherie sowie den Stellplätzen der Kampfdemonstration zugeführt wurden.
(Bei den 105 zugeführten Personen – darunter 30 weibliche – handelt es sich hinsichtlich der sozialen Stellung um 46 Facharbeiter, 16 Angestellte, 19 Angehörige der Intelligenz, 2 Freischaffende, 8 in kirchlichen Einrichtungen Beschäftigte, 2 Studenten, 4 Hausfrauen, 7 Beschäftigungslose, darunter ein Arzt, sowie einen Invalidenrentner. Altersmäßig gehören 50 Personen zur Altersgruppe 25 bis 40 Jahre, 30 sind im Alter 21 bis 25 Jahre, 15 über 40 Jahre, 8 im Alter von 18 bis 21 Jahren und 2 Personen unter 18 Jahre alt. 84 der zugeführten Personen haben Ersuchen um Übersiedlung nach dem nichtsozialistischen Ausland gestellt.)
Im Ergebnis der durch das MfS bisher geführten Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass bei einer Zusammenkunft der »Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR« und der »Initiative Frieden und Menschenrechte« am 9. Januar 1988 in den Räumen der Zionskirchgemeinde, an der ca. 200 Personen teilnahmen, festgelegt worden war, unter Mitführung herzustellender Spruchbänder und Texttafeln als geschlossener Block unter Missbrauch der Kampfdemonstration öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.
Damit wurde das Ziel verfolgt, die staatlichen Organe der DDR hinsichtlich der Genehmigung der Übersiedlungsersuchen unter Druck zu setzen, den Handlungsspielraum feindlich-negativer Kräfte weiter auszuweiten und das Potenzial beider Gruppierungen sowie weiterer mit ihnen in Verbindung stehender feindlich-negativer Kräfte zusammenzuführen. In dem Bestreben, vor einem Einschreiten der Sicherheitsorgane der DDR unangreifbar zu sein, wurde festgelegt, als Texte Auszüge aus Briefen und anderen Schriften Rosa Luxemburgs zu verwenden.
Obwohl im Ergebnis der seit dem 13. Januar 1988 zur Unterbindung der Provokation durchgeführten Belehrungen eindeutig sichtbar geworden war, dass die vorgesehenen Aktivitäten staatlicherseits untersagt sind, setzte der feindlich-negative Personenkreis unter bewusster Ignorierung der erteilten staatlichen Auflagen seine Aktivitäten fort.
Unter den Zugeführten befanden sich 12 Personen, die insgesamt 16 Spruchbänder und Texttafeln mit sich führten. Darunter befand sich der sogenannte Liedermacher Krawczyk, Stephan (32), der eine Schrifttafel mit dem Text »Gegen Berufsverbote in der DDR« mit sich führte, um diese im Verlaufe der Provokation öffentlichkeitswirksam vorzuzeigen.
Darüber hinaus wurden u. a. Spruchbänder und Schrifttafeln mit den Texten
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»Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«,
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»Wer sich nicht bewegt, spürt die Fessel nicht«,
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»Freiheit nur für die Anhänger einer Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit«,4
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»Im Gedenken an Karl und Rosa für mehr Demokratie«
sichergestellt.
Im Rahmen der Maßnahmen zur unmittelbaren Verhinderung der Zusammenrottung im Bereich des Frankfurter Tores wurde eindeutig festgestellt, dass sich bereits ca. 30 Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt der Zusammenrottung – 9.00 Uhr – Aufnahmeteams der ARD und des ZDF einfanden. Die Präsenz der BRD-Korrespondenten wurde von einem Teil der Provokateure zum Anlass genommen, um zu versuchen, die mitgeführten Spruchbänder zu entfalten. Dieses Vorgehen wurde durch das konsequente Einschreiten gesellschaftlicher Kräfte wirksam unterbunden. Den anschließenden Maßnahmen zur Personalienfeststellung und Zuführung widersetzten sich mehrere Provokateure.
In diesem Zusammenhang wurden Feststellungen getroffen, dass im Verlauf des 17. Januar 1988 hauptsächlich die hinlänglich bekannten Wolfgang Templin und Ralf Hirsch sowohl untereinander als auch mit der Feindperson Roland Jahn/Westberlin in ständigem intensiven Informationsaustausch über den Verlauf der geplanten antisozialistischen Machenschaften und die Reaktionen der Sicherheitsorgane der DDR standen.
Darüber hinaus hielten sie Verbindungen zu Mitgliedern der »Arbeitsgruppe für Staatsbürgerschaftsrecht der DDR«, der »Initiative Frieden und Menschenrechte« sowie anderen feindlich-negativen Gruppierungen und informierten die verschiedensten Vertreter westlicher Massenmedien über deren verleumderische Berichterstattung.
Weiteren Feststellungen zufolge wurde in den Abendstunden des 17. Januar 1988 von Hirsch ein sogenannter offener Brief der »Initiative Frieden und Menschenrechte« an den Generalsekretär des ZK der SED (Text als Anlage) an Jahn übermittelt und danach durch westliche elektronische Medien verlesen und kommentiert.
Wie weiter intern bekannt wurde, begann die bekannte Bärbel Bohley in den Nachtstunden vom 17. zum 18. Januar 1988, auch unter Einschaltung von Roland Jahn, an Mitglieder der »Initiative Frieden und Menschenrechte« den Termin »18. Januar 1988, gegen 12.00 Uhr«, für ein Treffen in der sogenannten Umweltbibliothek der Zionskirchgemeinde5 zu verbreiten. Der Templin erklärte sich auf Anforderung von Jahn bereit, bis zum 18. Januar 1988, 14.00 Uhr, einen »Kommentar« zu erarbeiten und diesen zu übermitteln.
In den bisherigen Befragungen und Vernehmungen verhielt sich ein Teil der Zugeführten uneinsichtig und provokativ, verweigerte die Aussagen zum Sachverhalt sowie zu Organisatoren und Mittätern.
Im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen wurden
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zu 66 Personen Ermittlungsverfahren gemäß § 217 StGB – Zusammenrottung – eingeleitet und Haftbefehle erlassen. (Unter diesen Personen befinden sich 6 Exponenten der politischen Untergrundtätigkeit – Krawczyk, Stephan; Mißlitz, Frank-Herbert; Schlegel, Bert; Böttcher, Till; Kalk, Andreas und die Wollenberger, Vera. Bei 41 der Personen handelt es sich um Angehörige der »Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR«.),
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zu 2 Personen (den Exponenten politischer Untergrundtätigkeit Schefke, Siegbert und Lampe, Reinhard) Verdachtsprüfungshandlungen6 eingeleitet,
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37 Personen, gegen die unter Anwendung der Differenzierungsprinzipien und unter Berücksichtigung ihrer geringen Aktivität keine strafrechtlichen Maßnahmen eingeleitet wurden, nach eingehender Belehrung hinsichtlich der Einhaltung der Gesetzte in den Abendstunden des 17. Januar 1988 entlassen.
Es ist vorgesehen, die eingeleiteten Ermittlungsverfahren konzentriert weiter zu bearbeiten und nach Realisierung der beweisrechtlichen Erfordernisse mit dem Ziel der Verurteilung zu Freiheitsstrafen kurzfristig abzuschließen. Zu den darunter befindlichen Übersiedlungsersuchenden werden nach der Urteilsverkündung Maßnahmen zu ihrer kurzfristigen Übersiedlung getroffen.7
Anlage zur Information Nr. 28/88
Sogenannter offener Brief an den Generalsekretär des ZK der SED
»Die Initiative für Frieden und Menschenrechte protestiert gegen die Behinderung von Mitgliedern der Initiative und anderen Friedens- und Menschenrechts- und Umweltgruppen, die an der Demonstration anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilnehmen wollten. Unser Protest gilt insbesondere der Festnahme von ca. 30 Teilnehmern der Demonstration. Wir fordern ihre sofortige Freilassung. Die Verantwortlichen sollten sich selbstkritisch befragen, ob die Festnahmen dazu beitragen, das Vermächtnis von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu erfüllen.«