Proteste Übersiedlungswilliger im Zentrum Dresdens (1)
4. April 1988
Information Nr. 173/88 über provokatorisch-demonstrative Aktivitäten Übersiedlungsersuchender auf dem Theaterplatz in Dresden am 3. April 1988
Auf der Grundlage bekannt gewordener Pläne und Absichten Übersiedlungsersuchender, während des Osterzeitraumes 1988 öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten, wurden durch das MfS im engen Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei und unter Einbeziehung weiterer gesellschaftlicher Kräfte umfangreiche Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung derartiger Handlungen durchgeführt. Dadurch konnten solche Aktivitäten in Wandlitz/Kreis Bernau, Blankenburg/Kreis Wernigerode, Karl-Marx-Stadt und Schwerin vorbeugend verhindert werden.
In Dresden kam es jedoch trotz umfangreicher vorbeugender Maßnahmen (167 Belehrungen bzw. Verwarnungen durch die Bereiche Inneres bzw. die Deutsche Volkspolizei und vorherige Festnahme des Initiators und Organisators) am 3. April 1988, gegen 17.50 Uhr innerhalb kurzer Zeit (ca. 10 Minuten) zu einer Zusammenrottung von zunächst ca. 100 Personen, darunter Familien mit Kindern, auf dem Theaterplatz in Dresden vor dem Reiterstandbild.
Aufforderungen durch uniformierte Angehörige der Deutschen Volkspolizei mit Unterstützung gesellschaftlicher Kräfte (30 Mitarbeiter der Stadt- und Stadtbezirksleitung der SED sowie einer Gruppe von 25 FDJlern der Bezirksverwaltung des MfS) zum Verlassen des Platzes kamen die versammelten Personen nicht nach.
Daraufhin erfolgte die Zuführung von 32 Personen, die auf ihrer Oberbekleidung jeweils eine Plakette mit einem »A« trugen. In der weiteren Folge bewegte sich die Ansammlung, die insgesamt ca. 150 Personen erreicht hatte, in losen größeren Gruppierungen über die Georgi-Dimitroff-Brücke, an der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei vorbei in Richtung Dr.-Friedrichs-Brücke zum Stadtzentrum, wobei unter Einsatz eines Lautsprecherwagens erneut die Aufforderung zur Auflösung ausgesprochen wurde.
Gegen 18.50 Uhr löste sich die Personenansammlung in verschiedene Richtungen in jeweils kleineren Gruppierungen auf.
Insgesamt erfolgte die Zuführung von 53 Personen. Im Ergebnis der durchgeführten Verdachtsprüfungshandlungen wurde gegen eine Person (19, Arbeiter, VEB Kupplungsbau Dresden, Übersiedlungsersuchender seit Oktober 1987, der mit einem Plakat mit dem Text »Ich will ausreisen« aufgetreten war) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet; gegen 20 Personen wurden Ordnungsstrafverfahren durchgeführt, und 32 Personen wurden belehrt und verwarnt.
Die Personenansammlung und -bewegung erreichte aufgrund der Anwesenheit von Touristen – u. a. aus Österreich und der BRD – Öffentlichkeitswirksamkeit.
Bei dem bereits am 31. März 1988 festgenommenen Inspirator und Organisator handelt es sich um einen 29-jährigen Hausmeister der [kirchlichen Einrichtung] in Dresden (seit August 1986 hartnäckig Übersiedlungsersuchender).
Der Täter hatte sich entschlossen, inspiriert durch Sendungen westlicher Medien über die Ereignisse vom 17. Januar 1988 in Berlin und am 13. Februar 1988 in Dresden (in Dresden hatte er sich selbst beteiligt), künftig öffentlichkeitswirksam aufzutreten und durch Einbeziehung weiterer Übersiedlungsersuchender eine größere Wirksamkeit zu erzielen. Damit beabsichtigte er – unter teilweiser Einbeziehung eines weiteren Übersiedlungsersuchenden (33, Friedhofsarbeiter auf dem Trinitatisfriedhof Dresden) – seinem Übersiedlungsersuchen Nachdruck zu verleihen und die zuständigen staatlichen Organe zu einer für ihn positiven Entscheidung zu »zwingen«. Beide Personen legten u. a. fest, Übersiedlungsersuchende zu »Schweigeprotesttreffen« jeweils sonntags, 18.00 Uhr, vor der Kreuzkirche in Dresden zu versammeln und besonders an Feiertagen, wie dem 3. April 1988, sowie anlässlich gesellschaftlicher Höhepunkte – u. a. am 1. Mai 1988, in massiver Art und Weise öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen.
In Verwirklichung dieser Zielstellung verfasste der Festgenommene am 18. März 1988 Handzettel mit dem Text »3.4.88 vom Theaterplatz Schweigemarsch bis Karl-Marx-Platz. G. d. A. (Gruppe der Ausreisewilligen)«, die er unter Ausnutzung seiner Tätigkeit in der St. Petrikirche mittels Matritze selbst vervielfältigte und in ca. 70 Exemplaren am Sonntag, dem 27. März 1988 vor der Kreuzkirche in Dresden an dort anwesende Personen verteilte. Dabei trat er selbst aktiv als Wortführer in Erscheinung und forderte bei Übergabe dieser Handzettel die betreffenden Personen auf, diese in ihren Wohngebieten zu verteilen, um eine »gut geplante Demonstration zu organisieren«. Gleichzeitig forderte er dazu auf, am 3. April »ohne Krawalle, randalierende Ausfälle, Plakate oder Transparente aufzutreten, um der Polizei keinen Anlass zum Eingreifen zu geben«. Der Täter hatte beabsichtigt, bei der Provokation am 3. April 1988 als Redner in Erscheinung zu treten.