Reaktionen auf das Treffen Honeckers mit Vertretern der Mormonen
9. November 1988
Information Nr. 491/88 über aktuelle Meinungsäußerungen von Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) in der DDR
In Reaktion auf das Gespräch des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit Vertretern der internationalen Leitung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) sowie Mitgliedern der Präsidentschaft dieser Kirche in der DDR am 28. Oktober 1988 wurden dem MfS streng vertraulich beachtenswerte Meinungsäußerungen aus Gemeinden der Mormonenkirche in der DDR bekannt:
Umfassende Zustimmung fanden die politische Repräsentanz der Begegnung und die erzielten Ergebnisse. Sie werden als Beweis für einen grundlegenden Wandel im Verhältnis Staat – Mormonenkirche angesehen. Nach jahrzehntelanger Anfeindung und Verfolgung in der Zeit der Weimarer Republik und des Faschismus in Deutschland sowie nach einer Zeit, in der die Kirchenglieder vielfach als dem Staat feindlich gegenüberstehende Anhänger einer US-amerikanischen Kirche angesehen wurden, sei die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nunmehr in der DDR gesellschaftlich voll anerkannt. Eingeordnet in diese Wertung wurde die gegenüber dem Vorsitzenden des Staatsrates ausgesprochene Einladung zum Besuch des Staates Utah im Rahmen eines Aufenthaltes in den USA begrüßt. Man erwarte jetzt durch den Staatssekretär für Kirchenfragen weitergehende Aktivitäten hinsichtlich der Ausgestaltung und exakten Fassung der kirchlichen Arbeitsmöglichkeiten.
Erwartungshaltungen bestehen besonders hinsichtlich der Erweiterung der Betätigungsmöglichkeiten für die Mormonenkirche in der DDR und der Wiederaufnahme der in der DDR seit 1954 nicht genehmigten Missionstätigkeit.1
Zustimmung fand die von Vertretern der internationalen Leitung der Mormonenkirche offiziell bekundete Befürwortung der Friedens-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der DDR und der von diesen gegebenen Orientierung, die Verfassung und Gesetze der DDR entsprechend den religiösen Zielen und Wertvorstellungen der Mormonen zu achten und einzuhalten.
Das Treffen habe jedoch weitergehende Bedeutung. So solle es offensichtlich gegenüber anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR dokumentieren, wie konstruktiv das Verhältnis Staat – Kirche gestaltet werden könne, wenn die Kirche ihre Tätigkeit auf ihrem religiösen Grundanliegen aufbaue.2
Die im Zusammenhang mit dem Treffen abgegebene Erklärung der Präsidentschaft der Mormonenkirche in der DDR wird von deren Mitgliedern vielfach als Identifikation betrachtet, da deren Inhalt die reale Situation widerspiegele. Zurückgewiesen wurden einzelne Auffassungen, wonach die Mormonenkirche mit den in der Erklärung u. a. enthaltenen Positionen zur Wehrdienstproblematik und zur Opposition der evangelischen Kirche in den Rücken gefallen sei bzw. eine Anbiederung an den Staat vornehme.3
Dabei wurde u. a. argumentiert mit der unvereinbaren Gegensätzlichkeit beider Kirchen und dem Verweis auf die Rolle der evangelischen Kirche in Deutschland als Staatskirche während der Zeit der Verfolgung der Mormonen.4
(Die Mormonenkirche wird nach wie vor durch die evangelische und katholische Kirche nicht als christliche Kirche anerkannt.)
Beachtung fand in der Reaktion von Mitgliedern der Mormonenkirche die bekannt gewordene zustimmende Haltung des Präsidenten der Gesamtkirche, Benson/USA, zu der genannten Erklärung. Es wurde die Vermutung geäußert, dass er von seiner bisherigen politisch konservativen Position abgewichen sei.
In weiteren Meinungsäußerungen wurde auch darauf verwiesen, dass wegen eines »großkirchlichen« Einflusses in der BRD ein analoges Treffen führender Mormonen mit dem Bundeskanzler der BRD nicht zustande kommen würde.5
Streng internen Informationen zufolge trete der Präsident der Mormonenkirche in der DDR, Burkhardt, nach den Begegnungen mit dem Vorsitzenden des Staatsrates und dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR im Leitungskreis, im Gegensatz zu der bisher von ihm geübten distanzierten Haltung zum Staat, in gesellschaftspolitischen Fragen aufgeschlossener in Erscheinung. Er orientiere dabei auf ein konstruktives Zusammenwirken der Leitungsmitglieder seiner Kirche mit den zuständigen staatlichen Organen.6
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