Repressionen gegen den Liedermacher Stephan Krawczyk
13. Januar 1988
Information Nr. 24/88 über die Missachtung von Rechtsbelehrungen und staatlichen Auflagen durch den hinlänglich bekannten Liedermacher Stephan Krawczyk (Berlin)
Mit dem Ziel der Unterbindung des fortgesetzten öffentlichen Auftretens mit nicht genehmigten Programmen politisch-negativen Inhalts in kirchlichen Räumen durch den hinlänglich bekannten Liedermacher Stephan Krawczyk und dessen Ehefrau Freya Krawczyk-Klier wurden mit den Genannten im November 1987 in Fortführung gezielter anderer Einflussversuche mehrere Gespräche geführt:
Durch das Ministerium für Kultur wurde Krawczyk am 3. November 1987 dringend aufgefordert, die öffentlichen Ausführungen des Programms »Wieder Stehen« oder andere derartiger Programme einzustellen, da diese nicht den kulturpolitischen Grundsätzen und Interessen der DDR entsprechen und deshalb seitens des Ministeriums für Kultur keine Genehmigung finden.
Am 13. November 1987 wurde Krawczyk durch Angehörige der Abteilung Erlaubniswesen der VP-Inspektion Berlin-Prenzlauer Berg einer Rechtsbelehrung unterzogen, und es wurde ihm mündlich eine Forderung der Volkspolizei vorgetragen, in der ihm bei Androhung von ordnungsrechtlichen Sanktionen und bezogen auf das gesamte Gebiet der DDR untersagt wurde, anmelde- bzw. erlaubnispflichtige Veranstaltungen ohne vorherige Anmeldung bei der DVP vorzubereiten, zu organisieren oder durchzuführen bzw. an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen.
Zur Bekräftigung dessen wurden Stephan und Freya Krawczyk am 27. November 1987 beim Generalstaatsanwalt von Berlin rechtlich darüber belehrt, dass die Nichtbefolgung der Auflagen vom 13. November 1987 strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne.
Ungeachtet dieser erteilten Auflagen und erfolgten Belehrungen setzte das Ehepaar Krawczyk seine Auftritte fort. So u. a. während der »Friedensdekade 1987« der evangelischen Kirchen in der DDR (vgl. dazu Information des MfS Nr. 424/87 vom 11. November 1987) sowie am 30. November 1987 in der Paul-Gerhardt-Gemeinde, Berlin-Prenzlauer Berg (»Pässe und Parolen«), am 4. und 6. Dezember 1987 in Dornburg bzw. Kalbe/Bezirk Magdeburg (»Brecht-Programm«, »Liederprogramm«) und am 11. Dezember 1987 in Eilenburg/Bezirk Leipzig (»Wieder Stehen«).
(Nach dem MfS intern dazu vorliegenden Hinweisen konnte Stephan Krawczyk im Jahre 1987 über 100 derartige Veranstaltungen in kirchlichen Räumen durchführen, in denen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR verleumdet wurde.)
In allen Fällen wurden die zuständigen Kirchenleitungen der evangelischen Kirchen in der DDR und weitere verantwortliche kirchliche Amtsträger durch die zuständigen staatlichen Organe unverzüglich über vorgesehene Auftritte in Kenntnis gesetzt; ihnen wurden die staatliche Erwartungshaltung erläutert und Auflagen erteilt. Den staatlichen Forderungen wurde nur teilweise entsprochen, in einer Reihe von Fällen wurden sie negiert.
In einem Gespräch mit Generalsuperintendent Krusche, Oberkirchenrat Ziegler und Superintendent Görig am 7. Januar 1988 im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen Rüddenklau1 und andere wurde durch einen Mitarbeiter des Staatssekretariats für Kirchenfragen auch auf eine neuerliche, für den 11. Januar 1988 in der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde geplante Veranstaltung mit Krawczyk verwiesen, verbunden mit der Forderung, dessen Mitwirkung mit nicht genehmigten Programmen zu unterbinden.
Im Ergebnis gezielter staatlicher und kirchlicher Einflussnahme fasste der Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde bereits im Dezember 1987 den Beschluss, auch »über den 11. Januar 1988 hinaus bis auf Weiteres keine Beteiligung von Krawczyk/Klier an Gottesdiensten, Andachten u. a. bei Veranstaltungen der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde zuzulassen«. Trotzdem kam es am 11. Januar 1988 in der Kirche der genannten Kirchengemeinde im Rahmen eines Gottesdienstes zum Thema »Menschenrechte, Kultur und Evangelium« vor ca. 400 Personen zum Auftritt des Ehepaares Krawczyk mit ihrem bekannten politisch-negativen Programm »Pässe und Parolen«.
Nach dem MfS dazu streng intern vorliegenden Hinweisen wurde dieser Auftritt maßgeblich durch Pfarrer Gartenschläger und dem Leiter des »Friedenskreises« der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde, Schult, unter Missachtung und Umgehung des o. g. Beschlusses des Gemeindekirchenrates ermöglicht.
Wie dazu weiter bekannt wurde, kam es auf Initiative politisch realistischer und loyaler Kräfte des Gemeindekirchenrates, die bereits in der Vergangenheit gegen den politischen Missbrauch ihrer Kirche durch Auftritte von Krawczyk energisch auftraten, zu einer außerordentlichen, erweiterten Sitzung des Gemeindekirchenrates. Im Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen wurde mehrheitlich festgelegt, gegenüber der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg die Forderung zu erheben, gegen Pfarrer Gartenschläger wegen Missachtung der Beschlüsse des Gemeindekirchenrates ein Disziplinarverfahren durchzuführen.
Der Geschäftsführende Pfarrer der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde, Bambowsky, erhob darüber hinaus in einem Gespräch mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg für Inneres am 12. Januar 1988 die Forderung, dass seitens der zuständigen staatlichen Organe die gegenüber Krawczyk angedrohten Sanktionen zur Anwendung gelangen sollten. Seiner Auffassung nach könnten er und andere kirchliche Amtsträger künftig ihre Position zur Verhinderung des politischen Missbrauchs der Kirchen durch feindlich-negative Kräfte nicht mehr aufrechterhalten, wenn staatlicherseits nicht entsprechend reagiert würde.
Es ist vorgesehen, seitens der zuständigen staatlichen Organe die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg über den Auftritt des Ehepaares Krawczyk in der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde zu informieren, verbunden mit der energischen Forderung, als Kirchenleitung ihrer Verantwortung zur Verhinderung des politischen Missbrauchs kirchlicher Veranstaltungen konsequenter nachzukommen.
Es wird vorgeschlagen zu prüfen, ob angesichts der erneuten Provokation von Krawczyk und in Anbetracht der Haltung politisch realistischer kirchlicher Amtsträger sowie Laien zu diesem Problem gegen Krawczyk angedrohte Ordnungsstrafmaßnahmen durchgeführt werden sollten.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.