Sicherung der Veranstaltungen zum 1. Mai 1988
2. Mai 1988
Bericht über die Ergebnisse der durchgeführten Maßnahmen zur Sicherung der Veranstaltungen anlässlich des 1. Mai 1988 [Bericht K 2/40]
Die mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung eines Wirksamwerdens feindlich-negativer Kräfte, insbesondere von Übersiedlungsersuchenden, anlässlich der Feierlichkeiten zum 1. Mai durch das MfS in Abstimmung mit der Partei sowie im engen Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei, zuständigen staatlichen Organen sowie gesellschaftlichen Einrichtungen und Kräften in der Hauptstadt der DDR, Berlin, sowie in den Bezirken eingeleiteten und realisierten differenzierten Aufklärungs- und Sicherungsmaßnahmen gewährleisteten im gesamten Territorium der DDR eine hohe staatliche Sicherheit und Ordnung.1
Das Vorkommnisgeschehen hatte keinen Einfluss auf den Gesamtverlauf der Kampfdemonstrationen sowie weiterer anlassbezogener Veranstaltungen.
Den Schwerpunkt der eingeleiteten und realisierten Maßnahmen bildete die rechtzeitige Aufklärung der Pläne und Absichten feindlich-negativer Kräfte, insbesondere von Übersiedlungsersuchenden, zur Störung der Veranstaltungen anlässlich des 1. Mai und zur vorbeugenden Verhinderung ihres Wirksamwerdens.2
Im Ergebnis durchgeführter Vorbeugungsgespräche mit Übersiedlungsersuchenden mit dem Ziel der Verwarnung und Disziplinierung potenzieller Störer erklärte die Mehrzahl dieser Personen, sich am 1. Mai gesellschaftsgemäß verhalten zu wollen. Zu Personen, die die Unterschrift unter entsprechende schriftliche Erklärungen verweigerten oder anlassbezogene Aktivitäten androhten, wurden entsprechende Kontrollmaßnahmen eingeleitet bzw. verstärkt fortgesetzt. Im Zeitraum vom 11. bis 30. April 1988 wurden 756 Personen, darunter 426 Personen, von denen unmittelbare Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgingen, nach der BRD bzw. Westberlin übergesiedelt, zu 2 141 Übersiedlungsersuchenden die Auflassung für die Durchführung des Genehmigungsverfahrens erteilt und gegenüber 1 448 Personen in mit ihnen geführten Aussprachen die Genehmigung ihrer Übersiedlung in Aussicht gestellt.
Insgesamt wurden 116 anlassbezogene Ermittlungsverfahren, davon 44 unmittelbar vor dem und am 1. Mai, eingeleitet. Seit 29. April 1988 erfolgten durch das MfS 155 Prüfungshandlungen, davon direkt am 1. Mai 101.
Aktivitäten von Übersiedlungsersuchenden, in Demonstrationszügen mit selbstgefertigten Plakaten und Transparenten wirksam werden zu wollen, konnten in elf Fällen im Anfangsstadium unterbunden werden. In vier Fällen (zweimal Berlin, jeweils einmal Zwickau/Karl-Marx-Stadt und Magdeburg) gelang es sechs Tätern mit ihren Plakaten und Transparenten, die Forderungen nach unverzüglicher Genehmigung der Übersiedlung beinhalteten, in die Bereiche bzw. in die Nähe der Tribünen zu gelangen.
Ein erheblich öffentlichkeitswirksames Vorkommnis ereignete sich am 1. Mai vor der Marienkirche in der Hauptstadt der DDR, Berlin. Dort hatte sich ein namentlich bekannter 43-jähriger Technologe, tätig im VEB Mess- und Innenausbau Berlin, Übersiedlungsersuchender seit Februar 1987, vor dem Hauptportal angekettet. Dabei zeigte er ein Plakat mit der Aufschrift »Wegen meiner Gesinnung enteignet, entrechtet, eingesperrt, Freiheit, Menschenrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, A«. Ein ARD-Fernsehteam und zwei DDR-Bürger fertigten von dieser Handlungsweise Fotoaufnahmen an. Die DDR-Bürger, darunter der Kreisjugendwart der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs aus Wismar/Rostock, wurden zugeführt. Gegen 12.45 Uhr erschien in Begleitung der Ehefrau des Kreisjugendwartes Bischof Forck auf einem VP-Revier im Stadtbezirk Berlin-Mitte und forderte dessen sofortige Freilassung, woraufhin er an das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR verwiesen wurde.
(Über dieses Vorkommnis wurde durch die gegnerischen Massenmedien bereits umfangreich berichtet.)3
Darüber hinaus standen im direkten Zusammenhang mit dem Internationalen Kampf- und Feiertag der Werktätigen Vorkommnisse
- –
des Anbringens selbstgefertigter Plakate und Transparente, in der Regel mit Forderungen nach Genehmigung der Übersiedlung, an Wohnungsfenstern, in Pkw und an anderen Örtlichkeiten (15, davon 14 geklärt),
- –
des öffentlichkeitswirksamen Anbringens von Hetzlosungen bzw. Verbreitens von Hetzblättern, die im Wesentlichen Aussagen gegen die führende Rolle der Partei und gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung enthielten, verbunden mit Forderungen nach mehr Demokratie, Freiheit und Menschenrechten für DDR-Bürger, sowie pseudopazifistischen, ökologischen und faschistischen Inhalt hatten (12, davon 3 geklärte; im Jahre 1987 wurden dem MfS lediglich 5 derartige Vorkommnisse bekannt),
- –
des Führens anonymer Telefonanrufe, verbunden mit Gewaltandrohungen (12), davon allein 6 in Magdeburg. Die Anrufe beinhalteten größtenteils Androhungen von Brandlegungen, Sprengungen und anderen Gewaltakten bei Dienststellen der Deutschen Volkspolizei, des MfS und der SED sowie in Betrieben.
Am 28. April 1988 wurden im Stadtgebiet von Stralsund/Rostock insgesamt 1 140 Hetzblätter, z. T. noch gebündelt, inhaltlich gerichtet gegen die führende Rolle der SED, an sieben verschiedenen Örtlichkeiten aufgefunden.
Darüber hinaus liegen Informationen über 47 Vorkommnisse des Beschädigens und Entfernens von Fahnen vor. In 32 Fällen wurden 54 Täter ermittelt.
Infolge vorliegender Hinweise über geplante provokatorisch-demonstrative Aktivitäten Übersiedlungsersuchender in den Nachmittagsstunden des 30. April bzw. des 1. Mai im Bereich Unter den Linden in der Hauptstadt der DDR, Berlin, wurden die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen eingeleitet, in deren Ergebnis keine Anzeichen für eine derartige Provokation festgestellt werden konnten. Zielgerichtete Personenkontrollen erbrachten jedoch Hinweise, dass sich in den Nachmittagsstunden des 1. Mai 24 Übersiedlungsersuchende aus verschiedenen Bezirken sowie 4 aus der Hauptstadt im genannten Bereich aufhielten, ohne öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.
Von am 1. Mai stattgefundenen Gottesdiensten u. a. kirchlichen Veranstaltungen (z. B. der Vollversammlung des »Arbeitskreises Solidarische Kirche«4 in der evangelischen Gemeinde in Berlin-Karlshorst vom 29. April bis 1. Mai 1988 und dem überregionalen Treffen der Wehrdienstverweigerer im kirchlichen Heim Berlin-Schmöckwitz vom 29. April bis 1. Mai 1988) gingen keine Störungen aus.
Während die überwiegende Mehrheit der Predigten bei den Gottesdiensten ausschließlich religiösen Charakter trug, nutzten einzelne kirchliche Amtsträger, wie z. B. Bischof Forck in der Marienkirche und Pfarrer Hildebrandt in der Sophienkirche in Berlin, ihre Predigten dazu, gesellschaftspolitische Bezüge zur Übersiedlungsproblematik und zur Einberufung derartiger Personenkreise zur Ableistung des Wehrdienstes in der NVA herzustellen.
Im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirksame Kräfte traten anlassbezogen nicht in Erscheinung.
Zur Berichterstattung über die Kampfdemonstration in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ließen sich insgesamt 61 ausländische Korrespondenten und Techniker akkreditieren, davon 48 von westlichen Publikationsorganen. Die gebotenen Arbeitsmöglichkeiten auf der Pressetribüne bzw. den Praktikabeln nahmen 40 Korrespondenten westlicher Staaten wahr (darunter ZDF, WDR, DPA, AP, Reuters, Der Spiegel). Beachtenswert ist, dass 8 Korrespondenten aus der BRD, den USA und Großbritanniens an den offiziellen Arbeitsorten nicht erschienen.
Ab 11.00 Uhr waren die Korrespondenten der bedeutendsten westlichen Publikationsorgane nicht mehr auf der Pressetribüne bzw. den Praktikabeln anwesend. Einzelne Korrespondenten hielten sich ab diesem Zeitpunkt im Bereich des Strausberger Platzes auf.
Das Informationsinteresse der westlichen Korrespondenten konzentrierte sich vorrangig auf erwartete provokatorisch-demonstrative Handlungen feindlich-negativer Kräfte. Mit Ausnahme des genannten Vorkommnisses vor der Marienkirche konnten durch die Korrespondenten keine derartigen Handlungen dokumentiert werden.
Nachdem die erwarteten feindlich-negativen Aktivitäten ausblieben, waren die Korrespondenten westlicher Medien darum bemüht, Handlungen der Sicherungskräfte zu erkennen. Als festgestellt wurde, dass sie verstärkt bestrebt waren, die im Rahmen ihrer Arbeitserlaubnis erteilten Auflagen zu unterlaufen, erfolgte der zusätzliche Einsatz von 250 Reservekräften des MfS, um deren Aktionsradius bei Notwendigkeit wirkungsvoll einschränken zu können.
Während der Kampfdemonstration in der Hauptstadt der DDR, Berlin, waren 55 Chefs in der DDR akkreditierter diplomatischer Missionen als Gäste anwesend. (von den NATO-Staaten lediglich der Botschafter Griechenlands)
Im Ergebnis von Kontroll-, Überwachungs- und Filtrierungsmaßnahmen im grenzüberschreitenden Reiseverkehr wurde am 1. Mai insgesamt 336 Personen die beabsichtigte Einreise in die Hauptstadt der DDR nicht gestattet. Darunter befanden sich 161 Personen, gegen die anlassbezogene Einreisesperrmaßnahmen bestanden. Wegen pass- und zollkontrollmäßigen Beanstandungen wurden 115 Personen und aus anderen begründeten Anlässen, u. a. wegen negativ-dekadentem Äußeren, 53 Personen zurückgewiesen.
Die entsprechend der zu erwartenden Lageentwicklung durchgeführten Sicherungsmaßnahmen erwiesen sich als wirkungsvoll.
Die Sicherungs- und Einsatzkräfte des MfS, der Deutschen Volkspolizei sowie der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Einrichtungen realisierten die ihnen übertragenen Aufgaben mit hoher Disziplin und Einsatzbereitschaft.