Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche der Union (EKU/DDR)
12. Februar 1988
Information Nr. 78/88 über die Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – DDR am 2./3. Februar 1988
Die turnusmäßige Sitzung des Rates der EKU/Bereich DDR1 fand als geschlossene Veranstaltung in kirchlichen Räumen in der Hauptstadt der DDR, Berlin, in Anwesenheit einiger geladener Gäste der EKU/Bereich BRD und Berlin (West) statt.
Aus der DDR nahmen teil: Bischof Gienke/Greifswald (Vorsitzender des Rates der EKU/DDR), Bischof Forck/Berlin, Präses Becker/Berlin, Bischof Rogge/Görlitz, Kirchenpräsident Natho/Dessau, Propst Weyhe/Magdeburg.
Aus der BRD und Berlin (West) waren zeitweilig anwesend: Präses Linnemann/Bielefeld (Evangelische Kirche von Westfalen), Dr. Enke/Bielefeld (Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen), Landeskirchenrat Obendiek/Düsseldorf (Mitglied des Kollegiums im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland), Oberkonsistorialrat Becker/Düsseldorf (juristischer Dirigent der Evangelischen Kirche im Rheinland), Propst Holm/Berlin-West (Evangelische Kirche in Berlin-West).
Über den Verlauf der Sitzung wurden dem MfS streng intern nachfolgende Hinweise bekannt:
Zunächst wurden vorwiegend innerkirchliche und theologische Fragen behandelt, wie z. B. die Überarbeitung der kirchlichen Dienst- und Verwaltungsordnung der Kirchen der EKU sowie die Herausgabe eines neuen kirchlichen Gesangbuches.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde über die Situation im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Zionskirche und die Ereignisse am 17. Januar 1988 gesprochen.
Bischof Forck und Präses Becker schilderten die Lage innerhalb der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg auf der Grundlage der offiziellen Stellungnahme der Kirchenleitung vom 30. Januar 1988.2 Forck erklärte, er hätte die Möglichkeit erhalten und wahrgenommen, im Zusammenhang mit diesen Vorgängen Inhaftierte zu besuchen und anzuhören.
Die Kirche sei mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Vogel im Gespräch gewesen, um nach Lösungswegen für eine Freilassung der Inhaftierten zu suchen.
Ihm – Forck – sei bekannt, dass Krawczyk und Klier von staatlicher Seite zwei Möglichkeiten angeboten worden waren: Entweder nach Abschluss des Gerichtsverfahrens die Haftstrafe anzutreten oder die DDR zu verlassen. Beide hätten sich danach entschieden, in die BRD zu gehen.
Die Bischöfe Gienke und Rogge sowie Kirchenpräsident Natho erklärten übereinstimmend, sich dafür einzusetzen, dass sich aus den Vorgängen in Berlin keine Konfrontation zwischen Staat und Kirche entwickelt. Die Stellungnahme der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 1988 betrachteten sie als ausgewogen und als ersten Schritt zur Bestimmung einer verhältnismäßig realistischen kirchlichen Position. Diese Erklärung sei für die Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg annehmbar und biete eine Möglichkeit, die angespannte Situation in diesen und in anderen Kirchengemeinden in der DDR allgemein zu beruhigen.
Bischof Rogge äußerte, der Staat habe sich eine derartige Provokation wie am 17. Januar 1988 nicht bieten lassen können. Er halte es für geschmacklos und instinktlos, eine Gedenkdemonstration für eine Erzwingung von Ausreisen zu benutzen. Man müsse anerkennen, dass das Strafmaß gegen die Verurteilten und Inhaftierten auf der untersten Ebene geblieben sei. Beten und Fürbitten für eine »notvolle Situation« in Gottesdiensten seien ein kirchliches Anliegen und auch gegenüber dem Staat vertretbar. Jedoch müsse man in der Kirche das Verlesen von Resolutionen und politische Solidaritätsbekundungen mit Inhaftierten sowie unrechtmäßige Forderungen an den Staat konsequent ablehnen. Er – Rogge – werde nicht zulassen, dass im Görlitzer Kirchengebiet die Kirche für derartige Aktivitäten missbraucht wird. Dieser Standpunkt würde auch von allen Mitgliedern der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes vertreten.
Propst Holm/Berlin (West) ermunterte Forck, alles zu tun, was er in seinem Amt für richtig finde. Holm und die Vertreter der EKU/Bereich BRD vertraten – ohne konkret auf die genannten Vorgänge einzugehen – allgemein den Standpunkt, sich nicht in kirchenpolitische Angelegenheiten der EKU/Bereich DDR einmischen zu wollen, da dies die Beziehungen zwischen den Kirchen der EKU und dem Staat belasten und eventuell Einreiseverbote für bestimmte kirchliche Amtsträger in die DDR zur Folge haben könnte.
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