Sondertagung der KKL zur Erklärung der Menschenrechte von 1948
9. Dezember 1988
Information Nr. 533/88 über ein von der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) beschlossenes Votum zum 40. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen verabschiedete die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) auf einer am 3. Dezember 1988 stattgefundenen Sondersitzung – über deren Gesamtverlauf noch informiert wird – ein Votum zum 40. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung (Wortlaut siehe Anlage).
Das Votum wurde an die Leitungen aller evangelischen Landeskirchen in der DDR sowie an die Evangelische Nachrichtenagentur (ena) in der DDR weitergeleitet. Über den Verwendungszweck wurden seitens der KKL keine Festlegungen getroffen.
Eine kurze Meldung über die Verabschiedung dieses Papiers ohne wesentliche Inhaltsangabe erschien am 8. Dezember 1988 in der Westpresse (»Die Welt«).
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information 533/88
– Abschrift –
Votum der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen zum 40. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Unter dem Eindruck der Barbarei des Faschismus und der furchtbaren Folgen des Zweiten Weltkrieges hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet.
Vor 40 Jahren haben die Mitgliedsstaaten sich gemeinsam zu der »allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte« bekannt. Ihre Anerkennung bildet »die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt«.
Die Deklaration ruft die Völker der Welt dazu auf, ihre Gemeinschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, damit »den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird«.
Diese Aufgabe bedarf heute mehr denn je des gemeinsamen Einsatzes der Staaten und ihrer Bürger. Über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinaus haben die internationalen Konventionen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über politische und Bürgerrechte und die KSZE-Schlussakte dafür entscheidende Bedeutung erlangt. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR ist sich in der ökumenischen Gemeinschaft der Christenheit seiner Verantwortung für die Menschenrechte bewusst geworden. Der Zusammenarbeit in der Ökumene verdanken die Evangelischen Kirchen in der DDR Einsichten in die Universalität und die Interdependenz der Menschenrechte sowie in die Unaufgebbarkeit der Basisrechte. Menschenrechte müssen in der Verflechtung ihrer sozialen, individuellen und partizipatorischen Dimension erfasst werden, wenn man ihnen als Denk- und Handlungsprinzipien für ein gerechteres Zusammenleben der Menschen und Völker auf nationaler und internationaler Ebene zur Wirksamkeit verhelfen will.
Diese Erkenntnisse bestimmen den Bund der Evangelischen Kirchen beim Eintritt für die Verwirklichung der Menschenrechte.
Aus den Erfahrungen der theologischen Arbeit, der ethischen Orientierungshilfen und des pastoralen Beistandes hebt die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen anlässlich des 40. Jahrestages der Erklärung der Menschenrechte als für sie bindende Erkenntnisse hervor:
- –
Das Eintreten der Kirche für Menschenwürde und Menschenrechte ist in der Annahme des Menschen durch Gott in Jesus Christus begründet.
- –
Individuelle und soziale Menschenrechte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie gehören zusammen und bedingen einander.
- –
Menschenrechte sind immer Rechte des anderen.
- –
Die Basisrechte aller Menschen sind unantastbar:
- –
das Recht auf Leben,
- –
das Recht auf persönliche Würde,
- –
das Recht auf kulturelle Identität,
- –
das Recht auf Teilhabe an der Entscheidungsfindung innerhalb der Gemeinschaft,
- –
das Recht, anderer Meinung zu sein,
- –
das Recht auf religiöse Freiheit.
- –
- –
Eine Güterabwägung zwischen den Rechten des Einzelnen und den Rechten der Gemeinschaft ist grundsätzlich berechtigt; die Basisrechte dürfen dabei jedoch nicht angetastet werden.
- –
Toleranz ist das Leitprinzip für die Verwirklichung von Religionsfreiheit, von Gewissens- und Glaubensfreiheit, von Meinungsfreiheit.
Menschenrechte sind nicht statisch. Ihre Verwirklichung geschieht in einem Prozess, in dem, vom Evangelium geleitet, Kirche mitwirkt, dass Menschen Leben in Fülle haben können. Der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung schließt ein solches Eintreten für die Verwirklichung der Menschenrechte ein und befördert es zugleich.
»Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein« (Jesaja 32, Vers 17)
Berlin, den 3. Dezember 1988