Sonntagsgespräch in der Bekenntniskirche Berlin/Treptow
3. November 1988
Information Nr. 475/88 über ein sogenanntes Sonntagsgespräch in der evangelischen Bekenntniskirche Berlin-Treptow am 30. Oktober 1988
Nach dem MfS intern vorliegenden Hinweisen fand am 30. Oktober 1988, in der Zeit von 20.00 bis 21.30 Uhr im Gemeindesaal der evangelischen Bekenntniskirche Berlin-Treptow unter dem Thema »Reflexion« das geplante »Sonntagsgespräch«1 statt, an dem auf Einladung des Gemeindepfarrers der Bekenntniskirche Hilse die hinlänglich bekannte Bohley, Bärbel teilnahm. An der Veranstaltung nahmen 250 Personen teil, davon überwiegend Übersiedlungsersuchende.
(Hilse, Werner, 66, ist bekannt durch von ihm wiederholt durchgeführte Gottesdienste mit feindlich-negativen Inhalten. Er führte seit Februar 1988 in der Bekenntniskirche 13 »Sonntagsgespräche« und 14 thematische Abendveranstaltungen unter jeweiliger Teilnahme von Übersiedlungsersuchenden – bis zu 750 – durch, in deren Verlauf er unter Ignorierung der ihm in Gesprächen erteilten staatlichen Auflagen gegen den Staat gerichtete Positionen vertrat. Neben Erkenntnissen zum offenen und verdeckten Zusammenspiel des Hilse mit bekannten Gruppierungen Übersiedlungsersuchender ist bedeutsam, dass er diese formell mit Aktivitäten in die Gemeindearbeit integriert, um deren Auftreten den Schein eines religiösen Bekenntnisses zu geben. Hilse fordert in den Veranstaltungen z. B. Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit – u. a. für Übersiedlungsersuchende –, ermuntert zum geschlossenen Handeln gegen den Staat und bietet ihnen Möglichkeiten zur Artikulierung ihrer Forderungen.)
Hilse führte zu Beginn des »Sonntagsgesprächs« – nach der Verlesung weniger Bibelsprüche – zur Begründung der von ihm ausgesprochenen Einladung und der Anwesenheit der Bohley an, er erwarte von ihr eine Darstellung der Hintergründe und Zusammenhänge, die zu ihrem zeitweiligen Aufenthalt im nichtsozialistischen Ausland geführt haben. Er führte u. a. aus: »Es müsste doch eigentlich legitim sein, dass eine Gemeinde mal so etwas erfährt … Wir wollen ein Stückchen reflektieren: Was ist denn eigentlich damals gelaufen bei dieser Rosa-Luxemburg-Demonstration?«2
Die Bohley zeigte sich von der hohen Teilnehmerzahl und der Zusammensetzung der Teilnehmer überrascht. Sie betonte, nur mit einer Teilnehmerzahl von höchstens 30 Personen gerechnet zu haben und sei auf einen Vortrag nicht vorbereitet; sie wolle sich trotzdem Mühe geben, die an sie gerichteten Fragen zu beantworten.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurden ca. 30 »Anfragen«, ausschließlich von Übersiedlungsersuchenden, die z. T. den Charakter von Positionserklärungen darstellten, an die Bohley gerichtet. Im Vordergrund standen erkennbare Vorstellungen von diesen Personen, durch die Bohley Hinweise oder Unterstützung ihres Vorhabens auf Übersiedlung zu erhalten. Etwa die Hälfte der »Anfragen« zielte auf die Absicht, eine sogenannte Aktionsgemeinschaft zwischen Übersiedlungsersuchenden und Kräften des politischen Untergrundes herzustellen. Das widerspiegelte sich in einer Reihe von Fragen, wie man eine »Aktionsgemeinschaft« herstellen könne und welche Position die Bohley persönlich dazu einnehme.
Die Bohley verwahrte sich in ihren Entgegnungen generell gegen die Bildung einer derartigen »Aktionsgemeinschaft«. Sie begründete dies mit den grundlegenden »Unterschieden« zwischen den Zielen von Übersiedlungsersuchenden und Kräften des politischen Untergrundes.
Während sich anschließender kontroverser Diskussionen äußerte die Bohley wiederholt: »Wir drehen uns im Kreis … Es hat keinen Sinn, hier zusammenzusitzen« und versuchte die Veranstaltung abzubrechen. Hilse griff mehrmals beschwichtigend in den Veranstaltungsablauf ein.
Weitere Fragen bezogen sich auf den Werdegang der Bohley, zielten auf ihre Rolle in der »Initiative für Frieden und Menschenrechte«3 sowie auf deren nächsten Pläne und Absichten. Die Bohley lehnte die Beantwortung dieser Fragen ab mit dem Hinweis darauf, dass das, was dort gemacht werde, »geheim« sei. Weiter führte sie aus, durch das Bestehen vieler alternativer Gruppen mit den unterschiedlichsten Positionen sehe sie keinen Weg einer Koordinierung.
Auf ihre Bemerkung, ein Antrag auf Übersiedlung sei ihrer Meinung nach keine Lösung, da jeder hier gebraucht werde, war erkennbar, dass die Mehrzahl der Teilnehmer diese Position nicht teilte. Vorwürfe seitens Anwesender, sie sei durch die Ausreisemöglichkeit vom Staat korrumpiert worden und gehöre jetzt zur »Vorzeige-Elite«, wies die Bohley scharf zurück.
Es handelt sich um das erste Auftreten der Bohley vor einem größeren Personenkreis nach ihrer Rückkehr aus dem nichtsozialistischen Ausland. Streng internen Hinweisen zufolge lehnt sie gegenwärtig die Durchführung öffentlicher Aktionen und größerer Zusammenkünfte ab, bleibt ihnen fern und versucht, in ihrem unmittelbaren Umgangskreis wirksam zu werden.
Den Reaktionen der anwesenden Übersiedlungsersuchenden war zu entnehmen, dass sie mit den Positionen der Bohley unzufrieden waren. Einige äußerten sich enttäuscht und bedauerten, sich Anfang des Jahres 1988 mit Mahnwachen und Fürbitten für die Bohley eingesetzt zu haben. Internen Hinweisen zufolge äußerten anwesende Übersiedlungsersuchende, sie hätten in der Bohley bisher eine »Idolfigur« gesehen; durch ihr widersprüchliches Auftreten sei dieses Bild »zusammengebrochen«. Mehrere Übersiedlungsersuchende verließen vorzeitig die Veranstaltung.
Durch Pfarrer Hilse wurde das »Sonntagsgespräch« mit einem kurzen Schlusswort in Form von Bibelsprüchen beendet. Es kam zu keinen Vorkommnissen nach Abschluss des Gottesdienstes.
Es ist vorgesehen, die festgelegten Gespräche mit kirchlichen Amtsträgern in Auswertung des politischen Missbrauchs der Veranstaltung in der Zionskirchgemeinde Berlin am 28. Oktober 1988 und geplanter weiterer analoger Veranstaltungen in Kirchen der Hauptstadt der DDR zu nutzen, um die Aktivitäten von Pfarrer Hilse entschieden zurückzuweisen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!
Mielke [Unterschrift]