Synode zur Auflösung der VELK in Dresden
22. Juni 1988
Information Nr. 316/88 über die 4. Tagung der IV. Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELK) in der DDR
Die 4. Tagung der IV. Generalsynode der VELK in der DDR fand in der Zeit vom 2. bis 4. Juni 1988 in der Christus-Kirche Dresden-Strehlen statt. Sie wurde bereits einen Tag vorfristig beendet, da die Tagesordnung abgehandelt war und keine Diskussionsmeldungen mehr vorlagen.1
Es war die letzte Tagung der VELK in der DDR vor ihrer Selbstauflösung und Einbindung in den Bund der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR.2
An der Synodaltagung nahmen mit Ausnahme von Bischof Leich/Eisenach (Aufenthalt in der UdSSR anlässlich der Milleniumsfeierlichkeiten der Russisch-Orthodoxen Kirche) alle 31 gewählten und berufenen Synodalen sowie die kirchenleitenden Amtsträger der Gliedkirchen der VELK in der DDR teil.
Außerdem waren der Präsident der Generalsynode der VELKD (BRD), Veldtrup, und ein Vertreter des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD (BRD) anwesend.
Veltrup verlas u. a. eine Grußbotschaft des Leitenden Bischofs der VELKD (BRD), Landesbischof Dr. Stoll, in der auf die »Respektierung« der Selbstauflösung der VELK in der DDR durch die VELKD hingewiesen und Dankbarkeit für die Fortführung der »Pflege der besonderen Gemeinschaft« geäußert wurde.
Zeitweilig nahmen Vertreter westlicher Massenmedien an der Synodaltagung teil, ohne aktiv in Erscheinung zu treten (Röder/epd, Jennerjahn/dpa, Nöldechen/Westfälische Rundschau).
Im Mittelpunkt der Tagung standen der Bericht des leitenden Bischofs der VELK in der DDR, Bischof Stier/Schwerin, der Tätigkeitsbericht des Lutherischen Kirchenamtes der VELK in der DDR, Kurzreferate zu Einzelthemen, bezogen auf den »kirchlichen Auftrag«, die Behandlung einer Vorlage zur aktuellen Interpretation des Artikels XVI der Augsburgischen Konfession (»Rechtmäßig Kriege führen«) sowie das Kirchengesetz über die Auflösung der VELK in der DDR.
Der 23-seitige Bericht des Leitenden Bischofs der VELK, Stier, beinhaltete innerkirchliche und theologische Probleme, überwiegend zur Geschichte der VELK in der DDR, sowie Begründungen zu ihrer Selbstauflösung. Der Bericht enthielt keine Aussagen zur Friedensproblematik, nahm aber im Schlussteil Bezug auf sogenannte Problemfelder im Verhältnis Staat – Kirche. So formulierte Stier, die Kirche müsse »Widerspruch einlegen, wenn sie in ihrer Verkündigung und Seelsorge, in ihrem missionarischen und diakonischen Handeln festgelegt werden soll auf sogenannte religiöse Themen und Bereiche«. Er polemisierte mit »Vorhaltungen« des Staates, die Kirche habe sich nicht in staatliche Angelegenheiten einzumischen. Stier erklärte sich nicht damit einverstanden, dass der »Staat erst kürzlich einen Themenkatalog benannt hat, den die Kirche und ihre Presse in der Öffentlichkeit nicht erwähnen, geschweige denn offen diskutieren darf«.
Die kirchliche Position dazu, so betonte Stier weiter, habe sich nicht geändert; für sie – die Kirche – gebe es »keine tabuisierten Themen und Bereiche«, Kirche müsse »ganz nahe bei den Menschen bleiben, … dort, wo die Konflikte aufbrechen, … so z. B. in den Auseinandersetzungen über erlaubte und missbrauchte Gottesdienste und Fürbittandachten, auch über die Grenzen des politischen Mandates der Kirche hinaus im Eintreten für jeden Menschen, der Hilfe bedarf«.
Der allen Synodalen schriftlich vorgelegte 65-seitige Tätigkeitsbereicht der Kirchenleitung der VELK in der DDR war als Rückblick auf die historische Entwicklung der VELK gestaltet.
Entsprechend der Tagesordnung wurden drei Kurzreferate gehalten (»Laie-Amt-Gemeinde«/Referent: Diplomvolkswirtin Bähr/Radebeul, »Lutherische Akzente im Verständnis vom Wesen und Auftrag der Kirche«/Referent: Prof. Dr. Kühn/Leipzig, »Glaubensfreiheit und Glaubensgehorsam – Hören und Gehorchen«/Referent: Pfarrer Kandler/Freiberg).
Von den genannten drei Referenten ging nur Pfarrer Kandler in seinen Ausführungen u. a. auf gesellschaftspolitische Probleme ein. Er unterstützte teilweise in seinen Ausführungen die von Bischof Stier zum Verhältnis Staat – Kirche getroffenen Aussagen. Bezogen auf Übersiedlungsersuchende führte Kandler aus, dass sich Gruppen zunehmend unter dem Schutz der Kirche zu artikulieren versuchten und dabei weniger seelsorgerischen Rat, sondern vielmehr kirchliche Dienstleistungen in Form der Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer bereits getroffenen Entscheidung forderten.
Die Kirche könne solchen Menschen und Gruppen Raum geben, die bereit seien, sich »Gottes Wort als Gesetz und Evangelium sagen zu lassen«. Es seien aber nicht jedem »Regimekritiker« in kirchlichen Räumen »Publizitätsmöglichkeiten« zu gewähren.
Kandler sprach Dankbarkeit aus für vielerlei friedensfördernde Maßnahmen in der letzten Zeit, für Erfolge bei Abrüstungsverhandlungen und für den vorzeitigen Abzug von Raketen aus dem Gebiet der DDR sowie für die Einberufung einer internationalen Konferenz über kernwaffenfreie Zonen in Berlin.
Er betonte aber gleichermaßen, die »Militarisierung« der Gesellschaft in der DDR nehme in anderer Form zu; »Ausbürgerungsanträge sind nicht nur durch materielle Ansprüche, die sich wie ein Sog auswirken, bedingt, sondern stellen auch Folgen von Belastungen dar, die sich aus der andauernden marxistischen Beeinflussung ergeben, aus ungleichen Bildungschancen, nach wie vor nicht nur in Einzelfällen, aus der Militarisierung des ganzen Lebens von Kindheit an«.
Diese Ausführungen fanden im Verlauf der Tagung keine Unterstützung.
Die Tagung verabschiedete eine durch den Leiter des Lutherischen Kirchenamtes, Oberkirchenrat Zeddies/Berlin, eingebrachte und begründete Beschlussvorlage zur aktuellen Interpretation des Artikels XVI der Augsburgischen Konfession (CA XVI) von 1530, wonach »Christen … ohne Sünde … rechtmäßig Kriege führen und an ihnen teilnehmen« können.3
Die inhaltlich politisch realistischen Aussagen und Begründungen (u. a. belegt mit Formulierungen wie: »Als Christen wollen wir Schritte wagen, die zu einer Ordnung gerechten Friedens führen. Das schließt verantwortliche Zusammenarbeit mit anderen ein. Wir unterstützen alle, die sich zeichenhaft für eine Welt ohne Waffen einsetzen.«) wurden in der Diskussion im Plenum unterstützt, insbesondere durch Bischof Hempel/Dresden und Kreisoberpfarrer Knoll/Greiz.
Im Beschluss (keine Gegenstimmen, fünf Stimmenthaltungen) wurde formuliert, die Generalsynode sehe sich durch das Moskauer Gipfeltreffen in ihrer Erwartung bestätigt, dass Bemühungen um politische Friedenssicherung erste militärische Abrüstungsmaßnahmen ermöglichten und weitere vorbereiteten.
Dem Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen in Berlin wünsche die Generalsynode Ergebnisse, die zu mehr Vertrauen unter den Völkern beitragen, politische Entspannung fördern und weitere militärische Abrüstungsschritte erleichtern.
Der vorbereitete Beschlussentwurf über die Auflösung der VELK in der DDR wurde durch die Generalsynode mit vier Gegenstimmen bestätigt. Entsprechend dieses Beschlusses beenden die Kirchenleitung und die Generalsynode der VELK in der DDR mit Wirkung vom 31. Dezember 1988 ihre Tätigkeit.
Es wurde festgelegt, dass die drei evangelisch-lutherischen Landeskirchen (Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs) in der Folgezeit eine Koordinierungsgruppe bilden, die die Beziehungen zur VELKD (BRD) aufrechterhält und pflegt sowie Sachfragen behandelt, die sich »aus der besonderen Gemeinschaft mit der VLKD« ergeben.
Mit der durch die Generalsynode erfolgten Auflösung der VELK in der DDR werden erstmalig zwischen der DDR und der BRD bestehende parallele Strukturen kirchlicher Zusammenschlüsse durchbrochen.