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Tagung der V. Synode des BEK in Dessau

12. Oktober 1988
Information Nr. 438/88 über beachtenswerte Aspekte der 4. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR vom 16. bis 20. September 1988 in Dessau

[Faksimile des Deckblatts]

An der Synodaltagung nahmen 59 der 60 gewählten und berufenen Synodalen bzw. deren Stellvertreter teil.1 Von den sechs ökumenischen Gästen wurden Grußworte gehalten, die mehrheitlich theologische Aussagen beinhalteten. Lediglich Bischof Jung/BRD (Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck) verwies auf die besondere Gemeinschaft der Kirchen der BRD und der DDR.2

Die zeitweilige Anwesenheit von 12 in der DDR akkreditierten Korrespondenten westlicher Medien (insgesamt hatten 26 Korrespondenten aus dem nichtsozialistischen Ausland beim MfAA der DDR eine Berichterstattung von der Synode beantragt) sowie von 4 in der DDR akkreditierten Diplomaten (Ständige Vertretung der BRD in der DDR – 2; USA – 1; Großbritannien – 1) widerspiegelte die Erwartungshaltungen der westlichen Seite hinsichtlich eines spektakulären Verlaufs der Synode, insbesondere bezogen auf belastende Aussagen zum Verhältnis Staat – Kirche.

Entgegen der seitens des MfAA der DDR erteilten Auflagen, keine film- und tontechnischen Aufnahmen von der Synodaltagung zu fertigen (Pfarrer Günther, Leiter der Pressestelle legte im Auftrage des Präsidiums der BEK-Synode und des Vorstandes der KKL dagegen Beschwerde beim MfAA ein), tätigte der ZDF-Korrespondent Schmitz mit seinem Aufnahmeteam Filmaufnahmen vom 1. Beratungstag.3

Der Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR an die 4. ordentliche Tagung der V. Synode des BEK enthielt sowohl ausgewogene, von realistischen Positionen geprägte Aussagen besonders zu Fragen der Friedenssicherung und Abrüstung sowie zur Politik des 6. März 19784 als auch den gesamten Komplex der seit März 1988 mit zunehmender Intensität von den evangelischen Kirchen in der DDR propagierten »Konfliktfelder« gegenüber dem Staat.5 Dabei wurden erneut die sogenannten Themenbereiche Wehrdienst, Bildungswesen, Fragen des Umgangs mit dem Bürger, Reiseverkehr und Medienpolitik in den Mittelpunkt gerückt.6

Bei der Behandlung der Thematik »Zum Verhältnis zwischen Kirche und Gruppen« wurde seitens der Kirchenleitung wiederum einer klaren Stellungnahme ausgewichen, setzte sich die Tendenz des Taktierens gegenüber diesen Gruppen fort.

Die bereits im Vorfeld der Synode im Ergebnis der Einflussnahme kirchenleitender Kräfte erfolgte »Entschärfung« von Textpassagen zu gesellschaftspolitischen Themen im Bericht der KKL und die Art und Weise ihrer Darstellung im Bericht ließen jedoch das Bemühen der Kirchenleitung erkennen, das Verhältnis Staat – Kirche nicht zu belasten.

Relativ breiten Raum nahm auf der Synode die Problematik kirchlicher Medienarbeit ein. Der Bericht der KKL würdigte einerseits die »stärkere Beachtung des kirchlichen Lebens in Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR«, verwies jedoch andererseits auf die »Einsprüche und Eingriffe« des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR gegenüber den Redaktionen der Kirchenzeitungen.7 Unter Bezugnahme auf das am 10. August 1988 stattgefundene Gespräch des Beauftragten des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR mit kirchenleitenden Personen wurde die Erwartung ausgesprochen, dass die »kirchliche Presse künftig über alle kirchlichen Veranstaltungen ohne Einschränkungen berichten und alle Vorgänge im Verhältnis von Gesellschaft und Kirche besprechen kann«.8 Offensichtlich beeinflusst durch unmittelbar vor Beginn der Synode erneut erhobene Einsprüche des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates gegenüber beabsichtigten Veröffentlichungen in den Kirchenzeitungen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs verschärften die Landesbischöfe Hempel und Stier die Diskussion zu dieser Thematik. Landesbischof Hempel betonte u. a., diese Einsprüche hätten sein Einfühlungsvermögen in staatliche Entscheidungen überschritten, und er könne dies nicht mehr akzeptieren.

Bei positiver Hervorhebung des Erreichten seit dem 6. März 1978 wurde jedoch im Bericht der KKL, und das fand seine Fortsetzung in der Diskussion, ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Verhältnis Staat – Kirche »nach wie vor zutreffend daran gemessen wird, wie es der einzelne Christ und Bürger in seiner gesellschaftlichen Situation erfährt«.9 Bezogen auf den Umgang des Staates mit seinen Bürgern wurden als »Maßstab des Handelns Verständnis, Toleranz und Rechtssicherheit« genannt. Das gelte – so der Bericht – »besonders in Fällen, in denen persönliche Interessen mit denen des Staates möglicherweise in Widerspruch stehen«. Hier erlebe der betroffene Bürger »noch zu häufig voreilige Administration und uneinsichtige Entscheidungen. Kritik wird nur schwer ertragen und oft und allzu schnell als Ausdruck von Staatsfeindlichkeit gewertet«. An anderer Stelle des Berichtes der KKL wurde kritisch festgestellt, dass »bis zum heutigen Zeitpunkt für den Einsatz junger Christen in Nikaragua keine befriedigende Lösung in Verhandlungen mit den zuständigen staatlichen Stellen gefunden worden ist.« (Die Ablehnung eines auf Vorschlag der evangelischen Kirchen in der DDR geplanten Einsatzes junger Christen an einem kirchlichen Objekt in Nikaragua durch die staatlichen Organe wurde in der Diskussion als ein Negativbeispiel im Staat–Kirche-Verhältnis charakterisiert. Pfarrer Noack wertete die mit »jugendpolitischen Gesichtspunkten« begründete Ablehnung als Ausdruck des »Alleinvertretungsanspruches« der FDJ.)

Die im Bericht enthaltenen Aussagen zur Übersiedlungsproblematik entsprechen im Wesentlichen der bereits im März 1988 durch die KKL formulierten Grundhaltung der Kirchen, sich unter den Gemeindemitgliedern für einen Verbleib in der DDR einzusetzen. Bei der Darstellung von Gründen für die Ausreise bei sogenannten Ausreisewilligen erfolgt jedoch eine stärkere »Schuldzuweisung« gegenüber dem Staat als bei vorausgegangenen kirchlichen Stellungnahmen (»Leben und Zusammenleben unserer Gesellschaft; negative Erfahrungen im Berufsleben, im Arbeitsablauf und im Versorgungsbereich; Umgang mit staatlichen Organen«).

Inhalt und Verlauf der Synode wurden wesentlich beeinflusst durch das abgestimmte Auftreten reaktionärer kirchlicher und auf politisch negativen Positionen stehender Synodalen zum Bericht der KKL und zu vorliegenden Anträgen. Hierbei traten besonders in Erscheinung Bischof Forck/Berlin, Propst Treu/Wittenberg, Superintendent Pilz/Flöha, die Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg, Noack/Wolfen und Springborn/Greifswald, die Pastorinnen Albani/Frauenstein und Höppner/Magdeburg sowie die Synodalen Frenzel/Dresden (Diplommathematiker), Dehne/Magdeburg, Hanke/Berlin und Linke/Pritzwalk (beide Jugenddelegierte).10

In ihren Beiträgen und unterbreiteten Anträgen griffen sie wiederholt die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR bzw. bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche an und erhoben Forderungen, die teilweise erheblich über die dazu im Bericht der KKL enthaltenen Aussagen hinausgingen.

Ihr Auftreten ließ erneut Bestrebungen der evangelischen Kirchen in der DDR erkennen, unter Berufung auf entsprechende Entwicklungen in der UdSSR für eine »Verbesserung des Sozialismus« in der DDR einzutreten.11

Das widerspiegelte sich besonders in nachfolgenden Äußerungen und Forderungen:

  • Es sei schmerzlich, wie »grau sich die 39-jährige DDR bei einer Rückkehr aus der BRD darstellt«.12 Es bedürfe eines »grüneingefärbten pluralistischen Sozialismus anstelle eines grauen Sozialismus« (Pfarrer Schorlemmer).

  • »In unserem Land fehlt es an Wärme und Menschlichkeit«13 (Pfarrer Springborn unter Bezugnahme auf angebliche Ursachen für Übersiedlungsersuchen).

  • Junge Menschen würden »beim Wehrdienst Schaden nehmen«14, und es verstärkten sich Suizidneigungen. Es dürfe nicht sein, dass »in der Armee Menschen kaputt gemacht, zu Alkoholikern werden oder Schlimmeres« (Synodale Dehne).

Mehrere Synodalen sprachen sich gegen die Durchführung von Lagern der Zivilverteidigung aus. Sie zeigten jungen Menschen – betonte z. B. die Jugenddelegierte Linke – die »dunkelsten Seiten des Lebens wie Gehorsam und Drill«. Wiederholt wurden Forderungen nach Einrichtung eines Sozialen Friedensdienstes erhoben.

Besonders beachtenswert sind in diesem Zusammenhang auch einige eingebrachte Anträge an die Synode.15

In einem von Propst Falcke/Erfurt bereits im Vorfeld der Synode initiierten und vom Jugenddelegierten Hanke gestellten Antrag wurde gefordert, die Diskussion über das Dokument der Synode des BEK vom September 1987 »Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung« fortzusetzen, um »im offenen Gespräch über gesellschaftliche Maßnahmen die Grenzen gegenüber Staaten, Menschen oder Ideologien transparent zu machen«. Weiter heißt es in dem Antrag: »Um die Identifikation der Bürger mit dem Staatswesen zu fördern, sei es weiterhin notwendig, die Felder gesellschaftlicher Mitverantwortung für alle gleichermaßen zugänglich zu machen.«

Dieser Antrag wurde in der Plenaraussprache durch andere Synodalen befürwortet, so u. a. durch Bischof Forck mit der Begründung, die Jugend werde »im Bildungswesen zu Untertanen erzogen, statt Dialogbereitschaft zu wecken und Schöpfertum zu ermöglichen«. Konsistorialpräsident Stolpe bemerkte, die Synode könnte mit diesem Antrag »Anstöße zur Überwindung der Dialogdefizite in der Gesellschaft geben«.16

Pfarrer Schorlemmer beantragte, seitens der Synode »weitere Impulse für eine militärische und ideologische Abrüstung zu geben«. Er schlug vor, »für eine unverzügliche gleichgewichtige Truppenreduzierung der Armeen auf deutschem Boden sowie für eine Überprüfung der Schulbücher, Lehr- und Ausbildungsprogramme einzutreten, inwieweit darin durch differenzierte und vorurteilsfreie Information überlieferte Feindbilder abgebaut, Verständnis, Toleranz und Dialogfähigkeit gefördert und gewaltfreie Konfliktbearbeitung eingeübt werden«. Pfarrer Springborn bekräftigte die Forderung nach Truppenreduzierungen in beiden deutschen Staaten, verwies jedoch darauf, dass dies in der DDR begleitet werden müsste durch Gespräche über die Kampfgruppen und die GST.

Superintendent Pilz stellte den Antrag, die Synode möge sich der Aktion »1 Mark für Espenhain« als Zeichen der Solidarität mit den dort lebenden Menschen anschließen. (Es handelt sich dabei um eine von dem »Ökologischen Arbeitskreis« der Dresdner Kirchenbezirke im Juni 1988 initiierte Aktion mit dem Ziel, öffentlich und DDR-weit auf die Umweltbelastungen in diesem Territorium aufmerksam zu machen.)

Obwohl die anwesenden politisch realistischen Kräfte, darunter die Synodalen Prof. Kiesow/Rostock, Prof. Hertzsch/Jena, Bischof Demke/Magdeburg, Kirchenpräsident Natho/Dessau und Oberkirchenrat Ziegler/Berlin derartige Angriffe und Forderungen in differenzierter Form zurückwiesen, gelang es ihnen nicht, ihren Einfluss auf Inhalt und Verlauf der Synode bis hin zur Abfassung der Abschlussdokumente voll geltend zu machen. Wesentliche Ursache hierfür war das Fehlen eines einheitlichen, abgestimmten Auftretens und Handelns der realistischen und loyalen Kräfte.

Alle vorgelegten Anträge wurden nach erfolgter Diskussion in die Synodalausschüsse zur Weiterbehandlung verwiesen.

Das Hauptthema der Synodaltagung »Als Gemeinde leben« wurde im Rahmen einer öffentlichen Plenartagung sowie in geschlossenen Gruppen- und Werkstattgesprächen erörtert. Zur Debatte standen insbesondere die Situation in den Kirchengemeinden und die kirchliche Jugendarbeit. Hierbei gelang es den realistischen Kräften, durch zielgerichtete Beeinflussung und Ausrichtung der behandelten Themen auf ausschließlich innerkirchliche Inhalte (besonders Prof. Hertzsch) den theologischen Charakter zu wahren.

Kennzeichnend für den Gesamtverlauf und die Ergebnisse der Synode des BEK sowie für das derzeitige Kräfteverhältnis in diesem kirchenleitenden Gremium ist der »Beschluss der Synode des BEK zu Fragen des innergesellschaftlichen Dialogs«. (Wortlaut siehe Anlage)

Obwohl die darin enthaltenen gesellschaftspolitischen Aussagen und formulierten »Ansprüche« durch die persönliche Einflussnahme Bischof Leichs und anderer kirchenleitender Personen im Gegensatz zur Diskussion im Plenum relativ sachlich dargestellt werden, enthalten sie weitgehend alle nach Auffassung der evangelischen Kirchen in der DDR gegenwärtig angeblich vorhandenen »Defizite« in der sozialistischen Gesellschaft, verbunden mit den sich daraus aus der Sicht der Kirche ergebenden »Ansprüchen« gegenüber dem Staat. Das betrifft insbesondere Probleme des Wehrdienstes, der kommunistischen Erziehung der Jugend, das Recht des Einzelnen auf Mitsprache- und Entscheidungsrecht in der Gesellschaft, das Recht auf Reisen für alle Bürger, die uneingeschränkte Tätigkeit der kirchlichen Presse und die ungehinderte Beteiligung Jugendlicher an ökumenischer Zusammenarbeit der Kirchen.

Der Beschluss enthält die Aufforderung an alle Kirchengemeinden, diese Inhalte an der kirchlichen Basis weiter zu diskutieren und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugängig zu machen.17

Insgesamt ist festzustellen, dass die evangelischen Kirchen in der DDR mit den Beschlüssen und Empfehlungen der Tagungen der KKL und mit den Ergebnissen der 4. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR über ein Konzept verfügen, welches langfristig darauf abzielt, politische Einflussnahme und Einwirkungsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erlangen, die vom Staat akzeptiert werden sollen.18

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!

Mielke [Unterschrift]

Anlage zur Information Nr. 438/88

[Kopie]

4. Tagung der V. Synode des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR – 16.–20. September 1988 in Dessau

Beschluss der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zu Fragen des innergesellschaftlichen Dialogs

Die Synode hat sich mit dem im Bericht der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen und den während der Tagung beschriebenen Vorgängen zwischen Staat und Kirche und ihren Wirkungen auf das Leben in Kirche und Gesellschaft befasst. Mit der Konferenz der Kirchenleitungen unterstreicht sie: Es gibt keine verantwortbare Alternative zu dem Weg, den Staat und Kirche seit dem 6. März 1978 begonnen und den sie am 3. März 1988 bekräftigt haben, im Gespräch konkrete Lösungen für die Probleme zu suchen, die das Leben der Menschen in unserer Gesellschaft betreffen.

Die Synode ist überzeugt, dass die künftige Entwicklung in unserem Land von Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft in Kirche und Gesellschaft wesentlich abhängt: Wir müssen miteinander reden lernen, damit wir miteinander leben können. Die persönliche und öffentliche Auseinandersetzung über den künftigen Weg unserer Gesellschaft, aber auch unserer Kirche, darf keinen Lebensbereich ausklammern.

  • 1.

    Die Synode hält Gespräche über Bildungswesen, Wehrdienst und den Umgang staatlicher Stellen mit dem Bürger für nicht mehr aufschiebbar. Es müssen Lösungen in Sicht kommen, die dem einzelnen Bürger weiterhelfen. Die Synode bekräftigt die Feststellung des Vorsitzenden der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen vor der Synode, »dass angesichts der Herausforderung einer Überlebensgemeinschaft der ganzen Welt und angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen der einzelne Mensch mit der freien Entfaltung seiner Gaben und Möglichkeiten gebraucht wird«.

    Ohne den Einsatz des Einzelnen mit allen seinen Gaben und Möglichkeiten wird es morgen keine bewohnbare Welt mehr geben und werden heute vertretbare wirtschaftliche Entwicklungen nicht zustande kommen. Nur wenn der Einzelne seine persönliche Verantwortung und Initiative weit entfalten kann, wird er mit seinem ganzen Leben an den gesellschaftlichen Prozessen teilhaben und für sie Verantwortung übernehmen. Mündige Bürger müssen mit der Vielfalt ihrer Erfahrungen in Kirche und Gesellschaft mitbestimmen können. »Kritik darf nicht von vornherein als Gegnerschaft, sondern sollte im Gegenteil in ihrem konstruktiven Anliegen gesehen und ernst genommen werden.«

    Wenn Jugendliche sich immer wieder als Objekt von Anweisungen, Richtlinien und Direktiven erleben, können sie nur schwer in gesellschaftliche Verantwortung hineinwachsen und sich nicht als Partner angenommen fühlen. Schon im Kindes- und Jugendalter wie in allen Bereichen der Ausbildung ist der Dialog einzuüben. Das gilt auch für die kirchliche Ausbildung.

  • 2.

    Wir schulden den Dialog auch den Menschen, die einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gestellt haben. Wenn Menschen offen aussprechen können, was sie belastet, ohne negative Folgen befürchten zu müssen, gewinnen sie Hoffnung. Wenn andere ihre Last mittragen, wird tragbar, was sonst unerträglich scheint. Wer in unserem Land keine Zukunft mehr zu finden glaubt, braucht Partner, die ihn anhören und die ihrerseits aussprechen, welche Gründe sie dazu bewegen, hier zu bleiben und zu leben.

    Die Synode erinnert an Aussagen, die von der Konferenz der Kirchenleitungen im März 1988 zur Ausbürgerungsproblematik gemacht wurden. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben braucht die Gemeinde Jesu jedes ihrer Glieder. Unsere Gesellschaft braucht gerade die Einsichten kritisch fragender Menschen, ihre Gaben und Fähigkeiten, damit Verhältnisse entstehen, in denen niemand mehr Ausbürgerungsanträge stellen will. Die Kirche bittet darum, im Lande zu bleiben.

  • 3.

    Mit Sorge hat die Synode die Probleme für die Kirchenzeitungen zur Kenntnis genommen, die in den letzten Monaten entstanden sind. Die Mitteilung im Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen und zu Anfragen aus der Synode, wonach sich hierfür Lösungsmöglichkeiten abzeichnen, wurde durch die Tatsache infrage gestellt, dass die Wochenzeitung »Der Sonntag« während der Synodaltagung nicht erscheinen konnte, ohne dass sich dafür ein einsehbarer Grund finden lässt.

    Die Synode beauftragt die Konferenz der Kirchenleitungen, den aufgenommenen Dialog zur Lösung dieser Probleme beschleunigt fortzuführen. Die kirchliche Presse muss künftig wieder über alle kirchlichen Veranstaltungen ohne Einschränkungen berichten und alle Vorgänge im Verhältnis von Gesellschaft und Kirche besprechen können, um den Gemeindemitgliedern zu eigener Urteilsbildung zu helfen.

  • 4.

    Reisemöglichkeiten sind eine wichtige Voraussetzung für den Dialog zwischen Menschen verschiedener Staaten. Die Synode hält es für an der Zeit, dass alle Bürger unseres Landes reisen können, unabhängig von bestehenden Verwandtschaftsverhältnissen, und auch die Kinder von Reisemöglichkeiten nicht ausgeschlossen bleiben.

    Die Beteiligung Jugendlicher an ökumenischer Zusammenarbeit der Kirchen über Grenzen hinweg kann nicht länger als Ausnahmefall gelten. Sie ist unaufgebbarer Bestandteil der kirchlichen Arbeit und wird von unseren ökumenischen Partnern erwartet. Deshalb bringt die Synode ihr Unverständnis zum Ausdruck, dass der Einsatz junger Christen in Nicaragua durch den Einspruch der FDJ und die negative Entscheidung der Regierung der DDR bisher nicht zustande kam, obwohl das Projekt einer Bitte des ökumenischen Partners entsprach und mit ihm und staatlichen Stellen in der DDR bis in die Einzelheiten hinein abgesprochen war. Diese Entscheidung bedeutet, dass die Stellung unseres Landes zu Kirche und Religion in Nicaragua als problematisch erscheinen muss und dass der Eindruck entsteht, dass die Möglichkeit von Christen, ihre Solidarität zu bezeugen, in unserem Land eingeschränkt ist.

    So werden praktisch Argumente für eine Propaganda des Antikommunismus geliefert. Dabei darf es nicht bleiben. Die Synode bittet die Konferenz, weiter um eine positive Lösung dieser Frage bemüht zu sein.

  • 5.

    Der Synode lagen Anfragen zur Situation in Rumänien und nach Hilfsmöglichkeiten vor. Unsere Kirche will sich dieser Hilfe nicht versagen.

    Auch wenn die unmittelbare praktische Hilfeleistung auf Schwierigkeiten stößt, stehen wir in der Fürbitte für Bedrängte ein und suchen weiter nach Wegen wirksamer ökumenischer Hilfe.

  • 6.

    Mit der Fürbitte treten wir in den Dialog ein, den Gott selbst mit uns aufgenommen hat. Er hat uns zu Partnern gemacht, denen er Gesprächsfähigkeit gab und von denen er Gesprächsbereitschaft erwartet. Deshalb müssen wir dunkle Epochen unserer Geschichte nicht mit Schweigen übergehen, sondern können sie zur Sprache bringen.

    Die Synode nimmt dankbar auf, was der Rat der Ev. Kirche in Deutschland und die Konferenz der Ev. Kirchenleitungen in der DDR gemeinsam zur 50. Wiederkehr des Tages der Reichspogromnacht ausgesprochen haben: »50 Jahre nach dem Tag der Zerstörung der Synagogen bitten wir Gott, dass Juden und Christen unter seiner Güte ihren Weg in die Zukunft gemeinsam gehen können. Er erfülle an uns allen – Juden und Christen – seine Verheißung.«19

    Die Synode ist ebenso dankbar für das gemeinsame Wort anlässlich des Millenniums der Taufe Russlands. Sie sieht darin die Erfahrung bestätigt: »Vertrauen in Gottes Vergebung schenkt Kraft zur wahrhaftigen Erinnerung, zur Umkehr, zum neuen Anfang. Die Kraft der Vergebung verändert das Leben, auch das Miteinander der Generationen in geschichtlicher Verantwortung.«

  • 7.

    Eingaben an die Synode machen deutlich, dass Jugendliche, denen die Generation der Eltern und Großeltern ihre Erfahrung mit faschistischer Gewalt verschwiegen, einer neuen Verführung zur Gewalt unvorbereitet gegenüberstehen.

    Wo Gesprächsbereitschaft fehlt, muss damit gerechnet werden, dass uns trotz des Bruches mit einer rassistischen Vergangenheit auch Ausländerfeindlichkeit wieder begegnet. Als Glieder der ökumenischen Familie bemühen sich Christen um Begegnungen und Gespräche mit Menschen aus anderen Ländern, die bei uns leben, arbeiten und lernen.

  • 8.

    Die Synode bittet die Konferenz der Ev. Kirchenleitungen, mit dem Ausschuss für Kirche und Gesellschaft, der Theologischen Kommission und der Theologischen Studienabteilung das Problem des innergesellschaftlichen Dialogs zu bedenken, dabei gewonnene Einsichten und erarbeitetes Material an die Gemeinden weiterzugeben und der Synode 1989 Bericht zu erstatten.

    Die Synode bittet Kirchen und Gemeinden, selbst das Gespräch in allen Lebensbereichen von Gesellschaft und Kirche zu suchen und zu führen. »Als Gemeinde leben« heißt auch, die bedrängenden Fragen in Kirche und Gesellschaft aufzunehmen und vor Gott gemeinsam nach Antworten zu suchen.

Dessau, den 20. September 1988

Der Präses der Synode des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR

Dr. Gaebler 

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    12. Oktober 1988
    Information Nr. 442/88 über die 4. Europäische Ökumenische Begegnung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) mit dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)

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    11. Oktober 1988
    Information Nr. 444/88 über eine Zusammenrottung von Personen vor dem Gebäude des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Neue Grünstraße, Stadtbezirk Berlin-Mitte