Treffen von DDR-Oppositionellen mit BRD-Politikern in Berlin
1. Juli 1988
Information Nr. 322/88 über Zusammenkünfte von Teilnehmern des Internationalen Treffens für atomwaffenfreie Zonen während ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt der DDR, Berlin, mit Kräften des politischen Untergrundes in der DDR und Amtsträgern der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen nutzten am Internationalen Treffen für atomwaffenfreie Zonen teilnehmende Mitglieder der Partei Die Grünen in der BRD und der Alternativen Liste Westberlin, der der Gruppe »Generale für Frieden und Abrüstung« angehörende Gerd Bastian sowie Kanonikus Paul Oestreicher/Großbritannien (Vertreter der Konferenz Europäischer Kirchen/CEC), Prof. Dietrich Goldschmidt/BRD (Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste) und Pfarrer Johannes Vogtländer/BRD (Deutsche Friedensunion) die im Zeitraum dieses Treffens vorhandenen Möglichkeiten für Zusammenkünfte mit Kräften des politischen Untergrundes in der DDR und Amtsträgern der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.
Aktivitäten mit hoher Intensität entwickelten Petra Kelly und Gerd Bastian, die sich täglich mit dem MfS namentlich bekannten feindlich-negativen Kräften in Privatwohnungen trafen. Insgesamt wurden festgestellt:
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vier Zusammenkünfte von Kelly/Bastian im Zeitraum vom 19. bis 22. Juni 1988 – ca. 13 Stunden – mit jeweils einem begrenzten Kreis exponierter Kräfte des politischen Untergrundes. In einem Fall waren gleichfalls kurzzeitig anwesend die Mitglieder der GRÜNEN Henning Schierholz und Christine Bernbacher sowie Prof. Goldschmidt.
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Die Teilnahme von Kanonikus Oestreicher am 22. Juni 1988 an der Zusammenkunft eines kleinen Kreises exponierter Kräfte des politischen Untergrundes in einer Privatwohnung und seine Anwesenheit während einer Sitzung des Präsidiums des Evangelischen Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, bei der vorwiegend Probleme des Verhaltens der Kirche zu sogenannten oppositionellen Kräften in der DDR und zur Wiedereinreise solcher Personen sowie Bohley und Fischer beraten wurden.
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Eine über vier Stunden währende Zusammenkunft am 21. Juni 1988 in der »Umweltbibliothek« der Zionskirchgemeinde1 von ca. 20 hinlänglich bekannten feindlich-negativen DDR-Bürgern mit mehreren Teilnehmern des Berliner Treffens, von denen Karitas Hensel und Jürgen Maier/beide Die GRÜNEN, Gabriele Vonnekold/Alternative Liste Westberlin und Johannes Vogtländer bisher namentlich identifiziert werden konnten.
Die Absicht besonders von Kelly und Bastian, ihre als Teilnehmer des Berliner Treffens nach gewisser Zeit erstmals wieder gestattete Einreise in die DDR zu missbrauchen, um bestehende Kontakte und Verbindungen mit oppositionellen Kräften in der DDR zu erneuern und auszubauen, ihnen moralische und materielle Unterstützung zu gewähren sowie Möglichkeiten des subversiven politischen Zusammenwirkens zu beraten und festzulegen, wurden bereits im Vorfeld des Berliner Treffens sichtbar. So liegen streng interne Informationen darüber vor, dass sie die in Westberlin aufhältigen und dort gewissermaßen als Schaltstellen zu Kräften politischer Untergrundtätigkeit in der DDR fungierenden ehemaligen DDR-Bürger Jahn und Hirsch bereits in Vorbereitung ihres DDR-Aufenthaltes gezielt als Konsultationspartner nutzten.2 In Kenntnis der Tatsache, dass dem Hirsch die Einreise in die DDR nicht gestattet ist, versuchten Bastian und Kelly ihm im Zeitraum des Berliner Treffens diese demonstrativ mit ihrem Pkw zu ermöglichen. Darüber hinaus übergaben Kelly/Bastian an ihre Kontaktpartner in der DDR umfangreiche, von Jahn zusammengestellte und durch sie eingeschleuste Materialien grün-ökologischen Inhalts sowie Presseerzeugnisse der BRD und Westberlins. Dem MfS liegen ferner streng intern Hinweise darüber vor, dass den Kräften der »Umweltbibliothek« im Zusammenhang mit der Zusammenkunft am 21. Juni 1988 illegal in die DDR eingeführte Vervielfältigungstechnik (Wachsmatrizen-Vervielfältigungsgerät, Computer) einschließlich notwendiger Vervielfältigungsmittel sowie ebenfalls westliche Presseerzeugnisse übergeben worden sind.
Über die Inhalte der Zusammenkünfte zwischen den genannten Teilnehmern des Berliner Treffens und DDR-Bürgern wurde streng intern bekannt:
Insbesondere die Kelly offenbarte wiederholt und nachdrücklich ihre verfestigte antikommunistische Haltung und unternahm alles, das Internationale Treffen für atomwaffenfreie Zonen als »relativ belanglos« abzuwerten und dessen Initiatoren zu diffamieren, indem sie behauptete, das Treffen sei eine Propagandaveranstaltung der Partei- und Staatsführung der DDR. In diesem Zusammenhang spielte sie angebliche Behinderungen der GRÜNEN hinsichtlich deren aktiven Mitgestaltung am Treffen in den Vordergrund.
Die Kelly entwickelte Aktivitäten, um Hinweise zu angeblichen Menschenrechtsverletzungen in der DDR zu erhalten (Inhaftierungen, Reisesperrmaßnahmen und dgl.).
Im Gegensatz zur Kelly vertraten die Mitglieder der GRÜNEN bzw. der AL/Westberlin Bernbacher und Vonnekold realistische Positionen; auch in Erwiderung zu herabwürdigenden Äußerungen der Kelly bzw. feindlich-negativer DDR-Bürger.
Beraten wurde u. a. über Aktivitäten im Zusammenhang mit dem vorgesehenen »Energiepolitischen Symposium« der GRÜNEN mit der DDR (dazu stehe – nach Hinweis der GRÜNEN – derzeit eine angemessene Resonanz seitens der DDR noch aus) sowie einem von Kräften politischer Untergrundtätigkeit geplanten »Anti-IWF (Internationaler Währungsfond) -Seminar« im September 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin.
Im Verlaufe der Zusammenkünfte wurden weitere Treffen vereinbart. So beabsichtigt die Kelly am 3. und 4. Juli 1988 erneut in die Hauptstadt der DDR, Berlin, einzureisen. Sie erklärte sich bereit, zu diesem Zeitpunkt »wichtige Dinge« ihrer DDR-Kontaktpartner »in den Westen« zu verbringen.
Einen breiten Raum während aller genannten Zusammenkünfte nahm das Problem der Wiedereinreise nach den Ereignissen vom 17. Januar 1988 sich mit Genehmigung zeitweilig im westlichen Ausland aufhaltender Exponenten politischer Untergrundtätigkeit in der DDR ein, insbesondere die für den Zeitraum Anfang August 1988 vorgesehene Einreise von Bärbel Bohley und Werner Fischer.3
In diesem Zusammenhang konnten zum taktischen Verhalten dieser Personen, bestimmter politischer Kräfte im westlichen Ausland und zu Kräften politischer Untergrundtätigkeit in der DDR folgende Hinweise zusammenfassend herausgearbeitet werden:
Alle Kontaktbemühungen der nach den Ereignissen des 17. Januar 1988 aus der DDR ausgereisten Personen zu einflussreichen Vertretern von Parteien, staatlichen Einrichtungen und Institutionen im westlichen Ausland waren und sind auf die Sicherung ihrer Wiedereinreise – und als Präzedenzfall insbesondere auf die von Bohley/Fischer – ausgerichtet. Dabei wird vor allem das Ziel verfolgt – und das fand Bestätigung während des Berliner Treffens –, den Dialog politischer Kräfte des westlichen Auslandes mit der DDR dafür gezielt auszunutzen.
Besonders aktiv als Interessenvertreter von Bohley/Fischer tritt Kanonikus Oestreicher, Vizepräsident der Kampagne für Nukleare Abrüstung (CND), in Erscheinung. Er hatte sich im Februar 1988 für ihren Aufenthalt in Großbritannien verwendet und ist seitdem ihr Betreuer.
Im Wissen darum, dass die Bohley und Fischer nach wie vor politisch in der Öffentlichkeit agieren wollen und auch nach Rückkehr in die DDR »weiterhin in ihrer politischen Tätigkeit« zu verbleiben beabsichtigen, sehe er hinsichtlich ihrer Rückkehr in die DDR keine Probleme. Ihre derzeitige bewusste politische Zurückhaltung entspräche diesem Ziel. Oestreicher entwickelte eine Reihe unterstützender Aktivitäten, indem er z. B. die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg dringend um eine »Willenserklärung« für eine komplikationslose Rückkehr von Bohley/Fischer ersuchte. Während der Zusammenkunft am 22. Juni 1988 mit exponierten Kräften des politischen Untergrundes wirkte er auf diese ein, als »Freunde von Bohley/Fischer vor der Einreise keinerlei Aktivitäten zu entwickeln, die die Rückkehr gefährden könnten«. (Nach vorliegenden Hinweisen akzeptierten die Kräfte politischer Untergrundtätigkeit diese Vorschläge von Oestreicher sowie auch analoge Vorstellungen von den GRÜNEN und aus den eigenen Reihen mit der Begründung, ein spektakulärer Empfang von Bohley/Fischer würde die spätere Wiedereinreise weiterer zeitweilig im westlichen Ausland aufenthältiger Freunde gefährden und läge angeblich auch nicht im Interesse von Bohley/Fischer.)
Nach vorliegenden internen Hinweisen haben sich Oestreicher und Kelly/Bastian während des Berliner Treffens über eine Reihe die sogenannte DDR-Opposition betreffende Fragen verständigt. So u. a. über die Wiedereinreise von Bohley/Fischer in die DDR, über die ablehnende Haltung der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zur Fortsetzung von Gesprächen mit Mitgliedern der hinlänglich bekannten feindlich-negativen Gruppierung »Initiative Frieden und Menschenrechte«4 und zur vorgesehenen Reise von Rechtsanwalt Schnur und Propst Furian nach Großbritannien zu einem Treffen mit Bohley/Fischer in Vorbereitung deren Rückkehr in die DDR.
Die am Berliner Treffen teilnehmenden Repräsentanten der GRÜNEN vertraten einheitlich den Standpunkt, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Wiedereinreise von Bohley/Fischer zu unterstützen. In dieser Richtung lagen alle Äußerungen gegenüber den Kräften politischer Untergrundtätigkeit. Nach intern vorliegenden Hinweisen hat Schierholz in einem Gespräch mit Präses Becker (Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg) die Bitte ausgesprochen, dass sich die Kirche für eine Rückkehr einsetzen solle, da er aufgrund seines engen Kontaktes zu der Bohley davon ausgehe, dass diese unbedingt zurückkehren wolle. Allerdings sehe er gewisse Probleme, da die Rückkehr von Bohley/Fischer bedeuten würde, dass die Regierung der DDR bzw. die SED-Führung eine Opposition in der DDR anerkenne.
(Nach streng intern vorliegenden Hinweisen machten Verlauf und Ergebnis der Sitzung des Präsidiums des Evangelischen Konsistoriums am 20. Juni 1988 deutlich, dass – so auch eine Äußerung von Bischof Forck – die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg es als »Selbstverständlichkeit« ansieht, die Rückkehr von Bohley und anderen nicht in Zweifel zu ziehen. Allerdings wolle man eigene Aktivitäten so kanalisieren und arrangieren, dass es dabei zu keinen spektakulären Vorkommnissen kommt.
Aus dieser Haltung heraus und auch zurückzuführen auf das konsequente Auftreten realistischer Amtsträger, die Forderungen nach Beendigung »kirchenpolitischer Verstrickungen gegenüber Personen, die nicht zur Kirche gehören« erhoben, resultierten u. a. Festlegungen wie zur Nichtfortsetzung von Gesprächen mit Kräften der feindlich-negativen Gruppierung »Initiative Frieden und Menschenrechte« sowie zur beabsichtigten Reise von Schnur und Furian nach Großbritannien.)
Ausgehend von den in der Information dargestellten Aktivitäten von Kelly und Bastian wird vorgeschlagen, die gegen beide Personen bestehenden Reisesperrmaßnahmen, die im Zeitraum des Berliner Treffens zeitweilig ausgesetzt waren, weiter durchzuführen.
In Abhängigkeit vom politisch realistischen Auftreten und Verhalten weiterer Kräfte der GRÜNEN sollte differenziert entschieden werden.
Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!