Veranstaltung in der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain
7. März 1988
Information Nr. 120/88 über eine kirchliche Veranstaltung am 5. März 1988 in der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain
Am 5. März 1988 fand in der Zeit von 19.35 Uhr bis 20.55 Uhr in der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain (Kirche des hinlänglich bekannten Pfarrers Eppelmann) die in der Ankündigung als Gottesdienst mit Konzert des »Hugo-Distler-Chores« deklarierte kirchliche Veranstaltung mit ca. 600 Teilnehmern statt.
Auf der Empore hatten 26 Mitglieder des »Hugo-Distler-Chores« aus Westberlin, die als Touristen in die Hauptstadt der DDR eingereist waren, Platz genommen.
(Wie mit der Information vom 2. März 1988 Nr. 114/88 bereits mitgeteilt wurde, war der Auftritt dieses Chores im Rahmen der Veranstaltung durch die zuständigen staatlichen Organe abgelehnt worden, da die Veranstalter dieses Vorhaben unter bewusster Umgehung geltender Rechtsvorschriften der DDR durchführen wollten. Diese Entscheidung sollte kirchlicherseits dem Leiter des »Hugo-Distler-Chores« in geeigneter Form übermittelt werden. Außerdem wurden zeitweilige Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise der Mitglieder des »Hugo-Distler-Chores« – soweit sie als solche erkennbar sind – eingeleitet, in deren Ergebnis der Leiter des Chores erkannt und zurückgewiesen wurde.)
Zu weiter erkannten Teilnehmern gehörten
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als kirchenleitende Personen bzw. kirchliche Amtsträger Präses Becker, Superintendentin Laudien1 und Pfarrer Eppelmann,
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Fünf Personen aus Westberlin, die der »Zufluchtsgemeinde« Spandau (sogenannte Patengemeinde der evangelischen Samaritergemeinde) angehören,
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das Mitglied des Westberliner Abgeordnetenhauses und Senator für Gesundheit und Soziales, Ulf Fink (CDU).
Außerdem hielten sich – geringfügig zeitversetzt – die Korrespondenten Hauptmann/ARD-Hörfunk und Kern/Saarbrücker Zeitung in der Kirche auf. Journalistische Aktivitäten wurden nicht bekannt.
Superintendentin Laudien verband die Eröffnung der Veranstaltung mit der Mitteilung, dass der geplante Auftritt des »Hugo-Distler-Chores« aus »unverständlichen« Gründen staatlicherseits nicht genehmigt wurde und der Begrüßung der eingereisten Mitglieder des Chores.
Es folgten ein Bibeltext religiösen Charakters (vorgetragen von Eppelmann), der Auftritt von 14 Mitgliedern des Domchores der Hauptstadt (Lieder von Bach), der Auftritt Eppelmanns (von der Kanzel aus).
Nach einem Dank an den Domchor und an den »Hugo-Distler-Chor«, bezeichnet als den »eigentlichen Verursacher der Zusammenkunft«, der Erwähnung des Verwendungszwecks der Kollekte (für die Domkantorei auf der Insel Rügen und für die Samaritergemeinde) sowie dem Hinweis auf eine am 2. April 1988 in der Galiläagemeinde in Berlin-Friedrichshain stattfindende Veranstaltung unter dem Titel »Lukaspassion«, ist für den Auftritt Eppelmanns Folgendes kennzeichnend:
Er sprach ein Gebet aus der Bibel »Herr lass uns den Tod verstehen«. Dem Gebet fügte er u. a. hinzu: »Die mutigen und die für Frieden und Freiheit eintretenden Menschen werden zum Schweigen gebracht (und nach kurzer Pause) in aller Welt. Kinder haben kein Vorbild; Kinder sterben durch Hunger und Elend oder werden getötet.«
Weiter veranlasste er die anwesenden Mitglieder des »Hugo-Distler-Chores«, sich von ihren Plätzen zu erheben, womit er den Beifall der Veranstaltungsteilnehmer herausforderte. Zu diesem Zeitpunkt – vermutlich abgesprochen – regte ein Mitglied des Domchores den gemeinsamen Gesang des Volksliedes »Der Mond ist aufgegangen« an, dessen erste Strophe von den Mitgliedern des Westberliner »Hugo-Distler-Chores« allein gesungen wurde.
Maßnahmen für die Auswertung durch zuständige staatliche Organe mit kirchenleitenden Personen/kirchlichen Amtsträgern sind eingeleitet.
Nach Veranstaltungsende begaben sich ca. 100 Personen in das Gemeindehaus (Samariterstraße 27). Darüber sind noch keine näheren Einzelheiten bekannt.
Pfarrer Eppelmann und der Westberliner Senator Ulf Fink hatten die Kirche kurze Zeit nach Beendigung der Veranstaltung verlassen und hielten sich noch gemeinsam im Restaurant »Budapest« auf.
In diesem Zusammenhang wird weiter darauf hingewiesen, dass Pfarrer Eppelmann einen Antrag auf Genehmigung einer Reise in dringenden Familienangelegenheiten für die Zeit vom 14. März bis 17. März 1988 zum Besuch seiner Schwester in Westberlin anlässlich ihres 44. Geburtstages gestellt hat, was – entsprechend den Rechtsvorschriften – kein Grund für die Genehmigung der Reise ist.
(Pfarrer Eppelmann hielt sich letztmalig vom 10. September bis 15. September 1987 zu einem genehmigten Besuch seiner Mutter in der BRD anlässlich deren 68. Geburtstages auf. Diese Reise – im Zeitraum des offiziellen Besuches des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, in der BRD – nutzte Eppelmann bekanntlich zu Gesprächen und Zusammentreffen u. a. mit Bundestagspräsident Jenninger, den außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Kohl, Teltschik, den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Vogel und politischen Führungskräften der SPD.)
Hinsichtlich des Reagierens auf seinen Antrag wird vorgeschlagen, in Erwägung zu ziehen,
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Eppelmann entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften die Reise nicht zu gestatten,
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ihm die Reise nur für einen Tag (17. März – Geburtstag der Schwester) zu gestatten und damit einen größeren Missbrauch weitgehend vorzubeugen.
Es wird um Entscheidung gebeten.