Vermehrte Magen- und Darmerkrankungen im Bezirk Neubrandenburg
25. Juli 1988
Hinweis zum gehäuften Auftreten von akuten Magen- und Darmerkrankungen durch Salmonellen im Bezirk Neubrandenburg [Bericht K 1/191]
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen ist seit Anfang Juli 1988 in mehreren Kreisen des Bezirkes Neubrandenburg eine ständig ansteigende Zahl von Erkrankungsfällen bei Bürgern festgestellt worden, hervorgerufen durch Salmonellen in Lebensmitteln. Bis zum 20. Juli 1988 sind 410 Fälle registriert worden mit Schwerpunkt im Kreis Anklam (264 Erkrankungen) sowie im Kreis Neubrandenburg/Stadt (75 Erkrankungen). Es sind alle Altersgruppen der Bevölkerung, außer Säuglinge, betroffen.
Durch sofort eingeleitete antiepidemische Maßnahmen konnte ein Abklingen des Erkrankungsgeschehens erreicht werden. Die medizinische Betreuung der erkrankten Personen ist gewährleistet.
Die Ursachen des Krankheitsgeschehens werden durch eine Expertengruppe unter Leitung der Inspektion des Ministerrates mit Vertretern der Hauptabteilung Hygiene des Ministeriums für Gesundheitswesen sowie der Hauptabteilung Veterinärwesen des Ministeriums für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (MLFN) vor Ort untersucht.
Folgende Ursachen des Krankheitsgeschehens wurden bisher ermittelt:
Infizierung von Fleischwaren aus dem VEB Fleischverarbeitungsbetrieb Anklam
Durch stundenweisen Ausfall der Kühlanlagen des Betriebes in den Nächten vom 1. zum 2. Juli und vom 3. zum 4. Juli 1988 verdarben teilweise ca. 250 bis 300 kg zerlegtes Schweinefleisch (Grobsortiment). Trotzdem wurde aus diesem Sortiment am 4. Juli 1988 Fleisch an die Verkaufsstellen ausgeliefert.
Durch die zuständigen Organe wird derzeitig über die strafrechtliche Verfolgung bzw. die Einleitung eines Ordnungsstrafverfahrens gegen den betreffenden Betriebsteilleiter und gegebenenfalls gegen weitere Personen entschieden.
Neben dem festgestellten subjektiven Fehlverhalten, vor allem durch den Betriebsteilleiter, existieren im vorgenannten Betrieb sehr komplizierte objektive Bedingungen, so zum Beispiel permanent überlastete Kühlanlagen, deren Kapazität ständig überfordert ist.
Infizierung von cremehaltigen Backwaren aus dem VEB Brot- und Konditoreiwaren Anklam mit Salmonellen
In untersuchten Backwaren aus diesem Betrieb wurden Salmonellaenteridis-Erreger nachgewiesen und als primäre Infektionsquelle die verwendeten Hühnereier festgestellt.
Der Betrieb verfügt nur über unzureichende Kühlmöglichkeiten, sodass fertiggestellte Konditoreiwaren in der warmen Jahreszeit zum Teil bis zu 24 Stunden ohne Kühlung im Versand bzw. Transport verbleiben und somit die Vermehrung von Krankheitserregern begünstigt wird.
Durch die Leiterin der Kreishygieneinspektion Anklam wurde mit sofortiger Wirkung die Herstellung von Eclair untersagt. Dieses Herstellungsverbot wurde durch den Kombinatsdirektor auf sämtliche eihaltige Cremes für den gesamten Bezirk erweitert.
(In Auswertung der Untersuchungen wurden weitere zweckentsprechende Maßnahmen durch zentrale Organe vorgeschlagen.)
(Der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Genosse Krolikowski, und das Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, Genosse Werner Felfe, wurden gleichfalls über den Sachstand informiert.)