Vollversammlung des Arbeitskreises Solidarische Kirche
2. November 1988
Information Nr. 464/88 über die V. Vollversammlung des »Arbeitskreises Solidarische Kirche« (AKSK)
In der Zeit vom 6. bis 8. Oktober 1988 fand in den Räumen des Theologischen Seminars sowie zeitweise im Saal der Landeskirchlichen Gemeinde in Leipzig die V. Vollversammlung des AKSK1 statt. Sie stand unter dem Thema: »Solidarische Kirche, ja bitte – doch ein bisschen konkreter«.
(Bei dem AKSK handelt es sich um einen Zusammenschluss von Personen, der sich in den Strukturen des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR organisieren will. Ihm gehören kirchliche Mitarbeiter und Amtsträger, in der kirchlichen Basisarbeit wirkende Personen sowie auch namentlich bekannte Kräfte des politischen Untergrundes an. Die Personen sind z. T. auch in anderen kirchlichen Gruppierungen, wie »Kirche von unten«,2 sogenannten Friedens- und Ökologiekreisen usw. integriert.
Der am 7. Oktober 1986 gegründete AKSK verfügt über Regionalgruppen in allen evangelischen Landeskirchen, von denen die bedeutendsten in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Leipzig und Jena sowie im Bezirk Halle bestehen.
Bisherigen Erkenntnissen zufolge, insbesondere im Ergebnis von Eigendarstellungen während der bisherigen Vollversammlungen des AKSK jeweils um den 1. Mai und 7. Oktober, bezeichnet sich diese Gruppierung als sogenannte Basisbewegung zur »Demokratisierung« der evangelischen Kirche und der sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Zwischen den Vollversammlungen koordiniert ein Koordinierungsausschuss (KoA), dessen zehn Mitglieder von der jeweiligen Vollversammlung gewählt werden, die Tätigkeit zwischen den Regionalgruppen. Beachtenswert ist, dass dem KoA bis 11. Mai 1988 die hinreichend bekannte ehemalige DDR-Bürgerin Freya Klier angehörte, zu der seitens des AKSK auch weiterhin Kontakte bestehen.
Die Aktivitäten des AKSK erfolgen gegenwärtig mit Duldung der evangelischen Kirche im kirchlichen Rahmen. Bisher steht die Kirchenleitung der evangelischen Kirchen der DDR Bestrebungen des AKSK zur innerkirchlichen Organisierung abwartend gegenüber, weil für sie das konzeptionelle Vorgehen dieser Gruppierung noch nicht eindeutig erkennbar ist und sie bei einer kirchenrechtlichen Einbindung des AKSK befürchtet, sich damit von innen heraus ein zusätzliches Druckpotenzial gegen ihre kirchenpolitische Linie zu schaffen.)
An der Vollversammlung, die durch den KoA vorbereitet und geleitet wurde, nahmen 78 Vertreter verschiedener Regionalgruppen sowie Interessenten aus allen Teilen der DDR, insbesondere aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, Leipzig, Cottbus und Gera, teil.
Zeitweilige Gäste bzw. Beobachter waren der Sekretär der Kommission für Ausbildung beim BEK in der DDR, Oberkirchenrat Dr. von Rabenau, und der Rektor des Theologischen Seminars Leipzig, Prof. Kühn.
Als kirchenjuristische Beobachter nahmen zwei Mitarbeiter des Sekretariats des BEK in der DDR an der Vollversammlung teil.
Im Mittelpunkt der V. Vollversammlung standen
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die Entgegennahme von Berichten aus Regionalgruppen über sogenannte Projekte,
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eine Problemdiskussion zur weiteren Standortbestimmung des AKSK, zu seinem Verhältnis zu den evangelischen Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Basisgruppen sowie zur Anbindung des AKSK an den BEK in der DDR,
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die Diskussion über weitere sogenannte Projekte und Beschlüsse des AKSK.
Ein Vertreter einer Regionalgruppe aus Leipzig berichtete ausführlich über die Entwicklung der sogenannten Friedensgebete in der Nikolaikirche in Leipzig und damit im Zusammenhang stehende Differenzen mit leitenden kirchlichen Amtsträgern der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Seinen Ausführungen zufolge wurden durch den zuständigen Superintendenten Magirius/Leipzig die Vorbereitung und Durchführung der »Friedensgebete« durch die sogenannten kirchlichen Basisgruppen behindert und eingeschränkt.
Darüber sei es zu ernsthaften Auseinandersetzungen mit der Kirchenleitung gekommen. Er teilte mit, dass auf Druck der Kirchenleitung die »Friedensgebete« gegenwärtig keinen Informationsteil mehr hätten und auch sogenannte Nachgespräche mit Übersiedlungsersuchenden nicht mehr stattfinden würden.
Eine weitere Vertreterin aus Leipzig informierte über den Aufbau eines »Kommunikationszentrums« für Basisgruppen in Leipzig. Für dieses Projekt sei die Zustimmung der Kirchenleitung vorhanden, die auch Räumlichkeiten in der »Heilig-Kreuz«-Kirchengemeinde zur Verfügung stellen würde. Das »Kommunikationszentrum« sei als Treffpunkt, Veranstaltungsort und Informationsstelle, z. B. zum konziliaren Prozess, für Basisgruppen vorgesehen, soll von acht Leipziger Basisgruppen getragen werden und ab Ende 1988 arbeitsfähig sein. (Es wurden entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um zu verhindern, dass das »Kommunikationszentrum« einen solchen Status wie die Umweltbibliothek der Zionskirchgemeinde Berlin erhält und als überregionales »Kontaktbüro« für feindlich-negative Kräfte fungiert.)3
Ein Vertreter der Regionalgruppe Dobbertin/Schwerin berichtete über ein Projekt »Partnerschaft«, dessen Ziel darin besteht, solche kirchlichen Mitarbeiter, die in eheähnlichen Partnerschaften leben und damit gegen das Pfarrerdienstgesetz verstoßen, solidarisch zu unterstützen.
Bei der Diskussion über die weitere Standortbestimmung des AKSK im Plenum und in Gesprächsgruppen wurde deutlich, dass der AKSK als Gruppierung noch keine genaue Position zu den Kirchengemeinden und anderen Basisgruppen gefunden hat.
Seitens eines namentlich bekannten Mitgliedes des KoA wurde während der Vollversammlung zum Stand der Gespräche mit dem Sekretariat des BEK in der DDR eingeschätzt, dass noch keine Einigung über eine kirchenrechtliche Anbindung des AKSK an den BEK in der DDR erzielt worden sei. Oberkirchenrat Dr. von Rabenau orientierte auf weitere derartige Gespräche, da noch kein »tragfähiger Konsens« gefunden worden wäre, der AKSK jedoch einen Rechtsträger brauche, weil er ansonsten durch den Staat als »illegaler Verein eingestuft« werden könnte.
Während der Vollversammlung wurden durch Mitglieder des KoA bzw. Vertreter der Regionalgruppen folgende sogenannte Projekte im Plenum eingebracht und in Gesprächsgruppen diskutiert:
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»Themensuche für die Tätigkeit der Regionalgruppen bis 1989« (orientiert wurde auf bis zum 15. Januar 1989 an den KoA zu übermittelnde Vorschläge zu innerkirchlichen, gesellschaftlichen und den AKSK betreffenden Problemen, welche Grundlage für eine Diskussion in der VI. Vollversammlung des AKSK bilden sollten),
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»Kommunalwahlen 1989« (vorgeschlagen wurde, dass die Regionalgruppen bei den Wahlen am 7. Mai 1989 ein »Kontrollrecht« ausüben und dabei gewonnene Erkenntnisse über den KoA allen Regionalgruppen zugänglich machen),
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»Rassismus in der DDR« (es wurde ein nichtlizensiertes Druckerzeugnis, bezeichnet als »innerkirchliche Vervielfältigung«, der Regionalgruppe Hoyerswerda-Spremberg verteilt, in dem »Erscheinungen des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit« in der DDR unterstellt wurden),
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»Solidaritätsbekundung – Rumänien« (es wurde eine eindeutige Stellungnahme von Vertretern des Staates und der Kirche zur innenpolitischen Situation in Rumänien gefordert),
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»Bausoldaten« (informiert wurde über einen Vorschlag, jährlich eine DDR-weite öffentliche Anhörung von Bausoldaten vor einem kirchlichen Gremium durchzuführen, was der BEK in der DDR bereits abgelehnt hätte),
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»Fürbittliste für nicht kriminell Inhaftierte« (in diesem Zusammenhang wurde dargelegt, dass seit der letzten Vollversammlung, auf der dieses Projekt beraten worden sei, keine Reaktionen erfolgten und es notwendig wäre, die Liste entsprechend dem aktuellen Stand zu ergänzen),
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»Konfliktstelle für kirchliche Mitarbeiter« (es wurde unter Verweis auf die letzte Vollversammlung, bei der das Projekt eingebracht wurde, erneut dahingehend orientiert, dass es dabei vor allem darum gehe, kirchliche Mitarbeiter in Konfliktfällen mit der »Kirchenbehörde« solidarisch zu unterstützen),
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»Informationsblatt des AKSK«, hier wurden die gegenwärtigen Probleme, die der Herausgabe eines ersten Informationsblattes entgegenstehen – insbesondere fehle die rechtliche Absicherung durch den BEK in der DDR –, dargelegt.
Von den genannten sogenannten Projekten wurde lediglich das Projekt »Themensuche …« von der Vollversammlung beschlossen, hinsichtlich der anderen Projekte konnte bis zum Abschluss der Tagung kein Konsens erzielt werden.
Durch die Vollversammlung wurden zwei Grußtelegramme verabschiedet. In dem an die Teilnehmer der 2. Ökumenischen Vollversammlung gerichteten Telegramm wurden der Vollversammlung »Mut, Courage, Ideen und gute Ergebnisse« gewünscht. In dem an Bischof Forck anlässlich seines 65. Geburtstages gesandten Telegramm wurde ihm für seine »Offenheit« gedankt.
Während der Veranstaltung wurden nichtlizenzierte Druck- und Vervielfältigungsmaterialien, darunter hinlänglich bekannte Pamphlete und Positionspapiere, wie »Friedrichsfelder-Feuermelder« und »Arche-Info« sowie der »Aufruf« der Westberliner Initiative »Aktionstag Rumänien« zur Durchführung eines »Europäischen Aktionstages Rumänien« am 15. November 1988 und Materialien über eine angebliche Einmischung staatlicher Stellen in die kirchliche Arbeit, zur Übersiedlungsproblematik und zum zivilen Ersatzdienst unter den Teilnehmern verteilt. (Diese Schriften liegen im Wortlaut vor und können bei Bedarf angefordert werden.)
Die V. Vollversammlung des AKSK hatte keine Öffentlichkeitswirksamkeit. Teilnehmer aus dem nichtsozialistischen Ausland wurden nicht festgestellt.
Die nächste Vollversammlung soll vom 28. bis 30. April 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, oder in Potsdam stattfinden.
Es wird vorgeschlagen, in einem Gespräch durch verantwortliche Mitarbeiter des Staatssekretariats für Kirchenfragen mit kirchenleitenden Amtsträgern des BEK in der DDR die politisch-negativen Aussagen während der V. Vollversammlung des AKSK zurückzuweisen und eine Disziplinierung der Organisatoren und der für die inhaltliche Ausgestaltung der Veranstaltung Verantwortlichen zu fordern.
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