Vorbereitung des Besuchs von Johannes Rau in Ostberlin
11./12. Januar 1988
Hinweise zum Besuch des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Dr. Johannes Rau, am 14. und 15. Januar 1988 in der Hauptstadt der DDR, insbesondere für das vorgesehene Gespräch des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Honecker, mit Rau [Bericht K 1/183]
1. Aktuelle Erkenntnisse über bedeutsam erscheinende Vorstellungen und Interessen von Rau
In jüngster Zeit wurden Bestrebungen Rau’s im Sinne der Herbeiführung bzw. Organisierung von »Begegnungen zwischen Menschen beider deutscher Staaten« insbesondere während seines »Privatbesuches« vom 24. bis 26. Oktober 1987 bei kirchlichen Gastgebern in Badesow/Kreis Malchin und in Güstrow sichtbar. Als Zielstellung dieses Besuches nannte Rau die Knüpfung persönlicher Kontakte zur evangelischen Kirche in der DDR. Er vertrat die Auffassung, dass sich bietende Möglichkeiten genutzt werden sollten, um die Menschen beider deutscher Staaten im Sinne des christlichen Glaubens zusammenzuführen und sie offen über alle Probleme sprechen zu lassen und – im kleinen Kreis – wörtlich: »Die Kirche in der DDR bietet jenen Freiraum, um unabhängig von der Partei eine Basis aufbauen zu können.«
Vom Auftreten Rau’s im vorgenannten Sinne bei mehreren Anlässen und Gelegenheiten im Verlaufe seines »Privatbesuches« erscheinen u. a. folgende Einzelheiten beachtenswert:
Im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen Darlegung über das Umstellen auf eine neue Verteidigungspolitik anstelle der in Europa funktionierten Politik der Abschreckung sehe er als eine Möglichkeit ein »System der strukturellen Änderungsfähigkeit im Verteidigungskonzept«. Ansatzpunkte dafür, dieses Denken auch in der DDR zu beschleunigen, sehe er im Dokument der Görlitzer Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR »Orientierung für das aktuelle Bekennen in der Friedensfrage«. Aktive Christen müssten die »Freiräume der weltlichen Kirche« zu drängendem Engagement gegenüber den Regierungen nutzen.1
Seinen Vortrag zum »Versöhnungsgedanken« betrachte Rau als »christliche Basis«, einen persönlichen Beitrag sowohl als praktizierender Christ als auch als politische Persönlichkeit für die Menschen in der DDR zu leisten. Für eine breite Basis des gegenseitigen Verständnisses und Verstehens müssten Kirche und kirchliche Bindungen künftig einen stärkeren Rückhalt bilden. In diesem Sinne begrüßte er die »Öffnung politischer Stellen« der DDR für den »größeren Freiraum« der Christen, was auch noch in »sinnvollen Organisationsformen« – er verwies dabei auf das Wirken der Arbeitsgruppe Frieden in der Evangelischen Landeskirche Mecklenburg – seinen Ausdruck finden müsse. Unter den »Bedingungen der politischen Realität« in der DDR sei jedoch notwendig, das Wirken einer solchen Arbeitsgruppe nicht in Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen und »amtlichen Zwängen« zu bringen.
Das Zusammenführen der Menschen beider deutscher Staaten und Gespräche zwischen Ihnen sei einerseits eine Aufgabe der Landeskirchen, müsse andererseits aber auch seitens der Regierungen ermöglicht werden. Als eine wesentliche Basis für die künftige Arbeit in dieser Hinsicht sehe Rau seine persönliche Zusammenarbeit und seine Verbindungen zur Evangelischen Landeskirche Mecklenburg. Er wolle weitere Besuche durchführen und »in Konfliktfragen« als Ministerpräsident und mit seinen ökonomischen Mitteln Hilfe geben. Er sehe sich hier durchaus als »Vermittler« zwischen Gemeinden und amtlichen Stellen der DDR. In diesem Zusammenhang nannte Rau Probleme/Beispiele, bei denen er als Vermittler und Helfer wirksam werden könnte (Park Basedow, Schallplattenproduktion kirchlicher Musik, Erschließung Mecklenburgs für den internationalen Tourismus, Schaffung von Begegnungsstätten für Christen beider deutscher Staaten). Die Begegnungen zwischen den Menschen im Sinne ihres christlichen Verständnisses müssten auf der unteren Ebene einen möglichst großen Personenkreis umfassen. Dies zu erreichen, sei eine wesentliche Aufgabe der evangelischen Pfarrer.
Bei Besuchen von BRD-Persönlichkeiten in der DDR komme es entscheidend darauf an, Treffen mit Persönlichkeiten des gesellschaftlichen, aber auch des christlichen Lebens in der DDR zu organisieren. Diese Treffen müssten einen weitergehenden Einfluss auf die Entwicklung einer in Gruppen und kleineren Kreisen geführten friedenspolitischen Arbeit ausüben. Rau erklärte, in der künftigen Orientierung der christlichen und Friedensarbeitskreise sei es besonders wichtig, die Freiräume auszuloten, die die gegenwärtige Öffnung der Kirchenpolitik der DDR den Christen und anderen Gruppen gebe. In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass ein praktizierender Christ nicht immer mit einer Regierung politisch konform gehen könne; das gelte besonders für die DDR, da er oftmals den Eindruck habe, dass Funktionäre ihre Macht missbraucht haben. Es gehe darum, ein politisches Klima zu bewirken, das eine weitgehende Basiswirksamkeit der Begegnungen und Gespräche der Menschen in beiden deutschen Staaten ermöglicht.
Möglichkeiten und den Willen, die aufgezeigten Probleme zum Gegenstand künftiger Begegnungen zu machen, sehe er im »Strategiepapier« der Grundwertekommission der SPD und der Akademie der Gesellschaftswissenschaften der SED.2 Nach seiner Auffassung handele es sich hier nicht um ein Dokument zweier Parteien, sondern zweier Kommissionen. Parteipolitisch habe dieses Papier für die SPD keine Bedeutung.
Er sehe als Folgerung dieses Papiers die »Führung des Gespräches miteinander«. Zu den darin enthaltenen Möglichkeiten habe er bereits konkrete Vorschläge unterbreitet und werde auch daran festhalten: Touristenaustausch, gegenseitige Medienarbeit, Schulbuchaustausch, Redneraustausch, punktuelle Zusammenarbeit in Fragen der Abrüstung und Entspannung. Sowohl in der SPD als auch in der SED müsse ein politisches Klima im Sinne der »Ausschöpfung des Strategiepapiers« eine weitgehende Basiswirksamkeit der Begegnung und des Gesprächs der Menschen beider deutscher Staaten ermöglichen.
Nach vorliegenden streng internen Hinweisen beabsichtige Rau, im Verlaufe seines Gesprächs mit Genossen Honecker die Errichtung eines DDR-Kulturzentrums in Nordrhein-Westfalen vorzuschlagen. Er gehe davon aus, dass die DDR an einem repräsentativen Standort dieses Zentrums – wie z. B. Düsseldorf oder Essen – interessiert sei. Er selbst neige dazu, Bonn als möglichen Standort vorzusehen. Dort gebe es zahlreiche Multiplikatoren, die das Zentrum und dessen Tätigkeit bekannt machen würden. Außerdem hätte die SPD-Führung die Möglichkeit, über das Land Nordrhein-Westfalen ihren Willen zu einem guten Verhältnis zur DDR auch in der Bundeshauptstadt zu demonstrieren. Rau selbst würde nicht darauf bestehen, als Ausgleich ein BRD-Kulturzentrum in der DDR einzurichten, könne darüber jedoch nicht allein entscheiden.
2. Zum Ablauf/Aufenthaltsprogramm des Besuches
13. Januar 1988
um 22.00 Uhr: Ankunft auf dem Flugplatz Berlin (West) Tegel. Abholung mit Fahrzeug der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR und Fahrt nach Niederschönhausen
14. Januar 1988
um 11.00 Uhr: Gespräch des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit Rau (Amtssitz des Staatsrates)
danach: Pressekonferenz in der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR3
um 13.30 Uhr: Mittagessen, gegeben vom Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR
um 16.00 Uhr: Teilnahme an der Eröffnung der Ausstellung »Joseph Beuys« (»BUYS vor BEUYS«) im Marstall/Akademie-Galerie
um 19.00 Uhr: Essen, gegeben vom Präsidenten der Akademie der Künste, Genossen Manfred Wekwerth (Ermeler-Haus)
um 21.00 Uhr: Zusammenkunft in der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, zu der ca. 150 Bürger der DDR vorrangig aus dem Bereich Kunst und Kultur eingeladen wurden
15. Januar 1988
um 10.00 Uhr: Begegnung mit dem Präsidenten der Akademie der Künste, Genossen Wekwerth (in der Akademie der Künste)
um 13.00 Uhr: Mittagessen im eigenen Kreis
um 15.00 Uhr: Verabschiedung an der Grenzübergangsstelle durch Genossen Jahsnowsky4
Nach bisher nur allgemein vorliegenden Hinweisen (noch nicht bestätigt) beabsichtige Rau auch ein Zusammentreffen mit Kirchenvertretern am Vormittag des 15. Januar 1988.
3. Zur Begleitung von Rau
Nach bisherigen Erkenntnissen sollen zur Begleitung von Rau gehören:
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Prof. Dr. Farthmann, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen,
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Schier, Hans, Kultusminister Nordrhein-Westfalens (NRW),
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Einert, Günter, Minister für Bundesangelegenheiten/Leiter der Landesvertretung NRW,
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Dörhöfer-Tucholski, Heide, Staatssekretär beim Minister für Bundesangelegenheiten,
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Dr. Leister, Klaus-Dieter, Staatssekretär, Chef der Staatskanzlei,
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Ministerialrat Linsel, Reinhard,
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Regierungsdirektor Lieb, Wolfgang,
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Ministerialrat Weisz, Jürgen,
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Regierungsdirektor Schneider, Roland.
Außerdem werde Rau begleitet von einer Künstlerdelegation (10 Personen) [und] neun Journalisten, u. a. WDR, ZDF, Neue Ruhrzeitung.