Vorgesehene Aktionen von Antragstellern (Langfassung)
3. März 1988
Information Nr. 116a/88 über weitere beabsichtigte öffentlichkeitswirksame provokatorisch-demonstrative Aktivitäten von Übersiedlungsersuchenden [Langfassung]
Im Zusammenhang mit den vielfältigen Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung öffentlichkeitswirksamer provokatorisch-demonstrativer Aktivitäten von Übersiedlungsersuchenden, die auf diese Art und Weise massiven Druck zur Genehmigung ihrer Ersuchen ausüben wollten, wurden weitere Pläne und Absichten derartiger Kräfte bekannt. Obwohl gegen die bisher identifizierten Inspiratoren und Organisatoren entsprechende differenzierte straf- bzw. ordnungsrechtliche Maßnahmen durchgeführt wurden, ist nicht auszuschließen, dass weitere Personen die Durchführung derartiger provokatorisch-demonstrativer Aktivitäten beabsichtigen bzw. versuchen können.
Im Zusammenhang mit der bisherigen Bearbeitung von Ermittlungsverfahren gegen 16 inhaftierte Führungskräfte der sogenannten Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR1 wurden folgende, dem MfS bereits intern vorliegende Hinweise zu Plänen und Absichten der Arbeitsgruppe bestätigt:
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Fortführung demonstrativer »Schweigemärsche« Übersiedlungsersuchender jeweils montags (nächster Termin am 7. März 1988) in der Zeit von 18.00 Uhr bis 19.00 Uhr in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Unter den Linden, Brandenburger Tor, mit dem Ziel, ca. 300 bis 500 Personen aus der gesamten DDR dafür zu gewinnen und diese Aktion zu einem bisher noch nicht festgelegten Zeitpunkt in einen »Marsch« zur Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße überzuleiten. Die unmittelbare Nähe der sowjetischen Botschaft soll dabei zur Erhöhung der Öffentlichkeitswirksamkeit ausgenutzt werden.
(Im Ergebnis vorbeugender Maßnahmen zur Unterbindung derartiger bereits am 22. und 29. Februar 1988 versuchter provokatorisch-demonstrativer Aktionen wurden bisher gegen 56 übersiedlungsersuchende Bürger Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.)
Die bisher veranlassten Sicherungsmaßnahmen werden weitergeführt.
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Provokatorische Kranzniederlegung durch eine größere Anzahl von Übersiedlungsersuchenden am Denkmal von Rosa Luxemburg in Berlin-Mitte, Barnimplatz und Prenzlauer Allee/Saarbrücker Straße, am 5. März 1988,
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Bildung eines geschlossenen Marschblocks von mehreren hundert Übersiedlungsersuchenden anlässlich der Kampfdemonstration am 1. Mai 1988 in der Hauptstadt Berlin, wobei u. a. vorgesehen ist, durch demonstratives Abwenden des Gesichtes während des Vorbeimarsches an der Ehrentribüne provozierend in Erscheinung zu treten.
(Weiter vorliegenden internen Hinweisen zufolge verbreiteten bisher noch nicht identifizierte feindlich-negative Kräfte am 29. Februar 1988 während des montäglichen Friedensgebetes in der Leipziger Nikolaikirche einen Aufruf zur Durchführung einer als »Aktion für friedliche Ausreise« deklarierten Demonstration von Übersiedlungsersuchenden am 1. Mai 1988, 14.00 Uhr, am Brandenburger Tor.)
Des Weiteren wurden Hinweise auf die beabsichtigte Durchführung folgender weiterer provokatorisch-demonstrativer Handlungen bekannt:
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5. März 1988 (und Wiederholung dieser Aktionen jeden Sonnabend mit dabei beabsichtigter ständig zunehmender Teilnehmerzahl) öffentlichkeitswirksames Auftreten einer größeren Anzahl von Übersiedlungsersuchenden aus Jena und Umgebung auf dem Holzmarkt in Jena.
(Im Zusammenhang mit einer bereits am 27. Februar 1988 erfolgten Zusammenrottung von ca. 100 Personen auf dem Holzmarkt in Jena wurden 36 Teilnehmer zugeführt und im Ergebnis der Verdachtsprüfungshandlungen gegen 10 Übersiedlungsersuchende Ermittlungsverfahren mit Haft wegen Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit gemäß § 214 StGB eingeleitet. Gegen 12 Teilnehmer wurden Ordnungsstrafen ausgesprochen, weitere 14 Personen waren belehrt worden.)
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6. März 1988 (und künftig jeden weiteren 1. Sonntag im Monat) beabsichtigte »Gottesdienstbesetzung« durch Übersiedlungsersuchende in der Sophienkirche in Berlin-Mitte.
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7. März 1988 (und Fortführung derartiger Aktionen jeden folgenden Montag) demonstratives Auftreten von Übersiedlungsersuchenden aus Halle, Halle-Neustadt und Bitterfeld auf dem Marktplatz in Halle.
(Im Ergebnis der Aufklärung einer bereits am 22. Februar 1988 auf dem Marktplatz in Halle erfolgten Zusammenrottung von ca. 40 Personen wurden gegen 4 Übersiedlungsersuchende ebenfalls Ermittlungsverfahren mit Haft gemäß § 214 StGB eingeleitet. Am 29. Februar 1988 waren bei einem erneuten Versuch des provokatorisch-demonstrativen Auftretens von Übersiedlungsersuchenden auf dem Marktplatz in Halle 15 Personen zugeführt und nach erfolgten Prüfungshandlungen gegen 6 Personen Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet worden.
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7. März 1988, 20.00 Uhr, Abschlussgottesdienst der »Solidaritätsandachten« – neu konzipiert als Fortsetzung des Hearings vom 25. Februar 1988 – in der Gethsemanekirche Berlin-Prenzlauer Berg mit einer Predigt von Bischof Forck.
(Initiator und Organisator ist die seit den staatlichen Maßnahmen am 17. Januar 1988 von feindlich-negativen Kräften gebildete und weiter bestehende sogenannte Koordinierungsgruppe. Auf dem Hearing beantworteten Vertreter der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Fragen der Teilnehmer, so z. B. die Haltung der Kirchenleitung zu den »alternativen« Gruppierungen, u. a. Es ist damit zu rechnen, dass dieser Abschlussgottesdienst durch die absehbare Teilnahme von Übersiedlungsersuchenden dazu missbraucht wird, mit provokatorischen Fragestellungen bzw. provokatorisch-demonstrativen Handlungen in Erscheinung zu treten.)
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Ostersonntag, 3. April 1988, provokatorisch-demonstrative Aktivitäten, u. a. durch das Mitführen von Plakaten durch Übersiedlungsersuchende aus Pirna in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Unter den Linden/Brandenburger Tor, unter Einbeziehung von westlichen Massenmedien.
(Gegen 4 Übersiedlungsersuchende – Initiatoren dieser Aktion – wurden gemäß § 214 StGB Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehle erlassen. Gegen weitere 3 Übersiedlungsersuchende wurden Ordnungsstrafverfahren durchgeführt.)
Die durch das MfS eingeleiteten Maßnahmen zur rechtzeitigen Aufklärung weiterer Pläne und Absichten sowie zur vorbeugenden Verhinderung beabsichtigter öffentlichkeitswirksamer provokatorisch-demonstrativer Aktivitäten Übersiedlungsersuchender werden einschließlich der Durchführung differenzierter straf- bzw. ordnungsrechtlicher Maßnahmen gegen Organisatoren, Inspiratoren und Rädelsführer bzw. Belehrungen und Verwarnungen zur Disziplinierung weiterer Übersiedlungsersuchender konsequent fortgeführt.