Zusammenkunft von BEK- und EKD-Vertretern in Ostberlin
6. Februar 1988
Information Nr. 69/88 über die Zusammenkunft zwischen leitenden kirchlichen Amtsträgern des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR und der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) in der BRD am 23. Januar 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Streng internen Hinweisen zufolge fand am 23. Januar 1988 in der Zeit von 15.30 Uhr bis 21.00 Uhr im Hospiz am Bahnhof Friedrichstraße ein sogenanntes Begegnungstreffen zwischen leitenden kirchlichen Amtsträgern des BEK und leitenden Amtsträgern der »EKD« statt.1
(Es handelt sich dabei um eine Zusammenkunft, die traditionell alle 2 Jahre durchgeführt wird und der persönlichen Begegnung zwischen den Geistlichen in Begleitung ihrer Ehefrauen dienen soll.)
Zum »Begegnungstreffen« reisten 49 Personen aus der BRD und Westberlin (einschließlich Ehepartner) geschlossen in die Hauptstadt der DDR, Berlin, ein und nach ca. siebenstündigem Aufenthalt wieder aus.
Unter den Teilnehmern aus der BRD befanden sich neun Bischöfe der evangelischen Landeskirchen der BRD sowie mehrere Ratsmitglieder der »EKD«; darunter Bischof Dr. Kruse/Ratsvorsitzender der »EKD« und Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin (West), Bischof Binder/Militärbischof und Bevollmächtigter des Rates der »EKD« am Sitz der Bundesrepublik Deutschland in Bonn sowie Dr. Jürgen Schmude/SPD/Präses der Synode der »EKD« und Mitglied des Bundestages.
Vonseiten des BEK in der DDR nahmen an der Begegnung die Bischöfe Leich/Eisenach, Hempel/Dresden, Rogge/Görlitz, Stier/Schwerin, Natho/Dessau, Forck/Berlin, Gienke/Greifswald, einige Mitglieder des Vorstandes der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR und Konsistorialpräsidenten der evangelischen Landeskirchen teil.
Streng internen Hinweisen zufolge verlief das Treffen ohne besondere Vorkommnisse. Der Verlauf war durch Begrüßungsansprachen und individuelle Gespräche zwischen den Teilnehmern gekennzeichnet.
In seiner Begrüßungsrede unterstrich Bischof Leich die große Bedeutung dieser Zusammenkünfte, in die auch die Ehepartner einbezogen werden können, und sprach die Hoffnung aus, dass diese Tradition weitergeführt wird.
Vor den Teilnehmern des Treffens las der Schriftsteller Jürgen Rennert (Mitglied des Verbandes der Schriftsteller der DDR) aus seinen literarischen Werken Auszüge mit religiöser und jiddischer Prägung, die eine positive Resonanz fanden.
Auf einem im Rahmen dieser Begegnung stattgefundenen internen Treffen der kirchenleitenden Amtsträger (ohne Ehepartner) wurden gegenseitig Kurzinformationen von jeweils 15 Minuten zur kirchlichen Situation in der DDR und in der BRD vorgetragen.
Bischof Kruse/Berlin (West) führte u. a. zur Personalsituation in der »EKD« aus, fünf Bischöfe der »EKD« würden demnächst den Ruhestand erreichen, sodass sich das Leitungsgremium der »EKD« neu profilieren müsste.
Kruse hob hervor, mit der wachsenden Arbeitslosigkeit in der BRD werde auch die Kirche zunehmend konfrontiert. Die Kirche könne sich mit den Gegebenheiten der Arbeitslosigkeit nicht abfinden. Sie bemühe sich, Lösungswege zu suchen, könne jedoch auch keine wesentliche Hilfe leisten, da weder neue Arbeitsplätze und Planstellen in der Gesellschaft noch im Bereich der Kirche zur Verfügung stünden. Die »EKD« verfüge derzeit über einen Überschuss an Pfarrern und Theologiestudenten, und die Kirche beabsichtige, Pfarrstellen zum Teil mit zwei Theologen zu besetzen. Aus dem Bereich des Schulwesens sei ihm bekannt, dass dort ebenfalls Überlegungen angestellt würden, durch Stundenzahlkürzungen für eine höhere Zahl von Lehrern Arbeitsplätze zu finden. Die CDU erwarte von der »EKD«, mitzuhelfen, dass die Bürger in der BRD das Vertrauen in die CDU, ihre Regierung und ihr Land nicht verlieren und die BRD glaubwürdig bleibe. Insbesondere nach der Barschel-Affäre werde diese Erwartungshaltung der CDU deutlich.
Bischof Leich, der den Situationsbericht zur Lage der evangelischen Kirche in der DDR in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) gab, hob u. a. hervor, dass trotz der fortlaufend aktuell zu lösenden Tagesfragen und Probleme eine Kontinuität im Verhältnis Staat – Kirche vorhanden sei. Das beiderseitige beharrliche Bemühen, im Gespräch zu bleiben, habe sich bewährt.
Anhand kircheninterner statistischer Angaben bewies Leich einen generellen Rückgang der Zahlen von Gottesdienstbesuchern in der DDR; er führte aus, trotzdem würde das öffentliche Interesse an der Kirche in der DDR wachsen. Leich legte weiter dar, zu beachten sei, nicht die Schlagzeilen bestimmter Medien seien Spiegelbild für die Situation in den Kirchen und Gemeinden der DDR; man könne die Lage in den Kirchengemeinden nicht pauschal beurteilen.
Zu den Vorgängen um die Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchgemeinde im November 19872 und damit im Zusammenhang stehenden Problemen in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg informierte Bischof Leich auf der Grundlage der »Schnellinformation« des Sekretariats des BEK vom 4. Dezember 19873 in sachlicher Form. Er betonte, die Kirchenleitungen seien für die kirchliche Arbeit zuständig, nicht aber für alle Gruppen, die sich artikulieren wollen. Bestenfalls müsse zwischen den Gruppen differenziert werden; aber es könne nicht zugelassen werden, dass sich eine »Zusatzkirche« bildet (offensichtlich bezog er sich dabei auf Aktivitäten der »Kirche von unten«4 bzw. der »Solidarischen Kirche«).
In weiteren Ausführungen verwies Leich auf die in der Zeit vom 12. bis 15. Februar 1988 in Dresden stattfindende »Ökumenische Versammlung der Christen und Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« und hob hervor, sie sei deshalb bedeutsam, weil sich die katholische Kirche in der DDR erstmals mit 25 Delegierten daran beteiligen werde.
Die Ausführungen von Bischof Leich wurden ergänzt durch Aussagen von Bischof Forck/Berlin und Konsistorialpräsident Stolpe zu den Provokationen am 17. Januar 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin.
Forck führte aus, mehrheitlich habe es sich bei den an den Vorkommnissen am 17. Januar 1988 Beteiligten um Übersiedlungsersuchende gehandelt, die mit der Kirche nichts zu tun hätten. Es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich für die Freilassung dieser Personen durch Interventionen beim Staat einzusetzen.
Konsistorialpräsident Stolpe ergänzte, die Kirchenleitung sei bemüht gewesen zu verhindern, dass Gewalt gegen solche Personen angewendet wird, die sich mit Inhaftierten solidarisieren, weil durch Gewalt immer wieder neue Aktivitäten entwickelt würden. Man müsse alles Mögliche tun, um die gesamte Situation zu beruhigen.
In individuellen Gesprächen wurde von einzelnen Bischöfen aus der BRD erklärt, sie könnten kein Verständnis für die Personen aufbringen, die durch gewaltlose oder demonstrative Aktionen ein Verlassen der DDR erzwingen wollen. Diese Personen könnten keine Hilfe durch die Kirchen in der BRD erwarten.
Ferner äußerten einige Bischöfe der DDR (u. a. Bischof Gienke/Greifswald, Bischof Rogge/Görlitz, Bischof Leich/Eisenach) Unverständnis über die mangelnde Konsequenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg hinsichtlich einer Abgrenzung bzw. Differenzierung gegenüber solchen Personen und Gruppen, die die Kirche in Misskredit gegenüber Staat und Gesellschaft bringen.
Die Zusammenkunft hatte einen streng internen Charakter; Einlass wurde nur dem festgelegten Personenkreis gewährt. Die anwesenden Personen fertigten keine Notizen; es wurden keine schriftlichen Materialien verteilt.
Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!