123. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen
16. Mai 1989
Information Nr. 250/89 über die 123. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR vom 5. bis 6. Mai 1989 in Görlitz
An der Tagung der KKL nahmen mit Ausnahme von Bischof Demke,1 Magdeburg, Konsistorialpräsident Kramer,2 Magdeburg und Präses Gaebler3, Leipzig (alle erkrankt) alle anderen Bischöfe sowie die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen der Landeskirchen teil.
Im Mittelpunkt der Tagung standen
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Berichte und Stellungnahmen zur 3. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung der Christen und Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«;4
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Positionsbestimmung zur Formel »Kirche im Sozialismus«;5
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Stellungnahme der KKL zur Thematik »Kirche und Gruppen«;6
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Informationen und Diskussionen zu einigen bevorstehenden gesellschafts- und kirchenpolitischen Höhepunkten im Jahre 1989 (Pädagogischer Kongress,7 Thomas-Müntzer-Ehrung,8 Domeinweihung in Greifswald,9 Kirchentage in Leipzig und in Westberlin10).
Über Verlauf und Ergebnisse der 3. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung der Christen und Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« (26. – 30. April 1989 in Dresden) berichteten die Bischöfe Hempel11 (Dresden) und Forck12 (Berlin) sowie Kirchenpräsident Natho13 (Dessau).
Nach Auffassung von Hempel und Natho wäre ein Großteil der in Dresden anwesend gewesenen kirchenleitenden Personen des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR sowie der Katholischen Kirche und der Religionsgemeinschaften darum bemüht gewesen, die auf der 3. Vollversammlung vorgelegten Entwürfe der Abschlussdokumente zu »entschärfen«.
Nach Äußerungen von Bischof Hempel seien alle derartigen Bemühungen durch das im Verlauf der Vollversammlung erfolgte »Eingreifen« seitens Vertretern staatlicher Organe zunichte gemacht worden. Hempel unterließ es dabei bewusst, die Mitglieder der KKL davon in Kenntnis zu setzen, dass er persönlich um ein Gespräch mit Vertretern des Staates nachgesucht hatte und dieses auf seine Initiative hin zustande kam.14
Nachdem – so Bischof Hempel weiter – eine Anzahl »angesprochener« kirchenleitender Personen das Präsidium der Vollversammlung über stattgefundene Gespräche informiert hätte, wäre es nicht mehr möglich gewesen, auf die Teilnehmer »versachlichend« einzuwirken. (Nach vorliegenden internen Hinweisen informierte lediglich Bischof Hempel das Präsidium der Vollversammlung über das mit ihm geführte Gespräch. Das demagogische Auftreten Bischof Hempels am Abschlusstag der 3. Vollversammlung fand demzufolge mit seiner tendenziösen Berichterstattung auf der KKL-Sitzung seine Fortsetzung.)
Auf der KKL-Sitzung wurde Übereinstimmung erzielt, dass jede Landeskirche in eigener Zuständigkeit entscheidet, wie mit der weiteren Auswertung der von der 3. Vollversammlung verabschiedeten Abschlussdokumente verfahren wird.15 Auf realistischen Positionen stehende Mitglieder der KKL wie Bischof Gienke16 (Greifswald) und Bischof Rogge17 (Görlitz) appellierten an die Anwesenden, insbesondere mit dem Dokument 003 »Mehr Gerechtigkeit in der DDR – unsere Aufgabe, unsere Erwartungen«18 (vgl. Information des MfS Nr. 227/89 vom 2.5.1989) sehr sorgfältig umzugehen, da »eine falsche Handhabung automatisch zur Verschärfung des Verhältnisses Staat – Kirche führen« würde. Im Zusammenhang mit der Behandlung dieser Thematik wurde in der Diskussion wiederholt die Meinung vertreten, dass der weitere Verlauf des Konziliaren Prozesses in Gestalt der »Europäischen Ökumenischen Versammlung«19 (EÖV) und der Inhalt dort verabschiedeter Dokumente bei einer Reihe kirchlicher Personen »weitestgehende Ernüchterung« hervorrufen werde.20 Die Ergebnisse der »EÖV« werden durch die von der 3. Vollversammlung bestätigte sogenannte Konsultativgruppe in entsprechenden Materialien aufbereitet und Interessenten über die jeweiligen Landeskirchenleitungen zur Verfügung gestellt.
Den Tagungsteilnehmern lag das im Auftrage der KKL von einer Ad-hoc-Gruppe der Studienabteilung des BEK in der DDR erarbeitete Positionspapier zum Thema »Kirche und Gruppen« zur Beschlussfassung vor, das als Orientierungshilfe für die Landeskirchen Verwendung finden sollte. Darin wurde u. a. der »Schutz der Kirche für politisierende Gruppen« gefordert.21
Bischof Leich22 bekräftigte in der Diskussion zu diesem Positionspapier seinen bereits auf dem sogenannten Thüringer Basisgruppentreffen in Weimar (März 1989)23 vertretenen Standpunkt, wonach sich »Basisarbeit im Handeln gemäß den Grundsätzen des Evangeliums äußern muss«.24 Basisgruppentätigkeit müsse immer an die Kirchengemeinden angelehnt sein und dürfe nicht außerhalb stehen, da sie Bestandteil der Gesamtkirchenarbeit sei.
Bischof Leich25 führte weiter aus, die Schutzfunktion der Kirche beziehe sich auf kirchliche Amtsträger und Christen. Es sei aber nicht Aufgabe der Kirche, sich vor Personen bzw. Gruppen zu stellen, die eigenmächtige Aktivitäten unternehmen und dann die Unterstützung der Kirche verlangen. Er betonte mehrfach, die Basisgruppen müssten erkennen, dass sie »nichts Verselbstständigtes, sondern der Kirche angegliedert« seien.26 Es könne nicht ständig Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche wegen eigenmächtiger Aktivitäten einzelner Basisgruppen geben.
Diese Haltung Bischof Leichs wurde von den Tagungsteilnehmern unterstützt. Die KKL lehnte deshalb das vorliegende Positionspapier ab und beauftragte das Sekretariat des BEK, auf der Grundlage der Ausführungen Bischof Leichs bis zur nächsten Tagung der KKL im Juli 1989 ein neues Positionspapier zu erarbeiten.
In Fortsetzung der Diskussion auf der 122. Tagung der KKL vom März 1989 zur Stellung der evangelischen Kirchen in der DDR in der sozialistischen Gesellschaft der DDR (vgl. Information des MfS Nr. 154/89 vom 3. April 1989) wurde erneut eine langwierige, teilweise kontrovers geführte Debatte zu der Formel »Kirche im Sozialismus« entfacht. Bischof Leich begründete seine wiederholt dazu getätigten Auffassungen mit dem Argument, dass die Formulierung »Evangelische Kirche in der DDR« politisch klarer sei.27 Er verstehe diese als »Kirche für Jesus Christus unter den Bedingungen der DDR«. Bischof Stier28 (Schwerin) unterstützte diese Haltung u. a. mit der Bemerkung: »Die Formel ›Kirche im Sozialismus‹ wird vom Staat national und international für obligatorische politische Zwecke missbraucht.«
Im Gegensatz dazu vertraten die Bischöfe Gienke und Rogge29 sowie Oberkirchenrat Petzold30 (Berlin) die Auffassung31, diese von der Kirche geprägte Formel sei für die Christen in der DDR nicht mehr nur eine Standortbestimmung, sondern ein Weg und eine Aufgabe, aktiv am gesellschaftlichen Leben mitzuarbeiten.
Im Ergebnis der Diskussion wurde die Aufrechterhaltung der Formel »Kirche im Sozialismus« als Ausdruck der Beibehaltung des Kurses vom 6. März 197832 bestätigt mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es jedoch noch einer konkreteren und sachlicheren Interpretation dieses Begriffes bedürfe.33 (Verlauf und Ergebnisse der Diskussion lassen jedoch erkennen, dass die Auseinandersetzungen in den kirchenleitenden Gremien zu dieser Thematik noch nicht abgeschlossen sind.)
Bischof Gienke informierte die KKL über den Stand der Vorbereitungen für die Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung des Greifswalder Doms am 11. Juni 1989. Seinen Darlegungen zufolge hätten bereits zahlreiche Persönlichkeiten von Politik und Wirtschaft aus dem westlichen Ausland, darunter der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Engholm34 (SPD), Dr. Carsten35 (SPD) und Berthold Beitz,36 Politiker aus skandinavischen Ländern, Mitarbeiter westlicher diplomatischer Vertretungen in der DDR sowie kirchenleitende Personen aus der BRD u. a. westlicher Staaten, ihre Teilnahme zugesagt. Bischof Gienke brachte in diesem Zusammenhang die Hoffnung auf die Teilnahme des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,37 an den Einweihungsfeierlichkeiten zum Ausdruck, da dies ein »Signal zur Weiterführung des Kurses vom 6. März 1978 setzen« würde.38
Gegensätzliche Auffassungen vertraten dazu die Bischöfe Forck und Stier sowie Oberkirchenrat Kirchner,39 Eisenach.40 Sie behaupteten unter Bezugnahme auf die von der Kirche angestrebten, aber noch ausstehenden Sachgespräche mit führenden Repräsentanten des Staates, die Teilnahme des Staatsratsvorsitzenden an diesem Festakt gebe »ein verzerrtes Bild des Staat – Kirche-Verhältnisses zuungunsten der Kirche«.
Oberkirchenrat Zeddis41 (Berlin) berichtete über die stattgefundene gemeinsame Tagung des staatlichen und kirchlichen Komitees zur Ehrung Thomas Müntzers. Er bewertete diese Beratung als sehr konstruktiv und fruchtbar. Beide Seiten seien zu der Auffassung gelangt, dass in der Vergangenheit die Person Thomas Müntzers zu einseitig interpretiert bzw. seitens der Kirche ignoriert worden sei. Das wolle man jetzt korrigieren.42
Auf den bevorstehenden Kirchentag der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Leipzig eingehend, verwies Bischof Hempel auf die »schleppende staatliche Unterstützung« im Gegensatz zu früheren analogen kirchlichen Veranstaltungen in Leipzig.
Er brachte dies in Zusammenhang mit der »generellen Situation« im Staat-Kirche-Verhältnis und mit konkreten Aktivitäten kirchlicher Basisgruppen und Antragsteller auf ständige Ausreise43 in der Stadt Leipzig.44
Oberkirchenrat Ziegler45 (Berlin) teilte mit, dass die im Auftrage des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR erarbeitete Schulbuchanalyse46 im Zusammenhang mit dem stattfindenden Pädagogischen Kongress an die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften übersandt wurde.47 In dem Antwortschreiben der Akademie an den BEK sei mitgeteilt worden, dass dieses Material in Vorbereitung des Kongresses mit Verwendung finde.
Außerdem informierte Ziegler darüber, dass alle beim Staatssekretariat für Kirchenfragen eingereichten Delegiertenvorschläge zur Teilnahme am Evangelischen Kirchentag der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) in Westberlin (7.–11. Juni 1989) genehmigt wurden. Er wertete dies als ein positives Zeichen des Staates gegenüber der Kirche.48
Die KKL bestätigte nachfolgende Tagesordnung der Synode des BEK (15.–19. September in Eisenach):
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Bericht der KKL,
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Arbeitsbericht des Sekretariates,
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Bericht des Diakonischen Werkes,
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Behandlung des Synodalthemas »Konziliarer Prozess«,
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Vorlage des Ausschusses für die Arbeit der Kommissionen,
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Innerkirchliche Angelegenheiten einschließlich Einbringung von Kirchengesetzen.
Darüber hinaus stimmte die KKL dem Antrag des Präsidiums der Synode des BEK zu, für neugewählte Mitglieder der Synode und für Jugenddelegierte im Februar 1990 eine Synodalrüste im Rüstzeitheim Schönburg, [Kreis] Naumburg, durchzuführen. Als Schwerpunkte für diese Rüste wurden empfohlen: Die Begegnung und das gegenseitige Kennenlernen der Synodalen und Jugenddelegierten, die Vorbereitung auf die gemeinsame Arbeit in der Synode, das Kennenlernen des Aufbaus und der Struktur des BEK sowie die Informierung über Mandate und Aufgaben in den Gremien der evangelischen Kirchen in der DDR.
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