5. ordentliche Tagung der V. Synode des BEK in Eisenach
17. September 1989
Hinweis zum bisherigen Verlauf der vom 15. bis 19. September 1989 in Eisenach stattfindenden 5. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR [Bericht K 3/104]
An der Synodaltagung nehmen 58 der 60 gewählten und berufenen Synodalen sowie alle Bischöfe und die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen der Gliedkirchen des BEK teil.
Als ökumenische Gäste sind u. a. anwesend der Präses der Synode der Evangelischen Kirchen in Deutschland /BRD, Dr. Schmude,1 die kirchenleitenden Kräfte der EKD/BRD, Bischof Dr. Jung2 und Oberkirchenrat Heidingsfeld,3 sowie Vertreter der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Sowjetunion und des Nationalrates der Kirchen Christi in den USA, ferner Erzbischof German,4 Exarch des Moskauer Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, und als Vertreter der Römisch-Katholischen Kirche in der DDR, Bischof Wanke/Erfurt.5
(Schmude sowie Erzbischof German und Bischof Wanke richteten Grußworte an die Synode. Schmude nahm erneut eine Würdigung der »besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland« vor und bezog sich dabei auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Er unterstrich die Notwendigkeit für die Kirche, »gesellschaftliche Verantwortung im Reden und Handeln wahrzunehmen« und versicherte dem BEK die »ständig zum Handeln abrufbare Hilfsbereitschaft« seitens der EKD/BRD. Sein Grußwort nutzte Schmude zur Unterstützung des praktizierten Wirkens westlicher Medien im kirchlichen Raum in der DDR und dankte für die »intensive, oft schwierige Berichterstattung« der breiten Darstellung der »Realität kirchlichen Lebens in der DDR«. »Nicht Distanz«, so Schmude, »sondern vertrauensvolle Verständigung sollte die Konsequenz aus Irritationen zwischen Medien und Kirche« sein.
Bischof Wanke nahm Bezug auf aktuelle Ausreiseprobleme,6 von denen die Synode überschattet sei. Die katholische Kirche orientiere auf das Bleiben der Gläubigen in der DDR, da dieses Land auch den Christen gehöre und man es nicht denen überlassen könne, »die Gott nicht kennen«. Allerdings müssten die verantwortlichen Politiker ernsthaft aufgefordert werden, die Ursachen für das Weggehen zu prüfen und zu beseitigen.
Erzbischof German sprach zu Ergebnissen und Auswirkungen der seit fünf Jahren andauernden Umgestaltung in der UdSSR für die Kirche wie der bevorstehenden Verabschiedung des neuen Religionsgesetzes.)
An der Synodaltagung nahmen zeitweilig teil die Kulturreferentin der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gerburg Thunig-Nittner,7 und die Sekretäre der Botschaften der USA bzw. Großbritanniens in der DDR, Dr. Lipping8 und Morton.9
Als offizielle staatliche Vertreter sind im Auftrag des Staatssekretärs für Kirchenfragen anwesend der Abteilungsleiter im Staatssekretariat für Kirchenfragen, Dr. Wilke,10 und der Sektorenleiter Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Erfurt, Jordan.11
Erneut ist eine Tagung des BEK durch beachtenswerte Präsenz akkreditierter Korrespondenten insbesondere der Medien der BRD gekennzeichnet. Insgesamt halten sich ca. 15 Korrespondenten aus der BRD, zum Teil mit Team, am Tagungsort auf. Sie vertreten u. a. folgende Medien: ARD, ZDF, »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Süddeutsche Zeitung«, »Frankfurter Rundschau«, »Der Spiegel«, »Westfälische Rundschau«, »Saarbrücker Zeitung«, »Die Zeit«. Vertreten sind ferner dpa und der »Evangelische Pressedienst Deutschlands«.
Der durch Landesbischof Leich12 alleinverantwortlich erarbeitete und am Eröffnungstag vorgetragene »Bericht des Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR«13 gliedert sich in die vorwiegend innerkirchliche Probleme umfassenden Abschnitte »Nachdenken über unseren Auftrag« (In Beantwortung der Frage, ob die Kirche offen sei für alle und alles, wird u. a. darauf verwiesen, dass die Kirche nicht der Jahrmarkt der Möglichkeiten sein könne, jedoch auch bei eindeutigem Widerspruch gegen Ziele und Aktionen von Gruppen ihren Beistand für diejenigen Menschen, die »dabei in Bedrängnis und Gefahr geraten«, nicht versage.) und »Handeln aufgrund des Auftrages im kirchlichen Bereich« (Ausgehend von bekannten Problemstellungen um die Wiedereinweihung des Greifswalder Domes und Angriffen gegen Bischof Gienke14 wird u. a. festgestellt, dass »ein sehr offenes, auf Erhaltung unserer Gemeinschaft abzielendes Gespräch der KKL mit Bischof Gienke … Belastungen aufgehoben hat«.15 Der Brief des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR an Bischof Gienke wird als eine »wichtige Aussage über die Fortsetzung des mit dem 6. März 1978 bezeichneten kirchenpolitischen Weges«16 gewürdigt.17 Bestätigt wird erneut die »besondere Gemeinschaft« mit der EKD/BRD, und hervorgehoben wird der Wille, »diese in der neuen Situation zu bewähren«.)
Der ausschließlich politisch geprägte dritte Teil des Bischofsberichtes »Handeln aufgrund des Auftrages im politischen Bereich« reflektiert positive Ergebnisse der 40-jährigen Geschichte der Entwicklung der DDR, bevor in ihm aktuelle innenpolitische Aspekte unter Fragestellungen wie »Wo gehen wir hin?« und »Welche Änderungen im Profil unseres Weges bei Beibehaltung der gesellschaftlichen Grundrichtung sind notwendig?« abgehandelt werden.
Leich formulierte in diesem Zusammenhang »Notwendigkeiten« wie
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»Wir wollen zu Veränderungen in unserer Gemeinschaft beitragen, die das Leben in ihr anziehend machen.« (»Wir sind der Überzeugung, dass die Stabilität der DDR … durch Veränderungen erhalten, aber durch Hinausschieben solcher gefährdet wird.«)
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»Die offene Aussprache über den weiteren innenpolitischen Weg« (mit einer »offenen Medienpolitik« und auch mittels »friedlicher Demonstrationen«)
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»Die unbedingte Erneuerung des Wahlgesetzes der DDR«
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»Die allen Bürgern rechtmäßig zustehende Möglichkeit zu reisen in alle Länder, einschließlich der ständigen Ausreise18 und der möglichen Rückkehr nach einer solchen«
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»Wirtschaftliche Reformen und Konvertierbarkeit der Währung« (»Die wirtschaftliche Überlegenheit der BRD gewinnt … in dem Maße eine Anziehungskraft, indem durchaus vorhandene Gegengewichte des Zusammenlebens der Menschen in der DDR vom Einzelnen nicht überzeugend erlebt werden können.«)
Bezugnehmend auf »notwendige Veränderungen in der DDR« erklärte Leich: »Wir brauchen jetzt deutliche Zeichen dafür, dass sie begonnen werden.«
Auf die Problematik der Informationsgespräche mit dem Staat eingehend, stellte er resümierend fest, dass sich die Kirche nicht entmutigen lassen werde, zu den Lebensfragen des Volkes zu sprechen, die Fragen und Beiträge der Gemeindemitglieder aufzunehmen und die Gemeinden darüber auch zu informieren.
Weiteren Ausführungen Leichs zufolge leite sich aus dem Nachdenken über den Auftrag der Kirche und aus dem Handeln im kirchlichen Bereich das »Handeln im politischen Bereich« ab, von dem die Kirche aktuell stark in Anspruch genommen sei, da es »außer uns im Augenblick keine Institution gibt, die öffentlich alles anspricht, was in unserer Gesellschaft vor sich geht«.
Der am ersten Beratungstag zum Hauptthema der Synode abgegebene Bericht zum »Konziliaren Prozess« (Superintendent Ziemer/Dresden)19 und entsprechende Koreferate trugen innerkirchlichen und theologischen Charakter.
Der zweite und dritte Beratungstag der Synode waren durch Diskussionen zum Bericht des Vorsitzenden der KKL, zum Arbeitsbericht des BEK und zu verschiedenen Vorlagen zum Thema der Synodaltagung geprägt. Grundtendenz der Diskussionsbeiträge war die Zustimmung zu den Beschlussinhalten der »Ökumenischen Versammlungen« Dresden und Basel/Schweiz.20
Auf realistischen Positionen stehende Synodalen wie Oberkirchenrat Dr. Petzold/Berlin,21 Prof. Hertzsch/Jena22 und Dr. Nollau/Dresden23 versuchten in der Diskussion zum Bericht von Landesbischof Leich versachlichend einzuwirken, erzielten jedoch wenig Resonanz und Wirkung. Durch eine Vielzahl auf reaktionären Positionen stehender Synodaler, darunter auch der als Initiator/Inspirator oppositioneller Sammlungsbewegungen/Vereinigungen in Erscheinung tretende Pfarrer Schorlemmer,24 wurden massive Angriffe gegen die Politik von Partei und Regierung der DDR vorgetragen. Schorlemmer erklärte, dass sich die DDR in einem »Notstand« befinde, der durch Flucht und Aderlass von Menschen angezeigt werde. Die »zynisch gerechtfertigten Fälschungen der Wahlen zeigten,25 dass derjenige, der die aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen nicht auf den Tisch der Regierung lege, das Recht verspielt habe, an diesem Tisch zu sitzen«. Die Partei müsse sich daran gewöhnen, dass sie nur ein Teil der Gesamtgesellschaft sei, so wie sich die katholische Kirche habe daran gewöhnen müssen, dass sie nicht die einzige Kirche sei.
Propst Falcke/Erfurt26 nahm Bezug auf die Beteiligung evangelischer Pfarrer an der Bildung und Arbeit »unabhängiger Gruppen« und erklärte, dass die »zum Schweigen gebrachten Menschen« in der Kirche ihre Stimme fänden.
Solche Gruppen brauchten Starthilfen, die ihnen durch Pfarrer geboten werden könnten. Er forderte, dass die Kirche solche Pfarrer für diese »Tätigkeit« freistellen sollte.
Der Synodale Pfarrer Adolph/Moritzburg27 führte aus, dass das Ansehen des Staates nach den Kommunalwahlen im Mai 1989 bei den Bürgern weiter gesunken und die Vertrauensbasis kleiner geworden sei. In diesem Zusammenhang forderte er dazu auf, die Frage nach der Macht und ihrer Beteiligung zu stellen.
Nach Auffassung des Synodalen Wächter,28 Diplomarchivar Greifswald, habe es in der DDR nie eine »Rechtsfreiheit« und Gleichberechtigung gegeben.
Der Synodale Frenzel,29 Diplommathematiker in Dresden, erklärte sein Nichteinverständnis mit dem Bau des Reinstsiliziumwerkes in Dresden-Gittersee und rief zu Gegenaktionen auf.30
Nach vorliegenden Hinweisen zum bisherigen Verlauf der Synode ist einzuschätzen:
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Politische Beratungsinhalte hatten Vorrang.
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Die Beratungen verliefen sehr widersprüchlich; dem Bekenntnis zur 40-jährigen positiven Entwicklung in der DDR stehen Ablehnungsaussagen zur aktuellen Politik gegenüber, verbunden mit Forderungen nach gesellschaftlicher Veränderung.
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Deutlich wird in vielen Aussagen eine inhaltliche Übereinstimmung mit bzw. eine Anlehnung an die deutschlandpolitische Konzeption der SPD. Das Grußwort von Schmude (vorliegenden internen Einschätzungen zufolge möglicherweise nach der Absage der DDR zum Besuch einer SPD-Delegation in der DDR inhaltlich geändert), insbesondere seine deutlichen Aussagen zum »gesamtdeutschen« Konzept der SPD und zur Arbeit westlicher Medienvertreter, haben in diesem Sinne wesentlich unterstützend gewirkt.
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Die im Vor- und Umfeld der Synode auch im kirchlichen Raum von feindlichen, oppositionellen und anderen negativen Kräften zur Diskussion gestellten unterschiedlichsten Papiere konzeptionellen Charakters (u. a. der bekannte Aufruf zur Schaffung einer »Bürgerbewegung Demokratie Jetzt«)31 bzw. solche Schreiben wie der »Brief aus Weimar an die Mitglieder und Vorstände der CDU«32 prägten ebenfalls die Inhalte von Diskussionsbeiträgen mit und werden, vorliegenden Einschätzungen zufolge, das Entscheidungsverhalten der Synodalen bei der Beschlussfassung der Dokumente der Synodaltagung ebenfalls mit beeinflussen.
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Die im Vorfeld der Synode geleistete umfangreiche differenzierte politische Arbeit staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen, Einrichtungen und Kräfte mit den Synodalen zeitigte bisher wenig Erfolg und war nicht ausreichend, diese in ihren Auffassungen positiv zu beeinflussen. Als ungünstig wirkte sich diesbezüglich die Absetzung der vorgesehenen Sachgespräche Staat – Kirche aus. (Realistische Synodalen z. B. aus dem Bereich der Evangelischen Landeskirche Greifswald zeigten aus den bekannten Gründen eine deutliche Zurückhaltung zur Darlegung ihrer Auffassungen.)
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Das Verhalten vieler Diskussionsredner war im Vergleich zu zurückliegenden Synodaltagungen durch eine deutlicher gewordene Direktheit ihrer Aussagen und Aggressivität ihrer Darlegungen zu politischen Problemen gekennzeichnet.
Nach Beendigung der Synodaltagung erfolgen eine umfassende Darstellung des Verlaufs und eine Einschätzung der Ergebnisse.