Aktivitäten der Zeugen Jehovas
17. Januar 1989
Information Nr. 24/89 über einige beachtenswerte Aktivitäten der amerikanischen Hauptleitung der Organisation »Zeugen Jehovas« und von ihr gegenüber der DDR geplante Maßnahmen
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen traf die internationale Zentrale der Organisation »Zeugen Jehovas«, Sitz in Brooklyn, New York, USA, Ende des Jahres 1988 Festlegungen, wonach langfristig Voraussetzungen geschaffen werden sollen für den geplanten Aufbau einer unter direkter Anleitung und Einflussnahme der Hauptleitung in den USA stehenden legalen Organisation »Zeugen Jehovas« in der DDR.1
Unter Einbeziehung der in die DDR hineinwirkenden Zentrale in der BRD seien dazu in einem etappenweisen Vorgehen
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Mitglieder der Organisation »Zeugen Jehovas« in der DDR für eine Tätigkeit in der Landesleitung zu ernennen und darauf vorzubereiten,
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hauptamtliche, überörtlich wirkende Funktionäre auszuwählen sowie
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ausgewählte Funktionäre für ihren vorgesehenen Einsatz in der DDR durch die Zentrale in der BRD auszubilden.
Wie weiter streng intern bekannt wurde, planen die Hauptleitung und deren Beauftragte die Durchführung eines sogenannten Weltkongresses der Organisation »Zeugen Jehovas« im August 1989 in der VR Polen,2 an dem u. a. auch Delegationen von Mitgliedern der Organisation aus sozialistischen Ländern teilnehmen sollen. Damit wird das Ziel einer Aufwertung und Internationalisierung in der Öffentlichkeit verfolgt.
Dem MfS liegen zur Organisation »Zeugen Jehovas« folgende beachtenswerte Erkenntnisse vor:
In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstand in überwiegend kleinbürgerlich-religiösen Kreisen der USA aus einer Splittergruppe der Adventisten eine neue religiöse Gemeinschaft, »Ernste Bibelforscher«, die im Jahre 1931 den Namen »Jehovas Zeugen« annahm. 1881 wurde für die Herstellung und den Vertrieb der Literatur der Gemeinschaft in Pittsburgh, USA-Staat Pennsylvania, die Aktiengesellschaft »Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft«, WTG, gegründet, die sich bald zur leitenden Körperschaft der Gemeinschaft, zu ihrem organisatorischen und geistigen Zentrum entwickelte.
Dieser Medienkonzern unterhält heute Tochtergesellschaften in 41 Ländern.
Führungsgremien der Organisation sind ein aus sechs Personen bestehendes gewähltes Direktorium und der auf Lebenszeit gewählte Präsident, die ausschließlich Staatsbürger der USA sind.
Der Amtssitz der Führungsgremien ist die internationale Zentrale der Organisation, das Hauptbüro der WTG in Brooklyn, New York, USA.
Die Einnahmen der Organisation, hauptsächlich resultierend aus dem Vertrieb von Zeitschriften, Büchern, Musikkassetten sowie aus Erbschaften von ihren Mitgliedern betrugen im Jahre 1983 ca. 750 Mio. DM.
In der Organisation herrscht ein autoritäres Regime. Das findet u. a. auch seinen Ausdruck in der Tatsache, dass Funktionen in der gesamten Organisation, einschließlich der einzelnen Landesverbände, administrativ durch Entscheidungen des Hauptbüros der WTG besetzt werden. Es bestehen darüber hinaus auch keinerlei demokratische Mitsprache- bzw. Kontrollrechte der Mitglieder.
Dieses Regime wird in entscheidendem Maße gestützt durch das Glaubensdogma, die WTG sei der »unantastbare Vertreter Gottes auf Erden«, ihre Herrschaft sei Gottesherrschaft, ihre Verkündigungen seien der »Wille Gottes«. Dem entspricht auch der Inhalt der zahlreichen Publikationen, die weltweit verbreitet und von allen »Zeugen Jehovas« intensiv studiert werden müssen. Darin getroffene Aussagen zu politischen, weltlichen und persönlichen Problemen gelten als verbindlich für die Mitglieder.
Die Organisation hat ca. drei Millionen Mitglieder in 210 Ländern der Erde. In 37 Staaten ist sie verboten bzw. Einschränkungen unterlegen. Durch eine straff organisierte Werbetätigkeit, zu der jedes Mitglied verpflichtet ist, ist die Organisation ständig um die Erweiterung ihrer Massenbasis bemüht.
Eigenen Angaben zufolge wurde im Jahre 1987 ein Mitgliederzuwachs von 5,7 Prozent, in den Staaten, in denen sie verboten ist, um 4,3 Prozent erreicht.
Kerngedanke der »Lehre der Zeugen Jehovas« ist die »Zeit des Endes der Welt«, wobei das gesamte Umfeld der Mitglieder »das Böse« verkörpere und zum »Gottes Gerichtstag, dem Harmagedon« vernichtet werde. Rettung vor der Vernichtung, ein Weiterleben in einem tausendjährigen paradiesischen Dasein auf Erden sei nur möglich, wenn man Jehovas Zeuge sei.
Die Mitglieder der Organisation treten elitär und fanatisch auf. Sie widersetzen sich jeglicher gesellschaftlicher Einbindung bzw. Mitwirkung.
Folgende ausgewählte Positionen und Verhaltensweisen charakterisieren ihre Haltung:
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Kriege seien gottgewollt und unvermeidlich, der Mensch sei außerstande, sie zu verhindern; Frieden werde nur durch Gott geschaffen,
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Wehrdienst/Wehrersatzdienst und vormilitärische Ausbildung werden prinzipiell abgelehnt, auch unter Inkaufnahme von Konsequenzen in der Schul- und Berufsausbildung (Nichtabschluss von Lehrverträgen und Verzicht auf höhere Schul- und Weiterbildung),
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Ablehnung jeglicher Übernahme gesellschaftlicher Mitverantwortung, äußert sich u. a. in der Nichtteilnahme an Wahlen und anderen politischen und gesellschaftlichen Höhepunkten sowie der Ablehnung einer politischen und gesellschaftlichen Mitarbeit in Parteien, Organisationen oder anderen Gemeinschaften,
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Inkaufnahme von Konfliktsituationen in Ehe und Familie, insbesondere Probleme in der Kindererziehung, die sich aus der Zugehörigkeit zur Organisation ergeben,
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Verbreitung von Existenz- und Zukunftsangst mit der Androhung des »Weltuntergangs«.
Mit dem staatlicherseits im Jahre 1950 ausgesprochenen Verbot der WTG und der Tätigkeit der Organisation »Zeugen Jehovas« in der DDR wurde die Organisation aus der Liste der zugelassenen Religionsgemeinschaften gestrichen.
In der DDR bekennen sich ca. 21 700 Bürger zu der Organisation »Zeugen Jehovas«, wobei ca. die Hälfte davon in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Dresden wohnhaft ist. (Seit ca. fünf Jahren ist die Anzahl der Mitglieder der Organisation durch den zahlenmäßigen Ausgleich von ca. 500 bis 700 Personen jährlich nahezu gleichbleibend.)
Die Mitglieder werden zu sogenannten Studiengruppen (jeweils acht bis zwölf Mitglieder) zusammengefasst.
Das Verhalten und Auftreten der Mitglieder in der Gesellschaft ist nicht offen provozierend. In der Regel beteiligen sie sich nicht an gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteten Aktivitäten.
Unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse werden immer deutlicher Verhaltenswidersprüche zu den Grundsätzen der WTG erkennbar.
Dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen zufolge sind Aktivitäten der Zentrale darauf gerichtet, dieser Tendenz wirksam entgegenzuwirken. Über ehrenamtlich örtlich und überörtlich wirkende Funktionäre wird die Organisationsstruktur in der DDR straff durch die Zentrale in der BRD geleitet.
Mit der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel und Methoden wird versucht, die Organisationsstruktur, die Tätigkeit der Funktionäre (Instruktionen und regelmäßige Berichterstattung) sowie ihre Verbindungen zur Zentrale in der BRD zu tarnen.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.