Aspekte zur Wiedereinweihung Dom St.Nikolai, Greifswald
8. Juni 1989
Information Nr. 283/89 über beachtenswerte Aspekte im Zusammenhang mit der Wiedereinweihung des Doms St. Nikolai zu Greifswald am 11. Juni 1989
An der am 11. Juni 1989 stattfindenden Wiedereinweihung des Doms St. Nikolai zu Greifswald1 werden nach dem MfS vorliegenden Hinweisen mehrere Mitglieder der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR teilnehmen.
Als ökumenische Gäste werden kirchenleitende Persönlichkeiten aus der BRD, darunter die Bischöfe Stoll2 und Wilkens,3 beide Nord-Elbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Sprengel Schleswig und Sprengel Holstein-Lübeck, sowie Vertreter schwedischer Kirchen, die sich an den Rekonstruktionsarbeiten materiell beteiligt haben, erwartet.
Die Bischöfe Stoll und Wilkens sind programmgemäß an der Durchführung des Gottesdienstes durch Vortragen kurzer Originalbibeltexte (Matthäus), ohne politische Deutungen, mitbeteiligt.
Ihre Teilnahme angekündigt haben auch Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft der BRD, darunter der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Björn Engholm,4 und der Aufsichtsratsvorsitzende der Krupp-AG, Berthold Beitz.5
Streng internen Hinweisen zufolge kam es im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten zur Wiedereinweihung des Doms, insbesondere seit Bekanntwerden der geplanten Teilnahme des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,6 innerhalb der KKL zu erheblichen Auseinandersetzungen.
Bischof Gienke7 wurde durch mehrere Mitglieder der KKL massiv angegriffen. Ihm gegenüber wurde der Vorwurf erhoben, die Einladung an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR im Alleingang, ohne rechtzeitige Abstimmung mit dem Bund der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR, ausgesprochen zu haben. Es wurde der Verdacht geäußert, dass man staatlicherseits in die Gemeinschaft der Gliedkirchen der evangelischen Kirchen in der DDR »Keile treiben« wolle und der Versuch unternommen worden sei, den Vorsitzenden der KKL, Bischof Leich,8 und den Leiter des Sekretariates des BEK, Ziegler,9 bewusst zu umgehen.
Nach weiter vorliegenden streng internen Hinweisen wurde im Ergebnis heftiger Debatten auf der 124. Tagung der KKL (2. bis 3. Juni 1989) um das Für und Wider einer Teilnahme kirchenleitender Personen der evangelischen Kirchen in der DDR an der Wiedereinweihung des Greifswalder Doms – u. a. noch dadurch verstärkt, dass der Direktor des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirchen in der DDR/Innere Mission und Hilfswerk, Oberkirchenrat Dr. Petzold,10 Berlin, demonstrativ seine Teilnahme an den Feierlichkeiten in Greifswald und seine Unterstützung für Bischof Gienke bekundete – festgelegt, durch die Anwesenheit von weiteren Mitgliedern der KKL die Einheit des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und aller Gliedkirchen des Bundes mit der Evangelischen Landeskirche Greifswald zu demonstrieren.
Entsprechend vorliegenden Hinweisen sei mit einer Teilnahme des Vorsitzenden der KKL, Bischof Leich, sowie von Bischof Demke11 (Magdeburg) nicht zu rechnen, da sie in kirchliche Veranstaltungen anlässlich der Müntzer-Ehrungen12 in ihrem Verantwortungsbereich eingebunden seien.
Nach weiteren internen Hinweisen informierte Bischof Forck13 auf der Sitzung der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, der Bischofskonvent und die leitenden Juristen der Gliedkirchen hätten ihn mit der Teilnahme an der Domeinweihung in Greifswald beauftragt, um ein Auseinanderbrechen der Gliedkirchen abzuwehren. Gleichzeitig sei beabsichtigt, dass er durch seine Anwesenheit deutlich den »radikalen kirchenpolitischen Teil« der Kirchen in der DDR repräsentiere. Falls der Staatsratsvorsitzende im Verlaufe der gottesdienstlichen Veranstaltung spreche, wolle er – Forck – als Repräsentant des Bischofskonvents Gelegenheit suchen, das Wort zu erhalten.
Bischof Forck informierte, Bischof Gienke sei inzwischen von der KKL ausdrücklich gemahnt worden, in seinen Erklärungen gegenüber dem Vorsitzenden des Staatsrates zu verdeutlichen, dass die Kirche in Greifswald ein Teil des BEK sei und zu der abgegebenen Erklärung der KKL »Meinungsbildung zu Anfragen im Zusammenhang mit der Kommunalwahl«14 (beschlossen auf der 124. Tagung der KKL) steht.15
Konsistorialpräsident Stolpe16 stellte auf dieser Sitzung der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg unter Hinweis auf die genannte Erklärung der KKL zu den Kommunalwahlen und die öffentlichkeitswirksame Demonstration feindlicher, oppositioneller Kräfte am 7. Juni 1989 in Berlin17 stark infrage, ob der Vorsitzende des Staatsrates der DDR überhaupt nach Greifswald fährt.
Im Zusammenhang mit der vorgesehenen kurzen Begegnung des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit einem kleinen Kreis ausgewählter Personen im Rathaus der Stadt Greifswald nach Abschluss der Wiedereinweihungsfeier des Doms äußerten streng internen Hinweisen zufolge auf realistischen Positionen stehende kirchenleitende Personen sowie im individuellen Gespräch auch Bischof Gienke die Erwartung, dass der Teilnehmerkreis dieser Begegnung durch die Anwesenheit von Vertretern des BEK, der Leitung der Evangelischen Landeskirche Greifswald und der Domgemeinde erweitert wird.
Diese Personen hätten ferner in vertraulichen Gesprächen geäußert, es würde den gegenwärtigen Stand von Bischof Gienke stärken, wenn der Vorsitzende des Staatsrates der DDR während dieser Begegnung einige kurze grundlegende Aussagen zur Weiterentwicklung der konstruktiven Beziehungen Staat – Kirche treffen würde.
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