Auffassungen der Katholischen Kirche zur Entwicklung in DDR
25. September 1989
Information Nr. 426/89 über Auffassungen führender Vertreter der katholischen Kirche zu Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen befasste sich die turnusmäßige Tagung der Berliner Bischofskonferenz – BBK – (4. bis 5. September 1989) sowohl mit zahlreichen innerkirchlichen Fragen als auch mit der aktuellen Situation in den Kirchengemeinden im Zusammenhang mit der Ausreiseproblematik.1 Die Bischöfe hätten sich unter Hinweis auf den »Weggang« von katholischen Gläubigen und weiteren DDR-Bürgern über die UVR nach der BRD sehr besorgt über die dadurch in den Kirchengemeinden entstandene Lage geäußert, die auch bei vielen Gläubigen Ängste und Betroffenheit ausgelöst hätte.
Nach Meinung der Tagungsteilnehmer habe man in den letzten Wochen besonders die Unzufriedenheit der Bürger mit ihrem Staat verspürt, sie bestünde jedoch schon über einen längeren Zeitraum und es sei deshalb an der Zeit, sich dazu öffentlich zu äußern.
Die DDR-Medien, nachdem sie zu der Ausreisethematik viel zu lange geschwiegen hätten, würden in jetzt erfolgten Veröffentlichungen nicht auf die Probleme »hier im Lande«, sondern vorwiegend auf die BRD eingehen und damit »über die Köpfe der Menschen agitieren«. Damit bestätige sich, dass die DDR-Medien, wie schon in der Vergangenheit, an den Realitäten des Lebens vorbeigingen.
Vielen DDR-Bürgern fehle die Verbundenheit mit ihrem Land. Eine wesentliche Ursache hierfür sei ihr gestörtes Verhältnis zu den staatlichen Organen, bedingt durch Entscheidungen zuungunsten der Bürger, und ein daraus resultierendes Absinken der Glaubwürdigkeit und staatlichen Autorität.
Als gravierendes Beispiel hierfür sei die Haltung des Staates zur Jugendweihethematik genannt worden. Obwohl es seitens des Staates wiederholt gegenüber dem ehemaligen Vorsitzenden der BBK, Kardinal Meisner,2 Zusagen gegeben habe, eine offizielle Stellungnahme zur Freiwilligkeit der Teilnahme an der Jugendweihe abzugeben, sei dies bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeblieben.3
Die Bischöfe hätten einstimmig den Vorschlag des amtierenden Vorsitzenden der BBK, Bischof Wanke,4 unterstützt, sich im Interesse des Selbstverständnisses der katholischen Kirche zum Thema der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern in das Ausland öffentlich zu äußern. Dabei sollte, ihren Auffassungen zufolge, in Betracht gezogen werden, dass die evangelischen Kirchen in der DDR in der von ihnen praktizierten Form zu gesellschaftlichen Fragen in der DDR öffentlich Stellung beziehen und dadurch vor allem jüngere Katholiken anziehen.
Die Bischöfe einigten sich darauf, eine Veröffentlichung in den katholischen Wochenzeitungen in Form eines Interviews des Leiters der Pressestelle der Berliner Bischofskonferenz mit Bischof Wanke vorzunehmen.5 (Der Wortlaut dieses Interviews werde dem Staatssekretär für Kirchenfragen bereits vor Ablauf der Sperrfrist übergeben.) Mit diesem Interview – so Bischof Wanke – werde das Ziel verfolgt, der gegenwärtig in den Gemeinden um sich gegriffenen »Massenpsychose des Weggehens aus der DDR« entgegenzuwirken und aus katholischer Sicht auf Lösungswege einzugehen, die zum Umdenken führen könnten.
Wie weiter bekannt wurde, äußerten sich Bischof Wanke sowie der Rektor am Priesterseminar in Erfurt, Prof. Feiereis,6 auch auf im Rahmen der Bistumswallfahrt der katholischen Kirche im Bereich des Bischöflichen Amtes Erfurt/Meiningen (17. September 1989) stattgefundenen Foren zu gesellschaftspolitischen Fragen.
So betonte Bischof Wanke in Beantwortung von Fragen zur politischen Situation in der DDR, dass mit Langmut, Ruhe und Zuversicht durch die Katholiken in der DDR auf Veränderungen gehofft werden solle. In der Beurteilung der gegenwärtigen politischen Situation sei er sich mit den evangelischen Amtsbrüdern einig. Die katholischen Bischöfe in der DDR seien jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bereit, gemeinsam mit den evangelischen Bischöfen Forderungen gegenüber der Regierung zum Ausdruck zu bringen. Anstehende Probleme sollten allein im Namen der katholischen Kirche in der DDR mit staatlichen Stellen besprochen werden, um positive Veränderungen aus der Sicht der Christen zu erwirken.
Auf einem Forum zum Thema »Wozu braucht die DDR einen Freidenkerverband«7 erklärte Prof. Feiereis, dieser Verband sei nur mit dem Ziel gegründet worden, der Religion den Krieg anzusagen und eine Formation gegen die Kirche bzw. gegen die Religion zu schaffen. Die bei seiner Gründung genannten historischen Wurzeln hätten für die Gegenwart keinerlei Gültigkeit.
Auch er sprach sich für den Verbleib der DDR-Bürger in ihrem Lande aus und verwies darauf, dass sich Veränderungen abzeichneten, die es zu unterstützen gelte. Wörtlich betonte er: »Es gibt die Regierung und die, die denken.«
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