Beachtenswerte Aspekte zur Lage in der CDU
26. Oktober 1989
Information Nr. 483/89 über einige aktuell beachtenswerte Aspekte zur Lage in der CDU
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen gibt es im CDU-Hauptvorstand und auf allen anderen Ebenen Bestrebungen, den Parteivorsitzenden Götting1 von seiner Funktion abzulösen. Es besteht die Auffassung, dass Götting nicht in der Lage sei, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Sein bisheriger Führungsstil werde in der Partei abgelehnt. Das betreffe auch vor allem seinen Widerstand gegen alle Reformbestrebungen in der Partei. Es gäbe dementsprechenden massiven Druck aus der Parteibasis, der durch Funktionäre und Mitglieder in der letzten Zeit in verschiedenen Formen zum Ausdruck gebracht wurde.
Der Mitunterzeichner des »Weimarer Briefes«,2 Oberkirchenrat Kirchner,3 beabsichtigt, zusammen mit den weiteren Mitverfassern des Briefes Huhn, Martina,4 Lieberknecht, Christine,5 Dr. Müller, Gottfried6 und zwölf Mitgliedern der CDU aus allen Bezirken der DDR am 31. Oktober 1989 und 1. November 1989 nach Berlin zu kommen, um Götting ultimativ aufzufordern, von dem Parteivorsitz zurückzutreten. Im Falle seiner Weigerung beabsichtigen diese Personen sogenannte Enthüllungen, die Person Götting betreffend, vorzunehmen, die es ihm unmöglich machen würden, »problemlos« abzutreten. Sie hätten sich bereits bei Götting angemeldet.
Mit dem Vorschlag, den bisherigen Stellvertreter des Vorsitzenden der CDU, Heyl,7 als Interimsvorsitzenden einzusetzen, erwarten sie die Unterstützung ihres Vorhabens durch Heyl. Sie fordern weiterhin die Einberufung eines Sonderparteitages der CDU vor dem XII. Parteitag der SED.8 Leitende Funktionäre der CDU halten es für möglich, die dafür notwendige Anzahl von Unterschriften von Mitgliedern zu erhalten (ein Drittel der Mitglieder).
Der Abteilungsleiter in der Abteilung Wirtschaft des CDU-Hauptvorstandes, Engel,9 hat nach streng internen Informationen auf Drängen des Sekretärs des Hauptvorstandes, Czok, Dietmar,10 einen Brief an den Parteivorsitzenden Götting geschrieben, in dem massive Kritik an dessen Arbeit geübt wird. Dieser Brief ist im Apparat des Hauptvorstandes und bei leitenden Funktionären bekannt geworden. Aus Äußerungen von Götting geht tiefe Resignation und auch Hilflosigkeit hervor, wie er mit der Situation fertigwerden kann.
Das Verhalten von Engel wird von leitenden Funktionären der CDU teilweise abgelehnt.
In der Woche vom 16. bis 20. Oktober 1989 fand im Hauptvorstand der CDU eine Beratung mit den Kreisvorsitzenden statt. Auf dieser Beratung wurde von den Teilnehmern eine Vielzahl von Forderungen zur politischen und innerparteilichen Arbeit der Partei gestellt. Dabei wurde auch offen die Frage nach den noch vorhandenen Fähigkeiten des Parteivorsitzenden zur Führung der Partei aufgeworfen.
Es wird eingeschätzt, dass der gegenwärtige Zustand an der Parteibasis dadurch charakterisiert ist, dass sich eine große Mehrzahl der Mitglieder an den Unterzeichnern und dem Inhalt des »Weimarer Briefes« orientieren und jene Funktionäre bzw. Mitglieder eine Vertrauensbasis erlangen, die die Parteizentrale offen kritisieren.
Nach internen Hinweisen versuchen Heyl als auch Czok, aus dieser Entwicklung persönliche Vorteile zu ziehen. Beide streben den Parteivorsitz an.
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