Feindliche Aktivitäten bezüglich der Kommunalwahlen
16. Mai 1989
Hinwiese über Aktivitäten feindlicher, oppositioneller u. a. negativer Kräfte zur Diskreditierung der Ergebnisse der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 [Bericht K 3/100]
In Fortsetzung der langfristig vorbereiteten und teilweise realisierten Störaktionen gegen die Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 unternehmen gegenwärtig personelle Zusammenschlüsse, Gruppierungen und Gruppen, insbesondere in der Hauptstadt der DDR, Berlin, provokatorische Handlungen zur Diskreditierung der Ergebnisse der Kommunalwahlen.1
Auf der Grundlage von am Wahltag im Ergebnis durchgeführter sogenannter flächendeckender Kontrollen in Wahllokalen getroffenen Feststellungen beabsichtigen innere Feinde den »Nachweis« einer angeblichen Fälschung von Wahlergebnissen in ausgewählten Wahlbezirken zu führen. Vorliegende streng interne Hinweise lassen dabei auf ein stabsmäßig organisiertes und koordiniertes Vorgehen feindlicher, oppositioneller Kräfte und ihr abgestimmtes Zusammenwirken mit den in Westberlin agierenden Feinden der DDR, Jahn2 und Hirsch,3 sowie mit in der DDR akkreditierten Korrespondenten erkennen. Besonders beachtenswert sind folgende geplante Aktivitäten:
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die Erarbeitung und Erstattung von Anzeigen beim Generalstaatsanwalt der DDR durch den bekannten Pfarrer Eppelmann4 und seinen Umgangskreis sowie durch Mitglieder der »Initiative Frieden und Menschenrechte«5 (Martin Böttger6 u. a.);
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die Anfertigung und das Versenden von Eingaben an den Staatsrat der DDR sowie an den Nationalrat der Nationalen Front der DDR7 durch Personenkreise um Eppelmann sowie der »Umweltbibliothek«,8 der »Initiative Frieden und Menschenrechte« und weiterer personeller Zusammenschlüsse;
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die Erarbeitung einer DDR-weiten »Öffentlichen Erklärung« aller sogenannten Basisgruppen zur »Wahlfälschung durch den Staat«9 durch solche hinlänglich bekannten Inspiratoren/Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit und reaktionärer kirchlicher Amtsträger wie Werner Fischer,10 Ulrike Poppe11 und Frank-Herbert Mißlitz12 sowie die Pfarrer Simon13(Zionskirchengemeinde) und Schneider14 (Elisabethkirchengemeinde), verbunden mit einer Unterschriftensammlung. Festgelegt ist die Vervielfältigung dieser »Erklärung« (ca. 2 000 Exemplare), ihre Verbreitung an sogenannte kirchliche Basisgruppen in der DDR und deren Übergabe an Vertreter westlicher Massenmedien sowie an staatliche Organe und gesellschaftliche Einrichtungen in der DDR.
Zu bereits realisierten Aktivitäten liegen folgende Erkenntnisse vor:
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die Verbreitung der genannten »Öffentlichen Stellungnahme zu den Kommunalwahlen 1989«, unterzeichnet von 18 sogenannten kirchlichen Basisgruppen15 überwiegend aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, sowie eines »Einspruchs gegen die Gültigkeit der Kommunalwahlen 1989 in Berlin«,16 gerichtet an den Nationalrat der Nationalen Front der DDR – jeweils mehr als 20 Exemplare – im Stadtzentrum der Hauptstadt;
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Vorsprachen von namentlich bekannten reaktionären kirchlichen Amtsträgern u. a. kirchlichen Kräften bei Oberbürgermeistern und Stellvertretern der Oberbürgermeister und Stellvertretern der Oberbürgermeister für Inneres bzw. von vorgenanntem Personenkreis an diese gerichtete Briefe (z. B. Potsdam: Pfarrer Schalinski,17 Dresden: Superintendent Ziemer,18 Jena: Pfarrer Schröter19);
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streng interne Feststellungsergebnisse über den postalischen Versand von durch Mitglieder sogenannter kirchlicher Basisgruppen verfassten »Kontrollberichten« über angebliche Wahlmanipulationen in der Hauptstadt der DDR und in Potsdam an politisch negative Einzelpersonen in der DDR.
Zur wirksamen Zurückweisung der festgestellten provokativen rechtswidrigen Handlungen wird vorgeschlagen:
1. Wegen der in der Hauptstadt der DDR erfolgten Verbreitung des sogenannten »Einspruchs gegen die Gültigkeit der Kommunalwahlen 1989 in Berlin« sowie der »Öffentlichen Stellungnahme zu den Kommunalwahlen 1989« wird seitens des MfS ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt gemäß § 220 Abs. 2 StGB20 eingeleitet, da die genannten Schriften, insbesondere durch die Behauptung einer »Willkür der Wahlvorstände bei der Stimmenauszählung« sowie einer »offensichtlichen Wahlmanipulation« geeignet sind, die staatliche und öffentliche Ordnung verächtlich zu machen. Im Verlauf der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens werden die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zur Ermittlung der Täter geführt.
2. Provokative Anzeigen von Personen gemäß § 92 StPO wegen angeblicher »Wahlmanipulation«21 werden durch die Untersuchungsorgane und den Staatsanwalt unter Verweis auf das bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren zurückgewiesen.
In diesem Zusammenhang wird den entsprechenden Personen mitgeteilt, dass durch das zuständige Untersuchungsorgan gemäß § 98 StPO ein Ermittlungsverfahren wegen Öffentlicher Herabwürdigung eingeleitet worden ist.22 Im Rahmen der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens wurde festgestellt, dass es sich bei dem vorgebrachten Sachverhalt um eine sachlicher Grundlage entbehrende Provokation handelt. Für die Zurkenntnisnahme und Prüfung des dargelegten Sachverhalts besteht somit kein Anlass.
Beschwerden gegen diese Entscheidung werden durch den zuständigen Staatsanwalt gemäß § 91 StPO abschlägig und endgültig entschieden.23
3. Wird festgestellt, dass Personen für die öffentliche Verbreitung derartiger Schriften in Frage kommen, werden sie im Rahmen der notwendigen Prüfungshandlungen auf der Grundlage des bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt zur Sachverhaltsklärung befragt. Im Falle der Bestätigung einer Täterschaft ist in Abhängigkeit von der Persönlichkeit, den Beweggründen und der konkret verfolgten Zielstellung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 220 Absatz 2 StGB gegen diese Person zu entscheiden.
4. Der »Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunalwahlen 1989 in Berlin« sowie ähnliche sich auf das Eingabengesetz24 beziehende Schriften werden durch die Organe, bei denen sie eingehen, auf der Grundlage der unter Ziffer 1 dazu getroffenen Einschätzung zurückgewiesen. Dabei wird auch mit davon ausgegangen, dass das diesen zugrunde liegende Zahlenmaterial im Ergebnis von rechtswidrigen Erhebungen entstand und die verwendeten Zahlen bereits Gegenstand von gegen die DDR gerichteten verleumderischen Veröffentlichungen ausländischer Medien waren.
5. Zur Gewährleistung eines einheitlichen Vorgehens der Rechtspflege- und anderen staatlichen Organen beim offensiven Zurückweisen von sogenannten Eingaben und offenen Briefen gegen die angebliche Fälschung der Wahlergebnisse bei den Kommunalwahlen ist durch den Generalstaatsanwalt der DDR, das MdI und das MfS eine entsprechende Weisung herauszugeben.
6. Durch geeignete Maßnahmen ist der Versand derartiger Materialien zu unterbinden.
7. In Abhängigkeit von der Fortsetzung der gegnerischen Kampagne zu angeblichen Fälschungen der Wahlergebnisse sind in den Medien der DDR derartige Angriffe offensiv zurückzuweisen.