Geplante feindliche Aktivitäten zu den Kommunalwahlen 7. Mai
21. April 1989
Information Nr. 182/89 über Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte im Zusammenhang mit der Durchführung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989
Streng internen Hinweisen zufolge beabsichtigen feindlich-negative, oppositionelle Kräfte in Fortsetzung bisher begangener antisozialistischer Handlungen im Rahmen der Wahlbewegung auch anlässlich der unmittelbaren Wahlhandlungen am Wahltage öffentlichkeitswirksame provokatorisch-demonstrative Aktivitäten durchzuführen.1
Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Kommunalwahlen haben derartige Personen, darunter insbesondere Inspiratoren/Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit unter Mitwirkung von Antragstellern auf ständige Ausreise2 sowie reaktionäre kirchliche Personenkreise und Mitglieder sogenannter kirchlicher Basisgruppen,3 in Übereinstimmung mit entsprechenden gegnerischen Stoßrichtungen bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um anlassbezogene antisozialistische Aktivitäten zu begehen mit dem Ziel, das politische Anliegen der Wahlen zu stören, erweiterten Handlungsraum für unkontrollierte gesellschaftspolitische Bewegungen zu schaffen.
So wurden während vielfältiger kirchlicher Veranstaltungen und Zusammenkünfte feindlich-negativer Gruppierungen und Kräfte unterschiedlichste, der genannten Zielstellung entsprechende Pamphlete in Form von Aufrufen, Briefen u. Ä. mit Orientierungen und Instruktionen für entsprechende Aktivitäten im Zusammenhang mit den Wahlen erarbeitet, diskutiert und an Gleichgesinnte zum Teil republikweit weiterverbreitet.
An derartigen seit längerer Zeit unter feindlich-negativen Gruppierungen und Kräften kursierenden und von diesen als Anleitung zum Handeln aufgegriffenen Pamphleten sind insbesondere hervorzuheben der »Aufruf des Friedenskreises der Erlösergemeinde Berlin zur Unterstützung der Kommunalwahlen in der DDR 1989«4 und »Ein Brief an Christen in der DDR und ihre Gemeindevertreter zu den Kommunalwahlen 1989«,5 an deren Ausarbeitung maßgeblich beteiligt waren die sogenannten Basisgruppen Initiativgruppe »Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung«,6 »Friedenskreis« der Erlösergemeinde,7 »Friedenskreis« der Bartholomäus-Gemeinde,8 »Friedenskreis« der Golgathagemeinde,9 »Friedenskreis Pankow«10 und »Grün-ökologisches Netzwerk Arche«11 sowie ein Material der »Projektgruppe Umweltrecht« des »Grün-ökologischen Netzwerkes Arche«.
In Kenntnis der Pläne und Absichten innerer Feinde zum politischen Missbrauch der Wahlbewegung wurden durch die Realisierung wirksamer Maßnahmen im engen Zusammenwirken der Schutz- und Sicherheitsorgane mit anderen zuständigen staatlichen Organen, gesellschaftlichen Organisationen und Kräften unter Führung der Partei
- –
Absichten und einzelne Versuche feindlich-negativer Kräfte, insbesondere aus sogenannten Friedens-, Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, eigene Kandidaten als sogenannte unabhängige Abgeordnete in Vorschlag zu bringen bzw. in wahlleitende Organe mit dem Ziel der negativen Beeinflussung und Kontrolle des Wahlablaufes zu gelangen, vorbeugend verhindert bzw. konsequent unterbunden.
- –
Bestrebungen insbesondere von reaktionären kirchlichen und dem politischen Untergrund zuzuordnenden Kräften sowie Antragstellern auf ständige Ausreise, die Rechenschaftslegungen der Abgeordneten und die anderen öffentlichen Veranstaltungen zu nutzen, um gegen die Wahlgesetzgebung und einzelne wahlrechtliche und -organisatorische Grundsätze sowie das Wahlprogramm aufzutreten, politisch-provokatorische Fragen zu stellen und feindlich-negative Auffassungen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten, im Wesentlichen unterbunden. (Einzelne derartige Feindaktivitäten wurden durch progressive Kräfte konsequent zurückgewiesen.)
Dem MfS vorliegenden internen Hinweisen zufolge sind nachfolgende Handlungen und Aktivitäten zur Störung der unmittelbaren Durchführung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 beabsichtigt:
Von einzelnen Kräften des politischen Untergrundes und reaktionären kirchlichen Amtsträgern abgesehen, die eine Teilnahme an der Wahl generell ablehnen und Personen aus ihrem Umgangskreis entsprechend beeinflussen mit der Begründung, damit würde das Wahlsystem in der DDR als demokratisch anerkannt, orientiert die Mehrzahl der inneren Feinde in Fortsetzung der bisherigen politischen Störaktionen, die internen Informationen zufolge von bestimmten feindlich-negativen Kräften selbst als wenig wirksam eingeschätzt werden, gegenwärtig auf eine unbedingte Teilnahme an der Wahl und die Begehung feindlich-negativer Aktivitäten im Zusammenhang mit den Wahlhandlungen.
Zum Zwecke der Inspirierung eines dementsprechenden Wahlverhaltens wurden die bereits genannten Pamphlete unter feindlich-negativen Personenkreisen weiter verbreitet und von Vertretern sogenannter kirchlicher Basisgruppen und Führungskräften des politischen Untergrundes zusätzlich »Aufforderungen«, »Erklärungen« und »offene Briefe« zur Teilnahme an der Wahl in Umlauf gebracht.
Grundsätzlich beinhalten alle diese Pamphlete Orientierungen,
- –
den Eingang der Wahlbenachrichtigungskarten abzuwarten und im Falle des Nichterhaltens in die Wählerlisten Einsicht zu nehmen und die Eintragung in diese zu fordern,
- –
demonstrativ den geheimen Charakter der Wahlen zu unterstreichen,
- –
allein bzw. organisiert auf Gruppenbasis den Ablauf der Wahlhandlungen und die öffentliche Auszählung der abgegebenen Stimmen zu beobachten, um so angebliche Wahlmanipulationen nachweisen und dokumentieren zu können.
Obwohl seitens der evangelischen Kirchen in der DDR offiziell der Standpunkt vertreten wird, das Wahlverhalten der Bürger nicht beeinflussen zu wollen, da es in der persönlichen Entscheidung jedes einzelnen Bürgers liege, ob und wie er sein Grundrecht auf Mitbestimmung und -gestaltung in der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Wahl wahrnimmt, ergehen dennoch von einigen kirchenleitenden Gremien, wie z. B. während der Tagung der 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (31. März bis 4. April 1989 in Dresden) sowie durch eine Reihe kirchlicher Amtsträger auf kirchlichen Veranstaltungen ähnliche Orientierungen bis hin zu vereinzelten Aufforderungen, im Wahllokal demonstrativ die Wahlscheine zu zerreißen. Beachtenswert ist, dass auf der genannten Synodaltagung fast einstimmig ein Beschluss gefasst wurde, in dem Zweifel hinsichtlich des demokratischen Charakters der Wahlen sowie Bedenken und Befürchtungen bezogen auf mögliche Wahlmanipulationen zum Ausdruck gebracht werden und unterstellt wird, die Wahlen trügen lediglich formalen Bekenntnis- und Zustimmungscharakter für eine längst festgelegte Politik.
Eine Anzahl von Kräften des politischen Untergrundes und reaktionären kirchlichen Amtsträgern lehnen eine Teilnahme an der Wahl generell ab und beeinflusst Personen ihres Umgangskreises dementsprechend mit der Begründung, ansonsten würde das Wahlsystem in der DDR als demokratisch anerkannt. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass erstmalig auf einem Regionaltreffen sogenannter kirchlicher Basisgruppen in Brandenburg/Potsdam am 16. April 1989 in Auswertung und Umsetzung von Orientierungen des sogenannten zentralen Friedensseminars »Konkret für den Frieden VII«12 im Februar 1989 in Greifswald eine »Erklärung« verbreitet wurde, der zufolge die 46 Unterzeichner – mehrheitlich hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle Kräfte aus personellen Zusammenschlüssen in der Hauptstadt der DDR – nicht an den Wahlen teilnehmen wollen mit der Begründung, das Wahlgesetz der DDR lasse keine demokratische Mitbestimmung zu, das Prinzip freier und geheimer Wahlen sei nicht gewährleistet und die absehbaren Ergebnisse der Wahlen widerspiegelten nicht das tatsächliche Verhältnis der Bevölkerung zu Partei und Staat.
Streng internen Hinweisen zufolge beabsichtigen bekannte feindlich-negative Kräfte aus Leipzig am Wahltag ab 18.00 Uhr auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus in Leipzig eine Wahlurne zur Sammlung von Wahlbenachrichtigungskarten von Nichtwählern aufzustellen. Bürger, die sich mit der Wahl nicht einverstanden erklären, sollen dazu aufgefordert werden, durch öffentlichkeitswirksames Zerreißen der Wahlbenachrichtigungskarten und anschließendes Einwerfen in die aufgestellte Wahlurne demonstrativ ihre Absage an die Wahl zu bekunden. Die Aktion soll mittels Flüsterpropaganda bekannt gemacht werden. Vorgesehen ist die Einbeziehung westlicher Medien (ARD, ZDF). Im Falle von Zuführungen und Verhaftungen sei ein »Kontakttelefon« vorgesehen. (Es wurden Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung dieser Provokation eingeleitet.)
Beachtenswert ist, dass es seit Anfang 1989 (Stand: 19. April 1989) zu insgesamt 30 Vorkommnissen des öffentlichkeitswirksamen Anbringens von Hetzlosungen und Verbreitens von Hetzblättern (davon seit 1. April 1989 – 22 Vorkommnisse) kam. Die darin enthaltenen Angriffe mit Bezugnahme auf die Kommunalwahlen richteten sich gegen das Wahlsystem der DDR in seiner Gesamtheit bzw. gegen einzelne wahlrechtliche und -organisatorische Grundsätze, teilweise verbunden mit Aufforderungen, die Wahlen zu boykottieren sowie Aktivitäten zu deren politischen Missbrauch zu begehen.
Vereinzelt gab es aggressiv formulierte Forderungen nach Veränderung der Innenpolitik in der DDR in Richtung Liberalisierung, Demokratie und politischer Pluralismus westlicher Prägung (territoriale Schwerpunkte – Hauptstadt der DDR, Berlin – 7, Karl-Marx-Stadt – 8).
Es wurden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet, um auf hohe Öffentlichkeits- und Massenwirksamkeit abzielende anlassbezogene Vorkommnisse der staatsfeindlichen Hetze, insbesondere in schriftlicher Form, vorbeugend zu verhindern bzw. bereits im ersten Angriff im engen und abgestimmten Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei und geeigneten gesellschaftlichen Kräften zielstrebig und schnell aufzuklären.
Es wird vorgeschlagen, den Staatssekretär für Kirchenfragen zu beauftragen, die vorgesehenen Gespräche von Vertretern staatlicher Organe mit kirchenleitenden Kräften in Auswertung der stattgefundenen Synodaltagungen zu nutzen, um die politisch-negativen Verhaltensweisen einiger kirchenleitender Gremien und kirchlicher Amtsträger im Zusammenhang mit den bevorstehenden Kommunalwahlen zurückzuweisen und die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck zu bringen, dass seitens kirchenleitender Kräfte darauf Einfluss genommen wird, gegen das Grundanliegen der Kommunalwahlen gerichtete Angriffe seitens kirchlicher Amtsträger und unter dem Dach der Kirche agierender kirchlicher Basisgruppen zu unterbinden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.