Geplante kirchl. Aktivitäten 50.Jahrestag Beginn 2. Weltkrieg
25. August 1989
Information Nr. 397/89 über geplante kirchliche Aktivitäten anlässlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen bereiten die evangelischen Kirchen in der DDR, teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften auf der Ebene der Kirchengemeinden, in der gesamten DDR zahlreiche Gedenkveranstaltungen anlässlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges vor. Sie folgen damit einem Aufruf, der in einem gemeinsam vom Bund der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR und der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) verfassten und an alle evangelischen Kirchengemeinden in der DDR versandten »Wort an die Gemeinden« (einschließlich beigefügter abgestimmter Texte für ein Fürbittgebet, ein Gebet, einen Sprechertext sowie der Aufforderung zum Glockenläuten am 1. September 1989 nach »eigenem Ermessen«) enthalten ist.1 Diese Gedenkveranstaltungen sollen mehrheitlich in Form von Gottesdiensten und Andachten in kirchlichen Räumen stattfinden.
Darüber hinaus liegen jedoch auch sicherheitspolitisch beachtenswerte Hinweise über geplante Vorhaben von Kirchengemeinden aus gleichem Anlass vor, die außerhalb kirchlicher Räumlichkeiten in Gestalt sogenannter Pilgerwege, Friedensmärsche, Kreuzwege u. Ä., vereinzelt unter Mitführung von Sichtelementen, realisiert werden sollen.
Diesbezügliche Empfehlungen sind in einer 73-seitigen »Arbeitshilfe für den Gedenkgottesdienst am 1. September 1989« – gemeinsamer Herausgeber ist die »Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e.V.«, die »Kommission für Kirchliche Jugendarbeit beim BEK in der DDR« und der »Ökumenische Jugendrat in der Deutschen Demokratischen Republik« – enthalten,2 die an alle evangelischen Landeskirchen in der DDR übergeben wurde. (Diese »Arbeitshilfe« enthält u. a. solche Vorschläge, wie: zu Beginn der Gottesdienste Kerzen zu entzünden, die nach Beendigung »herausgetragen und zu Menschen gebracht« werden sollen, die »ein Zeichen der Verbundenheit und Nähe brauchen«; öffentliche Veranstaltungen im Anschluss an den Gottesdienst in der Stadt durchzuführen; Gedenkstätten, Plätze des lokalen Erinnerns an den Beginn des Zweiten Weltkrieges; »Stätten des Unfriedens in der Stadt« und Unterkünfte von Ausländern aufzusuchen.)
Nachfolgend eine Übersicht über bisher bekannt gewordene sicherheitspolitisch bedeutsame geplante Vorhaben der Kirchen in der DDR.
Hauptstadt der DDR, Berlin
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Zentraler Gottesdienst am 1. September 1989 in der Marienkirche (Berlin-Mitte) auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR zum Thema »Kirche des Friedens werden«. Die Predigt soll Bischof Minor,3 Dresden (Evangelisch-methodistische Kirche), halten. Als Gäste aus der BRD sollen u. a. zwei namentlich bekannte Vertreter der »Evangelischen Kirche in Deutschland« teilnehmen.
Bezirk Erfurt
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Nach sogenannten Stationsgottesdiensten am 1. September 1989 in fünf Erfurter Kirchen wollen sich deren Teilnehmer ohne Mitnahme von Sichtelementen und Kerzen auf einen »Weg des Gedenkens« zur Predigerkirche Erfurt begeben, um an einem ökumenischen Gottesdienst teilzunehmen (gemeinsames Vorhaben der evangelischen und katholischen Kirche in Erfurt). Die Organisatoren rechnen mit einer Teilnahme von ca. 1 000 Personen, darunter Bischof Wanke4 und Propst Falcke.5
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Nach Abschluss eines ökumenischen Gottesdienstes am 1. September 1989 in der Herderkirche in Weimar ist ein Podiumsgespräch mit Teilnehmern des Zweiten Weltkrieges vorgesehen, auf dem diese über ihre Erfahrungen mit dem »Dritten Reich« berichten sollen.
Bezirk Gera
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Durchführung eines »Ökumenischen Kreuzweges« am 1. September 1989 in Gera mit mehreren Stationen, beginnend mit einer Gedenkandacht am »Agneskreuz« in Gera-Ernsee, Gottesdiensten in der Marien- und Salvatorkirche sowie im Gemeindezentrum der Freien Evangelischen Gemeinde Gera, einer Gedenkandacht am Gedenkstein der Geraer Synagoge und endend mit einem Abschlussgottesdienst im katholischen Gemeindezentrum Gera.
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Durchführung eines »Ökumenischen Kirchenpfades« am 3. September 1989 in Jena zwischen den kirchlichen Einrichtungen Lutherhaus – Schillerkirche – Freie Evangelische Gemeinde – Gemeinderaum der Siebenten-Tags-Adventisten – Friedenskirche, verbunden mit jeweils fünfzehnminütigen Andachten. Der Abschlussgottesdienst soll in der Jenaer Stadtkirche stattfinden.
Bezirk Leipzig
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Organisierung eines »Pilgerweges der Betroffenheit« zwischen der Apostel- und Hoffnungskirche in Leipzig am 1. September 1989 in Verbindung mit jeweiligen Gottesdiensten in beiden Kirchen. Verantwortlich dafür zeichnet das zuständige Pfarrkonvent in Leipzig unter Einbeziehung weiterer Kirchengemeinden. Nach den Vorstellungen der Organisatoren soll dieser Pilgerweg auch über Betriebsgelände des VEB Kombinat Baukema Leipzig führen, um dort mit einer Kranzniederlegung der ehemals auf diesem Gelände gefangen gehaltenen Zwangsarbeiter zu gedenken.
Bezirk Dresden
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Glockenläuten in allen Kirchen der Stadt Dresden am 1. September 1989, 5.45 Uhr
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Organisierung einer »Gebetskette« in der Zionskirche Dresden unter Einbeziehung weiterer drei evangelischer und einer katholischen Kirchengemeinde am 1. September 1989 in der Zeit von 14.00 bis 17.00 Uhr. Danach Abschlussgottesdienst in der Zionskirche (20.00 Uhr), dem sich ein Marsch zur Mahn- und Gedenkstätte im Georg-Schumann-Bau der Technischen Universität Dresden anschließen soll (Gebet und Ablage eines Blumengebindes).
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Durchführung von »Ökumenischen Wegen« im Stadtbezirk Dresden-Mitte am 1. September 1989 in Verantwortung der jeweiligen evangelischen und katholischen Kirchengemeinden
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1. 18.00 Uhr beginnend in der Kathedrale (kurze Andacht) über die Brühlsche Terrasse zur Reformierten Gemeinde (Andacht), danach vorbei an der Ruine der Frauenkirche und endend mit dem Abschlussgottesdienst in der Kreuzkirche (18.30 Uhr)
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2. 18.00 Uhr beginnend an der Ruine der Trinitatiskirche (Andacht), zur Synagoge (Fiedlerstraße) und danach weiter zum ehemaligen Standort der Erlöserkirche (Abschlussgottesdienst im Gemeindehaus der Erlöser-Andreas-Kirche)
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Weitere vier »Ökumenische Wege« mit Stationscharakter sind am 1. September 1989 vorgesehen in den Stadtbezirken Dresden-Nord, Süd und West.
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Die evangelische Kirchengemeinde Coswig, [Kreis] Meißen, veranstaltet mit der katholischen Kirchengemeinde einen »gemeinsamen Friedensweg«, auf dem Kerzen mitgeführt werden sollen. Ein Vorhaben ähnlichen Charakters unter Mitführung von Plakaten mit der Aufschrift »Friede auf Erden« plant die evangelische Kirchengemeinde Arnsdorf, [Kreis] Dresden-Land.
Bezirk Potsdam
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Glockenläuten der Kirchen in der Stadt Potsdam am 1. September 1989, 5.45 Uhr
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Durchführung eines »Ökumenischen Friedensmarsches« am 1. September 1989 durch die Innenstadt in Neuruppin zu den dort ansässigen sieben kirchlichen Gemeinschaften. Die Organisatoren (Junge Gemeinde Neuruppin unter Leitung des Jugendwartes Schulz)6 planen die Mitführung von Transparenten mit den Aufschriften »Friede den Friedfertigen« und »Gedenken des 2. Weltkrieges«.
Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der geplanten kirchlichen Aktivitäten anlässlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges fanden durch die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke und Kreise für Inneres bzw. durch die Bereichsleiter für Kirchenfragen bei den Räten der Städte Gespräche mit den jeweils zuständigen kirchenleitenden Personen und mit den Organisatoren statt.
In diesen Gesprächen wurde den betreffenden kirchlichen Amtsträgern die staatliche Erwartungshaltung übermittelt, keinen politischen Missbrauch derartiger Veranstaltungen zuzulassen und ihrer Verantwortung für die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit nachzukommen.
Es wird vorgeschlagen:
1. Durch leitende Mitarbeiter des Staatssekretariats für Kirchenfragen sollte dem Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR die staatliche Erwartungshaltung übermittelt werden, dass die auf der Grundlage der vom BEK herausgegebenen Orientierungen geplanten kirchlichen Veranstaltungen anlässlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges ausschließlich religiösen Charakter tragen und seitens des BEK auf alle Kirchenleitungen dahingehend Einfluss genommen wird, einen politischen Missbrauch aller diesbezüglichen kirchlichen Veranstaltungen zu unterbinden.
2. Allen kirchlichen Aktivitäten anlässlich dieses Jahrestages, einschließlich geplanter Bewegungen von Teilnehmern an Gottesdiensten und Andachten zwischen mehreren Kirchen, sollte zugestimmt werden, sofern diese ausschließlich religiösen Charakter tragen.
3. Alle auf Öffentlichkeitswirksamkeit abzielenden demonstrativen Handlungen, insbesondere die Formierung von Märschen und das Mitführen von Sichtelementen politisch negativen Inhalts sollten bereits bei der Beantragung durch die zuständigen staatlichen Organe abgelehnt werden. Den zuständigen kirchlichen Amtsträgern sollte nahegelegt werden, derartige geplante Vorhaben zu unterbinden bzw. davon Abstand zu nehmen.
Sollten derartige Vorhaben unter Missachtung erteilter staatlicher Auflagen dennoch realisiert werden, sind diese durch Einsatzkräfte der Schutz- und Sicherheitsorgane im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Kräften im Ansatz zu unterbinden. Wird den Aufforderungen zur Auflösung von Märschen, Demonstrationen u. Ä. bzw. zum Entfernen von Sichtelementen politisch-negativen Inhalts nicht Folge geleistet, sollte unter Beachtung der konkreten Lagebedingungen im entsprechenden Handlungsraum die Zuführung der betreffenden Personen und die differenzierte Anwendung von ordnungsstrafrechtlichen Maßnahmen erfolgen.