Geplante Tagung der Evangelischen Akademien mit Medizinern
29. Mai 1989
Information Nr. 267/89 über eine geplante Tagung der Evangelischen Akademien Berlin, Greifswald und Magdeburg mit Mitgliedern personeller Zusammenschlüsse von Medizinern
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen ist im Zeitraum vom 2. bis 4. Juni 1989 in der Stephanus-Stiftung Berlin eine »Gemeinsame Tagung der Evangelischen Akademien Berlin – Greifswald – Magdeburg für Mitarbeiter aus medizinischen Berufen« geplant. Sie steht unter dem Motto »Ich weiß von der Schuld der Gleichgültigkeit – Ärzte in sozialer Verantwortung«.1
Inspiratoren, Organisatoren und Mitwirkende der als kirchliche Tagung deklarierten Veranstaltung sind vor allem hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle Mitglieder bestehender personeller Zusammenschlüsse von Medizinern, wie des sogenannten Christlichen Arbeitskreises »Ärzte für den Frieden« Berlin,2 des »Arbeitskreises Christliche Mediziner in sozialer Verantwortung« Halle3 und des sogenannten Christlichen Arbeitskreises von Medizinern im Bezirk Erfurt4 sowie mit diesen sympathisierende Mediziner und Wissenschaftler (zu derartigen personellen Zusammenschlüssen und von ihnen ausgehenden Aktivitäten wurde in der Information des MfS Nr. 529/88 vom 7. Dezember 1988 berichtet).
Diese Kräfte verfolgen das Ziel, die geplante Tagung gewissermaßen als erstes zentrales Treffen genannter »Ärztegruppen« für deren stärkere Vernetzung und inhaltliche Profilierung zu missbrauchen. Es sollen die Existenz einer unabhängig von der Sektion DDR der Vereinigung »Ärzte zur Verhinderung eines Nuklearkrieges« (IPPNW)5 existierenden »Organisationsstruktur engagierter Mediziner und Wissenschaftler« demonstriert und bekannte negative und gegen die Politik der Partei gerichtete Auffassungen wissenschaftlich verbrämt propagiert werden. Weiter ist beabsichtigt, aus beruflich gleichgelagerten Personenkreisen Sympathisanten zu gewinnen und diese zur Bildung analoger Gruppierungen und Gruppen zu beeinflussen.
An der Tagung der Evangelischen Akademien sollen ca. 200 Personen teilnehmen. Davon stehen ca. 60 Teilnehmerplätze dem sogenannten Christlichen Arbeitskreis »Ärzte für den Frieden«, Berlin, zur Verfügung. Aus dem nichtsozialistischen Ausland haben ihre Teilnahme u. a. angekündigt Personen aus den Niederlanden sowie Prof. Dr. Karl Bonhoeffer6 (BRD) und Dr. Gertrud Gumlich7 (Westberlin). (Die Letztgenannten hatten im gesamten Zeitraum des Internationalen wissenschaftlichen Symposiums europäischer Sektionen der IPPNW im November 1988 in Weimar umfangreiche Kontakte zu Mitgliedern vorgenannter personeller Zusammenschlüsse unterhalten und mit diesen Vereinbarungen hinsichtlich der künftigen Zusammenarbeit getroffen.)
Die Schriftstellerin Christa Wolf8 hat den Organisatoren die Zusage gegeben, im Rahmen der Tagung eine Buchlesung durchzuführen.
Entsprechend der Programmgestaltung werden feindliche, oppositionelle und andere negative Kräfte mit eigenen Beiträgen auftreten. Beachtenswert sind u. a. die geplanten Beiträge
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»Schlafen wir auf der sicheren Seite? Anfragen an die Einschätzung des Strahlenrisikos« (Diplom-Physiker Pflugbeil,9 Zentralinstitut für Herz- und Kreislaufforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR),
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»Gewalttäter unter der Tarnkappe, Strahlenwirkung in der lebenden Zelle« (Prof. Dr. Reich,10 Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR),
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»Am Anfang war das Erz. Uranbergbau und seine Folgen« (Michael Beleites,11 Gera),
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»Neues Denken im Atomzeitalter. Sicherheit statt Abschreckung« (Autorenkollektiv mit Dr. Stolle,12 St.-Elisabeth-Krankenhaus Halle, und dem zwischenzeitlich in die BRD übergesiedelten Dr. Nattermann13).
Vorgesehen ist ferner eine Podiumsdiskussion zum Motto »Politisierung der Medizin oder Medizinalisierung der Politik?«.
Die genannten feindlichen, oppositionellen Kräfte beabsichtigen, nach intern vorliegenden Hinweisen, während der Tagung einen »gemeinsamen Standpunkt« zum Verhältnis sogenannter Basisgruppen von Medizinern zu den offiziellen Leitungsgremien der Sektion DDR der IPPNW vorzubringen sowie Unterschriften zu einer Eingabe an den IX. Pädagogischen Kongress14 (Fragen des »Feindbildabbaus und der Friedenserziehung«) zu sammeln. Darüber hinaus wolle man vervielfältigte Exemplare von Vorträgen, die während des genannten internationalen wissenschaftlichen Symposiums der IPPNW gehalten wurden, verbreiten, darunter den von Bonhoeffer verlesenen Beitrag des BRD-Mediziners Hanauske-Abel15 (»Die Bösen, das sind die Anderen«16), in dem u. a. der DDR eine angeblich mangelnde Vergangenheitsbewältigung unterstellt wird. (Auf diesen Beitrag griffen Mitglieder »Christlicher Ärztekreise« wiederholt zurück und versuchten mit Argumenten, daraus die Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams gegenüber staatlichen Entscheidungen zu begründen.)
Mit dem Ziel der vorbeugenden Zurückdrängung des Wirksamwerdens feindlicher, oppositioneller Kräfte unter Missbrauch der Tagung der Evangelischen Akademien Berlin, Greifswald und Magdeburg wurden folgende, mit dem Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik und dem Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED abgestimmte Maßnahmen eingeleitet:
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Aus dem Kreis der zur Tagung eingeladenen Mediziner und Wissenschaftler werden geeignete Personen ausgewählt, instruiert und beauftragt, um dort offensiv aufzutreten, die Politik der Partei überzeugend darzustellen und unwissenschaftliche sowie sachlich falsche Auffassungen zurückzuweisen.
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Der Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR, Genosse Prof. Dr. Scheler,17 führt mit den Mitarbeitern der Akademie der Wissenschaften, Reich und Pflugbeil, Gespräche mit dem Ziel, ihnen die besonders an das Auftreten von Mitarbeitern der Akademie der Wissenschaften in der Öffentlichkeit gestellte staatliche Erwartungshaltung zu erläutern und ihnen diesbezügliche Auflagen zu erteilen.
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Seitens des Referenten für Kirchenfragen beim Magistrat der Hauptstadt der DDR, Berlin, wird dem Studienleiter der Evangelischen Akademie Berlin, Graupner,18 die prinzipielle staatliche Erwartungshaltung zur Unterbindung jeglicher gegen die DDR gerichteter Aktivitäten im Rahmen der genannten Tagung dargelegt und die Forderung nach Nichtgewährung von Arbeitsmöglichkeiten für Korrespondenten westlicher Medien erhoben.
Ein wesentliches Anliegen sollte darin bestehen, unter Nutzung aller Möglichkeiten auf die Teilnehmer der Tagung politisch Einfluss zu nehmen und sie davon zu überzeugen, im Interesse der der Erhaltung des Friedens dienenden Ziele aktiv in der Vereinigung »Ärzte zur Verhinderung eines Nuklearkrieges« mitzuwirken.
Durch das MfS sind zur vorbeugenden Unterbindung provokatorisch-demonstrativer öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten im Zusammenhang mit der genannten Veranstaltung die dazu notwendigen Maßnahmen eingeleitet worden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.