Herstellung nicht genehmigter Hetzschriften (Kurzfassung)
4. September 1989
Information Nr. 168b/89 über die Herstellung und Verbreitung nicht genehmigter Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse antisozialistischen Inhalts und Charakters durch Personen, die personellen Zusammenschlüssen angehören [Kurzfassung]
Mit der Bildung und Profilierung sogenannter kirchlicher Basisgruppen1 und weiteren, vor allem im Bereich der evangelischen Kirchen in der DDR agierenden personellen Zusammenschlüssen, waren und sind deren Inspiratoren, Organisatoren und Hintermänner bestrebt, unter bewusster Missachtung bestehender Rechtsvorschriften der DDR ohne Genehmigung Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse politisch negativen bis antisozialistischen Inhalts und Charakters herzustellen und zu verbreiten.
Seit dem Jahre 1986 ist eine Forcierung dieser Aktivitäten feststellbar. Das betrifft vor allem die Herausgabe sogenannter Informationsblätter, für die Medien des westlichen Auslandes bereits den Begriff »Untergrundzeitungen der DDR« geprägt haben.
Die damit von feindlichen, oppositionellen Kräften verfolgte Zielstellung besteht insbesondere darin,
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kontinuierlich weitere konzeptionelle Grundlagen für das Wirksamwerden feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte in der DDR zu entwickeln, ihre politischen Auffassungen und Forderungen republikweit öffentlichkeitswirksam zu propagieren und zur Diskussion zu stellen – gewissermaßen eine breit gefächerte »publizistische Gegenöffentlichkeit« herzustellen – und auf dieser Basis Gleichgesinnte, Sympathisanten und weitere Personen für ihre feindlich-negativen Ziele zu gewinnen und bei diesen antisozialistische Bewusstseinsinhalte und Handlungsbereitschaften herauszubilden bzw. zu erzeugen,
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den jeweiligen personellen Zusammenschluss und dessen politische Ziele öffentlich aufzuwerten (auch international) und den gegebenen Handlungsrahmen missbrauchend, gezielt auf eine Legalisierung hinzuwirken,
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den Solidarisierungseffekt mit Gleichgesinnten im In- und Ausland auszuprägen sowie
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»DDR-weite« Informationsbeziehungen für feindliche, oppositionelle Kräfte aufzubauen.
Das Vorgehen feindlicher, oppositioneller Kräfte wird nachweislich unterstützt durch die Haltung verantwortlicher Pfarrer von evangelischen Kirchengemeinden sowie kirchenleitender Personen und Gremien. Mit der bewussten Duldung des gezielten Missbrauchs des Vermerkes »Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch bestimmt« auf solchen Druck- und Vervielfältigungserzeugnissen bringt die evangelische Kirche indirekt ein prinzipielles Einverständnis mit der Herstellung und Verbreitung derartiger Materialien zum Ausdruck.
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen werden gegenwärtig ca. 25 solcher beachtenswerter sogenannter Informationsblätter hergestellt, davon über die Hälfte erst seit dem Jahre 1988.
Territoriale Schwerpunkte bilden die Hauptstadt Berlin mit sieben, der Bezirk Leipzig mit fünf, der Bezirk Halle mit vier und die Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt mit drei bzw. zwei mehr oder weniger regelmäßig erscheinenden derartigen Schriften. Deren Auflagenhöhen liegen bis zu 2 000 Exemplaren, der Umfang reicht von wenigen Blatt bis zu 100 Seiten. In beiden Werten ist die Tendenz steigend. Zum Teil kommt es durch Nachauflagen zu einer wesentlichen, teilweise mehrfachen Erhöhung der Auflagen. Als Herausgeber zeichnen personelle Zusammenschlüsse, Einzelpersonen aus solchen Zusammenschlüssen bzw. kirchliche Einrichtungen/Organisationsformen verantwortlich. Alle derartigen Materialien werden fast ausschließlich mittels in kirchlichen Räumen installierter Druck- und Vervielfältigungstechnik hergestellt. Einige Zusammenschlüsse verfügen über Drucktechnik und -materialien, die ihnen von Vertretern politischer Parteien sowie sozialismusfeindlichen Personen des westlichen Auslandes zur Verfügung gestellt und die unter Missbrauch der vor allem Führungskräften solcher Parteien gewährten großzügigen Erleichterungen bei der Einreise in die DDR durch diese eingeschleust wurden.
Die Verbreitung derartiger Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse erfolgt durch Postversand, dabei zum Teil über Kontaktadressen, und die vielfältigsten Formen der sogenannten Gruppenarbeit. Genutzt werden ferner regionale und überregionale Treffen von »kirchlichen Basisgruppen« und anderen personellen Zusammenschlüssen, spezifische Veranstaltungen solcher Gruppen und Gruppierungen mit Öffentlichkeitscharakter wie »Friedenswerkstätten«, Diskussions- und Leseveranstaltungen sowie kirchliche Veranstaltungen unterschiedlichster Art. Bedeutsam sind ferner das Auslegen einer Vielzahl solcher Erzeugnisse in sogenannten Öko- oder Umweltbibliotheken und die Praktizierung des Prinzips der gesteuerten individuellen Weitergabe.
Nach vorliegenden Hinweisen wird eine Reihe sogenannter Informationsblätter regelmäßig über bestehende Verbindungskanäle Personen in der BRD und Westberlin zugespielt. Zu diesen ständigen Empfängern zählen die bekannten Feinde Jahn2 und Hirsch.3 Diese Personen sorgen für eine entsprechende Auswertung der darin enthaltenen Informationen in der Presse und den elektronischen Medien.
Zu den Inhalten der sogenannten Informationsblätter ist festzustellen, dass die in ihnen enthaltenen Beiträge keinen Bezug zu einem religiösen Bekenntnis sowie damit im Zusammenhang stehender Tätigkeit erkennen lassen, sondern eindeutig politisch ausgerichtet sind. Kennzeichnend ist die hohe Anlassbezogenheit, eine schnelle Reflexion auf solche aktuellen innen- und außenpolitischen Probleme, die im Blickfeld feindlicher, oppositioneller Kräfte stehen, sowie auf staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen gegen personelle Zusammenschlüsse und einzelne Mitglieder derselben, aber auch auf andere staatliche Maßnahmen/Entscheidungen zu Personen und Sachverhalten. In ihnen widerspiegelt sich graduiert und entsprechend der politischen Ausrichtung der Herausgeber und dahinterstehender Kräfte die ganze Vielfalt der politischen Stoßrichtungen gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR (vgl. dazu die Information des MfS Nr. 150/89).
Korrespondierend mit den sogenannten Informationsblättern werden von feindlichen, oppositionellen Kräften in gleicher Art und Weise weitere Druckerzeugnisse ohne Genehmigung hergestellt, die unter der Bezeichnung »Dokumentation« bekannt wurden. Beispiele dafür sind die »Dokumenta Zion« zu den Ereignissen um die Zionskirche 1987/884 und »Pechblende«5 zu Problemen des Uranbergbaues in der DDR. Diese Publikationen stellen eine systematische Zusammenstellung von Ablaufschilderungen, Stellungnahmen und Kommentaren zu Ereignissen bzw. von thematischen Aussagen dar und sind durch die einseitige und tendenziöse inhaltliche Gestaltung geeignet, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung verächtlich zu machen und oppositionelle Kräfte für weitergehende Aktivitäten zu motivieren und zu mobilisieren.
Mit dem Ziel, die Herstellung und Verbreitung in der Information genannter nicht genehmigter Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse zu verhindern bzw. einzuschränken, wird vorgeschlagen:
1. Auf kirchenleitende Personen und Gremien sowie verantwortliche Pfarrer von Kirchengemeinden im Bereich der evangelischen Kirchen in der DDR sollte auf zentraler Ebene durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR und in den Territorien durch die dafür zuständigen Organe weiterhin systematisch und konsequent mit dem Ziel eingewirkt werden, dass sie ihrer Verantwortung hinsichtlich der Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung im kirchlichen Besitz befindlicher Druck- und Vervielfältigungstechnik bzw. kirchlicher Räume für die Herstellung und Verbreitung nicht genehmigter Druckmaterialien ohne religiösen Bezug künftig voll gerecht werden. Mit Nachdruck ist von kirchenleitenden Personen und Gremien zu fordern, die missbräuchliche Nutzung des Vermerks »Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch bestimmt« für derartige, keinen Bezug zu einem religiösen Bekenntnis sowie damit im Zusammenhang stehender Tätigkeit erkennen lassenden Materialien zu unterbinden.
In diesem Sinne sollten durch den Staatssekretär für Kirchenfragen mit allen Bischöfen der evangelischen Landeskirchen Grundsatzgespräche geführt werden, in denen ihnen, gestützt auf vorliegende Erkenntnisse und entsprechende Gutachten zu derartigen nicht genehmigten Druck- und Vervielfältigungserzeugnissen, die staatliche Erwartungshaltung unterbreitet wird. Insbesondere sollte ihnen mitgeteilt werden, dass die bisherige großzügige staatliche Handhabung des Genehmigungsverfahrens für die Herstellung kirchlicher Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse nur aufrechterhalten werden kann, wenn dieser staatlichen Erwartungshaltung durch die Kirchenleitungen aller Ebenen entsprochen wird.
Nach Realisierung dieser Grundsatzgespräche und unter Berücksichtigung dabei gewonnener Erkenntnisse sollten Folgegespräche durch die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke und Kreise für Inneres mit den kirchlichen Partnern ihrer Ebene geführt werden.
2. Das für die Durchsetzung der »Anordnung über das Genehmigungsverfahren für die Herstellung von Druck- und Vervielfältigungserzeugnissen« vom 20. Juli 1959 in der Fassung der Anordnung Nr. 2 vom 25. März 19756 verantwortliche Ministerium für Kultur und die nachgeordneten Organe auf Bezirks- und Kreisebene sollten im engen Zusammenwirken mit den Sicherheits- und Rechtspflegeorganen differenziert eine noch einheitlichere Anwendung und konsequentere Durchsetzung ordnungsrechtlicher Bestimmungen, bezogen auf genannte nicht genehmigte Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse, gewährleisten.
Das schließt auch ein, ordnungsrechtliche Maßnahmen, einschließlich Ordnungsstrafverfahren, gegen kirchliche Amtsträger und Mitarbeiter einzuleiten und durchzusetzen, wenn sie der Aufforderung zur Unterbindung der Herstellung und Verbreitung nicht genehmigter Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse nicht nachkommen.
Werden gegenüber kirchlichen Amtsträgern und Mitarbeitern sowie Herstellern/Verbreitern nicht genehmigter Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse ausgesprochene Ordnungsstrafen von diesen nicht anerkannt, sollte mit aller Konsequenz die »Verordnung über die Vollstreckung wegen Geldforderungen der Staatsorgane und staatlichen Einrichtungen« vom 6. Dezember 19687 zur Anwendung gelangen.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.