Kirchentagskongress/Kirchentag der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen
1. Juli 1989
Information Nr. 319/89 über beachtenswerte Aspekte im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Kirchentagskongress und Kirchentag der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (6. bis 9. Juli 1989 in Leipzig)
Der Kirchentagskongress und der Kirchentag in Leipzig findet in der Zeit vom 6. bis 9. Juli 1989 unter dem Motto: »Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst« statt. (In turnusmäßigen Abständen werden in allen evangelischen Landeskirchen der DDR Kirchentage durchgeführt. Der Tagungsort Leipzig wurde von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens mit der Begründung gewählt, dass vor 450 Jahren Dr. Martin Luther1 in der Thomaskirche Leipzig die Reformation in Sachsen verkündete.)
Kirchentagskongress und Kirchentag werden in Verantwortung der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom Landesausschuss für Kirchentagsarbeit unter Leitung von Johannes Cieslak2 (Seifhennersdorf) vorbereitet.
Durch die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wurden ca. 120 kirchliche Amtsträger und Laien aus sozialistischen Ländern sowie dem nichtsozialistischen Ausland als ökumenische Gäste eingeladen. Sie sind in Foren, Gottesdiensten und Rahmenveranstaltungen des Kongresses und des Kirchentages eingebunden. (Eine Aufstellung namhafter ökumenischer Gäste wird als Anlage 1 beigefügt.)
Ihre Teilnahme angekündigt haben auch Mitglieder des Bundestages der BRD wie Dr. Schmude3 (SPD), Präses der Synode der EKD, Dr. Hamm-Brücher4 (FDP), Erhard Eppler5 (SPD) und Dr. Knabe6 (Die Grünen).
Bisher haben 30 Korrespondenten westlicher Medien eine Arbeitserlaubnis für den 6. bis 9. Juli 1989 in Leipzig beim MfAA beantragt. (Eine namentliche Aufstellung liegt vor.)
Obwohl die Veranstaltungen des Kirchentagskongresses für Delegierte mit Teilnehmerkarte vorgesehen sind, beabsichtigt der Landesausschuss für Kirchentagsarbeit insbesondere für die Einlasskontrolle bei Veranstaltungen mit kultureller Umrahmung eine großzügige Verfahrensweise, um allen Interessenten Möglichkeiten der Teilnahme einzuräumen.
Ausgehend von zunehmenden Aktivitäten der im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wirkenden feindlichen, oppositionellen und anderen negativen Kräfte – die Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden stellen nach der Hauptstadt Berlin den nächstfolgenden diesbezüglichen Schwerpunkt dar – und den in jüngster Zeit in der Stadt Leipzig von solchen Personen organisierten Provokationen (u. a. Montagsgebete in der Nikolaikirche,7 sogenannter Pleißemarsch8) sowie unter Beachtung vorliegender interner Hinweise ist damit zu rechnen, dass Mitglieder und Sympathisanten personeller Zusammenschlüsse versuchen werden, sich direkt in den Veranstaltungsverlauf des Kirchentages zu integrieren bzw. gezielt Veranstaltungen im Rahmen des Kirchentages als Ausgangspunkt bzw. zur Durchführung provokatorisch-demonstrativer Handlungen politisch zu missbrauchen. Ihre Absicht zur Teilnahme am Kirchentag bekundeten bisher etwa 20 solcher hinlänglich bekannten personellen Zusammenschlüsse, darunter
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die Arbeitsgruppe »Menschenrechte«, Leipzig9 (u. a. Mitgestalter der sogenannten Friedensgebete in der Nikolaikirche Leipzig und Mitunterzeichner eines Aufrufes zu einem DDR-weiten »Aktionstag für in der ČSSR inhaftierte antisozialistische Kräfte« vom März 1989;10 Organisator ist der hinlänglich bekannte Pfarrer Wonneberger11),
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der Vorbereitungskreis des »Friedensseminars« Königswalde, Karl-Marx-Stadt (Organisator des seit Anfang der 1970er Jahre durchgeführten bekannten »Friedensseminars« Königswalde),12
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der »Ökologische Arbeitskreis der drei Dresdner Kirchenbezirke«13 (organisiert die Zusammenführung feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte unter dem Deckmantel kirchlicher Umweltschutzarbeit und initiiert provokatorisch-demonstrative öffentlichkeitswirksame Aktivitäten; zu den Führungskräften zählt Superintendent Ziemer14).
Teilnehmen wollen ferner Regionalgruppen der »Kirche von Unten«15 und des Arbeitskreises »Solidarische Kirche«.16
Nach vorliegenden Hinweisen haben Kräfte aus vorgenannten personellen Zusammenschlüssen zu erkennen gegeben, im Falle eines »Ausschlusses« ihrer Gruppen vom Kirchentag mit öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten (Kirchenbesetzung, Schweigemarsch o. ä.) reagieren zu wollen. Diese Absicht findet die Unterstützung einiger kirchlicher Amtsträger der Stadt Leipzig, so der Pfarrer Wonneberger und Führer17 (Nikolaikirche), des Jugendpfarrers Kaden18 (Mitorganisator des sogenannten Pleißemarsches) und des Studentenpfarrers Bartels,19 und wird durch gegenwärtig in der Stadt Leipzig äußerst aktiv agierende feindliche, oppositionelle Kräfte (u. a. Organisatoren und Mitgestalter der sogenannten Montagsgebete) gefördert.
Mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung der Störung des Kirchentages durch vorgenannte Kräfte legte der Landesausschuss für Kirchentagsarbeit in Abstimmung mit den dafür staatlicherseits zuständigen Organen fest,
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die in der Messehalle 5 am 8. und 9. Juli 1989 vorgesehene Rahmenveranstaltung »Treffpunkt: glauben heute« den sogenannten kirchlichen Basisgruppen zu widmen und diesen Personen dort die Möglichkeit zu bieten – als Ersatz für den »Markt der Möglichkeiten« – sich im Rahmen des Kirchentages darzustellen und zu artikulieren,
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bei spontanen Aktivitäten in Anlehnung an bekannte Vorkommnisse während des Kirchentages der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg im Jahre 1987 (Kirchenbesetzung)20 die Lukaskirche am Ernst-Thälmann-Platz in Leipzig als geeignetes Objekt zur Verfügung zu stellen.
Die kirchliche Großveranstaltung in Leipzig gliedert sich in den Kirchentagskongress (6.–8. Juli 1989), zu dessen vielfältigen Veranstaltungen durch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens ca. 8 000 Teilnehmerkarten für Delegierte aus der Landeskirche ausgegeben wurden, und in den öffentlich stattfindenden Kirchentag am 9. Juli 1989, zu dem kirchlicherseits mit ca. 80 000 Teilnehmern gerechnet wird.
Der Kirchentagskongress, der am 6. Juli 1989, 10.00 Uhr, in der Messehalle 7 mit ca. 7 000 Teilnehmern eröffnet wird, soll 13 thematische kirchliche Themen in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen, Foren, Vorträgen u. a. Veranstaltungen behandeln (Der Mensch – Geschöpf und Schöpfer, Der Mensch lebt nicht von Brot allein, Der Mensch in der von ihm bedrohten Welt, Wir und die Ausländer, Der Mensch – als Mann und als Frau geschaffen, Mensch sein in Arbeit und Freizeit, Verantwortliche Gemeinde für alle Menschen, Kirche und Gesellschaft brauchen verantwortliche Eltern, Allein und doch gemeinsam leben, Verschieden bekennen – gemeinsam glauben, Gotteskraft ist in den Schwachen mächtig, Die Reformation geht weiter, Juden und Christen).
Die Veranstaltungen finden in ca. 50 Räumen kirchlicher und staatlicher Einrichtungen im Stadtgebiet von Leipzig entsprechend einem vorliegenden Rahmenprogramm statt.
Staatlicherseits wurden der Landeskirche die Messehallen 1, 2, 3, 5 und 7 des Leipziger Messegeländes, weitere Freiflächen innerhalb des Messegeländes sowie für die Abschlussveranstaltung das Gelände der Pferderennbahn Scheibenholz zur Verfügung gestellt.
Internen Hinweisen zufolge bestehen zwischen den Führungskräften des Landesausschusses für Kirchentagsarbeit (Sitz Leipzig) und dem Landeskirchenamt Dresden Spannungen hinsichtlich der Kompetenz für die Vorbereitung und den Ablauf der kirchlichen Großveranstaltungen in Leipzig. Vom Landeskirchenamt Dresden wurde unter maßgeblichem Einfluss von Bischof Hempel21 darauf orientiert, die Veranstaltungen entsprechend der staatlichen Erwartungshaltung rein theologisch zu gestalten. Vom Landesausschuss für Kirchentagsarbeit wird Wert auf Eigenständigkeit gelegt, wobei vordergründig Bestrebungen erkennbar sind, durch ein umfangreiches, vielfältiges und viele Interessenten erreichendes Rahmenprogramm unter Einbeziehung kultureller Angebote eine hohe Teilnehmerzahl zu erreichen.
Durch das MfS sind in Abstimmung mit der Partei und den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Einrichtungen komplexe vorbeugende Maßnahmen eingeleitet worden, die insbesondere darauf abzielen, das provokatorisch-demonstrative Wirksamwerden feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte im Rahmen des Kirchentages in der Öffentlichkeit vorbeugend zu verhindern.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 319/89
[Liste mit Gästen des Evangelischen Kirchentages und Kirchentagskongresses der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens]
Bischöfe der EKD/BRD
Dr. Müller,22 Gerhard Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Braunschweig
Stoll, Karlheinz23 Landesbischof der Nordelbisch Evangelisch-Lutherischen Kirche
Hirschler, Horst24 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover
Dr. Heubach, Joachim25 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe
Vertreter des Kirchentages der EKD/BRD
Dr. Simon, Helmut26 Kirchentagspräsident
Krause, Christian27 Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentages
von Bonin, Konrad28 Studienleiter des Deutschen Evangelischen Kirchentages
von Rotenhan,29 Eleonore Mitarbeiterin des Deutschen Evangelischen Kirchentages
Dr. Wolf, Carola30 Pressereferentin des Deutschen Evangelischen Kirchentages
Weitere Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Bereich
Reichle, Erika-Hertha31 (Schweiz) Direktorin des Lutherischen Weltbundes
Oracion, Lewis32 (Schweiz) Exekutivsekretär des Lutherischen Weltbundes
Roos, Comenius33 (Niederlande) Ausschussvorsitzender des Niederländischen Rates der Kirchen
Oestreicher, Paul34 (Großbritannien) Pfarrer, Britischer Kirchenrat
Dr. von Vietinghoff, Eckhart35 (BRD) Präsident des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes in Hannover
Dr. Held, Hans-Joachim36 (BRD) Präsident im Kirchenamt der EKD
Bischöfe aus kapitalistischen Ländern
Svenungsson, Lars-Hendrik,37 Schweden
Kindi, Dama,38 Papua Neuguinea
Pingina, Anonga,39 Papua Neuguinea
Wapea, Rombe Kapinidl,40 Papua Neuguinea
Gam, Getake,41 Papua Neuguinea
Kweka, Erasto,42 Tansania
Jacob, Jayseelan,43 Indien