Kirchliche Solidarisierungsaktionen für China
30. Juni 1989
Information Nr. 321/89 über die Durchführung kirchlicher Solidarisierungsveranstaltungen im Zusammenhang mit den konterrevolutionären Ereignissen in der VR China
In Fortführung unterschiedlichster Solidarisierungsaktivitäten für konterrevolutionäre Elemente in der VR China1 durch feindliche, oppositionelle und insbesondere kirchliche Kräfte in verschiedenen Städten der DDR fanden im Zeitraum vom 25. bis 28. Juni 1989 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg ein sogenanntes Trommelfasten und am 28. Juni 1989 in der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain ein sogenannter Klagegottesdienst statt.2 Am Abend des 29. Juni 1989 kam es zu zwei weiteren kirchlichen Veranstaltungen ähnlichen Charakters.
Mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung provokatorisch-demonstrativer öffentlichkeitswirksamer Handlungen wurden seitens der zuständigen staatlichen Organe Gespräche mit kirchenleitenden Kräften (u. a. Konsistorialpräsident Stolpe3) und den Gemeindepfarrern geführt, in denen diesen gegenüber die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht und ihre konsequente Einflussnahme zur Verhinderung des politischen Missbrauches dieser geplanten Veranstaltungen gefordert wurden. Hinsichtlich der Realisierung der staatlicherseits geforderten Unterbindung des »Trommelfastens« sahen die angesprochenen Kirchenvertreter keinerlei diesbezügliche Einflussmöglichkeiten.
Im Ergebnis der komplexen staatlichen Einflussnahme wurde jedoch verhindert, dass die in den genannten Kirchen durchgeführten Veranstaltungen nach außen wirkten und die öffentliche Ordnung und Sicherheit in deren Umfeld beeinträchtigten. Die Anwesenheit kirchlicher Amtsträger – veranlasst u. a. durch Stolpe – wirkte sich positiv aus; es kam zu keinen Vorkommnissen.
Ungeachtet dessen waren beide Veranstaltungen geeignet und darauf ausgerichtet, die Politik der DDR, insbesondere die Informationspolitik, zu verunglimpfen, feindliche, oppositionelle Kräfte und deren Sympathisanten/Mitläufer politisch negativ zu beeinflussen sowie den in jüngster Zeit feststellbaren zunehmenden Aktionismus derartiger Kräfte weiter zu fördern.
Zum sogenannten Trommelfasten in der Erlöserkirche:
Die Jugenddiakone Heinisch4 und Zimmermann5 sowie der Superintendent Rißmann6 riefen zu dieser Veranstaltung auf, um sich mit den »Opfern der Gewalt« in China zu solidarisieren und gegen die erfolgten staatlichen Maßnahmen gegen konterrevolutionäre Kräfte zu protestieren. Im Zeitraum vom 25. bis 28. Juni 1989 hielten sich ständig drei bis zehn Personen in der Kirche auf, die zeitweilig auf eine Trommel schlugen bzw. entsprechende Geräusche per Tonband abspielten.
Am Kirchenportal war ein von der Straße aus sichtbares Transparent mit dem Text »Klagetrommel, wir trauern um die Opfer der Gewalt in China, Trommelfasten« angebracht. Täglich um 19.00 Uhr wurde eine Andacht durchgeführt, an der zunehmend bis zu 100 Personen teilnahmen. Immer wiederkehrendes Thema war die Verurteilung des Einsatzes militärischer Gewalt gegen die chinesische Bevölkerung und der Protest gegen die Vollstreckung von Todesurteilen.
Entsprechend vorliegenden Hinweisen soll die »Stafette« des »Fastentrommelns« weitergeführt werden, so u. a. in der Erlöserkirche in Potsdam. Die benutzte »Klagetrommel« wurde zur Samariterkirche gebracht und dort 15 Minuten zu Beginn des »Klagegottesdienstes« geschlagen.
Zum »Klagegottesdienst« in der Samariterkirche:
Verantwortlich für diese ca. einstündige Abendveranstaltung zum Thema »China im Juni 1989« zeichnen Pfarrer Eppelmann7 und ein Vorbereitungskreis.
Unter den ca. 900 Teilnehmern befanden sich kirchliche Amtsträger (u. a. Superintendentin Laudien,8 das Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Pfarrer von Essen,9 Pastorin Misselwitz,10 die Pfarrer Schneider11 und Simon12 sowie Stadtjugendpfarrer Hülsemann13), hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle Kräfte (u. a. Bärbel Bohley,14 Ulrike Poppe,15 Werner Fischer,16 Siegbert Schefke17) sowie ca. 40 Punks (letztere hatten im Rahmen der Veranstaltung den Auftritt der Musikformation »Herbst in Peking«18 erwartet und verließen kurz nach Veranstaltungsbeginn die Kirche, als sich ihre Erwartungen nicht erfüllten).
Während des Einlasses wurden entsprechend einer chinesischen Sitte weiße Nelken als symbolisches Zeichen der Trauer an die Teilnehmer ausgegeben, die diese nach Veranstaltungsende in ein Drahtgeflecht stecken konnten.
Pfarrer Eppelmann eröffnete den sogenannten Klagegottesdienst mit dem Hinweis, dass die Ereignisse in der VR China trotz der Entfernung in der DDR aufmerksam verfolgt würden und Zorn, Trauer und Bestürzung ausgelöst hätten. Letzterem solle der Gottesdienst dienen.
Im Verlaufe der Veranstaltung wurden durch die Pfarrer Eppelmann, Hülsemann, Schneider und andere Personen in Form von Darlegungen, sogenannten Klagen usw. Informationen über die Ereignisse in der VR China vermittelt, wobei die Methode der kommentarlosen Gegenüberstellung der Bevölkerung in der DDR zugänglicher Informationen aus den Medien der DDR und der westlichen Medien praktiziert wurde. Wiedergegeben wurden ferner ausgewählte Presseveröffentlichungen anderer sozialistischer Länder (u. a. UdSSR »Iswestija«, Ungarische VR »Budapester Rundschau«) zu den genannten Ereignissen. Erkennbares Ziel war es, den Wahrheitsgehalt der von den Medien der DDR vermittelten Informationen infrage zu stellen, als unwahr zu charakterisieren und die Informationspolitik der DDR zu diskriminieren. Zum Nachweis darüber, dass die DDR nicht gewillt sei, die realen Fakten anzuerkennen, wurde ein Vergleich des Vorgehens der chinesischen Sicherheitsorgane mit denen der DDR zur vorbeugenden Unterbindung der Provokation vor der Botschaft der VR China in der DDR am 22. Juni 1989 gezogen.19
In einem fiktiven Brief an seinen »kleinen Sohn« gab Pfarrer Hülsemann eine chronologische Schilderung der Ereignisse in der VR China. (Derartige »Ereignisschilderungen« aus der Sicht feindlicher, oppositioneller Kräfte wurden in jüngster Zeit wiederholt praktiziert, um einem möglichst großen Personenkreis eine angeblich objektive, unverfälschte Einschätzung der Lage zu vermitteln).
Durch eine bisher nicht identifizierte Person wurde ein am Kircheneingang zur Unterschriftsleistung ausliegender »Brief an liebe Freunde in der Volksrepublik China!«20 verlesen, in dem die Solidarität mit den konterrevolutionären Kräften und die »Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus« zum Ausdruck gebracht werden (über die Hintermänner bzw. die mit diesem Brief verfolgte Absicht liegen bisher noch keine Hinweise vor).
Pfarrer Eppelmann eröffnete während der Veranstaltung eine ebenfalls unter dem Motto »China im Juni 1989« stehende Ausstellung in der Samariterkirche. Auf ca. 1 × 1 m großen Papptafeln sind Presseartikel aus Medien der DDR und des Auslandes zu den Ereignissen in China zusammengestellt.
Bei den zwei weiteren Veranstaltungen zu den Ereignissen in der VR China handelt es sich um
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einen »Klagegottesdienst« am 29. Juni 1989, 19.35 bis 20.45 Uhr, in der Hoffnungskirche in Berlin-Pankow mit ca. 110 Personen (u. a. Sammlung von Unterschriften unter den bereits von der Samariterkirche her bekannten Brief, Kollekte für mit Ordnungsstrafen belegte Personen, keine Öffentlichkeitswirksamkeit);
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ein »Trommelfasten« am 29. Juni 1989, 15.00 bis gegen 18.00 Uhr, in der Elisabethkirchgemeinde Berlin/Invalidenstraße bei ständigem Begängnis zeitweilig 30 bis 50 Personen (Transparent an der Außenseite der Umfriedung »Protest-Trommel – China-Opfer. Donnerstag – Sonntag, 15.00 bis 18.00 Uhr, ›KvU‹«21 nach Veranstaltungsende entfernt). Der zeitweise verursachte Lärm – eine Trommel und zwei Kesselpauken – hat mehrere Bürger zu Eingaben22 veranlasst.
Nach dem MfS weiter vorliegenden Hinweisen haben die Organisatoren der vorgenannten, insbesondere der beiden erstgenannten Veranstaltungen zur Propagierung ihrer Aktivitäten in den Westmedien eng mit in der DDR akkreditierten westlichen Korrespondenten zusammengewirkt. Während der Veranstaltung in der Samariterkirche waren dort neben Vertretern der ARD und des ZDF Korrespondenten von weiteren sieben Nachrichtenagenturen bzw. Medien anwesend. Das ARD-Team führte mit Eppelmann ein Interview.
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