Lage in der CDU
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Information Nr. 502/89 über einige beachtenswerte Aspekte der aktuellen politischen Lage in der CDU
Dem MfS vorliegenden internen Hinweisen zufolge fanden auf der letzten Sitzung der Volkskammerfraktion der CDU am 3. November 1989 kontroverse Auseinandersetzungen statt. In der Diskussion wurde in sehr aggressiver Form über die »Anmaßung der führenden Rolle der SED« gesprochen und gefordert, dass die befreundeten Parteien entsprechend ihrer Mitgliederzahl in der Regierung und obersten Volksvertretung beteiligt werden. Außerdem wurde verlangt, den Personalbestand des MfS radikal zu reduzieren bzw. aufzulösen, zumindest aber die Mittel, die das MfS erhalte, offenzulegen und das MfS unter Kontrolle eines innerparlamentarischen Ausschusses zu stellen. In dieser Fraktionssitzung wurde auch im Ergebnis der kontrovers geführten Diskussion ein neues Wahlgesetz gefordert, mit dem die Möglichkeit gegeben sein müsse, dass jede Partei mit einem eigenen Programm und eigenen Kandidaten zur Wahl antreten kann.
Eine gemeinsame Wahlplattform und Kandidatenliste werde es – so wurde diskutiert – nicht mehr geben, sodass damit auch der Demokratische Block aufgekündigt werde.1
In seiner Beratung am 8. November 1989 bestätigte das Präsidium des Hauptvorstandes der CDU die Durchführung einer Sitzung des Hauptvorstandes am 10. November 1989, deren Ziel insbesondere in der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden bestehen soll. Als neuer Parteivorsitzender kandidiert Rechtsanwalt de Maizière,2 während der bisherige Stellvertreter Heyl3 weiterhin in der Funktion verbleiben soll. Während der Beratung des Hauptvorstandes der CDU wurden auch Fragen zur Stellung der CDU im Demokratischen Block sowie der inhaltlichen Ausgestaltung der weiteren Parteiarbeit beraten. Dabei wurde sichtbar, dass kirchliche Kräfte der CDU, insbesondere die Unterzeichner des »Weimarer Briefes«,4 starke Positionen errungen haben und der Auffassung sind, mit der Wahl von de Maizière als Parteivorsitzenden ihren Einfluss noch stärker zur Geltung bringen zu können.
Intern wurde bekannt, dass die Unterzeichner des »Weimarer Briefes« sowohl unter den bisherigen hauptamtlichen Parteikadern Radzimanowski5 und Trende6 als auch bei einzelnen Mitgliedern der CDU-Fraktion Unterstützung erhalten.
Es besteht die Absicht, in Abstimmung mit dem Präsidium des Hauptvorstandes der CDU einen Brief an Genossen Modrow7 zu verfassen, in dem die Forderungen der CDU bei der Neubildung der Regierung dargelegt werden mit dem Ziel, dass die CDU dort mehr als in der Vergangenheit präsent ist. Reflektiert wird darauf, neben dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen das Ministerium für Gesundheitswesen und das Staatssekretariat für Kirchenfragen mit Kadern der CDU zu besetzen. Als eventuelle »Ausgleichsvarianten« sollen in dem Brief die Ministerien für Bauwesen, Kultur sowie Wissenschaft und Technik genannt werden. Als mögliche Kandidaten wurden diskutiert:
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für das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen Dr. Wolf, Klaus,8 Stellvertretender Minister für Verkehrswesen;
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für das Staatssekretariat für Kirchenfragen Kalb, Hermann,9 oder Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Moritz;10
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für das Ministerium für Bauwesen Prof. Baumgärtel, Gerhard,11 Oberbürgermeister der Stadt Weimar;
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für das Ministerium für Kultur Gerhardt, Klaus-Peter,12 Direktor des Union-Verlages der CDU;
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für das Ministerium für Wissenschaft und Technik Prof. Dr. Steinberg, Karl-Hermann,13 Karl-Marx-Universität Leipzig.
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