Leipziger Messe, Absage Bundeswirtschaftsminister Haussmann
13. März 1989
Information Nr. 112/89 über Reaktionen von BRD-Messevertretern auf die Besuchsabsage durch Bundeswirtschaftsminister Haussmann
Erste interne Äußerungen in Leipzig vertretener BRD-Politiker und Unternehmer zur Absage Haussmanns1 verdeutlichen Überraschung und größtenteils Unverständnis über diese politisch motivierte Entscheidung.2 Übereinstimmend wird zum Ausdruck gebracht, dass Leipzig in erster Linie ein Ost-West-Wirtschaftstreffpunkt bleiben müsse und die Geschäftstätigkeit nicht durch überzogene »deutschlandpolitische« Auseinandersetzungen sowie parteipolitische Profilierungsversuche3 belastet werden dürfe. Überwiegend wird die Hoffnung geäußert, dass die DDR ihre auf den Aufbau des Handels und der Kooperation mit der BRD gerichtete Politik fortsetzen und nicht ihrerseits mit Restriktionen reagieren möge.4
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau5 erklärte gegenüber BRD-Gesprächspartnern, die Absage Haussmanns dürfe keinesfalls als eine Diskreditierung der Leipziger Messe gewertet werden.
Haussmann stehe unter starkem Druck der CDU und wolle sich offenbar als Rechtsliberaler profilieren. Leider greife er auf Methoden des Kalten Krieges zurück. Das diene keineswegs der Brückenfunktion, die der Handel zwischen der BRD und der DDR erfüllen müsse. Die westdeutschen Unternehmen sollten daher alles tun, die Geschäftstätigkeit mit der DDR weiter auszubauen.
Der Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bertele,6 erklärte gegenüber BRD-Journalisten, der Verzicht Haussmanns auf seinen Messebesuch dürfe kein Kriterium für die Entwicklung des »innerdeutschen« Handels sein. Beide Seiten brauchten diesen Handel; er sei unersetzlich und sollte nicht durch »politische Experimente« zu übermäßig strapaziert werden. Mit gutem Willen müsse auch der jüngste Zwischenfall zu reparieren sein. Im Übrigen teile er die optimistischen Erwartungen für einen Anstieg des Umsatzvolumens im Handel der BRD mit der DDR, wie sie in den Messeumfragen des Deutschen Industrie- und Handelstages und der Arbeitsgemeinschaft Handel mit der DDR zum Ausdruck kamen.
Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden der Salzgitter AG, Ernst Pieper,7 sei die Entscheidung von Haussmann sowohl dem politischen Dialog als auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der DDR abträglich. Der Zeitpunkt der Absage sowie deren Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt deuten darauf hin, dass die getroffene Entscheidung nicht allein durch einen Grenzzwischenfall bewirkt worden sei. Pieper äußerte die Befürchtung, dass vielmehr parteipolitische Interessen der FDP, insbesondere nach dem Westberliner Wahlergebnis,8 der Ausgangspunkt für diesen Schritt waren. Derartige Erwägungen ließen Haussmann zu Mitteln greifen, die zu einer spürbaren Verschlechterung der Beziehungen mit der DDR beitragen könnten. So erhebe er Forderungen an die DDR, für die er nicht kompetent sei und die durch andere BRD-Politiker geschickter und dadurch wirkungsvoller vorgebracht würden.9 Haussmann werde damit keine substantiellen Entscheidungen der DDR-Führung beeinflussen können.10
Nach Auffassung des langjährigen Vorstandsmitgliedes der Fried[rich] Krupp GmbH, Geldmacher,11 habe Haussmann mit seiner Entscheidung wenig Gespür für die Möglichkeiten eines fortgesetzten politischen Dialogs mit der DDR-Führung bewiesen. Eine derartige Handlungsweise lasse die Ernsthaftigkeit, mit der sich Haussmann für einen intensivierten Ost-West-Dialog einsetze, bezweifeln. Seine Äußerungen zum DDR-Grenzregime entsprächen nicht dem aktuellen Klima im Ost-West-Verhältnis und könnten dazu beitragen, die handelspolitische Position anderer EG-Staaten gegenüber der DDR auf Kosten der BRD zu verbessern. Der Krupp-Konzern habe im Vorfeld der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 seine hohen Geschäftserwartungen deutlich zum Ausdruck gebracht und sei nicht daran interessiert, sich das Geschäftsklima durch das Fehlverhalten Einzelner beeinträchtigen zu lassen. Dementsprechend erwarte der Krupp-Konzern auch weiterhin die konstruktive Behandlung aller Sachfragen mit der DDR-Seite gemäß den getroffenen Vorabsprachen.12
Der in Leipzig anwesende Manager des Mannesmann-Konzerns, [Name], bezeichnete die Absage Haussmanns als einen unverständlichen und nur schwer nachvollziehbaren Schritt, der die BRD-Aussteller auf der Messe verunsichere und die Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR nur belasten könne. Die Entscheidung Haussmanns müsse bedauert werden, da somit eine günstige Gelegenheit zum Ansprechen von Meinungsverschiedenheiten und zur Darstellung auch kontroverser Positionen vertan worden sei. Die demonstrative Verhaltensweise von Haussmann entspreche nicht den Erfordernissen des komplizierten und sensiblen Beziehungsgeflechts zwischen beiden deutschen Staaten.13
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Fa. Trumpf GmbH & Co. und Präsident der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Neckar, Berthold Leibinger,14 äußerte, als BRD-Bürger müsse er zwar die Entscheidung des Ministers Haussmann akzeptieren, als Wirtschaftsvertreter sei er jedoch darüber unzufrieden. Den konstruktiven Geschäftsverlauf während des Besuchs des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker15 und der anderen führenden Persönlichkeiten am Trumpf-Messestand werte sein Unternehmen als Signal für einen sehr erfreulichen Ausbau der Geschäftsbeziehungen mit der DDR.16