Negative Aktivitäten zum IX. Pädagogischen Kongress
[ohne Datum]
Information Nr. 183/89 über einige Aspekte zu Vorgehensweisen und Vorhaben politisch negativer und kirchlicher Kräfte in der DDR bezogen auf den IX. Pädagogischen Kongress im Juni 1989
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen bilden gezielte Versuche der Einflussnahme auf die sozialistische Bildungs- und Erziehungspolitik in der DDR und direkte Angriffe auf diese Bereiche seit Langem einen immanenten Bestandteil politischer Konzeptionen und von Vorgehensweisen oppositioneller und politisch negativer Personen sowie besonders auch im Wirken der evangelischen Kirchen in der DDR.
Mit der offiziellen Bekanntgabe des Termins über die Durchführung des IX. Pädagogischen Kongresses1 für den Zeitraum vom 12. bis 15. Juni 1989 verstärkten sich ab dem Jahre 1988 Bestrebungen solcher Kräfte zur inhaltlichen Ausrichtung ihres Wirksamwerdens und ihrer Aktivitäten auf dieses bedeutsame gesellschaftspolitische Ereignis. So befassten sich bereits die Teilnehmer des sogenannten zentralen Treffens von »Frauenfriedensgruppen« im April 1988 in Karl-Marx-Stadt2 umfassend mit Bildungs- und Erziehungsproblemen.
Die wegen ihrer politisch negativen Haltung hinlänglich bekannte Ulrike Poppe3 regte dabei die Abfassung einer sogenannten Petition an den IX. Pädagogischen Kongress an, in der u. a. Forderungen nach »Entmilitarisierung« von Schulbüchern (Entfernung von Feindbildern und dgl.) erhoben werden sollten. Demagogisch nutzten vorgenannte Kräfte die im Oktober 1988 gegenüber Schülern der Erweiterten Oberschule »Carl von Ossietzky« in Berlin-Pankow notwendig gewordenen staatlichen Maßnahmen und die in diesem Zusammenhang entstandene Situation dazu aus,4 ihrem Vorgehen größere Öffentlichkeit, Einheitlichkeit und Wirksamkeit zu verleihen. So heißt es in einem von hinlänglich bekannten politisch negativen Personen verfassten Aufruf für einen »DDR-weiten Aktionstag« für die Solidarisierung mit den genannten Schülern, es sei an der Zeit, sich mit der generellen Situation des Erziehungs- und Bildungswesens in der DDR auseinanderzusetzen. Der »Aktionstag« solle als möglicher Beginn einer breiten Diskussion aller gesellschaftlichen Gruppen für diesen notwendigen Prozess angesehen werden, bei dem es darauf ankomme, Themenvorschläge zu diskutieren wie
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Notwendigkeit der Neuerarbeitung der Inhalte aller Bildungspläne, um damit die Erziehung zu selbstständig denkenden und handelnden Menschen zu gewährleisten, die fähig und bereit sind, das Leben der Gemeinschaft zu gestalten;
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Gewährleistung der Gestaltung von solchen Lehr- und Erziehungsmethoden, mit denen Initiativen und Kreativität aller möglich werden;
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Demokratisierung der Erziehungs- und Bildungseinrichtungen durch Wählbarkeit von Direktoren und Lehrern sowie durch Gewährleistung des Mitbestimmungsrechtes von Schüler- und Studentenräten;
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Notwendigkeit der höheren Qualifizierung und Kompetenz der Lehrer;
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Reform des Bildungssystems von der Vorschulerziehung bis zur Hochschulausbildung.5
In einer »Erklärung« aus gleichem Anlass artikuliert der hinlänglich bekannte feindlich negative personelle Zusammenschluss »Initiative Frieden und Menschenrechte«,6 Berlin: »Das Ziel der gegenwärtigen Bildungspolitik ist letztlich die Erziehung zu Untertanen… (es) ist dringend geboten, sich einer solchen Politik zu widersetzen. Als Voraussetzung für eine grundsätzliche Veränderung der Bildungspolitik müssen wir die Aufhebung aller Rechte auf Bildung einschränkenden Sanktionen wegen der Inanspruchnahme anerkannter Menschenrechte fordern.«7 In einem als aktuelles politisches Aktionsprogramm dieses Zusammenschlusses zu wertenden »Aufruf« vom März 19898 wird diese antisozialistische Stoßrichtung erneut bekräftigt, indem dort fixiert wird: »Die ›Initiative Frieden und Menschenrechte‹ sieht als besonders wichtiges Aufgabenfeld eine grundsätzliche und seit Langem überfällige Reform des Bildungs- und Erziehungswesens in der DDR. Den vielfältigen und komplizierten Problemen der nächsten Jahrzehnte könne nur begegnet werden, wenn jede Generation als eine mündige und sich selbst verantwortlich einer für sie offenen Zukunft entgegengehen kann.«
Die aktuelle Position der evangelischen Kirchen in der DDR zur sozialistischen Bildungs- und Erziehungspolitik in der DDR brachte gewissermaßen Konsistorialpräsident Stolpe,9 Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, während eines sogenannten Informationsgottesdienstes im Zusammenhang mit den genannten Ereignissen um die relegierten Schüler der EOS »Carl von Ossietzky« öffentlich zum Ausdruck, indem er erklärte: »Wir werden bei unserer Position bleiben müssen, dass es unserer evangelischen Kirche nicht darum geht, staatliches Schulmonopol zu brechen, dass wir uns aber verpflichtet wissen gegenüber Schülern und Eltern, ihre Belange, die sie mit Recht artikulieren möchten, gegenüber dem Bildungswesen weiterzutragen. Davon können wir nicht abrücken … Wir müssen uns intensiv dem Grundthema: Christliche Menschen… im Bildungssystem der DDR stellen. Es müssen Wege gefunden werden, das … gesamtgesellschaftliche Gespräch über Fragen des Bildungswesens ingangzusetzen.«
In dieser Hinsicht sind auch die andauernden Forderungen kirchenleitender Kräfte und Gremien nach »Sachgesprächen mit der Volksbildung« zu werten. Ebenfalls kennzeichnend dafür sind Inhalte von Beratungen und Beschlüssen bzw. sogenannten Arbeitspapieren von Synoden und anderen kirchlichen Veranstaltungen. So werden in einem Diskussionspapier »Textentwurf 006« der »2. Vollversammlung« der »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« (Oktober 1988 in Magdeburg),10 formuliert als »Erwartungen an staatliche und gesellschaftliche Institutionen«, der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern in der Erziehung und Ausbildung … und die Befähigung zu friedlicher Konfliktlösung gefordert. Dazu sei es u. a. notwendig,
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den Wehrunterricht11 an den Schulen abzuschaffen und ein Unterrichtsfach »Friedenserziehung« einzuführen,
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»militärverherrlichende Inhalte und Tendenzen zur Feindschafts- und Hasserziehung« aus den Lehrbüchern, Lehr- und Erziehungsplänen zu entfernen,
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die Produktion und den Verkauf von Kriegsspielzeug einzustellen sowie
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die obligatorische vormilitärische Ausbildung und ihre »Verknüpfung mit dem Zugang zu bestimmten Bildungswegen und Berufen« abzuschaffen.12
Mit Beginn des Jahres 1989 und in der Tendenz zunehmend sind weitergehende gezielte Aktivitäten politisch negativer und reaktionärer kirchlicher Kräfte zur politischen Störung des IX. Pädagogischen Kongresses erkennbar. Hauptinhalte der geführten Angriffe sind Forderungen nach
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»Demokratisierung und Entideologisierung« des sozialistischen Bildungs- und Erziehungssystems, einschließlich der Zurückdrängung gesellschaftlicher Einflüsse,
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Abschaffung »aller Elemente militärischen Inhalts und Charakters« im Prozess von Bildung und Erziehung sowie in allen Bildungsbereichen,
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»Relativierung« der gegenwärtigen Bildungsinhalte und -methoden,
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Gewährleistung »gleicher Bildungschancen für religiös gebundene Personen«.
Mit dem Ziel, derartige Probleme unter gleichgesinnten, interessierten und in den Bildungs- und Erziehungsprozess direkt einbezogenen Personen, einschließlich Schülern und Studenten, umfassend öffentlich zu diskutieren, zu popularisieren und konkrete Handlungsbereitschaften für weitergehende Aktivitäten zu initiieren, werden die vielfältigsten Formen des regionalen und überregionalen Wirkens personeller Zusammenschlüsse, eine Vielzahl kirchlicher Veranstaltungen sowie die breite Palette nicht genehmigter Druck- und Vervielfältigungsmaterialien solcher Kräfte dahingehend genutzt. Ferner bildeten sich spezielle Untergruppen in personellen Zusammenschlüssen, deren thematische Arbeit ausschließlich auf den IX. Pädagogischen Kongress ausgerichtet ist, so der sogenannte Arbeitskreis »Erziehung und Bildung« des »Friedenskreises der Gethsemanekirchengemeinde« Berlin-Prenzlauer Berg,13 die »Arbeitsgruppe pädagogisches Seminar« der Gruppe »Gegenstimmen«14 in der Hauptstadt Berlin und der unter Leitung des reaktionäre Positionen einnehmenden Pfarrers Schorlemmer15 stehende »Arbeitskreis Pädagogik« in Wittenberg. In der Hauptstadt Berlin agierende politisch negative Kräfte sind bestrebt, alle diesbezüglichen Aktivitäten, vor allem kirchlicher Basisgruppen, zu koordinieren und mit dem Ziel zu kanalisieren, im Zeitraum vom 9. bis 11. Juni 1989 im Bereich der Kirchengemeinde Berlin-Friedrichsfelde einen »Pädagogischen Kongress von unten« als Gegenveranstaltung zum IX. Pädagogischen Kongress durchzuführen (ca. 200 Teilnehmer geplant).
Eingeordnet in dieses Vorgehen sind Veranstaltungen wie die am 15. April 1989 von der Kirchlichen Erziehungskammer Berlin-Brandenburg, dem Landesjugendpfarramt Brandenburg und dem Stadtjugendpfarramt Berlin in Potsdam durchgeführte »Pädagogische Werkstatt«16 (»Beratungen über gegenwärtiges und zukünftiges pädagogisches Handeln in Gesellschaft und Kirche«) bzw. die in der bekannten »Umweltbibliothek«17 in der Zionskirchengemeinde Berlin-Prenzlauer Berg öffentlich durchgeführte thematische Diskussionsrunde zum Thema »Gemeinsames Nachdenken über das Bildungssystem in der DDR«. An einer gleichartigen Veranstaltung in der Golgathakirchengemeinde in Berlin-Mitte am 16. März 1989 zum Thema »Konzepte und Zielstellungen in der Volksbildung« sollen nach intern vorliegenden Hinweisen auch ca. 15 im Bereich der Volksbildung tätige Personen teilgenommen haben. Vorliegenden Hinweisen zufolge gibt es zunehmend Bestrebungen politisch negativer und kirchlicher Kräfte, Pädagogen in geplante Vorhaben im Zusammenhang mit dem IX. Pädagogischen Kongress einzubeziehen. Einer Festlegung auf ihrer Tagung Mitte Februar folgend, bereitet die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ebenfalls ein Treffen mit religiös gebundenen Pädagogen vor.
Internen Hinweisen zufolge nahmen an der »Pädagogischen Werkstatt« in Potsdam ca. 80 Personen, darunter Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen und einige hinlänglich bekannte Vertreter kirchlicher Basisgruppen, teil. Die Einführungsvorträge und in den vier Arbeitsgruppen gehaltenen Beiträge enthielten teilweise scharfe Angriffe gegen die Bildungspolitik in der DDR. Es wurde u. a. die Notwendigkeit unterstrichen, seitens der Kirche den Einfluss an den Schulen zu verstärken. Voraussetzungen hierfür seien, ein »Bündnis« mit Lehrern zu suchen und deren Forderungen nach »Umgestaltungen« an den Schulen zu unterstützen sowie die Kinder von kirchlich gebundenen Personen als Lehrer ausbilden zu lassen.
Auf der Zusammenkunft wurde eine von allen Teilnehmern unterzeichnete und an das Ministerium für Volksbildung gerichtete Resolution verabschiedet, in der u. a. gefordert wird
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die Trennung zwischen Schule und gesellschaftlichen Organisationen (FDJ und Pionierorganisation),
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angstfreie Erziehung der Kinder,
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Erhöhung des moralischen und ethischen Faktors bei der Erziehung,
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Abschaffung von politischen Symbolen (Pionierhalstücher).18
Darüber hinaus wurde in Vorbereitung auf den IX. Pädagogischen Kongress die Durchführung einer Veranstaltung des »Friedenskreises Weißensee«,19 Berlin (26.–28.5.1989) angekündigt, auf der ein »Rundbrief« an den Kongress verfasst werden soll, der die wesentlichsten Ergebnisse von Zuschriften kirchlicher Basisgruppen zur Thematik Volksbildung beinhalten werde.
Initiiert durch vorgenannte vielschichtige Aktivitäten und durch direkte Aufforderungen – sie reichen von Orientierungen der Synoden der evangelischen Landeskirchen bis zur Nutzung kirchlicher Schaukästen – kam es zu einer verstärkten und noch anhaltenden Eingabentätigkeit unterschiedlichster Personen, Personengruppen und Einrichtungen an zentrale und territoriale staatliche Organe sowie Einrichtungen der Volksbildung und des Hoch- und Fachschulwesens im Zusammenhang mit dem IX. Pädagogischen Kongress. In Einzelfällen versandten politisch negative Kräfte aus Halle selbstgefertigte Schreiben an Schulen, in denen ebenfalls Forderungen zur Bildungs- und Erziehungspolitik erhoben werden.
(Wie weiter bekannt wurde, werden derartige Schreiben auch aus dem westlichen Ausland verschickt. So brachte der »Kurt-Schumacher-Kreis e.V.«, Westberlin,20 ca. 250 Schreiben gleichlautenden Inhalts, gerichtet an EOS bzw. POS in der Hauptstadt der DDR und in Bezirken, zum Versand, in denen die Bildungspolitik der DDR massiv verleumdet wird. In diesem Schreiben wird u. a. gefordert, die angeblich existierenden, »antiquierten und menschenverachtenden Richtlinien über die Erziehung der Schüler zum Hass gegen den Klassenfeind« nicht mehr zu befolgen. Eine Weiterverbreitung dieser Schreiben wurde weitgehend verhindert.)
Diese Versuche der Nutzung legaler Einflussmöglichkeiten auf den IX. Pädagogischen Kongress werden erweitert durch Versuche der gezielten Einflussnahme auf spezifische Personengruppen wie Mitglieder von Elternvertretungen, der CDU usw. und durch Bestrebungen, die Teilnahme am Kongress für Einzelpersonen zu erwirken (z. B. bezogen auf den Dozenten an der Evangelischen Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogen in Potsdam, Frank Otto).21
Durch das MfS sind in enger Abstimmung mit den zuständigen zentralen und territorialen Organen Maßnahmen zur vorbeugenden Aufdeckung und Verhinderung gegen den IX. Pädagogischen Kongress gerichteter feindlich negativer Aktivitäten und zur Sicherung seiner störungsfreien Durchführung eingeleitet.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.