Organisatoren des »Neuen Forums« in Berlin

Das »Neue Forum« (NF) war in seiner Breitenwirkung das bedeutendste Oppositionsbündnis der DDR. Am 9./10.9.1989 unterzeichneten 30 Bürgerrechtler den Aufruf zur Gründung des NF »Die Zeit ist reif – Aufbruch 89«. Darin forderten sie eine Diskussion und Überwindung grundlegender Gesellschaftsprobleme in der DDR und beantragten am 19.9.1989 in elf Bezirken die Zulassung als Vereinigung. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 3 000 Personen den Gründungsaufruf unterschrieben. Als das Innenministerium den Antrag zwei Tage später ablehnte und das »Neue Forum« als »staatsfeindliche Plattform« bezeichnete, dessen Anliegen der Verfassung der DDR widersprächen, löste das eine Welle der Solidarisierung mit den Bürgerrechtlern aus. Auf vielen Demonstrationen wurde die Zulassung des NF gefordert. Nach der Einreichung eines erneuten Zulassungsantrags und einer Aussprache zwischen Jens Reich, Sebastian Pflugbeil und SED-Politbüromitglied Günter Schabowski wurde das NF am 8.11.1989 zugelassen. Bis Ende 1989 unterzeichneten circa 200 000 Menschen den Gründungsaufruf der Organisation, die Ende des Jahres gut 10 000 Mitglieder hatte. Siehe: Mitteilung des Ministers des Innern. In: ND v. 21.9.1989, S. 2.

Anselm Bohley, Jg. 1970, Sohn von Bärbel Boley, zusammen mit seiner Mutter und Werner Fischer von Februar bis August 1988 im Londoner Exil, anschließend Rückkehr nach Ostberlin.

Bärbel Bohley, Jg. 1945, Malerin, Mitbegründerin der Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden« (1982) und der »Initiative Frieden und Menschenrechte« (1985/86), Januar 1988 Verhaftung nach Protestaktionen bei der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration und Abschiebung nach England, August 1988 Rückkehr in die DDR, September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«, Mai bis Dezember 1990 Mitglied der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung für das »Neue Forum«, 1991 Mitarbeiterin der Parlamentarischen Gruppe »Neues Forum/Bürgerbewegung« im Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Gruppe »Frauen für den Frieden« wurde im Oktober 1982 in Ostberlin gegründet und wandte sich gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft in der DDR. Hintergrund war das DDR-Wehrdienstgesetz von 1982, das im Fall der Mobilmachung auch Frauen im Militärdienst vorsah. Bärbel Bohley, Katja Havemann, Almut Ilsen, Irena Kukutz, Ulrike Poppe, Bettina Rathenow und Karin Teichert verfassten ein Protestschreiben an Erich Honecker, das von 150 Frauen unterschrieben wurde. Später gründeten sich auch in anderen Städten Frauengruppen, die sich zu einem DDR-weiten Netzwerk zusammenschlossen.

Die »Initiative Frieden und Menschenrechte« (IFM) entstand 1985/86 aus einer Gruppe um Bärbel Bohley, Gerd Poppe, Peter Grimm, Reinhard Weißhuhn, Ralf Hirsch, Wolfgang Templin und Werner Fischer. Im Zentrum des IFM-Engagements standen in Anlehnung an die »Charta 77« die Durchsetzung der politischen Grund- und Freiheitsrechte, die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit und die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. Dabei verzichtete die lose organisierte IFM bewusst auf eine kirchliche Anbindung und damit auch auf deren schützendes Dach. Die etwa 30 Mitglieder der IFM gaben den illegalen »grenzfall« heraus, nutzten westliche Medien zur Verbreitung ihrer Erklärungen und wurden wie keine zweite Oppositionsgruppe vom MfS verfolgt.

Katrin Bohley, Jg. 1963, Studentin, im September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«.

Claus Brennahl, Jg. 1950, 1979–85 Obermaschinist im VEB Wasserwirtschaft Berlin, anschließend Hochdruckkesselwärter im Heizkraftwerk Mitte, seit 1983 als IMB für das MfS tätig, wurde u. a. zur Überwachung des »Friedenskreises Friedrichsfelde« und des »Grün-ökologischen Netzwerks Arche« eingesetzt.

Das »Grün-ökologische Netzwerk Arche in der Evangelischen Kirche« (Arche) wurde Anfang 1988 als Koordinierungsorgan für die zahlreichen Umweltgruppen und Umweltbibliotheken, die häufig unter dem Dach der evangelischen Kirchen über die ganze DDR verteilt existierten, ins Leben gerufen. Siehe: Jordan, Carlo; Kloth, Hans Michael (Hg.): Arche Nova. Opposition in der DDR. Das »Grün-ökologische Netzwerk Arche« 1988–90. Berlin 1995.

Hagen Erkrath, Jg. 1964, Student der Theatermalerei an der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«.

Olaf Freund, Jg. 1963, Fotolaborant, 1988 Mitbegründer der »Initiative demokratische Erneuerung« (IDEE) in Dresden, protestierte im Mai 1989 gegen die Fälschung der Kommunalwahl und gegen den Bau des Reinstsiliziumwerks in Dresden-Gittersee, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«.

Im Mai 1987 beschloss das SED-Politbüro den Bau eines Reinstsiliziumwerkes in Dresden-Gittersee. Das Werk auf dem Gelände eines Uranförderschachts der Wismut sollte das für die Chipherstellung notwendige polykristalline Silizium produzieren und den Wismut-Kumpeln eine neue Arbeitsstätte bieten. Aus Angst vor Umweltbelastungen direkt im Stadtgebiet führte das Vorhaben bei Dresdner Bürgern zu erheblichen Widerständen. Umweltaktivisten, Kirchenvertreter und Anwohner schrieben Eingaben, veranstalteten Informationsversammlungen und organisierten Demonstrationen. Siehe Urich, Karin: Die Bürgerbewegung in Dresden 1989/90. Köln u. a. 2001, S. 121–138.

Bernhard Freutel, Jg. 1957, Gärtner und Fotograf, Anfang der 1980er Jahre wegen fehlender geregelter Arbeit auf Grundlage des Paragrafen 249 StGB (»asoziale Lebensweise«) zu sechs Monaten Haft verurteilt, in verschiedenen Umwelt- und Friedensgruppen aktiv, u. a. in der Ostberliner »Umweltbibliothek«, am 17.1.1988 an der oppositionellen Demonstration anlässlich des Liebknecht-Luxemburg-Gedenktages beteiligt.

Ute Geißler, Jg. 1954, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Berlin, seit 1987 Mitglied der Arbeitsgruppe »Medizin im Nationalsozialismus« des Arbeitskreises »Ärzte für den Frieden«.

Elke Günther, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Ingelore Hafemann, Jg. 1955, Ägyptologin, 1977–78 Tätigkeit im Außenhandel, 1978–83 Studium der Ägyptologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 1983 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Akademie der Wissenschaften.

Julia Hamburger, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Katja (Annedore) Havemann, Jg. 1947, Erzieherin, 1974 Heirat mit Robert Havemann, 1982 Mitbegründerin von »Frauen für den Frieden«, seit 1986 Mitglied der »Initiative Frieden und Menschenrechte«, 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«, September 1990 Teilnahme an der Besetzung der MfS-Zentrale in Berlin zur Öffnung der Aktenbestände.

Jan Hermann, Jg. 1962, Krankenpfleger, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«, 1990–92 Mitglied des Bundeskoordinierungsrates des »Neuen Forums«.

Die »Wahlen zu den Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen«, kurz: Kommunalwahlen, fanden am 7.5.1989 statt. Das offizielle Ergebnis lautete: 98,85 % Zustimmung für den Wahlvorschlag der Nationalen Front (Einheitsliste) bei einer Wahlbeteiligung von 98,77 %. Bürgerrechtlern, die die unfreien Wahlen schon vorab kritisiert hatten, gelang es, Manipulationen und Wahlfälschungen in zahlreichen Wahlbüros aufzudecken und öffentlich zu machen. Sie stellten fest, dass etwa sieben Prozent der Wähler gegen den Wahlvorschlag der Nationalen Front gestimmt hatten, in einzelnen Wahllokalen sogar 10 bis 20 Prozent. Die Vorgänge rund um die Kommunalwahlen waren wichtige Impulse für die Friedliche Revolution. Vgl. Kloth, Hans Michael: Vom »Zettelfalten« zum freien Wählen. Die Demokratisierung der DDR 1989/90 und die »Wahlfrage«. Berlin 2000.

Martin Hoffmann, Jg. 1948, Mathematiker und Grafiker, arbeitete 1974/75 in der Druckerei Graetz in Berlin, anschließend freischaffender Maler und Grafiker, 1981 Mitbegründer und aktives Mitglied des »Pankower Friedenskreises«.

Der Friedenskreis Pankow wurde im Oktober 1981 in der Kirchengemeinde Alt-Pankow von der Pastorin Ruth Misselwitz und dem Biochemiker Hans-Jürgen Misselwitz ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern zählten u. a. Martin Hoffmann, Marina Grasse, Freya Klier, Gerd Stadermann und Vera Wollenberger (heute Lengsfeld). Der Arbeitskreis widmete sich den Themen Friedenspolitik, Abrüstung, Friedenserziehung und Umweltschutz. Er nahm an kirchlichen Großveranstaltungen wie der Berliner Friedenswerkstatt und der Friedensdekade teil und war über die jährlichen Treffen von »Konkret für den Frieden« in das DDR-weit agierende Netzwerk der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung integriert.

Sebastian Pflugbeil, Jg. 1947, Physiker und Bürgerrechtler, erarbeitete 1986 eine Studie über die Kernenergie in der DDR, setzte sich bis 1989 für die sofortige Abschaltung des Kernkraftwerks Greifswald ein, 1988/89 Berater der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR, Mitbegründer des »Neuen Forums« (NF) im September 1989, Vertreter des NF am Berliner und Zentralen Runden Tisch.

Hier kann Eberhard oder Jutta Seidel gemeint sein. Eberhard Seidel, Jg. 1949, Arzt, 1983 Gründungsmitglied des kirchennahen Arbeitskreises »Ärzte für den Frieden«, Engagement für die Berliner Friedenswerkstatt und dem Netzwerk »Konkret für den Frieden«, im September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«. Jutta Seidel, Jg. 1950, Zahnärztin, 1982 Mitbegründerin des unabhängigen Netzwerks »Frauen für den Frieden«, 1983 Gründungsmitglied des kirchennahen Arbeitskreises »Ärzte für den Frieden«, seit 1986 als Einzelperson für die Organisation »Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges« engagiert, im September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«, Mitarbeit am Zentralen Runden Tisch in der Arbeitsgruppe Sicherheit.

Christof Ziemer, Jg. 1941, evangelischer Theologe, ab 1980 Pfarrer an der Dresdner Kreuzkirche und Superintendent des Kirchenbezirks Dresden-Mitte, 1988/89 Vorsitzender des Präsidiums der »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR«.

Gemeint ist Katrin »Tinka« Wolf, Jg. 1956, Schriftstellerin, Tochter von Christa Wolf, Jg. 1929, seit 1962 freischaffende Schriftstellerin, mit ihrem Roman »Der geteilte Himmel« erlangte sie 1963 internationale Berühmtheit, seit 1974 Mitglied der Akademie der Künste, 1976 Ausschluss aus dem Vorstand der Berliner Sektion des Schriftstellerverbandes nach der Unterzeichnung der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, 1980 Georg-Büchner-Preis, 1989 engagierte sie sich für einen Reformsozialismus in der DDR.

Karl-Heinz (Carlo) Jordan, Jg. 1951, Umweltaktivist, Bürgerrechtler, Grünen-Politiker, seit 1982 in verschiedenen Umweltgruppen aktiv, 1986 Mitbegründer der Berliner »Umweltbibliothek«, Autor der Samisdat-Zeitschrift »Umweltblätter«, 1988 Initiator des »Grün-ökologischen Netzwerks Arche«, 1989 Mitbegründer und Sprecher der Grünen Partei in der DDR, in dieser Funktion Mitglied des Runden Tisches.

Die »Umweltbibliothek« in Ostberlin (UB) wurde im September 1986 u. a. von Carlo Jordan, Christian Halbrock und Wolfgang Rüddenklau nach dem Vorbild der »Fliegenden Universitäten« in Polen in den Kellerräumen der Zionsgemeinde in Berlin-Prenzlauer Berg gegründet. Mit Unterstützung des Pfarrers Hans Simon entwickelte sich der Ort mit Vorträgen, Konzerten und schwer zugänglicher Literatur zu einem Zentrum der DDR-Opposition. Mit den »Umweltblättern« gab die UB zudem ein eigenes Informationsblatt heraus, druckte aber auch andere Publikationen der Oppositionsbewegung.

Frank Kirschneck, Jg. 1955, Sozialdiakon, 1978–87 Leiter der sozialdiakonischen Arbeit der Inneren Mission Zwickau, engagierte sich in der offenen Jugendarbeit im Jugendzentrum »Lutherkeller«, initiierte den Friedenskreis der Inneren Mission als erste kirchliche Basisgruppe in Zwickau, lud im November 1987 den mit Berufsverbot belegten Liedermacher Stephan Krawczyk und seine Frau Freya Klier zu einem Brecht-Abend in die Zwickauer Luthergemeinde, die Veranstaltung musste auf Druck des Superintendenten in letzter Minute abgesagt werden, wurde auf der Alexanderplatzdemonstration gegen die Wahlfälschungen am 7.9.1989 festgenommen.

Matthias Kuhn, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Nach der Aufdeckung umfangreicher Manipulationen bei den Kommunalwahlen am 7.5.1989 durch Bürgerrechtler fanden regelmäßig am 7. eines Monats Protestdemonstrationen in Ostberlin auf dem Alexanderplatz statt. Eine treibende Kraft dieser Proteste war der Diakon Mario Schatta. Auch am 7.9.1989 wollten Bürgerrechtler auf dem Alexanderplatz demonstrieren, jedoch verhinderten die Sicherheitsorgane durch umfangreiche Maßnahmen den Protest. Mindestens 59 Personen wurden teils unter Gewaltanwendung vorläufig festgenommen und viele erhielten Ordnungsstrafen. Siehe dazu die Information 412/89.

Vollrad Kuhn, Jg. 1956, Ingenieur und Umweltaktivist, gründete 1984 die Umweltgruppe Fürstenwalde, ab 1988 Mitarbeit im Netzwerk »Arche«, 1989 Mitbegründer und Sprecher der Grünen Partei in der DDR.

Die »Umweltgruppe Fürstenwalde« (UGF) wurde in der ersten Hälfte der 1980er Jahre gegründet und bis zu ihrer Auflösung 1988 von Vollrad Kuhn geleitet. Die in der Domgemeinde St. Marien angesiedelte Gruppe sammelte und dokumentierte Umweltverschmutzungen durch Industriebetriebe, sie verfasste Eingaben an die Verursacher und die staatlichen Kontrollorgane. Außerdem veröffentlichte sie Informationsblätter und engagierte sich im praktischen Natur- und Umweltschutz. Wie viele Umweltgruppen in der DDR vernetzte sich auch die UGF mit anderen Ökologiegruppen in der DDR, ebenso wurde sie vom MfS überwacht und bekämpft. Vgl. BStU, MfS, BV Frankfurt/O., Abt. XX, Nr. 457.

»Arche Nova« war das im Selbstverlag herausgegebene Informationsheft des »Grün-ökologischen Netzwerks Arche«. Die zwischen 1988 und 1990 erschienenen fünf Ausgaben sind zu großen Teilen ediert in: Jordan, Carlo; Kloth, Hans Michael (Hg.): Arche Nova. Opposition in der DDR. Das »Grün-ökologische Netzwerk Arche« 1988–90. Berlin 1995.

Heike Kulisch, Jg. 1961, Pflegerin in der Elisabeth-Stiftung Berlin, zusammen mit ihrem Ehemann Uwe Kulisch engagiert im Friedenskreis der Galiläagemeinde in Berlin-Friedrichshain.

Uwe Laurisch, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Heinrich Meusel, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Hans-Jürgen Misselwitz, Jg. 1950, Biologe und Theologe, 1974–81 Biologe an der Akademie der Wissenschaften, 1981 Gründung des Friedenskreises Pankow, Engagement für verschiedene oppositionelle Netzwerke, u. a. für »Konkret für den Frieden«, 1981–90 Theologiestudium, 1987/88 Forschungsstipendium in den USA, September 1989 bis März 1990 Pfarrer in Hennigsdorf, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), 1990 als Staatssekretär im Außenministerium Leiter der Delegation der DDR bei den 2+4 Verhandlungen.

Markus Meckel, Jg. 1952, evangelischer Theologe, 1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), Februar bis September 1990 stellvertretender Vorsitzender der Ost-SPD, führte von März bis September 1990 die Geschäfte des Vorsitzenden der Ost-SPD, 1990 Mitglied der frei gewählten 10. Volkskammer, 12.4. bis 20.8.1990 Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Mai bis August 1990 DDR-Vertreter bei den 2+4-Verhandlungen, 1990–2008 Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD).

Im April 1989 wurde ein erster Entwurf für den Aufruf zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) verfasst, der am 26.8.1989 während des erwähnten Menschenrechtsseminars in der Berliner Golgathagemeinde vorgestellt wurde. Zur offiziellen Gründung der SDP kam es am 7. Oktober 1989 – dem 40. Jahrestag der DDR – im Pfarrhaus im Brandenburgischen Schwante. Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben den Hauptinitiatoren Markus Meckel und Martin Gutzeit unter anderem Steffen Reiche, Thomas Krüger, Angelika Barbe, Ibrahim Böhme und Peter Grimm. Auf dem Berliner Parteitag am 26.9.1990 vereinigte sich die Partei mit der westdeutschen SPD. Vgl. dazu u. a. Meckel, Markus; Reiche, Stefan (Hg.): »Nichts muss bleiben, wie es ist«. Gedanken zur Gründung der Ost-SPD. Berlin 2010; Gohle, Peter: Von der SDP-Gründung zur Gesamtdeutschen SPD. Die Sozialdemokratie in der DDR und die Deutsche Einheit 1989/90. Bonn 2014. Der Gründungsaufruf unter dem Titel: »Aufruf zur Bildung einer Initiativgruppe, mit dem Ziel eine sozialdemokratische Partei in der DDR ins Leben zu rufen« ist abrufbar unter: www.ddr89.de (letzter Abruf: 27.2.2019).

Ruth Misselwitz, Jg. 1952, evangelische Theologin und Bürgerrechtlerin, seit 1981 Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Pankow, im gleichen Jahr Mitbegründerin des »Friedenskreises Pankow«, ebenso in der Gruppe »Frauen für den Frieden« und im Netzwerk »Konkret für den Frieden« aktiv.

Harry Pasiak, Jg. 1960, Maschinist, 1985–87 Grundwehrdienst, anschließend als Maschinenführer im Glaswerk Stralau tätig, im Herbst 1989 engagiert für das »Neue Forum«.

Christine Pflugbeil, Jg. 1949, Ärztin, September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«, 1990 Ministerin ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow.

Christoph Pöhlmann, Jg. 1952, Biochemiker, seit 1983 Mitglied des Friedenskreises Pankow, September 1989 Mitbegründer und Sprecher des »Neuen Forums« (NF) in Berlin, seine Wohnung wurde zum Büro des Pankower NF, ab Dezember 1989 Mitglied des Runden Tisches Pankow, 1990 Mitglied der Wahlkommission der DDR.

Katrin Pöhlmann, Jg. 1952, Germanistin, seit 1983 Mitglied im »Pankower Friedenskreis«, Sprecherzieherin an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler«.

Reinhardt Pumb, Jg. 1953, Krankenpfleger, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«, berichtete dem MfS als IM über das Gründungstreffen des »Neuen Forums«.

Am 17.1.1988 nutzten Antragsteller auf ständige Ausreise die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, um für das Recht auf freie Meinungsäußerung zu demonstrieren. Die Regierung reagierte auf den Protest mit harten Repressionen. Einige Oppositionelle wurden bereits im Vorfeld vorbeugend unter Hausarrest gestellt oder festgenommen, zahlreiche Teilnehmer der Aktion verhaftet und später in die Bundesrepublik »ausgebürgert«, darunter der Liedermacher Stephan Krawczyk und die Friedensaktivistin Vera Wollenberger (heute Lengsfeld). Am 25. Januar folgte schließlich eine großangelegte Verhaftungswelle gegen bekannte Oppositionelle wie Freya Klier, Bärbel Bohley, Werner Fischer, Lotte und Wolfgang Templin und Ralf Hirsch. Klier, Krawczyk und Hirsch unterzeichneten unter Haftandrohung einen Ausreiseantrag und wurden »ausgebürgert«, die anderen gingen vorübergehend ins Exil nach England oder in die Bundesrepublik. Das harte Vorgehen löste eine Welle der Empörung im In- und Ausland aus und erschütterte das Ansehen der Regierung nachhaltig. Es führte aber auch zu einer erheblichen Schwächung der Opposition. Siehe Kowalczuk, Ilko-Sascha: Endspiel. Die Revolution in der DDR. Bonn 2009, S. 262–276; vgl. Information 28/88 v. 18.1.1989.

Jens Reich, Jg. 1939, Mediziner, Molekularbiologe und Bürgerrechtler, seit 1968 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften, seit 1980 Professor für Biomathematik am Zentralinstitut, 1970 Gründung des »Freitagskreises« für eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR, seit 1985 Mitarbeit in oppositionellen Zirkeln, Auftritte in der Gethsemanekirche und in der »Umweltbibliothek« in Berlin, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums«, 1990 Mitglied der frei gewählten 10. Volkskammer, zusammen mit Vera Wollenberger (heute Lengsfeld) und Marianne Birthler Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Oktober bis Dezember 1990 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, anschließend Rückkehr in die Forschung.

Steffen Reiche, Jg. 1960, evangelischer Theologe und SPD-Politiker, 1988–90 Gemeindepfarrer in Christinendorf, Oktober 1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), Mitglied im Vorstand der SDP, 1990–2000 Landesvorsitzender der Brandenburger SPD, 1990 Mitglied der frei gewählten 10. Volkskammer, 1990–2005 Abgeordneter des Brandenburger Landtages (SPD), 2005–09 Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD).

Als »Arbeitskreises für christliches Friedenszeugnis« bezeichnete sich ein Friedenskreis, der in der Gethsemanegemeinde Berlin aktiv war.

»Ärzte für den Frieden« wurde im Herbst 1984 vom Ärzteehepaar Jutta und Eberhard Seidel unter dem Dach des Landespfarramtes für Krankenhausseelsorge der Evangelischen Kirche Berlin gegründet. Der christliche Arbeitskreis, zu dem unter anderen der Internist Hajo Möller, das Ehepaar Christine und Sebastian Pflugbeil, der Psychiater Herbert Loos und die Internistin Elisabeth Farack gehörten, warnte mithilfe von Studien, Vorträgen, Friedenswerkstätten und Gemeindeabenden vor der energetischen Nutzung der Kernkraft und klärte über die Folgen von Kernwaffeneinsätzen auf. Die Basis-Gruppe der IPPNW, die vergeblich eine kooperative Zusammenarbeit mit dem staatlichen IPPNW-Komitee anstrebte, veröffentlichte zahlreiche Schriften »für den innerkirchlichen Gebrauch«, darunter die Wismut-Studie »Pechblende« über den Uranbergbau in der DDR zusammen mit dem kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg.

Auf Initiative des sowjetischen Herzchirurgen Jewgeni Tschasow und des amerikanischen Kardiologen Bernhard Lown wurde im März 1981 die Organisation »Internationale Ärzte für die Verhütung eines Nuklearkriegs« (IPPNW) gegründet. Der internationale Zusammenschluss von Medizinern setzte sich für eine vollständige Abrüstung aller atomaren Waffen ein. 1982 entstanden auch in den beiden deutschen Staaten IPPNW-Sektionen. Die DDR-Regierung achtete dabei auf eine enge staatliche Anbindung der Akteure und gründete dafür das Komitee »Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges« mit ausgesuchten Vertretern der Ärzteschaft unter der Leitung des Berliner Urologen Moritz Mebel. Kontakte der IPPNW mit unabhängigen Friedensgruppen in der DDR sollten auf diese Weise verhindert werden. Erst auf internationalen Druck gestattete die SED-Führung im November 1985 auch die Einzelmitgliedschaft von Ärzten, um diese allerdings über neugeschaffene Bezirkskomitees der IPPNW intensiv zu überwachen. Die Einzelmitglieder fanden sich in unabhängigen Gruppen zusammen, etwa der am 4.9.1982 ins Leben gerufene Hallenser Arbeitskreis »Christliche Mediziner in sozialer Verantwortung«. Vgl. Hofmann, Volker: Christliche Mediziner in sozialer Verantwortung. Eine widerständige Ärztegruppe in Halle 1982–89. In: Ärzteblatt Sachsen-Anhalt, 11 (2014), abrufbar unter www.aerzteblatt-sachsen-anhalt.de (letzter Abruf: 27.2.2019).

Hans-Peter Schneider, Jg. 1941, evangelischer Theologe, seit Mitte der 1970er Jahre Pfarrer der Andreas-Markus-Gemeinde in Ostberlin, engagiert in der Friedensbewegung, in der »Kirche von Unten« und für das »Grün-ökologische Netzwerk Arche«.

Rainer Eppelmann, Jg. 1943, evangelischer Theologe, 1966 Verweigerung des Eides als Bausoldat, Verurteilung zu acht Monaten Haft, 1975–89 Pfarrer an der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain, 1979–86 Organisator von »Bluesmessen« (Gottesdienst mit Konzert) im Rahmen seiner kirchlichen Jugendarbeit, die einen Ausgangspunkt oppositioneller Aktivitäten bildeten, 1982 zusammen mit Robert Havemann Verfasser des »Berliner Appells« (»Frieden schaffen ohne Waffen«) zur Entmilitarisierung beider deutscher Staaten, daraufhin Inhaftierung durch das MfS vom 9. bis 11.2.1982, Oktober 1989 Mitbegründer des »Demokratischen Aufbruchs« in Ostberlin, Februar 1990 Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow, April–Oktober 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, 1990–2005 Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU).

Doris Schubert, Jg. 1952, Ärztin, seit 1982 Mitglied im »Pankower Friedenskreis«.

Ulrike Poppe, Jg. 1953, Angestellte, seit 1982 Mitglied in der Gruppe »Frauen für den Frieden«, seit 1986 Mitglied der »Initiative Frieden und Menschenrechte«, seit 1987 Mitglied im Arbeitskreis »Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung«, Mitbegründerin von »Demokratie Jetzt« (DJ), Dezember 1989 bis März 1990 DJ-Vertreterin am Zentralen Runden Tisch, 1990 Mitarbeiterin der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne, 2009–17 Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

Christa Schuenke, Jg. 1948, Übersetzerin, studierte Englisch und Französisch an der Akademie der Wissenschaften, seit 1981 als freiberufliche Übersetzerin Englisch-Deutsch tätig.

Reinhard Schult, Jg. 1951, Maurer, ab 1978 Mitarbeit in verschiedenen oppositionellen Gruppen, u. a. im »Friedenskreis der ESG Berlin«, in der »Gruppe Gegenstimmen« und in »Kirche von Unten«, 1979/80 Haft wegen Verbreitung illegaler Literatur, im September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums« (NF), Berliner Sprecher und Vertreter des NF am Zentralen Runden Tisch, März bis Oktober 1990 Abteilungsleiter im »Staatlichen Komitee zur Auflösung des MfS«.

Detlef W. Stein, Jg. 1961, Fernsehtechniker, seit 1985 in verschiedenen oppositionellen Kreisen aktiv, u. a. in der Berliner »Umweltbibliothek« und im Friedenskreis Kaulsdorf, Autor der Samisdat-Zeitschrift »Umweltblätter«, September 1989 Mitbegründer des »Neuen Forums« in Berlin, Sprecher für den Bezirk Hellersdorf am Runden Tisch.

Christian Tietze, Jg. 1941, Architekt und Archäologe, Tätigkeiten an der Bauakademie, der Akademie der Wissenschaft und der Universität Potsdam, 1988 erschien sein Grundlagenwerk »Megalopolis. Aus der Geschichte der Stadt«, September 1989 Gründungsmitglied des »Neuen Forums«, Januar 1990 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft e.V. für die Förderung deutsch-deutscher Kontakte im gesellschaftlichen Bereich.

Marianne Tietze, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Wolfgang Wustlich, Jg. 1943, Ingenieur, 1970–78 Anlagentechniker im Minolzentrum Berlin, 1979–90 Abteilungsleiter in der Hausverwaltung des Hauses der Elektrotechnik, seit 1978 Diplomingenieur für Wärmetechnik, 1985–89 Mitglied der Ost-CDU, September 1989 Gründungsmitglied des »Neuen Forums«, Mai bis Dezember 1990 Mitglied der ersten frei gewählten Berliner Stadtverordnetenversammlung.

Dieter Ziebarth, Jg. 1940, evangelischer Theologe, seit 1970 evangelischer Pfarrer in Zeitz, enger Vertrauter von Oskar Brüsewitz, 1979–84 Studentenpfarrer der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig, anschließend Pfarrer der Bekenntnisgemeinde in Berlin-Treptow.

Interessengruppen für Homosexuelle sind für die DDR seit 1973 nachgewiesen, die erste war die »Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin«. Sie wollte u. a. die Öffentlichkeit in der DDR über Homosexualität und Homosexuelle informieren und aufklären. 1974 gab es erstmals einen Vortrag zum Thema Homosexualität in der Berliner Stadtbibliothek und zwei Jahre später in Zusammenarbeit mit der Urania ein Forum zum Thema Homosexualität mit etwa 500 Personen. Kirchliche Arbeitskreise für Homosexuelle entstanden in den frühen 1980er Jahren, 1982 z. B. der erste Arbeitskreis Homosexualität bei der evangelischen Studentengemeinde Leipzig. Bis zum Ende der DDR wuchs die Anzahl der kirchlichen Arbeitskreise zum Thema Homosexualität auf über 20. Eine zentrale Figur war der Journalist und Theologe Eduard Stapel, der u. a. bewirkte, dass die Magdeburger Stadtmission eine hauptamtliche Stelle für Homosexuellenarbeit einrichtete.