Probleme bei der Versorgung mit Energieträgern 1989/90
26. Oktober 1989
Hinweise über einige bedeutsame Probleme im Zusammenhang mit der sicheren Produktion und Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung mit Energieträgern im Winterhalbjahr 1989/90 [Bericht K 1/210]
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wurden durch die zuständigen staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe in Verwirklichung entsprechender Beschlüsse und auf der Grundlage vorliegender langjähriger Erfahrungen bei der Leistungsentwicklung und Erhöhung der Standhaftigkeit der Kohle- und Energiewirtschaft insgesamt Fortschritte erzielt. Damit sind günstige Voraussetzungen geschaffen, die Versorgung der Volkswirtschaft und Bevölkerung mit Energieträgern zu sichern.
Diese Situation wird wesentlich begünstigt durch die milden Witterungsbedingungen des Winterhalbjahres 1988/89, wodurch u. a. ermöglicht wurde, dass die bisher höchsten Bestände an festen und gasförmigen Brennstoffen angelegt werden konnten.
Experteneinschätzungen zufolge besteht neben den erreichten positiven Ergebnissen und der günstigen Ausgangsbasis trotzdem eine Reihe von Schwachstellen und Gefährdungen, vor allem hinsichtlich der Sicherung des Elektroenergieaufkommens sowie der Produktion in Kohleveredlungsanlagen aufgrund von Instabilitäten in Kraftwerken und im Mittel- und Niederspannungsnetz bzw. bei der Prozessdampfbereitstellung in Industriekraftwerken. Nicht zuletzt wird durch die nichtbeschlussgerechte Bereitstellung von Stahlbaukapazitäten, Ersatz- und Verschleißteilen sowie von Ausrüstungen für die Tagebau- und Hilfsgerätetechnik die Stabilität und Reaktionsfähigkeit der Braunkohleindustrie unter Winterbedingungen beeinträchtigt.
In der Braunkohleindustrie konnten im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1989 trotz störungsbedingter Produktionsausfälle die geplanten Produktionsziele überboten werden. Für die Realisierung der Jahreszielstellungen bestehen entsprechend vorliegenden Expertenhinweisen insgesamt günstige Voraussetzungen.
Dennoch gibt es eine Reihe von Faktoren, die zur Gefährdung der Stabilität und Leistungsfähigkeit der Braunkohleindustrie im Winterhalbjahr 1989/90 führen können. Das betrifft u. a.
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Unsicherheiten hinsichtlich des geplanten Leistungszuwachses von in Betrieb zu nehmenden Produktionskapazitäten in den Tagebauen Jänschwalde und Reichwalde aufgrund von durch die Kombinate TAKRAF und Automatisierungsanlagenbau verursachte Montagerückstände (z. B. bei Tagebaugeräten).
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Einschränkungen der Stabilität und Reaktionsfähigkeit der Tagebaue in den Braunkohlenkombinaten Senftenberg und Bitterfeld, resultierend aus der nicht den Erfordernissen entsprechenden Verfügbarkeit an Tagebau- und Hilfsgeräten. Die Ursachen hierfür bestehen in den auf die nicht beschlussgerechte Bereitstellung von Ersatz- und Verschleißteilen zurückzuführenden hohen Reparaturständen (Stillstände an Planier- und Rücktechnik ca. 33 % bzw. 30 %, an Universalbaggern ca. 28 % bzw. 20 %, an Ladern in beiden Kombinaten ca. 20 %) sowie den nicht dem Plan entsprechenden Neuzuführungen u. a. von Planierraupen, Nkw/Kippern, Traktoren, Ladegeräten, Tiefladern.
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Unsicherheiten und Gefahren für eine stabile Produktion in einer Reihe von Kohleveredlungsanlagen, hauptsächlich aufgrund des alterungs- und verschleißbedingten Zustandes der Industriekraftwerke (Dampferzeuger) sowie des nicht den Erfordernissen entsprechenden Einsatzes materieller Fonds für Rekonstruktions- und Instandhaltungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich des VEB Braunkohlenkombinat Bitterfeld, des VEB Gaskombinat »Fritz Selbmann« Schwarze Pumpe (insbesondere Stammbetrieb) und VEB Braunkohlenveredlung Espenhain.
Für die Erreichung der Jahresendzielstellung der Bevorratung mit festen Brennstoffen müsse vorliegenden Hinweisen zufolge seit September 1989 [der] steigenden Tendenz des Ausfalls von Transportraum der Deutschen Reichsbahn wirksam entgegengewirkt werden.
Die Versorgung der Bevölkerung mit Braunkohlenbrikett wird als gesichert eingeschätzt. Aufgrund des Minderverbrauches im zurückliegenden Winterhalbjahr bestehen vielfach noch hohe Altbestände. Es wird davon ausgegangen, dass gegenüber dem Winterhalbjahr 1988/89 ca. 1,8 Mio. t Braunkohlenbrikett (das entspricht ca. 11 % des Jahresfonds) weniger in Anspruch genommen werden.
Bei den Importen fester Brennstoffe bestehen per 30.9.1989 Lieferrückstände für Mischkokskohle aus der UdSSR von rund 40 kt (entspricht ca. 10 % der für 1989 vertraglich vereinbarten Menge).
Die unkontinuierlichen Lieferungen von Mischkokskohle aus der UdSSR führten bereits im Verlauf des III. Quartals 1989 zu erheblichen Versorgungsproblemen. Vorliegenden Einschätzungen zufolge muss bis Ende 1989 mit einem weiteren Ansteigen der Lieferrückstände auf ca. 100 kt gerechnet werden. Die Ursachen für die nichtvertragsgerechten Lieferungen von Mischkokskohle sind auf unzureichende Waggonraumbereitstellung und Produktionsausfälle in der UdSSR zurückzuführen. Zum Ausgleich der ausfallenden Lieferungen aus der UdSSR sind Importe aus der BRD (Ruhrkohle-AG) vorgesehen.
Auf dem Gebiet der Elektroenergieversorgung bestehen trotz erreichter Fortschritte bei der Erhöhung der Verfügbarkeit von Kraftwerksanlagen noch bestimmte Unsicherheiten für einen stabilen Winterbetrieb. So traten aufgrund der Nichteinhaltung des bestätigten Stillstandzeitenplanes der Kraftwerke infolge von Fehlern und Verstößen in der Betriebsführung der Kraftwerksblöcke sowie von Mängeln in der Reparaturdurchführung und Qualitätskontrolle vor Wiederinbetriebnahme der reparierten Kraftwerksleitungen Verzögerungen bei der planmäßigen Durchführung von Instandhaltungen und Reparaturen ein. Davon sind u. a. betroffen:
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Am 500-MW-Block 13 im Kraftwerk Boxberg wurden geplante Stillstandzeiten zur Beseitigung umfangreicher, durch fehlerhaftes Betriebsregime verursachte Schäden um ca. sechs Wochen überschritten. Aufgrund festgestellter Montagemängel musste eine erneute Außerbetriebnahme für ca. zwei Wochen erfolgen, sodass die geplanten Instandhaltungsmaßnahmen am 500-MW-Block 14 des Kraftwerkes Boxberg erst im Jahr 1990 realisiert werden können.
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Beim 500-MW-Block 2 im Kraftwerk Jänschwalde verzögerte sich die Wiederinbetriebnahme des Blockes nach planmäßig abgeschlossener Großinstandsetzung um ca. drei Wochen infolge fehlerhafter Montage und unzureichender Qualitätskontrolle der Wellenabdichtungen der Niederdruck-Turbinenläufer.
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Am 210-MW-Block 4 im Kraftwerk Thierbach kam es durch einen Verstoß gegen die technologische Disziplin bei der planmäßigen Induktorprüfung zum Wassereintrag mit nachfolgendem Induktorerdschluss. Die Kurzinstandsetzung verlängerte sich dadurch von 16 auf 29 Tage.
Weitere Unsicherheiten für die Gewährleistung eines stabilen Winterbetriebes der Kraftwerke ergeben sich aus der nicht ausreichenden materiell-technischen Sicherung von Ersatzteilen für Druckkörper und Turbinenläufer der Erzeugeranlagen.
Gegenwärtig besteht hinsichtlich der nicht den Anforderungen entsprechenden Verfügbarkeit sowie dem Umfang der zentralen Reparaturreserve für Turbinenläufer und Induktoren für Kraftwerksgeneratoren in den Großkraftwerken eine ernste Lage. Insgesamt war Ende September 1989 für 19 Turbinenläufer unterschiedlicher Leistung keine einsatzbereite Störreserve vorhanden.
Durch das Ministerium für Kohle und Energie wurden zur Sicherung des einfachen Störungsfalles und zum Aufbau der zentralen Reparaturreserve weitreichende Maßnahmen festgelegt mit dem Ziel, bis Ende Dezember 1989 die nicht einsatzbereite Störreserve bei Turbinenläufern auf sechs Stück zu reduzieren.
Die in den Energiefortleitungs- und Verteilungsanlagen des 380/220-kV-Versorgungsnetzes der DDR durchgeführten Kontrollen ergaben, dass die zwischen dem Ministerium für Kohle und Energie und dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik festgelegten Maßnahmen zur weiteren Stabilisierung des Elektroenergieübertragungsnetzes bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Wesentlichen planmäßig realisiert wurden.
Die Standhaftigkeit und Zuverlässigkeit der Mittel- und Niederspannungsnetze in den Städten und Gemeinden ist jedoch unter Beachtung des Alterungs-, Verschleiß- und Ausbauzustandes sehr differenziert und entspricht nicht durchgängig den Erfordernissen. Eine grundsätzliche Stabilisierung dieser elektrotechnischen Anlagen erfordert entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten langjährige Realisierungszeiträume.
Zur Gewährleistung und Erhöhung der nuklearen Sicherheit wurden bei der Großinstandhaltung der Blöcke 2 bis 4 im Kernkraftwerk (KKW) Greifswald umfangreiche Werkstoffprüfprogramme mit modernen Prüfsystemen durchgeführt und die dabei festgestellten Mängel beseitigt. Bei der Realisierung der Etappen zur Vorbereitung des Dauerbetriebes Block 5 des KKW sowie bei der Fernwärmeauskopplung 2. Baustufe traten zu den zurzeit gültigen Ablaufplänen Verzüge auf, die eine planmäßige Elektroenergie- und Wärmeversorgung aus Kernenergie entsprechend den Vorgaben der Winterdirektive gefährden. Diese sind vor allem auf nicht vorhersehbare umfangreiche Instandhaltungs- und Austauschmaßnahmen von Armaturen zurückzuführen.
Zur Gewährleistung einer sicheren Versorgung der Volkswirtschaft und Bevölkerung mit Elektroenergie, vor allem unter extremen Witterungsbedingungen, sind zur Erzielung eines Ausgleichs bei auftretenden Defiziten zwischen dem Leistungsaufkommen und maximalem Bedarf die Inanspruchnahme von Optionen vor allem mit der österreichischen Verbundgesellschaft in Höhe von 600 MW und ab Januar 1990 mit der PreussenElektra AG BRD (Richtbetrieb von Kraftwerk Offleben (BRD) zum ZUW Wolmirstedt/VE Kombinat Verbundnetze Energie) in Höhe von 310 MW vereinbart.
Der Leistungsbedarf zur zuverlässigen Versorgung der Volkswirtschaft und Bevölkerung in den drei Gasarten (Stadtgas, eigenes Erdgas und Importerdgas) wurde auf der Grundlage des bisher höchsten Gasverbrauches im Januar 1987, notwendiger Energieträgerumstellungen infolge des Rückganges der eigenen Erdgasförderung und Bedarfszugängen sowie durch die Inbetriebnahme von Gasturbinenkraftwerken bilanziert.
Experteneinschätzungen zufolge gestaltet sich derzeit lediglich der für Dezember 1989 geplante Abschluss der Rekonstruktionsarbeiten an sechs Generatorenvierergruppen zur Stadtgasproduktion im VEB Gaskombinat »Fritz Selbmann« Schwarze Pumpe (Stammbetrieb) problematisch, da aufgrund von Verzügen in der materiell-technischen Sicherstellung Rückstände von vier Wochen eingetreten sind.
Im Zusammenhang mit dem erreichten Bevorratungsniveau in den Untergrundspeichern und der Anlagenverfügbarkeit bestehen insgesamt gute Voraussetzungen für eine stabile Gasversorgung im Winterhalbjahr 1989/90.
Im Winter 1989/90 sind 731 Wärmeversorgungsgebiete in der DDR mit Fernwärme zu versorgen. Die in allen Bezirken durchgeführten Kontrollen zum Stand der Heiz- und Winterbereitschaft an öffentlichen und nichtöffentlichen Wärmeversorgungsanlagen ergaben, dass die Versorgungsbereitschaft der Wärmeerzeugungsanlagen im Wesentlichen gewährleistet ist.
Infolge eingetretener Verzüge bei der Realisierung von Instandhaltungen und Investitionen sowie aufgrund vorhandener Kapazitätsengpässe in Wärmeerzeugungsanlagen kann in 25 Wärmeversorgungsgebieten die Bedarfsdeckung für die Bevölkerung ab -20°C Tagesmitteltemperatur nur durch bedarfsreduzierende Maßnahmen bei Industrieverbrauchern gesichert werden.
Zur Deckung des steigenden Wärmebedarfs und zur weiteren Stabilisierung der Wärmeversorgung wurde ein 242 Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen an Hauptausrüstungen der Heizkraft- und Heizwerke umfassendes Reparaturprogramm festgelegt.
Aufgrund unzureichender Bereitstellung materiell-technischer Kapazitäten konnten die geplanten Maßnahmen nicht in vollem Umfang realisiert werden. (Per 30. September 1989 waren 73 % der Jahres-Zielstellung geplant; erreicht wurden 68 %.)
Darüber hinaus bestehen aufgrund des technisch labilen Zustandes und der personellen Unterbesetzung in Wärmeversorgungsanlagen der Versorgungsgebiete Halle und Halle-Neustadt, VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl, VEB Transportgummiwerk Bad Blankenburg und des Stadtzentrums Leipzig eine Reihe von Schwachstellen, die Unsicherheitsfaktoren für eine stabile Wärmeversorgung im Winter 1989/90 darstellen.
Die in diesem Material verarbeiteten Angaben wurden in gleicher Weise von der Inspektion des Ministerrates1 für eine Information an die Genossen Kleiber,2 Rauchfuß,3 Mitzinger4 verarbeitet. Diese Information enthält darüber hinaus weitere, darüber hinausgehende und präzisierende Angaben, auf die in diesen »Hinweisen« verzichtet wurde.