Reaktionen von Mitarbeitern des MfS
14. November 1989
Hinweise über beachtenswerte Reaktionen von Mitarbeitern des MfS auf die gegenwärtige Lage [Bericht K 2/42]
In vielfältigen Diskussionen bringen die Mitarbeiter des MfS ihren Willen und ihre Bereitschaft zum Ausdruck, den Kurs der Wende aktiv zu unterstützen und mitzuhelfen bei der Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses zwischen Partei und Volk.
Mit zunehmender Besorgnis verweisen sie jedoch auf die an Umfang und Schärfe zunehmenden bzw. anhaltenden Angriffe unterschiedlichster Personenkreise gegen das MfS, besonders im Rahmen von Demonstrationen, Veranstaltungen in Kirchen und auf Dialogveranstaltungen in allen Bezirken der DDR. Sie zeigen sich in diesem Zusammenhang sehr beunruhigt darüber, dass insbesondere die leitenden Partei- und Staatsfunktionäre auf den Ebenen der Bezirke und Kreise bis auf wenige Ausnahmen nicht oder nicht wirksam zu eskalierenden Angriffen aus der Bevölkerung gegen die Schutz- und Sicherheitsorgane Stellung beziehen und sich in der Öffentlichkeit nicht hinter das MfS und seine Mitarbeiter stellen. Dadurch vertiefe sich der Eindruck, dass das MfS und seine Mitarbeiter verantwortlich gemacht würden für die entstandene gegenwärtige Krisensituation, obwohl in zurückliegender Zeit von dem gleichen Personenkreis stets die hohe Einsatzbereitschaft und vorbildliche Pflichterfüllung der Mitarbeiter des MfS gewürdigt worden sei. Mit großer Verbitterung wird erklärt, dass viele realisierte Aufgaben häufig nur unter Zurückstellung persönlicher Belange möglich wurden; dies wolle man gegenwärtig aber offensichtlich nicht mehr wahrhaben.
Vielfach wird darauf hingewiesen, dass gegenwärtig besonders die Mitarbeiter der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen hohen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Sie und ihre Familienangehörigen sind wegen ihrer Zugehörigkeit zum MfS vielen Beschimpfungen, Beleidigungen, zunehmend aggressiven und massiven Anfeindungen bis hin zu Demütigungen in der Öffentlichkeit und angedrohten Gewalthandlungen ausgesetzt.
Insbesondere bei Demonstrationen in den Kreisstädten begegnet den Mitarbeitern des MfS durch provokantes Auftreten der Teilnehmer unmittelbar vor den Dienstobjekten ein regelrechter Psychoterror. Gerade in solchen Situationen fühlen sie sich von der Partei allein gelassen.
In diesem Sinne äußerten sich vor allem Angehörige des MfS in Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen der Bezirke Karl-Marx-Stadt, Dresden, Leipzig und Erfurt. Vorliegenden Hinweisen zufolge werden derartige Standpunkte insbesondere von den Mitarbeitern der Kreisdienststellen Plauen, Zwickau, Oelsnitz, Klingenthal, Aue, Schwarzenberg, Annaberg, Stollberg und Freiberg im Bezirk Karl-Marx-Stadt vertreten, die fortgesetzt mit massiven Angriffen konfrontiert werden.
Die Genossen der Kreisdienststelle Brand-Erbisdorf sind von dem Auftreten des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung in der Öffentlichkeit enttäuscht. Während er bisher keine Anstrengungen zur öffentlichen Zurückweisung von Angriffen auf das MfS unternahm, sich nicht vor die Sicherheitsorgane stellte, fordere er andererseits durch die Kreisdienststelle persönlichen Schutz.
In Schwarzenberg findet sich kein Staats- und Parteifunktionär, der der Verbreitung des Gerüchtes entgegentritt, wonach zwei Mitarbeiter des MfS Schüler, die an Demonstrationen teilnahmen, zusammengeschlagen hätten.
So bringen Mitarbeiter der Kreisdienststelle Plauen Sorge im Zusammenhang mit der immer wieder von Tausenden Demonstranten vor dem Dienstobjekt erhobenen Forderung »Stasi in die Produktion« zum Ausdruck, die so weit gehe, dass einzelne Genossen bekunden, jederzeit in der Volkswirtschaft zu arbeiten, um damit einer Eskalierung der Angriffe gegen das MfS entgegenzuwirken.
Begünstigend für die Angriffe gegen die Mitarbeiter des MfS im Bezirk Karl-Marx-Stadt wirke nicht zuletzt die Tatsache, dass sich viele Sekretäre und Sekretariatsmitglieder von SED-Kreisleitungen mit Rücktrittsabsichten tragen bzw. diesen Schritt bereits vollzogen haben. Ein derartiges Verhalten, das als »Kapitulantentum« bezeichnet wird, wirkt nicht nur auf die Mitarbeiter des MfS, sondern auch auf alle standhaften Genossen im Territorium deprimierend und kompliziert die Lage.
Mit Anerkennung wird demgegenüber gesprochen vom Auftreten der 1. Sekretäre der SED-Kreisleitungen Hohenstein-Ernstthal und Marienberg.
So erklärten Mitarbeiter der Kreisdienststelle Hohenstein-Ernstthal, dass sich der 1. Sekretär mit seiner ganzen Person vor die Schutz- und Sicherheitsorgane stellt. Er erhalte jedoch von den Mitgliedern seines Sekretariats keine Unterstützung.
Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Marienberg bemühe sich ebenfalls unter Einsatz seiner ganzen Kraft, die Lage zu beherrschen und Diffamierungen gegenüber den Schutz- und Sicherheitsorganen zurückzuweisen.
Wie weiter bekannt wurde, werden auf öffentlichen Veranstaltungen in zunehmendem Umfang und nachdrücklich Forderungen gestellt, Dienstobjekte bzw. Kur- und Erholungseinrichtungen des MfS einer öffentlichen Nutzung zugänglich zu machen. Diesbezügliche Hinweise liegen hauptsächlich vor aus den Bezirken Rostock und Karl-Marx-Stadt.