Schaffung DDR-weiter Sammlungsbewegungen/Vereinigungen
19. September 1989
Information Nr. 416/89 über Bestrebungen feindlicher, oppositioneller Kräfte zur Schaffung DDR-weiter Sammlungsbewegungen/Vereinigungen
Wie bereits in der Information des MfS Nr. 386/89 vom 4. September 1989 umfassend dargestellt, propagierte der wegen fortgesetzter negativer Aktivitäten hinlänglich bekannte Pfarrer Meckel1 (Magdeburg) im Rahmen eines am 26. August 1989 stattgefundenen »Menschenrechtsseminars« in der Golgathakirchengemeinde Berlin die Bildung einer sogenannten Initiative zur Schaffung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR.2 Deren Konstituierung ist nach vorliegenden Hinweisen für den 7. Oktober 1989 vorgesehen. Entsprechend [den] Ausführungen Meckels streben die Inspiratoren/Organisatoren dieses Vorhabens – ausschließlich reaktionäre Kirchenkräfte und Mitglieder personeller Zusammenschlüsse wie Pfarrer Gutzeit3 (Sprachenkonvikt Berlin) bzw. Manfred Böhme4 (»Initiative Frieden und Menschenrechte« Berlin)5 – in der DDR eine ökologisch orientierte sozialdemokratische Gesellschaft an. Ihren Auffassungen zufolge müssten in der DDR für einen »Demokratisierungsprozess« entsprechende Voraussetzungen und Bedingungen geschaffen werden. Dazu diene die Schaffung einer sozialdemokratischen Partei.
Ihr müssten – gemeinsam mit weiter zu bildenden »demokratischen Organisationsformen« – solche Prinzipien zugrunde liegen wie »Entmonopolisierung und Demokratisierung der Macht in Staat und Gesellschaft« sowie »demokratische Kontrolle« des Staates durch den einzelnen Bürger.
Der Wortlaut der konzeptionellen Vorstellungen zur »Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine sozialdemokratische Partei in der DDR ins Leben zu rufen« (der vorgenannten Information des MfS als Anlage beigefügt) wurde ab dem 31. August 1989 in BRD-Medien zum Teil im Wortlaut bzw. kommentierend veröffentlicht und diente als Ausgangspunkt einer anhaltenden Medienkampagne gegen die DDR unter dem Schlagwort »Formierung der inneren Opposition der DDR«.6 Nach vorliegenden Hinweisen wird dieser sogenannte Gründungsaufruf in kirchlichen Basisgruppen und personellen Zusammenschlüssen verbreitet und dort diskutiert.
Streng vertraulichen Hinweisen zufolge fand in jüngster Zeit eine Zusammenkunft der Kräfte um Meckel statt, während der ein »Aufruf der Initiativgruppe Sozialdemokratische Partei in der DDR« verfasst wurde, der vervielfältigt und verbreitet werden soll (Text als Anlage 1). Damit erhoffen sich die Inspiratoren/Organisatoren eine höhere Wirksamkeit hinsichtlich der Sammlung von Gleichgesinnten/Sympathisanten.
Über die vorgenannten Aktivitäten zur Bildung einer sozialdemokratischen Partei hinausgehend, wurden dem MfS streng intern Aktivitäten feindlicher, oppositioneller Kräfte bekannt, sogenannte Sammlungsbewegungen und Vereinigungen mit dem Ziel zu bilden, Gleichgesinnte und Sympathisanten zusammenzuführen und eine organisierte innere Opposition zu formieren:
1. Anfang September 1989 »konstituierte« sich im Rahmen einer langfristig vorbereiteten Zusammenkunft von ca. 30 Führungskräften personeller Zusammenschlüsse und weiteren feindlich-negativen Personen aus der Hauptstadt Berlin sowie den Bezirken Leipzig, Halle, Dresden, Magdeburg, Frankfurt/O., Potsdam und Schwerin eine sogenannte Vereinigung »Neues Forum«.7 Erstunterzeichner eines während dieser Zusammenkunft beratenen und beschlossenen Gründungsaufrufes »Aufruf 89 – Neues Forum« (Text als Anlage 2) sind u. a. die hinlänglich bekannten Führungskräfte personeller Zusammenschlüsse aus Berlin, Bärbel Bohley8 und Dr. Martin Böttger,9 beide »Initiative Frieden und Menschenrechte«, (Böttger ist seit Kurzem im Kreis Zwickau wohnhaft), Annedore Havemann10 (»Frauen für den Frieden«11), die Medizinerehepaare Eberhard und Jutta Seidel12 sowie Sebastian und Christine Pflugbeil13 (»Ärzte für den Frieden«14), Reinhard Schult15 (»Friedenskreis« Berlin-Friedrichsfelde16) und Reinhardt Pumb17 (Arbeitsgruppe »Menschenrechte« des »Friedenskreises« der Erlöserkirche18). Ferner unterzeichneten Erika Drees19 (»Friedenskreis« Stendal und »Koordinierungsgruppe Kernkraft«),20 Frank und Katrin Eigenfeld21 (»Vorbereitungskreis Nachtgebete«22 bzw. »Christliche Frauen für den Frieden« Halle) sowie Michael Arnold23 (»Initiativgruppe Leben« Leipzig24). Erstunterzeichner sind darüber hinaus aktive Mitglieder des »Friedenskreises Wolfspelz«25 und des sogenannten Aktionskreises »Frieden und Gerechtigkeit« des Landeskirchenamtes Sachsen, Dresden.26 Dem Aufruf schlossen sich durch Unterschrift an: die Teilnehmer der Zusammenkunft Prof. Dr. Reich27 (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Mikrobiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR), Hans-Jochen Tschiche28 (Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt) und der ehemalige Rechtsanwalt Henrich.29 Letztere integrierten sich wiederholt in unterschiedlichste Aktivitäten personeller Zusammenschlüsse und treten darüber hinaus mit relativ eigenständigen feindlich-negativen Handlungen in Erscheinung.
Nach dem MfS vorliegenden zuverlässigen Hinweisen unterhält die Mehrzahl der Vorgenannten stabile und intensive Verbindungen zu führenden Vertretern politischer Parteien in der BRD und Westberlin, insbesondere der SPD, FDP, der Grünen und der Alternativen Liste, zu als Schaltstellen subversiver Aktivitäten gegen die DDR agierenden Kräften im westlichen Ausland wie den ehemaligen DDR-Bürgern Jahn30 und Hirsch,31 zu antikommunistischen Führungskräften der westeuropäischen Friedensbewegung und nicht zuletzt zu in der DDR akkreditierten Korrespondenten westlicher Medien sowie zu antisozialistischen Kräften in anderen sozialistischen Staaten. Erkennbar sind in diesem Zusammenhang zunehmende Bestrebungen dieser feindlichen, oppositionellen DDR-Bürger, ihr strategisches und taktisches sowie inhaltliches und methodisches Vorgehen mit ihren Kontaktpartnern zu beraten und abzustimmen.
Erklärtes Ziel der »Gründungsmitglieder« der Vereinigung »Neues Forum« ist es, ausgehend von der Behauptung, wonach die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gestört und die Lösung anstehender lokaler und globaler Aufgaben behindert seien, mit der Vereinigung »Neues Forum« eine politische Plattform für die ganze DDR zu bilden, die es »Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen, Parteien und Gruppen« möglich machen soll, sich an der »Diskussion und Beratung lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme«, am »demokratischen Dialog über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft, der Kultur« und anderer gesellschaftlicher Probleme zu beteiligen. Ihrer Auffassung nach käme es in der jetzigen gesellschaftlichen Entwicklung darauf an, dass mehr Bürger der DDR als bisher am »gesellschaftlichen Reformprozess« mitwirken und die vorhandenen »vielfältigen Einzel- und Gruppenaktivitäten zu einem Gesamthandeln« führen.
Im Zusammenhang mit der Diskussion zu diesem Gründungsaufruf wurden als mögliche Inhalte des künftigen Wirkens der Vereinigung u. a. herausgestellt:
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Einschränkung des politischen Einflusses der Partei, u. a. auf die Wirtschaft (Auswahl der Leiter nach dem Sachverstand und nicht nach der Parteizugehörigkeit; Schaffung der Möglichkeit der Übernahme von Betrieben durch Arbeiterverwaltungen);
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Reduzierung des Staatsapparates;
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Neuordnung der Volkswirtschaft;
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Schaffung eines demokratischen Wahlrechtes auf der Grundlage der in Vorbereitung der Volkswahlen im Mai 1989 von »Friedenskreisen« herausgegebenen Forderungskataloge;
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Auflösung des Medienmonopols der Partei;
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Überarbeitung des Strafgesetzbuches und Einführung einer gesellschaftlichen Kontrolle der Tätigkeit des MfS;
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Schaffung einer neuen Struktur der Jugendorganisation, einer unabhängigen Umweltschutzbehörde sowie einer kulturellen Selbstverwaltung (»Abschaffung der ideologischen Vorbereitung des Geisteswesens durch die Monopolstellung der Partei«);
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Einbeziehung von »Verbündeten aus der SED und aus anderen Bereichen der Gesellschaft«.
Zum weiteren Vorgehen beschlossen die Teilnehmer der Zusammenkunft, auf der Grundlage des Gründungsaufrufes in Kürze beim MdI und bei den zuständigen Dienststellen der Bezirksbehörden der DVP Anträge auf Bildung der genannten Vereinigung zu stellen. Zu diesem Zweck sollen weitere Unterschriften potenzieller Mitglieder gesammelt und diesen Anträgen beigefügt werden.
Eine Veröffentlichung des Wortlautes des Gründungsaufrufes – ohne Namen der Erstunterzeichner – erfolgte bereits am 13. September 1989 in der »Frankfurter Rundschau«.32 Korrespondierend damit führten der RIAS am 12. September 1989 mit dem Prof. Reich und der Fernsehsender RIAS-TV am 13. September 1989 mit der Bohley Telefoninterviews, in denen beide Personen Angaben zu den Zielen und Vorhaben der zu bildenden Vereinigung machten. In der Sendung »Kennzeichen D« des ZDF am 13. September 1989 wurde ein in der DDR aufgenommenes Video-Band mit Äußerungen der Bohley und des Henrich zur »Notwendigkeit« der Schaffung einer inneren Opposition in der DDR abgespielt. In einem Interview mit der BRD-Zeitung »Die Welt« (14. September 1989)33 wies Pfarrer Tschiche u. a. darauf hin, dass man ungeachtet einer möglichen Nichtzulassung des »Neuen Forums« als Vereinigung durch den Staat in den Aktivitäten fortfahren wolle. Man müsse, so Tschiche, »nichts legalisieren, was legitim und Recht eines jeden erwachsenen Menschen ist«.
Nach weiter vorliegenden internen Hinweisen sollen die organisatorischen Voraussetzungen für die Bildung notwendiger Strukturen der Vereinigung bis zum 1. Dezember 1989 (»1. Phase«) abgeschlossen sein. Bis zur angestrebten staatlichen Genehmigung wolle man in sogenannten Friedenskreisen34 tätig werden.
Darüber hinaus wurde intern bekannt, dass sich am 18. September 1989 im »Maxim-Gorki-Klub« in Berlin-Weißensee ca. 50 Unterhaltungskünstler verschiedener Genres zusammenfanden, um einen Meinungsaustausch zur aktuellen innenpolitischen Situation in der DDR zu führen und sich mit den Erstunterzeichnern des »Neuen Forums« zu solidarisieren. Diese Zusammenkunft war zwischen dem Vorsitzenden der Sektion Rockmusik beim Komitee für Unterhaltungskunst der DDR, Toni Krahl35 (Gruppe »City«), und der Bohley abgestimmt worden. Im Ergebnis der Beratung – eine weitere ist für den 25. September 1989 am gleichen Ort vorgesehen – wurde eine »Resolution«36 verfasst (Text als Anlage 5), in der sich die Teilnehmer durch Unterschrift zum Aufruf des »Neuen Forums« bekennen und gesellschaftliche Veränderungen verlangen. Erstunterzeichner sind u. a. Frank Schöbel,37 die Sängerinnen Tamara Danz38 und Angelika Weiz39 sowie die Liedermacher Gerhard Schöne,40 Kurt Demmler41 und Norbert Bischoff.42
2. Eine Gruppe reaktionärer kirchlicher Amtsträger, in der Mehrzahl langjährige Inspiratoren/Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit, darunter die hinlänglich bekannten Pfarrer Eppelmann43 (Berlin), Schorlemmer44 (Wittenberg), Richter45 (Erfurt), Pahnke46 (Borgsdorf) und Wagner47 (Leipzig) sowie weitere feindliche, oppositionelle Kräfte unternehmen intensive Bemühungen, um bis Anfang Oktober 1989 eine Sammlungsbewegung »Demokratischer Aufbruch« zu bilden. Konzeptionelle Überlegungen zu einem in diesem Zusammenhang zu erarbeitenden und veröffentlichenden Programmentwurf beinhalten u. a. nachfolgende Aspekte:
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die vorhandene Parteistruktur ist nicht mehr reformierbar;
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die SED hat durch Machtausübung andere Bewegungen unterdrückt;
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es ist an der Zeit, politische Alternativen zu schaffen, um auch die Kirche nicht mehr als politische Plattform zu benötigen;
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es sind Verbündete aus den Reihen der SED und aus anderen Bereichen der Gesellschaft einzubeziehen;
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die Geschichte ist aufzuarbeiten;
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zum KSZE-Prozess sind Bezugspunkte herzustellen;48
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Fehlentwicklungen in der DDR sind aufzuzeigen und Alternativen zu finden (auch unter Beachtung der materiellen »Konsumgüterbefriedigung« der Bevölkerung).
Neben dem Programmentwurf – verantwortlich für dessen Erarbeitung zeichnet Pfarrer Richter – soll eine »Proklamation zur Bildung der politischen Bewegung Demokratischer Aufbruch« durch Pfarrer Eppelmann erarbeitet werden.
Ausgehend vom bisherigen Verhalten Eppelmanns ist begründet davon auszugehen, dass er die ihm genehmigte private Reise vom 5. bis 14. September 1989 in die BRD dazu missbraucht hat, das genannte Vorhaben seinen hochrangigen Kontaktpartnern in politischen Parteien der BRD bekannt zu machen, sich mit diesen zu beraten und abzustimmen.
Nach vorliegenden streng internen Informationen steht Eppelmann im Zusammenhang mit der Bildung des »Demokratischen Aufbruchs« mit in der DDR akkreditierten Korrespondenten des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« und des ZDF sowie mit dem bereits genannten Hirsch (Westberlin) in Verbindung.
Auf der Grundlage gezielter Äußerungen des Pfarrers Richter während einer ihm gestatteten kirchlichen Dienstreise in die BRD berichten Medien der BRD seit dem 14. September 1989 über die Sammlungsbewegung »Demokratischer Aufbruch«. Richter, der sich als Sprecher dieser Bewegung ausgibt, gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich die gegenwärtig in der Formierung befindlichen unterschiedlichsten oppositionellen Bewegungen in der DDR auf eine gemeinsame Strategie verständigen könnten mit dem Ziel, zu den kommenden Volkskammerwahlen als »oppositionelle Liste« anzutreten.
Die Konstituierung des »Demokratischen Aufbruchs« ist für den 1. Oktober 1989 in der Samariterkirche Berlin-Friedrichshain vorgesehen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass dieses Vorhaben kirchenleitenden Personen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg bekannt ist und von diesen zum Teil unterstützt wird. Nach Meinung von Bischof Forck,49 der sich unter Vorbehalt dieser »politischen Bewegung« anzuschließen gedenkt, dürfen sich oppositionelle Gruppen vom Staat nicht in die Knie zwingen lassen.
3. Unter Leitung des Medizinstudenten Michael Arnold, Mitglied des personellen Zusammenschlusses »Initiativgruppe Leben«50 Leipzig, Mitorganisator provokatorisch-demonstrativer Aktionen im Territorium von Leipzig und Gründungsmitglied der vorgenannten Vereinigung »Neues Forum«, soll nach intern vorliegenden Hinweisen am 24. September 1989 in Leipzig ein auf Einladungsbasis organisiertes Seminar mit ca. 50 feindlichen, oppositionellen Personen aus verschiedenen Bezirken der DDR durchgeführt werden. Es soll sich mit »Fragen der Gründung von Vereinigungen und Organisationen mit oppositionellem Charakter« in der DDR beschäftigen und ebenfalls zur Bildung einer DDR-weiten Sammlungsbewegung genutzt werden. Der Gründungsaufruf zu dieser »Demokratischen Initiative – Initiative zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft (DI)« (Text als Anlage 3) macht Zielvorstellungen und politische Grundsätze der dahinterstehenden Kräfte deutlich, indem u. a. formuliert wird, dass man im »Rahmen des gesellschaftlichen Dialogs Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger« erweitern wolle, in der »Beziehung zwischen Partei und Staat vom Prinzip der exakten Trennung der Funktion« auszugehen sei und »demokratische Kontrollorgane« für jede Institution gefordert werden. Als mögliche Vorhaben (»Projekte«) der »DI« werden Unterschriftensammlungen für einen »gesetzlich garantierten Volksentscheid«, die Publikation und Kommentierung von »Behördenverkehr« usw. vorgeschlagen.
4. Dem MfS liegen darüber hinaus Hinweise über weitere Absichten feindlicher, oppositioneller Kräfte zur Bildung von Sammlungsbewegungen/Vereinigungen vor. So wurden am Rande der vom 15. bis 19. September 1989 in Eisenach tagenden Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ein vom 12. September 1989 datierter »Aufruf zur Einmischung in eigener Sache« sowie damit im Zusammenhang stehende »Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR« (Texte als Anlage 4) verbreitet.
In den genannten Papieren rufen insgesamt zwölf Unterzeichner, vorwiegend Mitglieder des eng dem »Friedenskreis« der Bartholomäuskirchengemeinde Berlin-Friedrichshain angeschlossenen hinlänglich bekannten personellen Zusammenschlusses »Initiativgruppe Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung«,51 wie die kirchlichen Amtsträger und Mitarbeiter Lampe,52 Bickhardt,53 Dr. Ullmann54 und Mehlhorn55 sowie die an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätigen Wissenschaftler Dr. Fischbeck56 und Dr. Bartoszek,57 zur Bildung einer »Bürgerbewegung Demokratie Jetzt« auf.58
Ausgehend von der Behauptung, wonach die »Ära des Staatssozialismus« in der DDR zu Ende gehe und »viele Menschen durch die Nationale Front59 nicht mehr vertreten« würden, rufen die Vorgenannten »alle Initiativgruppen mit ähnlichen Anliegen zum Zusammengehen« auf.
Ziel sei es, zu Beginn des Jahres 1990 ein »Vertretertreffen« solcher oppositionellen Kräfte zu organisieren, ein »Grundsatzprogramm« zu beschließen und perspektivisch eine eigene Liste von Kandidaten für die kommenden Volkskammerwahlen aufzustellen. Die vorliegenden Thesen sollen DDR-weit verbreitet und diskutiert werden.
Weitere Absichten zur Bildung von Sammlungsbewegungen/Vereinigungen liegen vor aus dem Umfeld des personellen Zusammenschlusses »Grün-ökologisches Netzwerk – Arche«60 mit der Bildung einer ökologisch orientierten »Grünen Liste« und des hinlänglich bekannten Heiko Lietz61 (Güstrow) mit der Bildung einer sogenannten KSZE-Gruppe.62
5. Zu Meldungen in westlichen Medien über die Existenz einer oppositionellen Sammlungsbewegung »Liste 2« konnten bisher keine Hinweise erarbeitet werden.
Es wird vorgeschlagen:
1. Unter Führung der Partei sollten durch die zuständigen Sicherheitsorgane, anderen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen bei Gewährleistung ihres einheitlichen, abgestimmten Vorgehens alle erforderlichen Maßnahmen zur Unterbindung der Formierung feindlicher, oppositioneller Kräfte in DDR-weiten Sammlungsbewegungen bzw. Vereinigungen, einschließlich von Versuchen, diese zu legalisieren, eingeleitet und durchgesetzt werden.
2. Allen Grundorganisationen der SED sollte eine zentral zu erarbeitende Parteiinformation über die mit den genannten Bestrebungen verfolgten antisozialistischen Ziele, die notwendigen grundsätzlichen Maßnahmen zur Unterbindung derartiger Bestrebungen sowie die sich daraus ergebenden Aufgaben für die Grundorganisationen der SED zur offensiven politisch-ideologischen Auseinandersetzung mit feindlichen, oppositionellen und anderen negativen Kräften, ihren Konzeptionen, Plattformen und Argumenten sowie geplanten und praktizierten Vorgehensweisen übergeben werden.
3. Mit dem Ziel der breiten und wirksamen Nutzung der gesellschaftlichen Potenzen sollten Entscheidungen über Aufgaben und Verantwortlichkeiten von staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen bezüglich der in geeigneten Formen zu führenden politisch-ideologischen Auseinandersetzung mit Zielsetzungen, entsprechenden Konzeptionen, Plattformen und Argumenten der Inspiratoren und Organisatoren der genannten Bestrebungen getroffen und durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird es für zweckmäßig erachtet,
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unter Führung der zuständigen Abteilungen des ZK der SED kurzfristig eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Sicherheitsorgane, entsprechender staatlicher Organe und wissenschaftlicher Einrichtungen mit dem Ziel zu bilden, Vorschläge für die Festlegung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten für die Erarbeitung von Gutachten zum Inhalt von Konzeptionen, Plattformen u. a. derartigen Schriftstücken, von rechtspolitischen Begründungen für erforderliche Entscheidungen sowie von anderen Grundlagen für offensive politische, einschließlich außenpolitische, Maßnahmen zu unterbreiten,
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unter Verantwortung der zuständigen Abteilung des ZK der SED Vorschläge für wirksame medienpolitische Aktivitäten zur offensiven Entlarvung und Zurückweisung der vom Gegner und von feindlichen, oppositionellen Kräften verfolgten Zielsetzungen und ihrer auf deren Realisierung gerichteten Aktivitäten zu unterbreiten.
4. Zur Unterstützung der Führungstätigkeit der 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED werden die Leiter der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS deren ständige aktuelle Informierung über von personellen Zusammenschlüssen, Gruppierungen, Gruppen und Personen ihres Verantwortungsbereiches ausgehende Bestrebungen zur Formierung von Sammlungsbewegungen und Vereinigungen sowie über darauf gerichtete Aktivitäten gewährleisten.
5. Unter Führung der Bezirks- und Kreisleitungen der SED sollten erforderliche weitergehende Festlegungen über Verantwortlichkeiten und Maßnahmen im Territorium zur Verhinderung der Formierung und Legalisierung sogenannter oppositioneller Sammlungsbewegungen/Vereinigungen erfolgen. Diesen Festlegungen sollten die im Ergebnis der Umsetzung von Vorschlägen in der Information des MfS Nr. 150/89 vom 23. Mai 1989 über beachtenswerte Aspekte des aktuellen Wirksamwerdens innerer feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte in personellen Zusammenschlüssen getroffenen Vereinbarungen zugrunde gelegt werden. Schwerpunkt sollten dabei konkrete Festlegungen hinsichtlich des personenbezogenen Vorgehens gegen entsprechende Inspiratoren und Organisatoren, Unterzeichner von Gründungserklärungen, Aufrufen u. a. offiziellen Materialien bzw. anderweitig in diesem Sinne auftretende Kräfte bilden.
Mit diesen Personen sollte permanent politisch gearbeitet werden mit dem Ziel, ihnen deutlich zu machen, dass ihre Aktivitäten den Interessen der sozialistischen Entwicklung zuwiderlaufen, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR den Bürgern alle Voraussetzungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen bietet, diese Voraussetzungen, im Rahmen vorhandener gesellschaftlicher Organisationen und Einrichtungen der sozialistischen Entwicklung dienende berechtigte Interessen zu verfolgen, auch für sie bestehen und demzufolge ihre Vorhaben keine gesellschaftliche Berechtigung haben.
Personenbezogene Maßnahmen und Verantwortlichkeiten sollten geprüft und festgelegt werden hinsichtlich
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der sich aus der beruflichen Tätigkeit solcher Kräfte ergebenden Einwirkungsmöglichkeiten und individueller Betreuungstätigkeit,
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der Organisierung von gesellschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten im Rahmen vorhandener gesellschaftlicher Organisationen und Einrichtungen zur Kanalisierung der Aktivitäten solcher Kräfte in gesellschaftsgemäße Bahnen,
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der gezielten Einbeziehung gesellschaftlicher Organisationen und Einrichtungen sowie progressiver kirchlicher Kräfte und innerkirchlicher Zusammenschlüsse in den Prozess der politischen Auseinandersetzung.
6. Bei Aktivitäten von Inspiratoren und Organisatoren, die Handlungen im Sinne der Gründung bzw. Förderung der Gründung von Vereinigungen entgegen den Bestimmungen der Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 6. November 1975 darstellen, sollten unverzüglich differenziert die in § 16 der genannten Verordnung vorgesehenen Ordnungsstrafmaßnahmen angewendet werden.63
Wurden durch derartige Aktivitäten weitere Ordnungswidrigkeiten begangen, sollte auch die Anwendung entsprechender Ordnungsstrafmaßnahmen aus der Verordnung über die Durchführung von Veranstaltungen vom 30. Juni 198064 und der Verordnung zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten vom 22. März 198465 geprüft werden.
7. Wird entsprechend den Absichtserklärungen der Organisatoren die Gründung einer Vereinigung unter Berufung auf die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen angestrebt und zu diesem Zweck bei den zuständigen staatlichen Organen die Anmeldung der beabsichtigten Gründung einer Vereinigung beantragt, sollte wie folgt vorgegangen werden:
Derartige Anmeldungen werden durch die zuständigen Organe entgegengenommen und nach zentraler Abstimmung über das weitere Vorgehen entschieden. Soweit sich die Tätigkeit dieser Vereinigungen über mehrere Bezirke erstrecken soll, erfolgt die weitere Bearbeitung ausschließlich durch die Hauptabteilung Innere Angelegenheiten des MdI.
Den Antragstellern ist im Rahmen der gesetzlichen Bearbeitungsfrist in einem persönlichen Gespräch mitzuteilen, dass ihrem Antrag nicht entsprochen wird, da für die beabsichtigte Gründung der Vereinigung kein gesellschaftliches Bedürfnis besteht. Sie sind darauf hinzuweisen, dass zur Wahrnehmung politischer und gesellschaftlicher Interessen in der DDR bereits umfassende Organisationsformen bestehen. In Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen sind die Antragsteller auf den Beschwerdeweg und auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung dieser Entscheidung hinzuweisen. Sie sind über die Ungesetzlichkeit und Rechtsfolgen weiterer Gründungshandlungen und anderer mit der Organisierung einer Vereinigung im Zusammenhang stehender Aktivitäten zu belehren.
(Sofern Entscheidungen der zuständigen staatlichen Organe auf der Grundlage der geltenden Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 6. November 1975 getroffen werden, ist zu beachten, dass gegen die Versagung der Bestätigung der Anmeldung eine gerichtliche Nachprüfung ausgeschlossen ist.)
Bei Verstößen der Antragsteller oder weiterer Mitwirkender an der Gründung dieser Vereinigungen gegen die Rechtsordnung der DDR sind konsequent Ordnungsstrafmaßnahmen, bei Vorliegen individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit Strafverfahren durchzuführen.
8. Die Ausarbeitung der Entwürfe der neuen Vereinigungs- und Veranstaltungsverordnungen sollte im Interesse der besseren Ausschöpfung rechtlicher Möglichkeiten beschleunigt abgeschlossen und die Verordnungen kurzfristig in Kraft gesetzt werden.
Anlage 1 zur Information Nr. 416/89
[Kopie eines Aufrufs der Initiativgruppe »Sozialdemokratische Partei in der DDR«]
Zum Aufruf der Initiativgruppe »Sozialdemokratische Partei in der DDR«
So kann es nicht weitergehen! | Viele warten darauf, dass sich etwas ändert. | Das aber reicht nicht aus! | Wir wollen das Unsere tun.
Die notwendige Demokratisierung der DDR hat die grundsätzliche Bestreitung des Wahrheits- und Machtanspruchs der herrschenden Partei zur Voraussetzung.
Wir brauchen eine offene geistige Auseinandersetzung über den Zustand unseres Landes und seines künftigen Weges.
Das bedarf programmatischer Bemühungen und solcher Bürger, die die dafür notwendige Kompetenz mitbringen bzw. gewinnen wollen.
Wir, die Unterzeichnenden, halten für den künftigen Weg unserer Gesellschaft die Bildung einer sozialdemokratischen Partei für wichtig.
Unser Ziel: eine ökologisch orientierte soziale Demokratie.
Das erfordert die klare Trennung von Staat und Gesellschaft und
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die sozialen, kulturellen und politischen Grundrechte der Bürger und die ihnen entsprechende Wahrnahme von Verantwortung zu ermöglichen, zu stärken und zu schützen;
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den Schutz der natürlichen Umwelt und die Sicherung von Ressourcen und Lebensmöglichkeiten für kommende Generationen zu gewährleisten.
Wir fordern alle, die den nachfolgenden unverzichtbaren programmatischen Orientierungen zustimmen, auf, sich vor Ort zusammenzuschließen.
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Rechtsstaat und strikte Gewaltenteilung;
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parlamentarische Demokratie und Parteienpluralismus;
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relative Selbstständigkeit der Regionen (Länder), Kreise, Städte und Kommunen (finanziell, wirtschaftlich, kulturell);
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soziale Marktwirtschaft mit striktem Monopolverbot zur Verhinderung undemokratischer Konzentrationen ökonomischer Macht;
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Demokratisierung der Strukturen des Wirtschaftslebens;
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Freiheit der Gewerkschaften und Streikrecht.
Wir suchen mit allen, die sich zu diesen Grundprinzipien zusammenfinden, solidarische und verbindliche Organisationsformen.
Wer sich mit uns nicht in Übereinstimmung sieht, erkläre sich und bestimme seine eigene demokratische Perspektive.
Wir suchen ein Bündnis mit allen, die an einer grundlegenden Demokratisierung unseres Landes mitarbeiten wollen.
Martin Gutzeit | [Straße, Nr.] | Marwitz 1421
Markus Meckel | [Straße, Nr.] | Niederndodeleben 3107
Arndt Noack66 | [Straße, Nr.] | Greifswald 2200
Ibrahim Böhme | [Straße, Nr.] | Berlin 1058
12. September 1989
Anlage 2 zur Information Nr. 416/89
[Kopie der Gründungserklärung des »Neuen Forums«]
Aufbruch 89 – Neues Forum
In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische oder zur massenhaften Auswanderung. Fluchtbewegungen dieses Ausmaßes sind anderswo durch Not, Hunger und Gewalt verursacht. Davon kann bei uns keine Rede sein.
Die gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft lähmt die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft und behindert die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch Wichtigeres zu tun für unser Leben, unser Land und die Menschheit.
In Staat und Wirtschaft funktioniert der Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Schichten nur mangelhaft. Auch die Kommunikation über die Situation und die Interessenlage ist gehemmt. Im privaten Kreis sagt jeder leichthin, wie seine Diagnose lautet und nennt die ihm wichtigsten Maßnahmen. Aber die Wünsche und Bestrebungen sind sehr verschieden und werden nicht rational gegeneinander gewichtet und auf Durchführbarkeit untersucht. Auf der einen Seite wünschen wir uns eine Erweiterung des Warenangebots und bessere Versorgung, andererseits sehen wir deren soziale und ökologische Kosten und plädieren für die Abkehr von ungehemmtem Wachstum. Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für Erneuerung schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben. Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundung. Wir wollen freie, selbstbewusste Menschen, die doch gemeinschaftsbewusst handeln. Wir wollen vor Gewalt geschützt sein und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen müssen. Faulpelze und Maulhelden sollen aus ihren Druckposten vertrieben werden, aber wir wollen dabei keine Nachteile für sozial Schwache und Wehrlose. Wir wollen ein wirksames Gesundheitswesen für jeden, aber niemand soll auf Kosten anderer krankfeiern. Wir wollen an Export und Welthandel teilhaben, aber weder zum Schuldner und Diener der führenden Industriestaaten noch zum Ausbeuter und Gläubiger der wirtschaftlich schwachen Länder werden.
Um all diese Widersprüche zu erkennen, Meinungen und Argumente dazu anzuhören und zu bewerten, allgemeine von Sonderinteressen zu unterscheiden, bedarf es eines demokratischen Dialogs über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und der Kultur. Über diese Fragen müssen wir in aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land, nachdenken und miteinander sprechen. Von der Bereitschaft und dem Wollen dazu wird es abhängen, ob wir in absehbarer Zeit Wege aus der gegenwärtigen krisenhaften Situation finden. Es kommt in der jetzigen gesellschaftlichen Entwicklung darauf an,
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dass eine größere Anzahl von Menschen am gesellschaftlichen Reformprozess mitwirkt,
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dass die vielfältigen Einzel- und Gruppenaktivitäten zu einem Gesamthandeln finden.
Wir bilden deshalb gemeinsam eine politische Plattform für die ganze DDR, die es Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen, Parteien und Gruppen möglich macht, sich an der Diskussion und Bearbeitung lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme in diesem Land zu beteiligen. Für eine solche übergreifende Initiative wählen wir den Namen Neues Forum.
Die Tätigkeit des Neuen Forums werden wir auf gesetzliche Grundlagen stellen. Wir berufen uns hierbei auf das in Art. 29 der Verfassung der DDR geregelte Grundrecht,67 durch gemeinsames Handeln in einer Vereinigung unser politisches Interesse zu verwirklichen. Wir werden die Gründung der Vereinigung bei den zuständigen Organen der DDR entsprechend der VO vom 6.11.1975 über die »Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen« (GBl. I Nr. 44, S. 723) anmelden.
Allen Bestrebungen, denen das Neue Forum Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zugrunde. Es ist dieser Impuls, den wir bei der kommenden Umgestaltung der Gesellschaft in allen Bereichen lebensvoll erfüllt wissen wollen.
Wir rufen alle Bürger und Bürgerinnen der DDR, die an einer Umgestaltung unserer Gesellschaft mitwirken wollen, auf, Mitglieder des Neuen Forums zu werden. Die Zeit ist reif.
Die Erstunterzeichner:
Michael Arnold, Student, Leipzig; Bärbel Bohley, Malerin, Berlin; Katrin Bohley,68 Studentin, Berlin; Dr. Martin Böttger, Physiker, Cainsdorf; Dr. Erika Drees, Ärztin, Stendal; Katrin Eigenfeld; Bibliothekarin, Halle; Dr. Frank Eigenfeld, Geologe, Halle; Hagen Erkrath,69 Student, Berlin; Olaf Freund,70 Fotolaborant, Dresden; Katja Havemann, Heimerzieherin, Grünheide; Alfred Hempel,71 Pfarrer, Großschönau; Rolf Henrich, Jurist, Eisenhüttenstadt; Jan Hermann,72 Krankenpfleger, Brandenburg; Martin Klähn,73 Bauingenieur, Schwerin; Kathrin Menge,74 Hochbauingenieurin, Berlin; Dr. Reinhard Meinel,75 Physiker, Potsdam; Otmar Nickel,76 Drechsler, Dresden; Dr. Christine Pflugbeil, Ärztin, Berlin; Sebastian Pflugbeil, Physiker, Berlin; Reinhardt Pumb, Krankenpfleger, Berlin; Dr. Eva Reich,77 Ärztin, Berlin; Prof. Dr. Jens Reich, Arzt und Molekularbiologe, Berlin; Hanno Schmidt,78 Pfarrer, Coswig; Reinhard Schult, Betonfacharbeiter, Berlin; Jutta Seidel, Zahnärztin, Berlin; Dr. Eberhard Seidel, Arzt, Berlin; Lutz Stropahl,79 Musikerzieher, Berlin; Dr. Rudolf Tschäpe,80 Physiker, Potsdam; Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer, Samswegen; Catrin Ulbricht,81 Dresden
Anlage 3 zur Information Nr. 416/89
[Abschrift eines Aufrufs der »Demokratischen Initiative«]
Demokratische Initiative – Initiative zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft (DI)
»Die Ideale einer besseren Welt und die Träume davon sind nämlich eine nicht wegzudenkende Dimension jedes wirklichen Menschseins, ohne sie und ohne die Transzendenz des Gegebenen, die sie vorstellen, verliert das menschliche Leben Sinn, Würde und seine Menschlichkeit selbst.« | Václav Havel82 1989
Das Aufdiktieren von Meinungen und Handlungsweisen, das Ausgeliefertsein an eine bis ins Detail vom Staat kontrollierte gesellschaftliche Öffentlichkeit sowie der Absolutismus einer privilegierten Minderheit sind wesentliche Ursachen für die heutige Stagnation in Politik und Wirtschaft. Erscheinungen wie z. B. Lethargie im gesellschaftlichen Zusammenleben und fehlende Arbeitsmotivation, Erstarrung des geistig-kulturellen Lebens, Hoffnungslosigkeit bis hin zu erschreckend massiven Ausreisewellen, Neofaschismus und Gewaltzunahme, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sind logische Folge eines Systems der Bevormundung in unserem Land. Mit der Demokratischen Initiative wollen wir den Rahmen des gesellschaftlichen Dialogs Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger erweitern, indem eine selbstverantwortete [sic!] und ein allgemeines Rechtsbewusstsein entwickelt und erweitert wird. Für die Demokratische Initiative steht die Alternative »Für oder Gegen den Staat« nicht.
Zielvorstellungen und Grundsätze
- A)
Der Anspruch auf Wahrheit, gleichgültig, ob individuell oder institutionell, ist im Prozess der Wahrheitsfindung hinterfragbar. Die Wahrheit hat niemand gepachtet.
- B)
In der Beziehung zwischen Partei und Staat ist vom Prinzip der exakten Trennung der Funktionen auszugehen.
- C)
Verwaltung, Gesetz und Justiz sind streng zu trennen.
- D)
Jede Institution braucht ein demokratisches Kontrollorgan.
- E)
Verhandlungen, Gespräche und Schriftverkehr mit staatlichen Behörden können von Bürgern veröffentlicht werden.
- F)
Wenn in betroffen machenden Konflikten die Möglichkeit der legalen Einflussnahme nicht zu einer allgemein akzeptablen Lösung führt, ist auch der Weg der gewaltlosen, symbolischen bzw. begrenzten Gesetzesverletzung möglich (Demonstration, Streik).
Projekte: Von jedem Befürworter der Ziele und Grundsätze der Demokratischen Initiative unter dem Namen der DI initiierbar.
- 1.
Netzwerk der Befürworter der Grundsätze und Ziele der DI durch Rundbriefe mit den Adressen der Unterzeichner an alle Unterzeichner.
- 2.
Publikation und Kommentierung von »Behördenverkehr«.
- 3.
Ein gesetzlich garantierter Volksentscheid durch »Volksbegehren« (Unterschriftensammlung).
- 4.
Einrichtung eines Archivs zur Öffentlichkeitsarbeit und zu zivilem Ungehorsam (vor allem in der DDR), jährliche Berichte und Analysen zum Zeitgeschehen und zur Geschichte.
Bewegungen haben kein Gründungsdatum und keine Sprecher.
Anlage 4 zur Information Nr. 416/89
[Kopie des Gründungaufrufs der Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt«]
Aufruf zur Einmischung in eigener Sache
Liebe Freunde, Mitbürgerinnen, Mitbürger und Mitbetroffene!
Unser Land lebt in innerem Unfrieden. Menschen reiben sich wund an den Verhältnissen, andere resignieren. Ein großer Verlust an Zustimmung zu dem, was in der DDR geschichtlich gewachsen ist, geht durch das Land. Viele vermögen ihr Hiersein kaum noch zu bejahen. Viele verlassen das Land, weil Anpassung ihre Grenzen hat.
Vor wenigen Jahren noch galt der »real existierende« Staatssozialismus als der einzig Mögliche. Seine Kennzeichen sind das Machtmonopol einer zentralistischen Staatspartei: die staatliche Verfügung über die Produktionsmittel, die staatliche Durchdringung und Uniformisierung [sic!] der Gesellschaft und die Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger: Trotz seiner unbestreitbaren Leistungen für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist es heute offenkundig, dass die Ära des Staatssozialismus zu Ende geht. Er bedarf einer friedlichen demokratischen Erneuerung.
Eingeleitet und gefördert durch die Initiative Gorbatschows83 wird in der Sowjetunion, Ungarn und Polen der Weg der demokratischen Umgestaltung beschritten.84 Enorme ökonomische, soziale, ökologische und auch ethische85 Probleme stellen sich in den Weg und können die Umgestaltung zum Scheitern bringen mit unheilvollen Konsequenzen für die ganze Welt. Was die sozialistische Arbeiterbewegung an sozialer Gerechtigkeit und solidarischer Gesellschaftlichkeit angestrebt hat, steht auf dem Spiel. Der Sozialismus muss nun seine eigentliche, demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll. Er darf nicht verloren gehen, weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft braucht, deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muss.
Entgegen aller Schönfärberei sind die politischen, ökonomischen und ökologischen Krisenzeichen des Staatssozialismus auch »in den Farben der DDR« unübersehbar. Nichts aber deutet darauf hin, dass die SED-Führung zum Umdenken bereit ist. Es scheint, als spekuliere sie auf ein Scheitern der Reformen in der Sowjetunion. Es kommt aber darauf an, die demokratische Umgestaltung mitzuvollziehen.
Die politische Krise des staatssozialistischen Systems der DDR wurde besonders deutlich durch die Kommunalwahlen am 7.5.1989. Die Doktrin von der »moralisch-politischen Einheit von Partei, Staat und Volk«, die das von Wahlen unabhängige Machtmonopol rechtfertigen soll, konnte nur noch durch eine Wahlfälschung vor dem Gegenbeweis geschützt werden: 10 bis 20 % der Bevölkerung der großen Städte haben den Kandidaten der Nationalen Front offen ihre Zustimmung verweigert. Zweifellos wäre diese Zahl bei geheimen Wahlen noch erheblich höher ausgefallen.86
So viele Menschen werden durch die Nationale Front nicht mehr vertreten. Sie haben keine politische Vertretung in der Gesellschaft. Der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer Demokratisierung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft kann in der DDR noch immer nicht öffentlich zur Sprache gebracht werden. Deshalb rufen wir auf zu einer Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt«.
Wir wenden uns an alle, die von der Not unseres Landes betroffen sind. Wir laden alle Initiativgruppen mit ähnlichen Anliegen zum Zusammengehen ein. Insbesondere hoffen wir auf ein Bündnis von Christen und kritischen Marxisten. Lasst uns gemeinsam nachdenken über unsere Zukunft, über eine solidarische Gesellschaft, in der
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soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde für alle gewahrt sind,
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der gesellschaftliche Konsens im öffentlichen Dialog gesucht und durch den gerechten Ausgleich verschiedener Interessen verwirklicht wird,
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die verantwortliche und schöpferische Arbeit der Bürgerinnen und Bürger einen lebendigen Pluralismus unseres Gemeinwesens schafft,
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Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit den inneren Frieden sichern,
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Ökonomie und Ökologie in Einklang gebracht werden,
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Wohlstand nicht mehr auf Kosten der armen Länder gemehrt wird,
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Lebenserfüllung in Gemeinschaftlichkeit und schöpferischem Tun für das Gemeinwohl mehr als bisher gesucht und gefunden werden kann.
Alle, die sich beteiligen wollen, laden wir ein zu einem Dialog über Grundsätze und Konzepte einer demokratischen Umgestaltung unseres Landes. Im Januar oder Februar 1990 wollen wir zu einem Vertretertreffen derer, die sich beteiligen, einladen. Es sollte ein Grundsatzprogramm beschließen sowie Sprecherinnen und Sprecher wählen, die dieses Programm in den dringend erforderlichen Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte einbringen können.
Wir hoffen auch auf die Möglichkeit, eine eigene Liste von Kandidaten für die bevorstehenden Volkskammerwahlen aufstellen zu können.
Als einen ersten unfertigen, unvollständigen und verbesserungsbedürftigen Gesprächsbeitrag fügen wir »Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR« bei. Schreiben Sie uns Ihre Meinung und Ihre Kritik. Wir bitten Sie um Vorschläge zur Veränderung, Erweiterung und Vertiefung. Schreiben Sie uns auch, wenn Sie diesen Aufruf unterstützen wollen und lassen Sie uns bitte wissen, wenn Sie uns organisatorisch unterstützen wollen. Schreiben Sie bitte an eine der folgenden Adressen.
Lassen Sie uns zusammengehen und gemeinsam die Hoffnung wieder aufrichten in unserem Land.
Wolfgang Apfeld,87 1035 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Dr. Michael Bartoszek, 1034 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Stephan Bickhardt, 1055 Berlin, [Straße, Nr.]
Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, 1055 Berlin, [Straße, Nr.]
Reiner Flügge,88 1054 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Martin König,89 1321 Briest, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Reinhard Lampe,90 1951 Dorf Zechlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Ludwig Mehlhorn, 1058 Berlin, [Straße, Nr.],
Ulrike Poppe,91 1055 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Dr. Wolfgang Ullmann, 1040 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Dr. Gerhard Weigt,92 1185 Berlin, [Straße, Nr.],
Konrad Weiß,93 1100 Berlin, [Straße, Nr.], Tel. [Nr.]
Bitte abschreiben und weitergeben.
Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR
Das Ziel unserer Vorschläge ist es, den inneren Frieden unseres Landes zu gewinnen und damit auch dem äußeren Frieden zu dienen. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft mitgestalten und alle Lebensbereiche demokratisieren. Zugleich müssen wir ein neues, partnerschaftliches Verhältnis zu unserer natürlichen Mitwelt finden.
Wir wollen, dass die sozialistische Revolution, die in der Verstaatlichung stehengeblieben ist, weitergeführt und dadurch zukunftsfähig gemacht wird. Statt eines vormundschaftlichen, von der Partei beherrschten Staates, der sich ohne gesellschaftlichen Auftrag zum Direktor und Lehrmeister des Volkes überhoben hat, wollen wir einen Staat, der sich auf den Grundkonsens der Gesellschaft gründet, der Gesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig ist und so zur öffentlichen Angelegenheit (res publica) mündiger Bürgerinnen und Bürger wird. Soziale Errungenschaften, die sich als solche bewährt haben, dürfen durch ein Reformprogramm nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Als Deutsche haben wir eine besondere Verantwortung. Sie gebietet, dass das Verhältnis der deutschen Staaten beiderseits von ideologischen Vorurteilen befreit und in Geist und Praxis ehrlicher und gleichberechtigter Nachbarschaft gestaltet wird. Wir laden die Deutschen in der Bundesrepublik ein, auf eine Umgestaltung ihrer Gesellschaft hinzuwirken, die eine neue Einheit des deutschen Volkes in der Hausgemeinschaft der europäischen Völker ermöglichen könnte. Beide deutsche Staaten sollten um der Einheit willen aufeinander zu reformieren.
Die Geschichte auferlegt uns Deutschen eine besondere Friedenspflicht. Wir sollten ihr entsprechen durch eine Reduzierung der Verteidigungspotenziale der Nationalen Volksarmee und die Einführung eines sozialen Friedensdienstes als Alternative zum Wehrdienst.94
1. Vom Obrigkeitsstaat zur Republik
Die Unterordnung des Staates unter die Politbürokratie der Partei und deren institutionalisierte Ämterpatronage müssen ein Ende haben.
Die strikte Trennung von Legislative (Volksvertretungen) und Exekutive (Räte) ist notwendig, damit eine wirksame Kontrolle der Räte durch die Volksvertretungen erfolgen kann.
Das Wahlrecht muss so reformiert werden, dass Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis gewährleistet sind. Es muss möglich sein, über verschiedene politische Programme und zwischen den Vertretern zu entscheiden. Wir schlagen vor, UNO-Beobachter zu den nächsten Volkskammerwahlen einzuladen.
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Der Staat sollte sich aus Funktionen zurückziehen, die Sache der Gesellschaft sind.
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Die Medien gehören in die Hände von nichtkommerziellen Körperschaften öffentlichen Rechts, damit sie zu Instrumenten freier und öffentlicher Meinungsäußerung werden können. Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen Zugang zu Presse, Funk und Fernsehen haben.
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Die Schulen, Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen dürfen nicht länger Instrument ideologischer Ausrichtung und der Indoktrination im Sinne einer Partei bleiben, auch wenn sie die Regierung stellt. Die Schule und die bisherige Kinder- und Jugendorganisation sollten entflochten werden. Neue Kinder- und Jugendorganisationen müssen möglich sein. Eltern sollten das Recht erhalten, über Lehrpläne und -Methoden mitzubestimmen.
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Parteien und Organisationen sollten von staatlicher Ausrichtung und Aufsicht gelöst werden. Die volle Freiheit zur Bildung gesellschaftlicher Vereinigungen muss gewährleistet sein.
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Die Gewerkschaften müssen unabhängige Interessenvertreterinnen der Werktätigen werden und das Streikrecht erhalten.
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Wissenschaft, Kunst und Kultur müssen bei Selbstverwaltung ihrer Institutionen gemäß der Verfassung die Möglichkeit erhalten, sich frei und ohne ideologische Gängelung zu entfalten. Rechtsvorschriften und Richtlinien, die entsprechende verfassungsmäßige Rechte einschränken, müssen außer Kraft gesetzt werden.
Eine Rechtsreform sollte willkürlich auslegbare Straftatbestände beseitigen und die Unabhängigkeit von Richtern und Verteidigern gewährleisten. Der Strafvollzug sollte so reformiert werden, dass eine öffentliche Kontrolle und ein wirksames Beschwerderecht gewährleistet werden.
Eine Verfassungsgerichtsbarkeit sollte eingeführt und die Verwaltungsgerichtsbarkeit voll verwirklicht werden.
Die Reisefreiheit und das Auswanderungsrecht sollten gemäß der Wiener KSZE-Beschlüsse verwirklicht werden.95
2. Von der Verstaatlichung zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel
Wir befürworten ein Ende der politbürokratischen Kommandowirtschaft. Der bestehende Staatsplandirigismus sollte durch eine staatliche Rahmenplanung abgelöst werden. Nur solche staatlichen Aufsichts- und Lenkungskompetenten sollten bestehen bleiben, die für die Bindung jeglicher Wirtschaftstätigkeit an das Gemeinwohl erforderlich sind (Umwelt- und Sozialverträglichkeit).
Betriebe und Vereinigungen von Betrieben sollten ökonomisch selbstständig werden und ihr Angebot und ihre Preise am Markt orientieren, damit aus dem bestehenden Nachfrage- ein Angebotswettbewerb wird.
Wir befürworten eine gewerkschaftliche Mitbestimmung in den Betrieben, die Wählbarkeit von Leitungskräften, eine echte Rechenschaftspflicht der Leitung gegenüber der Belegschaft und eine Gewinnbeteiligung der Belegschaft.
Wir befürworten eine Stärkung und Unabhängigkeit der bestehenden landwirtschaftlichen, handwerklichen und Handelsgenossenschaften sowie die Neubildung von Produktions- und Handelsgenossenschaften.
Wir befürworten die Zulassung privater Kooperativen sowie die Ermöglichung privater Wirtschafts- und Eigentumsformen, sofern eine angemessene Mitbestimmung der Beschäftigten gewährleistet ist.
3. Von der Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt zu einem dauerhaften Zusammenleben mit der Natur
Grundvoraussetzung ist die Offenlegung der relevanten Umweltdaten und der Verschmutzungs- und Ressourcenprobleme unseres Landes.96
Wir brauchen eine lückenlose und landesweite Überwachung der Schadstoffkonzentrationen in Wasser, Luft und Boden.
Die Praxis einer »kostenlosen« Entsorgung durch Verdünnung von Schadstoffen muss so schnell wie möglich beendet werden. Die Entsorgung muss in vollem Umfang in die Kostenrechnung der Betriebe eingehen.
Es sollte eine Umwelthaftpflicht eingeführt werden. Die Beweislast für die Schadlosigkeit der Produktion sollte bei den Betrieben liegen.
Ein rigoroses Energiesparprogramm muss Vorrang haben. Eine effektive Beteiligung aller Verbraucher sollte durch eine entsprechende Preis- und Steuerpolitik herbeigeführt werden.
Eine strenge staatliche Umweltverträglichkeitsprüfung und Kontrolle von Produktion und Produkten ist erforderlich.
Die Nutzung, Erschließung und Erforschung erneuerbarer Energiequellen sollte in jeder Hinsicht gefördert werden.
Eine öffentliche Diskussion der Umweltprobleme, besonders des Energieproblems, der Risiken der Kernenergie, des Treibhauseffekte und des Wachstums ist notwendig.
Ein Wandel der gesellschaftlichen Zielbestimmung und der leitenden Werke ist nötig, damit wir auch zu einem Wandel des Lebensstiles zu mehr Gemeinschaftlichkeit und Lebensqualität kommen.
Anlage 5 zur Information Nr. 416/89
[Kopie der Resolution von Rockmusikern und Liedermachern]
Resolution
Wir, die Unterzeichner dieses Schreibens sind besorgt über den augenblicklichen Zustand unseres Landes, über den massenhaften Exodus vieler Altersgenossen, über die Sinnkrise dieser gesellschaftlichen Alternative und über die unerträgliche Ignoranz der Staats- und Parteiführung, die vorhandene Widersprüche bagatellisiert und an einem starren Kurs festhält. Es geht nicht um »Reformen, die den Sozialismus abschaffen«, sondern um Reformen, die ihn weiterhin in diesem Land möglich machen. Denn jene momentane Haltung den existierenden Widersprüchen gegenüber gefährdet ihn. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Bürger sich in basisdemokratisch orientierten Gruppen finden, um die Lösung der anstehenden Probleme in die eigene Hand zu nehmen; dieses Land braucht die millionenfache Aktivierung von Individualität; die alten Strukturen sind offenbar kaum in der Lage dazu. So haben wir den Aufruf des Neuen Forums zur Kenntnis genommen und finden in dem Text vieles, was wir selber denken, und noch mehr, was der Diskussion und des Austauschs wert ist. Wir halten es für überfällig, alte Feindschaften und Vorbehalte abzubauen und zu überwinden. Es ist nun wichtig, dass der politische Wille großer Teile der interessierten Bevölkerung eine positive Entsprechung »von oben« findet. D. h. auch Anerkennung dieser Gruppen, ihre Tolerierung und Einbeziehung in das Gespräch und in die Gestaltung dieser Gesellschaft, wie es die Verfassung der DDR mit ihren Bestimmungen gebietet. Dieses unser Land muss endlich lernen, mit andersdenkenden Minderheiten umzugehen, vor allem dann, wenn sie vielleicht gar keine Minderheiten sind.
Das Anwachsen rechtsextremer und konservativ-nationaler Elemente auch bei uns, das Beliefern gesamtdeutscher Anschauungen ist ein Ergebnis fehlenden Reagierens auf angestaute Widersprüche und historisch unverarbeitete Tatsachen. Linke Kräfte fallen dieser Politik des Festhaltens erneut zum Opfer. Wir wollen in diesem Land leben, und es macht uns krank, tatenlos mitansehen zu müssen, wie Versuche einer Demokratisierung, Versuche der gesellschaftlichen Analyse kriminalisiert bzw. ignoriert werden. Wir fordern jetzt und hier sofort den öffentlichen Dialog mit allen Kräften. Wir fordern eine Öffnung der Medien für diese Probleme. Wir fordern Änderung der unaushaltbaren Zustände. Wir wollen uns den vorhandenen Widersprüchen stellen, weil nur durch ihre Lösung und nicht durch ihre Bagatellisierung ein Ausweg aus dieser Krise möglich sein wird. Feiges Abwarten liefert gesamtdeutschen Denkern Argumente und Voraussetzungen. Die Zeit ist reif. Wenn wir nichts unternehmen, arbeitet sie gegen uns!
18.9.1989/Unterzeichner: Gerhard Schöne, André Herzberg,97 H.-E. Wenzel,98 Jörn Brumme,99 Joachim Gersdorff,100 Charly Eitner,101 Ernst Lemke,102 Rainer Nawrath,103 Ingo Griese,104 Jürgen Ehle,105 Gerhard Laartz,106 Carsten Muttschall,107 Toni Krahl, Martin Schreier,108 Tamara Danz, Frank Schöbel, Marcus Lönning,109 Rüdiger Barton,110 H. H. Junck,111 Gerd Sonntag,112 H.- J. Reznicek,113 Uwe Hassbecker,114 Jürgen Abel,115 Lutz Kerschowski,116 Jürgen Eger,117 R. Kirchmann,118 Angelika Weiz, Conny Bauer,119 Thomas Hergert,120 Tina Powileit,121 Wolfgang Fiedler,122 Kurt Demmler, Beate Bienert,123 Jens Schultz,124 Lothar Kramer,125 Christian Liebig,126 Matthias Lauschus,127 Bernd Römer,128 Tine Römer,129 D. Halbhuber,130 Norbert Bischoff, Ralf Zimmermann,131 Heiko Lehmann,132 Ines Krautwurst133 u.w. s. Liste!
Verteiler: ADN, ND, JW, FDGB, Ferns[ehen] der DDR, Rundf[unk] der DDR, ZK der SED, MfK, Staatsrat, GO beim Kom[itee] für UK, Volkskammer, Schriftstellerverband, VBK, FDJ, Theaterverband, VdJ, MfS, MdI, Kulturbund, Freidenkerverband134