Treffen von Mitgliedern d. US-Kongresses und Oppositionellen
21. Juli 1989
Information Nr. 353/89 über Zusammenkünfte von Mitgliedern einer offiziellen Abordnung des USA-Kongresses während ihres Aufenthaltes in der DDR mit feindlichen, oppositionellen Kräften und kirchlichen Amtsträgern
Nach dem MfS vorliegenden streng internen Hinweisen kam es während des Aufenthaltes einer offiziellen Abordnung von Mitgliedern des USA-Kongresses im Zeitraum des 6./7. Juli 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, zu beachtenswerten Zusammenkünften mit feindlichen, oppositionellen Kräften und kirchlichen Amtsträgern. Die Abordnung stand unter Leitung des Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des USA-Repräsentantenhauses, Solarz.1
Der von der USA-Seite initiierte Aufenthalt dieser Delegation in der DDR und die damit im Zusammenhang stehenden offiziellen Gespräche mit Repräsentanten von Partei und Regierung bzw. mit Vertretern gesellschaftswissenschaftlicher Einrichtungen2 – diese dienten vor allem der Zielstellung, die aktuelle Politik der DDR in Vorbereitung des XII. Parteitages3 und den Standpunkt der DDR zur konventionellen Abrüstung zu sondieren – sowie vorgenannte Zusammenkünfte ordnen sich ein in die Konzeption der USA-Administration die innenpolitische Lage in den sozialistischen Staaten vor Ort durch hochrangige Regierungsvertreter überprüfen und aufklären zu lassen (die genannte Abordnung weilte zuvor in der Ungarischen VR und reiste nach dem Aufenthalt in der DDR in die ČSSR aus mit der Absicht, danach in die VR Polen weiterzureisen). Gleichzeitig finden damit bekannte Praktiken ihre Fortsetzung, im Rahmen politischer Aktivitäten in den sozialistischen Staaten mit feindlichen, oppositionellen und kirchlichen Kräften Verbindung aufzunehmen, diese als gleichrangige politische Partner zu behandeln, damit hochzuspielen und aufzuwerten.
Am 7. Juli 1989 kam es in der Zeit von 15.00 bis ca. 16.15 Uhr im Gemeindebüro der evangelischen Zionskirchengemeinde zu einer Zusammenkunft von Solarz und Personen seiner Begleitung, darunter die Mitarbeiter der Botschaft der USA in der DDR Bindenagel4 (Stellvertretender Botschafter) und Janice Weiner5 (Mitarbeiterin der Politischen Abteilung), mit zehn Mitgliedern des personellen Zusammenschlusses »Grün-ökologisches Netzwerk Arche«,6 darunter die hinlänglich bekannten feindlichen, oppositionellen Kräfte Schult,7 Voigt8 und Zimmermann.9
Die Zusammenkunft trug den Charakter eines »Informationsgespräches«. Solarz, der sich als »Osteuropaexperte« des USA-Repräsentantenhauses zu erkennen gab, wies darauf hin, dass es seine Mission sei, alle osteuropäischen Länder zu bereisen und über die offiziellen Kontakte hinaus mit der Bevölkerung und besonders mit Oppositionsgruppen in das Gespräch zu kommen. Im Verlaufe des Gespräches arbeitete er systematisch vorbereitete Gesprächsschwerpunkte ab. Dazu zählten u. a. Fragen
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zur aktuellen Lage des »Grün-ökologischen Netzwerkes Arche«;
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zum Vorhandensein eines einheitlichen Konzeptes dieser Gruppe;
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zur Popularität des Genossen Gorbatschow10 sowie der Politik der UdSSR in der DDR;
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zu Möglichkeiten der Reform des Wahlsystems in der DDR analog zu der in der VR Polen;11
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zum Einfluss der Kirche auf die »Opposition« in der DDR.
Probleme des Umweltschutzes wurden nur am Rande behandelt, da Solarz dafür wenig Interesse zeigte.
Seitens der anwesenden DDR-Bürger wurde versucht, auf alle gestellten Fragen zu antworten, wobei offene Angriffe auf Partei und Regierung unterblieben. Informiert wurde u. a. über die Struktur, Ziele und Vorgehensweisen des in der gesamten DDR wirkenden personellen Zusammenschlusses »Arche« und über Auffassungen und Aktivitäten im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen im Mai 1989 (u. a. Versuche, eigene Kandidaten aufzustellen).12 Es wurde eingeschätzt, dass es in der DDR keine »Opposition« und auch kein Konzept für deren Schaffung gebe. Die DDR-Bevölkerung verfolge mit Aufmerksamkeit die Prozesse der gesellschaftlichen Veränderung in der UdSSR. Eine Reform des Wahlsystems in der DDR, ähnlich in der VR Polen, wurde als nicht möglich erachtet.
Ferner wurde darüber informiert, dass in der DDR bestehende oppositionelle Gruppen die materielle und ideelle Unterstützung der evangelischen Kirche genießen, jedoch ihre »Autonomie« wahren wollen und von dieser Position aus mit dem Staat in Kontakt zu kommen beabsichtigen.
Im Verlaufe der Zusammenkunft informierte Solarz über ein zuvor geführtes Gespräch im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR.
Im Ergebnis der Zusammenkunft wurden keine Vereinbarungen getroffen bzw. Materialien ausgetauscht.
Am 6. Juli 1989 nutzte Solarz einen Empfang des Botschafters der USA in der DDR im Ermeler-Haus zu Konsultationen mit den kirchlichen Amtsträgern Propst Furian,13 Präses Becker,14 Justitiar Kupas15 und Oberkirchenrätin Grengel.16 Bemühungen, mit Konsistorialpräsident Stolpe17 und weiteren kirchenleitenden Personen in Kontakt zu kommen, konnten nicht realisiert werden, da diese der Einladung nicht nachkamen.
Nach streng internen Hinweisen äußerte sich Solarz über die Ergebnisse seines DDR-Aufenthaltes unbefriedigend und bezog das insbesondere auf das Gespräch mit dem Mitglied des Politbüros des ZK der SED, Genossen Joachim Herrmann.18 So sei für ihn erkennbar gewesen, dass die DDR-Führung nicht gewillt sei, eine »politische Öffnung gegenüber dem Westen« zuzulassen und starr festhalte am innenpolitischen Kurs zur »Unterdrückung der Opposition in der DDR«. Mit Bedauern stellte er fest, dass die »oppositionellen Kräfte in der DDR«, im Gegensatz zur Opposition u. a. in der VR Polen, über keinerlei politische Plattform und über keine Basis unter der Bevölkerung verfügen.
Solarz sei jedoch von einem notwendigen »Führungswechsel in der DDR in naher Zukunft« im Ergebnis starker ökonomischer Belastungen überzeugt und verband damit seine Hoffnung auf gesellschaftliche Umgestaltung auch in der DDR nach dem Muster der Sowjetunion. Seiner Meinung nach würde es mit einer neuen Führung auch »echte Demokratie und Freiheit für die Bevölkerung« geben, würde man sich offener mit anstehenden Problemen auseinandersetzen.
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