Unterbindung einer Demonstration am 7.6. in Berlin
8. Juni 1989
Information Nr. 285/89 über die Unterbindung einer von feindlichen, oppositionellen Kräften am 7. Juni 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, geplanten Provokation
Die von feindlichen, oppositionellen Kräften am 7. Juni 1989 in der Hauptstadt Berlin vom Gebäude des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zum Gebäude des Staatsrates der DDR geplante öffentlichkeitswirksame Demonstration wurde unterbunden.1
Die in diesem Zusammenhang angewiesenen Maßnahmen wurden im Rahmen des durchgeführten Sicherungseinsatzes in ihrer Gesamtheit konsequent realisiert; sie erwiesen sich als richtig und zweckmäßig. Im Handlungsraum waren die öffentliche Ordnung und Sicherheit und der Schutz der zentralen Objekte von Partei und Regierung gewährleistet. Das Zusammenwirken zwischen den Schutz- und Sicherheitsorganen und den einbezogenen gesellschaftlichen Kräften entsprach den konkreten Erfordernissen.
Die vorbeugend durchgeführten Maßnahmen konzentrierten sich darauf, kirchenleitenden Amtsträgern unmissverständlich die staatliche Erwartungshaltung hinsichtlich eigener Bemühungen zur Unterbindung des politischen Missbrauchs der Kirche durch vorgenannte Kräfte zu unterbreiten – in diesem Sinne wurden im Zeitraum vom 1. bis 5. Juni mehrere Gespräche staatlicherseits dafür Zuständiger mit kirchenleitenden Personen geführt – und auf Organisatoren sowie potenzielle Teilnehmer direkt mit dem Ziel einzuwirken, dass diese von einer Teilnahme an der geplanten Provokation Abstand nehmen.
Mit 18 maßgeblich an der Organisierung der geplanten Provokation beteiligten Personen wurden bereits am 6. Juni 1989 Vorbeugungsgespräche geführt, in denen ihnen die Auflage erteilt wurde, sich an dem geplanten Vorhaben nicht zu beteiligen. Im Verlaufe des 7. Juni 1989 wurden ganztägig gegenüber ca. 160 potenziellen Teilnehmern – Personen, die personellen Zusammenschlüssen angehören bzw. in der Vergangenheit wiederholt an derartigen Aktivitäten beteiligt waren – verstärkte Personenkontrollen durchgeführt mit dem Ziel, deren Annährung an den Handlungsort zu verhindern. Insgesamt 48 Personen, die zum für die Provokation vorgesehenen Zeitpunkt versuchten, in die Neue Grünstraße zu gelangen und die entsprechende Weisung der Einsatzkräfte zur Umkehr negierten, wurden zugeführt. (Unter diesen Personen befanden sich 21 bei der Kirche Beschäftigte und sechs Antragsteller auf ständige Ausreise.2 In 25 Fällen wurden Belehrungen vorgenommen, 23 Personen wurden im Rahmen eines Ordnungsstrafverfahrens gemäß § 4 OWVO3 mit Ordnungsstrafgeldern in Höhe von 50,00 bis 300 Mark beauflagt. Alle Zugeführten wurden bis 22.00 Uhr entlassen.) Ungeachtet dessen befanden sich im Innenhof des Evangelischen Konsistoriums ca. 40 Personen, die sich offensichtlich bereits längere Zeit vorher gezielt dort zusammengefunden hatten. Darunter befand sich die hinlänglich bekannte Organisatorin des »Friedenskreises« der evangelischen Kirchengemeinde Alt-Pankow,4 Misselwitz,5 die vor den dort Versammelten die »Erklärung« der Konferenz Evangelischer Kirchenleitungen (KKL) in der DDR zu den Kommunalwahlen verlas.6
Zwischen 15.30 Uhr und 17.00 Uhr trafen im Handlungsraum insgesamt 13 in der DDR akkreditierte ständige Korrespondenten westlicher Medien in Erscheinung. Sie leisteten den Aufforderungen, wegen Durchführung polizeilicher Maßnahmen die Neue Grünstraße zu verlassen, überwiegend nicht Folge. Durch die Korrespondenten der ARD und des ZDF (mit Team) Börner7 und Schmitz,8 die sich den Zutritt bis zum Gelände des Konsistoriums erzwangen, wurden u. a. Filmaufnahmen zu den dort Versammelten gefertigt.
Nachdem sichtbar wurde, dass die geplante öffentlichkeitswirksame Demonstration nicht durchführbar ist, wurde von Konsistorialpräsident Stolpe9 kurzfristig ein sogenanntes Friedensgebet in der Sophienkirche im Stadtbezirk Berlin-Mitte organisiert. Die im Evangelischen Konsistorium anwesenden Personen und weitere Personenkreise wurden entsprechend informiert. Diese Maßnahme zielte offenkundig darauf ab, den Personen, die an der Durchführung der geplanten Provokation gehindert wurden, die Möglichkeit zu bieten, sich dorthin zu begeben und über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Veranstaltung in der Sophienkirche fand in der Zeit von 17.30 Uhr bis gegen 19.00 Uhr mit einem Zulauf von insgesamt ca. 300 in kleinen Gruppen bzw. einzeln dorthin gelangenden Personen statt. Die Mehrzahl der dort Versammelten gehört personellen Zusammenschlüssen an, so u. a der »Kirche von Unten«.10 Seitens kirchenleitende Amtsträger und Kräfte wurden u. a. festgestellt: Propst Furian,11 Präses Becker,12 die Oberkirchenräte Schröter13 und Palt14 sowie die Pfarrer Hülsemann,15 Passauer,16 Schneider,17 Pastorin Misselwitz und Rechtsanwalt Schnur.18 Die Pfarrer Passauer und Hülsemann orientierten zu Beginn der Veranstaltung darauf, über die staatlicherseits verhinderte öffentliche Demonstration und ein noch zu verlesendes sogenanntes Dokument sprechen zu wollen. Dieses von Passauer vorgetragene Schreiben wurde von der Mehrzahl der Anwesenden unterzeichnet und soll als »Petition« am 11. Juni 1989 an nicht näherbezeichnete staatliche Organe übergeben werden.19 In diesem Pamphlet werden Angaben zu dem angeblichen Wahlbetrug während der Kommunalwahlen sowie dazu von feindlichen, oppositionellen und anderen negativen Kräften verfassten Eingaben und erstatteten Anzeigen aufgelistet, die bisherige staatliche Reaktion darauf dargelegt und zu weitergehenden Aktivitäten »zur Bestrafung der für die Wahlmanipulation Verantwortlichen« und zur Führung eines »offenen Dialogs« in diesem Zusammenhang aufgefordert.
Die Darlegungen von Passauer und Hülsemann zu diesem Schreiben schufen wesentliche Grundlagen für das Wirksamwerden feindlicher, oppositioneller Elemente, die mit ständigen Zwischenrufen ihren Forderungen nach Durchführung weiterer öffentlicher Aktionen Nachdruck zu verleihen suchten und damit die Stimmung unter den in der Kirche Versammelten permanent anheizten. Im Ergebnis des inspirierenden Verhaltens solcher Kräfte, die u. a. eine stilisierte schwarze Wahlurne mit der Aufschrift »Hier liegt die Demokratie begraben« und Transparente mit Aufschriften wie »Genug vom Wahlbetrug« mit sich führten, unternahm die Mehrzahl der Anwesenden den Versuch, geschlossen das Gelände der Sophienkirche zu verlassen und sich auf der Straße zu formieren. An diese Personen durch die eingesetzten Sicherungskräfte ergangene Aufforderungen, den Handlungsraum zu verlassen, wurde nicht Folge geleistet und passiver Widerstand (Unterhaken, Sitzen auf dem Gehweg) entgegengesetzt sowie weiter versucht zu provozieren. Zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit und der Auflösung dieser Zusammenrottung erfolgten insgesamt 140 Zuführungen. (Gegenüber diesen Personen wurden Belehrungen ausgesprochen und ordnungsstrafrechtliche Maßnahmen eingeleitet bzw. durchgeführt. Alle Zugeführten wurden am 8. Juni 1989 im Zeitraum von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr entlassen.)
Pfarrer Hülsemann solidarisierte sich mit den Zugeführten, indem er dazu aufforderte, ihn aktuell telefonisch über alle damit im Zusammenhang stehenden Fakten zu informieren. Mit dem gleichen Ziel gab Pfarrer Passauer die Telefonnummer von Konsistorialpräsident Stolpe bekannt. Darüber hinaus wurde, offenkundig mit dem Ziel der Fortführung der Veranstaltung in der Sophienkirche, ohne weitere konkrete Angaben auf eine Veranstaltung am 8. Juni 1989 in der Gethsemanekirche verwiesen.
Bis gegen 21.30 Uhr hatten alle Personen das Kirchengelände und die Umgebung ohne weitere Handlungen verlassen.
Während des gesamten Zeitraumes der Ereignisse in der und um die Sophienkirche hielten sich westliche Korrespondenten dort auf, darunter Heber20 (ARD-Hörfunk), Röder21 (epd) und Menge22 (»Die Zeit«). Fernsehteams wurden nicht tätig. (In aktuellen Berichterstattungen in den westlichen Medien zu den dargestellten Ereignissen werden tendenziöse, überzogene und teilweise unwahre Angaben gemacht.)
Es wird vorgeschlagen, dass durch den Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Hauptstadt Berlin für Inneres, Genossen Hoffmann,23 kurzfristig ein Gespräch mit Konsistorialpräsident Stolpe geführt wird. Stolpe sollte nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass er mit seiner Entscheidung und seinem Verhalten eine hohe Verantwortung für die Organisierung der Zusammenkunft in der Sophienkirche, für die damit erfolgten verleumderischen Angriffe gegen die DDR, das gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gerichtete Verhalten der Teilnehmer dieser Zusammenrottung und die dadurch notwendig gewordenen Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane trägt. Ihm sollte verdeutlicht werden, dass eine solche Haltung nicht akzeptiert werden kann und der Entwicklung eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zutiefst abträglich ist.
Zu dem Verhalten der anderen kirchlichen Amtsträger sollten auf entsprechender Ebene ebenfalls Gespräche geführt werden, um ihnen die staatliche Position und Erwartungshaltung unmissverständlich deutlich zu machen.
Weiter wird vorgeschlagen zu prüfen, über die von Stolpe und anderen kirchlichen Amtsträgern gezeigten Verhaltensweisen der direkten und indirekten Unterstützung der an der Organisierung und Durchführung der Provokation am 7. Juni 1989 beteiligten Personen in geeigneter Weise auf realistischen Positionen stehende Kräfte in der evangelischen Kirche zu informieren und sie aufzufordern, gegen derartige Bestrebungen und Verhaltensweisen entschiedener aufzutreten und Position zu beziehen.
Es ist vorgesehen, über die mit provokatorisch-demonstrativen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit den genannten Ereignissen angefallenen und zugeführten Personen, soweit möglich, die Leiter der jeweiligen Arbeitsstellen zu informieren und sie aufzufordern, im Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen Kräften die erforderliche erzieherische Arbeit zur Disziplinierung dieser Personen zu leisten.
Zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Zusammenhang mit der am 8. Juni 1989 um 20.00 Uhr angekündigten Veranstaltung in der Gethsemanekirche im Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg werden durch die Schutz- und Sicherheitsorgane entsprechende Maßnahmen eingeleitet.